Nagolder Tagblatt .Der Gesellschafter"

Seite 2 Nr. 87

Montag. 15. April ISA.

Landes verraksprozeß DiehGoldman«

Verlla, 14. April. Vor dem Schöffengericht begann gestern der Prozeß gegen den Studienassessor a. D. Kauf­mann Heinrich Die'tz'aus Elberfeld und Studienrat Dr. Gpldmann aus Magdeburg wegen versuchten Verrats militärischer Geheimnisse. Bei den Haussuchungen, die zum Verbot der Olympia und des Wikingbunds in Preußen geführt hatten, entdeckte man einen Brief Goldmanns an Die amerikanische Botschaft in Berlin, in dem er eine Er­findung anbot, ein Ferngeschütz, sowie eine Anzahl balli­stischer Tabellen. Bei Dietz war eine Uebersetzung dieses

Schreibens und auch die Antwort der amerikanischen Bot­schaft gefunden worden. Dietz und Goldmann wurden ver­haftet und in Leipzig mehrere Monate verhört.

Die Zusammenschluhbewegung in der Landwirlschast

Berlin, 14. April. In einer gemeinsamen Vorstands­sitzung des Landbundes der Grenzmark Posen-West- preußen und der grenzmärkischen Bauernvereine, die dem Zentrum nahestehen, wurde einstimmig beschossen, sie zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen- zu schließen. Als Zweck des Zusammenschlusses wird angegeben, in allen landwirtschaftlichen Fragen durch ein­heitliches Vorgehen eine bessere Vertretung der landwirt­schaftlichen Interessen der Provinz zu erreichen.

Romreise Dr. helds

München, 14. April. Der bayerische Ministerpräsident Dr. Held hat sich in Begleitung des Geheimrats Freiherrn v. Stengel für mehrere Tage nach Rom begeben, um dem Papst zu der Feier seines goldenen Priesterjubiläums seine Glückwünsche darzubringen.

Einweisung des Reichsgerichtspräsidenken Dr. Bumke

Leipzig. 14. April. Gestern mittag fand in der Dienst­wohnung des Reichsgerichtspräsidenten die feierliche Ein­weisung des neuen Präsidenten Dr. Bumke in sein Amt durch den Reichsminister Koch, dessen letzte Amtshandlung dies war, statt.

Württemberg

Stuttgart, 14. April.

60. Geburtstag. Generaldirektor Dr. Richard Theurer, der Leiter der Farbenfabriken G. Siegle u. Co. G. m. b. H. und der Druckfarbensabriken Käst u. Ehinger G- m. b. H-, vollendet am 14. April das 60. Lebensjahr.

Srankensürsorgekasse des württ. Beamtenbundes. Nach dem Geschäftsbericht für das Jahr 1928 schließt die Kranken- sürsorgekasse mit einem reinen Ueberschuß von 29 428.14 -k gegenüber einem solchen von 52 448.04 im Jahr 1927 ab. Die Reserven sind auf 175 516.60 -tl, die Vermögenswerte der Kasse auf insgesamt 268 022.42 -K angewachsen. Die gesamten Einnahmen einschließlich der Mehreinnahmen vom Jahr 1927 haben 871 006.65 betragen, wovon auf Bei­träge 798 085.39 ,4t entfallen. Diesen Einnahmen stehen Ausgaben im Gesamtbetrag von 861 391.25 -K gegenüber. Der Mitgliederstand hat sich um rund 1400 Mitglieder ge­hoben. Am 1 . Januar 1929 hat die Krankenfürsorgekaste «inen Stand von 27 534 Mitgliedern aufgewiesen gog-nüber 26119 Mitgliedern im Vorjahr.

Einweihung des Ehrenmals für die Gefallenen der 27. Inf.-Div. Die Weihe des Gedenksteins und der Gedenktafeln für die Toten der 27. Jnf.-Div. findet am 21. April 1929, vormittags 11 Uhr, auf dem Waldfriedhof in Stuttgart statt. Sammlung 1030 Uhr vormittags. Sammlungstafeln für die einzelnen Truppenteile sind aufgestellt. 3 Uhr nach­mittags ist kameradschaftliche Zusammenkunft im Festsaal der Liederhalle.

St itlgarl, 14. April. Forderungen derStratzen- ba' ner- Eine Versammlung der Straßenbahner lehnte hie Be> antworkung für die Stellung der unteren Ausfahrts­weiche am Schloßplah, wo in der letzten Zeit zwei Unfälle pch ereignet haben, ab und forderte die Bedienung der Weiche von einem besonders zu diesem Zweck angestellten Manne. Außerdem wurde die Zurücknahme von Stu­ben ten aus dem Betrieb verlangt und zur Arbeitsruhe «m 1. Mai aufgefordert.

Göppingen, 14. April. Sammelkläranlage für die Filstal gemeinden. In der letzten Gemeinde- ratssitzung machte der Vorsitzende nähere Mitteilungen über den Plan einer Sammelkläranlage für die Stadt Göppin­gen und die oberen Filstalaemeinden. Die Regierung drängt darauf, daß dem jetzt bestehenden unerträglichen Zu­stand so rasch wie möglich ein Ende bereitet wird.

Liedesdrama. Wie aus Heidelberg berichtet wird, ver­übten dort ein 22 3. a. Autosaltler und ein 18 3. a. Mäd­chen aus Stuttgart einen Selbstmordversuch. Das Mädchen wurde durch einen Schuß in den Mund lebensgefährlich verletzt, der junge Mann brachte sich einen tödlichen Schuß bei

Aus dem Lande

Vaihingen a. 14. April. Rätselhafter Unfall. Der 27 Jahre alte Kaufmann Alfred Keim, der in der Wein­handlung Dußler beschäftigt ist, wurde im Gemeindeauffüll- platz an der Sindelfinger Straße bewußtlos mit einer Wunde im Kopf aufgefunden. Er wurde nach Stuttgart ins Marienhospital übergeführt. lieber den Unfall ist nichts Näheres bekannt.

hellbraun, 14. April. Versuchte Erpressung. Eine 22 Jahre alle Nähterin in Bückingen wurde in einem Brief einer strafbaren Handlung bezichtigt und aufgefordert, an einer bestimmten Stell« 150 °4l Schweigegeld niederzu­legen. Die Kriminalpolizei nahm sich der Sache an und sieh einen Brief niederlegen. Aus einem Versteck sahen dann zwei Beamte mit ihrem Polizeihund einen 19 Jahre alten Maschinenschlosser aus Bückingen den Brief abholen. Er wurde festgenommen.

Münster OA. Mergentheim, 14. April. Eine Sel­tenheit. Eine mittelstarke Kuh des Bauern Johann Äut- trvff hier brachte dieser Tage ein lebendiges Kalb zur Welt, das ein Gewicht von 146 Pfund hatte.

wefihause« O.A. Ellwangen, 14. April. Sch ult- beißenwahl-Anfechtung. Gegen die Entscheidung »er Ministerialabteilung für Bezirks- und Körperschastsver- «astung in Stuttgart vom 26. März d. Js., durch di« die Wahl des Kasteninspektors Riede in Horb zum hiesigen Vrtsoorsteher für gültig erklärt worden ist, ist Beschwerde an da» Innenministerium erhoben worden.

Aus Stadt und Land

Nagold, den 15. April 1929.

Ein Bund Stroh aufzuheben, muß man keine Maschinen in Bewegung setzen; was ich mit dem Fuß umstoßen kann, muh ich nicht mit einer Kanone spren­gen wollen; ich muh keinen Scheiterhaufen anzünden, um eine Mücke zu verbrennen. Lefsing.

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Dom Wochenende

Sonne, Regen, Wind und Gewitter besorgten die Auf­räumungsarbeiten an den Winterüberbleibseln und wir werden nun hoffentlich endgültig sagen können: Winter ade! Und es wäre wirklich gut, wenn wir nichts mehr von dem grimmigen East 19281929 zu spüren bekämen, hat doch die kältemüde Menschheit gar übrig genug von ihm. Uhlands süßer, sanfter Hauch wehte uns nun nicht gerade wonnesam entgegen, auch küßten keine warmen Sonnen­strahlen die Erdgeisterchen wach und aus überzeugter Menschenbrust kommen ebenso wenig hoffende Frühlings­weisen. Nur unsere gefiederten Sänger lassen sich von alle­dem nicht stören. Kaum ist der Tag erwacht und schaut erst schüchtern über die Höhen in die Fenster herein, kein Laut eines Wanderers dringt von der Straße empor, kein Hasten der Menschen . . . man will die Augen wieder schließen ... in diesem Augenblick klingt von nächsten Dachfirst ein fröhlich, schmetternd Amsellied einschmei­chelnd ins Ohr. Ein Segengruß für den neuen Tag, ein Dankesgruß gen Himmel für den wieder geschenkten Tag. Und ... auf einmal ist's still, draußen beginnt der Lärm des Tages!

Tage mit solch ausgesprochenen Aprilcharakter locken die Menschen nicht hinaus, wenigstens nicht zu größeren Ausflügen. Ein Spaziergang am Kleb, am Waldrand ent- lang, Wagemutige gelangen schon einmal bis auf den ! Schloßberg oder in den Killberg, dann wird's wohl aus ! sein. Auch auswärtige Gäste kommen nicht allzu zahlreich; > des neuerstandenen Verkehrs- und Verschönerungsvereins i Pläne allein vermögen wohl noch keine Fremde anzu- : ziehen. Gestern war zwar ein Zuffenhauser Gesangverein ! in unseren Ortsmauern und hier und dort aus welchen i Anlaß ist uns unbekannt erklang ihr fröhlich Lied. Halt, bald hätten wir doch schon eine segensreiche Einwir­kung des Verkehrs», vergessen, denn am Tag nach de« Gründung hat, sich bereits eine 50-köpfige Familie mit M Wagen und Hl Pferden für einige Zeit hier niederlasten wollen Zigeuner. Sie wollten Hochzeit feiern. Ueberall, wo sie gern bleiben möchten, wird diese Feierlichkeit wohl vorgeschützt. Doch man kennt bald ihre Schliche und so mußten sie unter treuer Bewachung durch die Hüter des Gesetzes bis zur nächsten Oberamtsgrenze. Wird's wohl ihnen dort anders gehen?

Turner und Sportler hatten gestern auswärtige Ver­pflichtungen. Glück und Pech war ihr Los. Nun soll noch etwas von einem kleinen Veilchen erzählt sein, von einem Veilchen insofern, als der Schwäbische Alb-Verein, Ortsgruppe Nagold, gleich ihm in aller Zurückgezogenheit ein Leben in Schönheit führt. Das konnte man gut mer­ken, wenn man am Samstag Abend seinen neugierigen Blick und di? Presse ist nun einmal fürwitzig in das Nebenzimmer der Krone hineinschickte. Dort feierte näm­lich der Albverein unter seinem Vorst. Präzeptor W i e- land in engem Vereinskreise eine gar vergnügte Fami­lienfeier. Was man trieb? Lustig und fröhlich war man bei . . usw. usw., und das möchte genügen. Anläßlich dieser Tagung wurden auch Ehrungen vorgenommen. So erhielten für 25jährige Mitgliedschaft zum Verein fol­gende Herren Ehrenzeichen: Stadtschultheiß Maier, Ob.- Postmeister Hartmann, Oberamtsbaumeister Schlei­cher, Pfarrer Sigwart und Präzeptor Wieland.

Lichtbttdervortrag

Man schreibt uns:

Mit warmem Interests wurde am gestrigen Sonntag Abend der Lichtbildervortrag im Saale der Methodisten- Gemeinde in Nagold über das Thema:,, Die Anfänge der Mistion der Methodisten-Kirche unter den Indianern", ausgenommen. Es bleibt auch immer von Interests zu be­obachten, wie oft im Völkerleben der Anstoß zu weltge­schichtlichen Ereignissen von einzelnen Persönlichkeiten ausgeht. So war auch hier ein in Amerika lebender Ne­ger namens John Steward der Mann, den die Liebe Christi zu den Wyandott-Jndianern im Jahre 1816 trieb, um ihnen die Botschaft des Heils zu bringen. Die Wyan- dott-Jndianer lebten viel im Streit mit den sogenannten Schwarzfutz-Jndianern in Oregon. Als das Evangelium seine Kraft offenbarte, hörten auch diese Befehdungen auf, und nach mehreren Jahrzehnten wurde Oregon ausgenom­men in den Staatenverband von Amerika. Die Arbeit die­ses Negers half den Boden bereiten für die Aufhebung der Sklaverei in den Südstaaten. So bleibt auch hier das Wort des Dichters Albert Knapp wahr:Heiland deine größten Dinge, beginnst Du stille und geringe". S.

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Herrenberg, 14. April. 7V0 Jahr-Feier. Für alle die­jenigen in unserer Stadt, welche mit den Vorbereitungen für die am 21. Juli ds Js stattfindende 760 Jahr-Fe,er beschäf­tigt find, war es eine willkommene Kunde, daß durch das freundliche Entgegenkommen des Herrn Kultministers während der 700 Jahr-Fe>er der einstige Herrenberger Altar müder in t ec Stiftskirche aufgestellt werden kann. Der Aliar wurde an­läßlich der Restauration unserer Stiftskirche im Jahr >890 an das AltertumSmuseum in Stuttgart verkauft. Tie erben Sach­verständigen des Landes rieten damals dem Siiftungsrat zu dem Verkauf. Erst nachträglich ging die Eikenntnis auf, welch kostbares Werk die Kirche b' srssen und weagepeben halte. Wird doch der Künstler, der sie Bilder des Altars geschaffen hat, Jörg Rakgeb, von manchen nahe an den berühmten Grüne­wald herangerückt In Stuttgart wird unser Altar als ein Schmuckstück kur Gemäldegalerie betrachtet. So ist es uns eine Freude, daß der Altar wen gste« s für einige Tage als Leih­gabe an seine einstige Stätte zurückkehrt. Er wird jedenfalls ein Anziehungspunkt für viele Festgäste sein. Wir Herre»beiger betrachten das Kommen des Altars als ein Vorzeichen für das gute Gelingen ves Festes.

Neuenbürg, 14. April. Brand. In der neuerbauten Hütte hinter dem Anwesen des Christian Finkbeiner, Senfeii- schmied, die einer Geflügelzucht dienen soll, war vermutlich) durch den in der Hütte untergebrachten Brutofen Feuer aus­gebrochen, das rasch um sich griff und die geräumig« Hütte in Asche legte. Wie man hört, sollen dabei etwa 100 ganz junge Kücken verbrannt sein.

Mühlen OA. Horb, 14. April. TödlicherAusgang. Viehhändler Hermann S t e i n kam am Sonntag mit seiner rechten Hand in die Futterschneidmaschine. Ein Finger mußte abgenommen werden. Es traten Vergiftungserschei­nungen ein, die die sofortige Ueberführung in das Horber Krankenhaus bedingten. Es wurde dem Kranken der rechte Arm vollends bis. zur Achselhöhle und noch ein Teil der rechten Brust abgenommen. Jedoch überstand der Patient die Operation nicht.

Arme MchrWen aus Mr Vslt

König Boris von Bulgarien, der seit einiger Zeit inkognito IN der Reichshauptstadt weilte, ist am Freitao abend mit seinem Gefolge nach München weitergereist.

Verabschiedung südslawischer Heerführer. Durch könia- uchen Erlaß werden drei Korpsführer, 18 Divisions- und fünf Brigadegenerale, ein Konteradmiral und ein Kapitän verabichiedet. An die Stelle des vensionieretn General-

Kultminister Bazille über die Lage

Für eine bürgerliche Regierung

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Gmünd, 14. April.

Auf einer geschloffenen Gautagung der Deulschnattonalen Volkspartei nahm Kultminister Dr. Bazille zur politi­schen Lage im Reich und in Württemberg Stellung. Er führte dabei aus: Die Behauptung, daß im Reich nur die große Koalition möglich sei, ist ein Beweis für die Sorglosig­keit, mit der man in gewissen Kreisen des Bürgertums die politische Lage anstehk. Eine Koalikion sämkkcher kürzer- sicher Parteien hätte weit mehr gemeinschaftliche Anffas- ungen, als die große Koalition. Solange aber die demokra­tische Partei durch keinerlei Zeichen der Zeit zu belehren ist, ist allerdings die große Koalition gegenwärtig die einzig mögliche Regierungskoalition im Reich, aber doch nur in d e r Form, die jetzt nach monalelangem Hängen und Wür­gen gefunden worden ist- Das charakteristische Element der großen Koalition ist dieses, daß die Sozialdemokratie ihre Anhänger nur durch Vermehrung der Skaaksansgaben be­liebigen kann, während die bürgerlichen Parteien ihre Wähler nur durch Berringeruug der Ausgaben halten können. Dazu kommt noch die Gegensätzlichkeit der Auf­fassung in fast allen großen politischen Fragen, so daß die große Koalition die schwächste aller Regierungen darstellt. Da Neuwahlen voraussichtlich keine Aenderungen bringen würden, so ist di« Lage i« Reich gegenwärtig ohne jede Hoffnung.

DaOtik käbrte der Redner tolaen-

3ch kann die Ansicht nicht teilen, daß der Spruch des Staatsgerichtshofs die politische Lage wesenstich geändert habe. Behauptungen wie die, daß das württ. Volk sich bei den Wahlen im 3ahr 1928 für die sozialdemokratische Füh­rung in der Regierung oder für die Bildung der großen Koalition ln Württemberg ausgesprochen habe, sin- völlig willkürlich und lediglich von parteipolitischen Absichten ein­gegeben. Welchen Willen der Wähler mit der Abgabe seines Stimmzettels bekundet hat, ist, soweit es sich um Äegie- rungskoalition handelt, überhaupt nicht zu sagen. Wohl aber kann man den unanfechtbaren Sah aufstellen, daß der Wäh­ler von der Partei, die er wählt, die Berkretung seiner Auf­fassungen und Belange erwartet. Prüft man die Sachlage an diesem Satz, so kann man sich folgendes sagen:

Für die Sozialdemokratische Partei haben sich bei der letzten Wahl in Württemberg noch nicht ein Viertel der ab­gegebenen Stimmen ausgesprochen. Außer diesen Stimmen will aber nur ein Teil der demokratischen Wählerschaft so­zialdemokratische Regierungsführung. Sicher wünscht dies nicht ein anderer Teil der demokratischen Wähler. Ebenso

kann man sagen, daß die Wähler der Deutschen Volksparlei und des Christlichen Voiksdienstes, der Auswertungspartei und der Nationalsozialistischen Partei keine sozialdemokra­tische Führung wünschen. Eine objektive Prüfung kann nur zu dem Ergebnis gelangen, daß der Art, dem Mehrheits­willen und der Struktur des württ. Volkes eine bürgerliche Regierung weit mehr entspricht, als eine sozialistisch ge­führte. Die Rechte, die nur einige hundert Stimmen weni­ger als die Sozialdemokratie erhalten hat, kann ebenfalls verlangen, in der Regierung vertreten zu sein. Sie ver­tritt außerdem denjenigen Stand, der gegenwärtig der not- leidendste von allen ist, die Landwirtschaft. Dazu kommt, daß es in der Politik immer am besten ist, wenn Gegen­gewichte bestehen: da das Reich, Preußen und fast die ganze übrige Mitte und der übrige Norden Deutschlands sozial­demokratisch geführt sind, so ist es sehr nützlich, wenn von den vier süddeutschen Staaten wenigstens zwei vorhanden sind, in denen der bürgerliche Einfluß maßgebend ist. Ich glaube sagen zu können, daß die Fraktion der Rechten grundsätzlich mit allen bürgerlichen Parteien eine Regierung zu bilden bereit ist und auch eine Beteiligung der Sozial­demokratie nicht ablehnen würde, wenn diese sich zu einer staatspolitischen Haltung bekennen würde. Solange aber Dinge Vorkommen, wie die Ablehnung des Panzerkreuzers, ist eine Einigung völlig unmöglich. Man kann übrigens das Verlangen der Sozialdemokratie nach der Führung in der württ. Regierung um so weniger verstehen, als sie doch dem Lande Württemberg die Existenzberechtigung abspricht und die schnellste Beseitigung seiner Selbstyrrständigkeit verlangt. ^

Die bürgerlichen Parteien können bei allen Fragen eine Verständigung finden, auch in der Schulpolitik, die bis jetzt allerdings von einigen bürgerlichen Parteien nicht mit der nötigen Nüchternheit betrachtet worden ist. Diese Probleme werden gegenwärtig sorgfältig untersucht. Das wichtigste, die Frage der Lehrerbildung, ist keineswegs so dringlich, wie das vielfach dargestellt wird. Sehr viel dringlicher ist z. B. die Beseitigung der Not der Landwirtschaft und die Ermäßigung sämtlicher Steuer«, da auch Industrie und Handel in immer größere Schwierigkeiten kommen. Sobald sich die bürgerlichen Parteien die gegenwärtige Wirtschafts­lage vor Augen halten, können sie nur einer Lösung der Lehrerbildung zustimmen, die in absehbarer Zeit kein« Mehrkosten für das Land und für die Beteiligten bringt. Bei solch nüchterner Betrachtung sollte es nicht gar z« schwierig sein, eine bürgerliche Regierung zu bilden, die eine sichere Mehrheit im Landtag hinter sich hat.