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Nr. 87
Gegründet 1827
Mittwoch, den S0. März >92»
Fernsprecher »e. 2»
Der Kamps um die Reparationslasten
(Eigene Meldung d. Nagolder Tagbla ttes)
Nagold, 19. März. Wir wir hören, ist Herr Oberstudiendirektor Baufer Ende der letzten Woche im Namen und Auftrag der Volksrecht-Partei und des Sparerbundes in Paris gewesen, um die Auffassung der durch die Inflation geschädigten Kreise bei den deutschen Sachverständigen und bei den fremden Delegationen zum Ausdruck zu bringen. Er hatte eine eingegende Aussprache mit zwei der deutschen Sachverftändnigen, Eeheimrat Dr. Kastl und Generaldirektor Dr. Vögler. Es handelte sich vor allem darum, die Herabsetzung der unerträglich hohen Da- weslasten dadurch zu erreichen, daß die falsche Voraussetzung des Dawesgutachtens von der inneren Entschuldung durch die sog. Inflation energisch bekämpft wird und daß nachgewiesen wird, daß durch die Inflation die deutsche Volkswirtschaft als Ganzes betrachtet, insbesondere das Kreditwesen, nicht nur nicht günstig beeinflußt, sondern schwer geschädigt und geschwächt wurde. Die deutschen Sachverständigen versprachen, diese Eedankengänge gegenüber den fremden Sachverständigen zu vertreten.
Oberstudiendirektor Bauser setzte außerdem ein kurzes Memorandum in französischer und in englischer Sprache auf, das er den ausländischen Delegationen überreichte. In diesem Memorandum wird zunächst die Frage gestellt, ob das amerikanische und das englische Volk sich eine völlige Zerstörung der Ersparnisse ihrer Lebensarbeit durch eine sog. Inflation gefallen lassen würde. Ebensowenig sei Las deutsche Volk bereit, sich mit dem Ergebnis der Inflation und der sog. Aufwertungsgesetze abzufinden. Das Dawesgutachten habe den schweren Fehler begangen anzunehmen, daß die inneren Schulden Deutschlands durch
die Inflation vernichtet worden seien. Dieser Irrtum sei inzwischen schon durch die Aufwertungsgesetze selbst, weiter durch die deutsche Rechtssprechung teilweise berichtigt werden und die deutsche Volkswirtschaft werde in Zukunft eine weitergehende Verbesserung notwendig machen. Ein zweiter, ebenso schwerer Irrtum des Dawesgutachtens bestehe darin, daß' man angenommen habe, Deutschland sei durch die Inflation bereichert worden und könne deshalb höhere Beträge an das Ausland bezahlen. Im Gegenteil: die Inflation habe den deutschen Staat wie die deutsche Volkswirtschaft geschädigt und geschwächt, weil das für eine hoch entwickelte Volkswirtschaft notwendige Gleichgewicht zwischen Produktion und Sparkapital zerstört worden sei. Es sei deshalb unbedingt notwendig, die falschen Voraussetzungen des Dawesgutachtens fallen zu lassen und die Reparationslasten energisch zu kürzen. Nur auf diese Weise werden die deutsche Volkswirtschaft und der deutsche Staat, überhaupt fähig bleiben, irgendwelche Reparationslasten zu leisten, andernfalls werde die Krise so stark werden, daß das deutsche Volk eines Tages erklären müsse, es könne keinerlei Ne- parationslasten mehr bezahlen. Es liege deshalb nicht nur im deutschen Interesse, sondern auch im Interesse der Gläubigerstaaten selbst, die Lasten stark herabzusetzen und die endgültige Reparationslösung auf einer vollständigen Revision der Frage der inneren Schulden auszubauen. Zum Schluß wurde noch auf die Unterschriftensammlung hingewiesen, welche den Beweis erbracht habe, daß die Massen des deutschen Volkes die falsche Voraussetzung der inneren Entschuldung energisch ablehnen und stärkste Herabsetzung der Reparationslasten fordern
Französische Zahlungswünsche
Der »krittsche Abschnitt-
Der diplomatische Berichterstatter des Londoner „Daily Telegrapph" schreibt: Sogar amtliche Kreise in London verbergen ihre schmerzliche Ueberraschung über Sie Natur der Vorschläge oder vielmehr Forderungen, die die französischen Delegierten im Sachverständigenaus- schuß vorgelegt haben. Diese Forderungen kommen auf folgendes hinaus:
1. 1 Milliarde Mark der abgeänderten deutschen Jahreszahlung soll für die Dauer von 37 Jahren ausschließlich zur Entschädigung für die zerstörten Gebiete Frankreichs, Belgiens mck> Serbiens bestimmt werden. Die Franzosen sind der Meinung, daß Italien in dieser Beziehung keine eigentlichen Ansprüche erheben könne.
2. Dieser Teil der Jahreszahlung, an dem das britische Reich keinen Anteil haben soll, würde Zahlungsvorrecht gegenüber dem andern Teil genießen. Dieser andere Teil soll für den Dienst der Verbands-Kriegsschulden an die Vereinigten Staaten dienen. Auf jeden Fall würde lüh die britisch« Beteiligung beschränken.
3. Auch bezüglich seiner Schuld an Amerika würde Großbritannien aufgefordert werden, auf die Zahlung der Jahresbeträge zu verzichten, die es an Wasbington bereits geleistet hat, bevor es anfing, die ihm von Frankreich, Italien usw. geschuldeten Gelder einzuziehen. Dies würde für England einen Verlust von rund 3800 Millionen Gold- mark bedeuten.
4. Vom britischen Geldmarkt würde Beteiligung «n der „Kommerzialisierung" erwartet werden, aber die Ergebnisse dieser Anleihe würden nahezu ausschließlich Frankreich zugute kommen. Belgien, Serbien und allenfalls Italien würden verhältnismäßig unbedeutende Beträge erhalten und Großbritannien gar nichts.
Der Berichterstatter erinnert daran, daß Frank>-eich und Belgien schon wiederholt versucht haben, die britische Zustimmung zur Bevorrechtung der Zahlungen für die zerstörten Gebiete zu erbalten. Bier britisch« Regierungen haben es abgelehnt. Es bleibe abzuwarten, ob sich die französische Meldung bestätigen werde, daß die amer-kanischen Sachverständigen bereit seien, die französischen Forderungen zu unterstützen.
In England ist man also über die Keckheit der französischen Forderungen wenig erbaut, aber nickt deswegen, weil sie Deutschland übernehmen, sondern weil nach enä- tischer Meinung Großbritannien dabei um 3800 Millionen Goldmark zu kurz komme. Die Pariser Presse gebt, offenbar auf höhere Weisung, unmittelbar auf die Kernsrage der Reparationsverhandlungen los. nachdem sie oemäß einem von der Pariser Regierung fein angeleaten Plan wochenlang darauf vorbereitet hat. Wie vor dem Abschluß des Locarno-Dertrags, schildern die Blätter in den verlockendsten Farben, welche Borteile Deutschland aus einer raschen „Verständigung" über die von Frankreich erhobenen Zahlvngsforderunaen entstehen müßten. Dann werde es „engste wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit'', .Aussöhnung der feindlichen flnteresi-n", .Frieden und Eintracht" «eben, »nd was derlei Rsdensachen
mehr sind. Man fängt an, Dr. Schacht zu rühmen, daß er durch did Einwirkung Stresemanns nachgiebiger geworden sei. Dazu melden die Berliner Berichterstatter der Pariser Blätter, die deutsche Reichs- reaieruna sei einem Vergleich nicht mehr abgeneigt.
Das englische Büro Reuter verbreitet aus Paris, während der zweiten Abwesenheit Dr. Schachts, der in dieser Woche an einer Sitzung des Reichsbankdirektoriums teil- nimmt, werden die Sachverständigen der Gläubigerländer versuchen, sich über die Höhe der deutschen Iahreszahlungen und die Zahlungsbedingungen zu einigen. Wenn dann am Montag nächster Woche Dr. Schacht nach Paris zurückkehre, werde der kritische Abschnitt der Konferenz beginnen. Es sei allerdings nicht wahrscheinlich, daß es vor Ostern schon zu einer endgültigen Vereinbarung komme.
Der Pariser „Matin" schreibt, der Präsident der Bank von Frankreich, Moreau, babe dem Vorsitzenden d°r Konferenz, dem Amerikaner Boung, erklärt, die „ösfenlliche Meinung" Frankreichs werde es ablehnen, daß di« Entschädigung Frankreichs unter 50 Milliarden Franken heruntergebe. Frankreich Hobe schon genug Zugeständnisse gemacht (I). Äoung werde nun private Belvrechungen mit den Sachverständigen der Hauptgläubiger fübren.
Es wird nun in Kreisen der Konferenz zugegeben, daß trotz aller Ableugmmgen Vorbesprechungen über die Kobe und den Umfang der deutschen Zahlungen schon längst statt- gefund-n Haben. Es wird ccher bemerkt, daß die französischen Forderungen bis ietzt keine Unterstützung gefunden hätten. Von deutscher Seite sei erk'ärt worden, daß Zahlungen über 37 Iabre hinaus für Deutschland unannehmbar seien, da eine Verbindung der eiaentlichen Krieasent- schäd'mmq mit den Berbandsschulden nicht anerkannt werden könne.
Neue Nachrichten
Verhandlungen über den Reichshaushalk
Berlin, 19. März. Reichsfinanzministe'r Hilfer- ding hat gestern mit Vertretern der Fraktionen der Sozialdemokraten, des Zentrums und der Deutschen Volks- Partei über den Reichshaushaltplan und seine Deckung verhandelt. Die Vertreter der Deutschen Volksvartei be- borrten auf der Ablehnung jeder neuen steuerlichen Belastung.
Ein bequemes Mtlel
Berlin, IS. März. Bei der Not des Reichshaushalts hat der Reichstag bis jetzt eine erstaunliche Unfruchtbarkeit gezeigt, eindeutige Sparsamkeusvorschläge zu machen, und die Parteien wollen und können nicht gut neue Steuern vor Len steuerüberlasteten Wählern verantworten. So ist die Suche nach neuen Finanzierungsarten entstanden, die wie die Vermeidung von Steuererhöhungen aussehen, in Wirklichkeit aber nichts anderes als Steuererhöhungen sind. Da, zu gehört der Vorschlag, die Abführungen derReichspost an die Reichskasse zu erhöhen. Wenn der finanzielle Stand der Reichspoft infolge der mehrfachen Gebührensteigerung
103. Jahrgang
lagessyiege!
Der braunschweigische Volksbildungsminister hat verfügt, daß begabte Leute auch ohae Reifeprüfung zum Vollsiuüium an der Technischen Hochschule in Brannschwerq zuqelasse« werden. Sie dürfen nicht jünger als 25 und nicht älter als 40 Jahre sein.
In den neueren Berichten aus Mexiko schreiben sich Regierungslruppen und Aufständische Siege zu. Die Lag« ist nach wie vor ganz unklar.
Der Staatsrat der Nanking Regierung hat gegen Eerieral Fengjuhsianq ein Verfahren wegen Landesverrats eingelei- tek. Er soll sich in die Provinz Tschili (Peking) geflüchtet und mit Jensischang und Tschanalschungtschana ein Bündnis gegen den Diktator Tschiangkaischek und die Ran- kinoregiernng abgeschlossen haben. Der Kuomintang ka>» greh hat Tschiangkaischek das Vertrauen ausgesprochen.
oerzelt nicht ungünstig ist, so beweist das nur, daß die jetzigen Postgebühren über das Matz der postalischen Notwendigkeit hinausgehen und eine Besteuerung enthalten. Müßte die Reichspost wieder so und so viele Millionen an das Reich mehr abgeben, so würde die Post wieder mit einem neuen Defizit klagen und die Folge wäre eine neue Erhöhung der Postgebühren. Der Wirtschaft und jedem Bries- schreiber wäre aber mehr mit einer Gebührensenkung gedient.
Die mittelbare Form der Besteuerung ist allerdings an sich nichts Neues, sie wird schon immer von den öffentliche« Betrieben der Gemeinden gehandhabt. Es handelt sich hier um eine bequeme indirekte Besteuerungsart, die leicht geeignet ist, die sowieso schon nicht klaren Gestehungskosten- verhältnifse öffentlicher Betriebe zu verschleiern.
» Stresemann und seine Partei
Berlin, 19. März. Die „Deutsche Allg. Zig.'"schreibt, die Haltung des Hauptvorstands der Deutschen Volkspartei in den Koalitionsoerhandlungen sei bedauerlich. Der tiefere Grund für diese Haltung liege in der Abneigung gegen die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Experimente der Sozialdemokratie. Da versäumt wurde, entsprechend dieser Abneigung die volksparteilichen Minister aus der Reichsregie- rung zurückzuziehen, habe sich aber die Deutsche Volkspartei den Vorwurf zugezogen, daß sie das Nichtzustandekommen einer Mehrheitsregierung verschuldet habe. Dr. Strese mann, der entschlossen sei, im April an den innerpolitischen Entscheidungen mitzuwirken, habe seine künftige Stellung noch nicht festgelegt. Er könne versuchen, die Deutsche Bolks- partei wieder vollständig in die Hand zu bekommen; er könne weiter zwischen dem Amt des Parteivorsitzenden und des Ministers wählen und als neutraler Minister im Kabi nett bleiben; er könne aber auch zur Gründung einer neuen Partei schreiten, die, wie die „Köln. Ztg." befürwortete, etwa von Ernst Lemmer bis Walter Lambach (deutschnationaler Reichstagsabgeordneter) reiche.
Braunschweig bleibt selbständig
Braunschweig. 19. März. Weil der Staat Braunschweig finanziell vollständig abgewirtschaftet ist, hatten die Deutschnationalen im Landtag beantragt, sofort in Anschluß Verhandlungen mit Preußen einzutreten. Bon der demokratischen Fraktion war beantragt worden, Braun schweig solle Reichsland werden. Beide Anträge wurden vom Haushaltausschüß abgelehnt, dagegen ein Antrag der Deutschen. Äolkspartei angenommen, das Staatsministerium zu beauftragen, die im Reich seit Jahresfrist angebahnten Bestrebungen auf eine Neuregelung des staatsrechtlichen Verhältnisses zwischen Reich und Ländern mit allen Mitteln nachdrücklichst zu fördern.
Revisionen im Heines-Prozeß
»Stettin, 19. März. 3m Heinesprozeß, dem .Fememord- prvzeß" gegen Heines n. Gen. ist gegen das Arteil des Stettiner Schwurgerichts vom 13. März Revision eingelegt worden. Der Staatsanwalt hat Revision beantragt in bezug ans Heines, Ottow, Fraebel und Baer, die zn Gefängnisstrafen verurteilt worden, und bezüglich des Voigt und des Krüger, die freigesprvchen wurden. Die Angeklagten Heines, Ottow, Fraebel und Baer haben gleichfalls durch ihre Verteidiger Reoisiion gegen das Urteil beantragt.
„Manchester Guardian" über vberschlesieu
London, 19. März. „Manchester Guardian" sagt in einem Leitartikel: Die Wahrheit über Oberschlesien ist sehr einfach. Me Deutschen auf der polnischen Seit« werden unterdrückt. Die Polen auf der deutschen Seite werden nicht unterdrückt. Alle das Gegenteil behauptende Propagand« in Warschau, Paris und Genf und bedauerlicherweise auch in London hat kein anderes Ziel, als diese Wahrheit zu verbergen, die für jeden erkennbar ist, der wirkliche Einsicht in die jetzige Lage Oberschlesiens besitzt.
Gäruug ln Syrien
Angora, 19. März. Die türkische Telegraphenagentur meldet aus Killis, daß die Franzosen in ihrem „Mandat" in Syrien eine Schreckensherrschaft «usiibe»