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Donnerstag, den IS. Dezember 1028
laaesspiegel
Bolivien hat die Vermittlung des panamerikanischen Kongresses im Streit mit Paraguay abgelehnt.
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Me „Chicago Tribüne" meldet ans La Paz. die bolima- s Nische Regierung habe die allgemeine Mobilmachung an- § geordnet. ;
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Die Polizei in Buenos Aires (Argentiniens teilte mit, ! daß sie eine Verschwörung gegen Hoover ausgedeckt habe, gab aber keine Einzelheiten bekannt, um unnötige Beun- ' ruhigungen zn vermeiden. — Der neugewcihlte Präsident der Vereinigten Staaten macht bekanntlich zurzeit eine Besuchsreise bei den verschiedenen Staaten des amerikanischen Erdteils.
*
Im Befinden des englischen Königs ist durch einen leichten operativen Eingriff eine hoffnungsvolle Besserung eingetreten.
153 Anträge zur Beseitigung der Not der Landwirtschaft
Ein Rekord, den bis jetzt der Reichstag nicht erlebt hat. Wenn es aus die Zahl der Anträge ankäme, so müßte die Landwirtschaft heute statt morgen aller Not und Sorge ledig sein. Aber Anträge und Reden — und wären sie noch so schön — tun es nicht. Auch nicht noch so gute Notprogramme, namentlich dann nicht, wenn sie so zögernd -urchgeführt werden, wie die Schieleschen Kreditgewährungen, von denen z. B. die Bauern in Pommern, trotzdem vor dreiviertel Jahren ihnen 300 000 Mark zur Verfügung gestellt worden sind, bis heute noch-ksinen Pfennig erhalten haben.
153Anträgezu einer zweitägigen Debatte! und keine Partei und kein Parteigrüppchen. die nicht zu dieser stolzen Leistung beigetragen hätte. Im Gegenteil! Die Zahl der Anträge stand^o ziemlich im umgekehrten Verhältnis zu der Größe der Partei. So hat dir Christlich-Nationale Bauernpartei, unterstützt von den noch kleineren Gruppen der deutschen Bauernpartei (8) und der deutsch-hannoverschen Partei (3) nicht weniger als 40 Anträge gestellt. Natürlich wollten die größeren Parteien sich nicht lumpen lassen, und so marschierten sie alle tapfer hintereinander: die Deutschnationalen mit 24, das Zentrum mit 22, die Deutsche Volkspartei mit 15, die Bayerische Volkspartei mit 11, die Demokraten mit 10 Anträgen usw. Und auch die Sozialdemokraten (5) und die Kommunisten (7) sind nicht abseitsgeblieben.
Hienach bekundeten alle Parteien ausnahmslos ihr „lebhaftes Interesse" für die Not der Bauern, und sie alle werben um deren Wohlwollen, wenn auch nicht von einer Seite der unfeine Rat unterdrückt wurde, die Bauern sollen eben, wenn sie sich nicht durchbringen, sich als Sozialrentner oder als Arbeitslose melden, also „stempeln gehen!"
hieraus geht hervor, daß es nicht allein auf „Anträge" ankommt. Unter ihrer fadenscheinigen Decke kann sich mitunter eine starke Gleichgültigkeit verstecken.
Und doch wäre es geradezu frevelhaft, wenn man Augen und Ohren, Herz und Hand von der zum Himmel schreienden Not der deutschen Landwirtschaft verschließen wollte. Es sind erst vier Jahre her, daß der Bauernstand, wie die andern Stände auch, durch die Inflation seine Schulden zum größten Teil los wurde. Wir bekamen die feste Währung. Wer aber dabei am wenigsten Bargeld erhielt, das war der Bauer. Seine Geldnot und die ungeheuerliche Spannung der Preise für seine Erzeugnisse und seine Betriebsmittel trieben ihn in kürzester Zeit in eine solche Schuldenwirt- schaft hinein, daß die deutsche Landwirtschaft heute, wie der Ernahrungsminister Dr. Dietrich vorige Woche im Reichstag berichtete, unter einer Schuldenlast von 11,5 Milliarden Reichsmark seufzt. Hiesür soll sie jährlich nun an Schuldzmsen über 1 Milliarde (!) aufbringen. Woher das Geld dazu nehmen? Mit was die Steuern und die Soziallasten bestreiten? Kein Wunder, wenn festgestellt wurde, daß 3- B. in Ostpreußen in einem Monat allein 440 Betriebe zur Zwangsversteigerung angemeldet waren, oder wenn die Landwirtschastskammer Sachsen herausrechnete, daß im Erzgebirge und Vogtland sämtliche Betriebe im tetzt abgeschlossenen Wirtschaftsjahr mit Verlust gearbeitet haben.
Das sind wahrlich erschreckende Tatsachen, die ihre Wellen tief in das Gesamtleben unserer Wirtschaft ziehen. Den besitzlosen Bauern bleibt nichts anderes eis die Abwanderung in die Städte übrig — Kolonien haben wir keine und mit den beimifchen Siedlungen ist nicht viel zu machen.
Was hilft da? Es wurden und werden Dutzende von Heilmitteln genannt, als da sind Verbilligung des Zinsfußes, Uebernahme der Rentenbankzinse auf den Staat, Heraufsetzung der Zölle, Niederschlagung von Steuerrückständen, Beschaffung von notwendigen Arbeitskräften, Aufhebung der Wohnungszwangswirtschaft auf dem Land, Abbau der sozialen Abgaben u. a. m. Gewiß! Aber wann wird das alles geschehen? Man muß helfen, ehe es zu spät ist.
Einberufung des SWersMUu-AussAsses
Sieg Poineares?
Paris, 12. Dez. Der „Temps" teilt halbamtlich mir, Frankreich, England, Belgien, Italien und Japan haben, sich nunmehr bezüglich der Sachvecftündigentonferenz im wesentlichen dahin geeinigt: 1. Die Finanzsachverständigen, je zwei für jedes Land, werden nicht Beamte, sondern anerkannte Fachleute sein, ohne daß aber die sechs Regierungen an ihre Vorschläge gebunden sind. 2. Die Sachverständigen werden deutscherseits von der Reichsregierung bestimmt, die andern fünf Mächte bestimmen ihre Sachverständigen ebenfalls, aber die Pariser Entschädigungskommission hat sie zu ernennen. 3. Die Sachverständigen aller sechs Staaten stehen unter sich auf gleichem Fuß. 4. Die PariserEntschädig.ings- kommission wird die Vereinigten Staaten zur Entsendung von nichtamtlichen Sachverständigen einladen und dieselben dann ebenfalls ernennen. 5. Der Ausschuß wird nach Paris einberufen und sodann seinen Tagungsort selbst bestimmen. 6. Die Sachverständigen werden dieZahl der Iahresleistungen festsetzen und Vorschläge für die „Kommerzialisierung" der deutschen Schuld aufsetzen. 7- Der Bericht des Ausschusses wiid an die Pariser Entschädigungskommission eingereicht, die die Regierungen damit befassen wird.
Poincare hatte am Dienstag eine einstündige Unterredung mit dem deutschen Botschafter v. H o e s ch, die indessen noch kein Ergebnis hatte; die Unterredungen werden fortgesetzt. Ein Schriftstück wurde dem Botschafter nicht übergeben.
Der deutsche Botschafter seht, wie es scheint, den Forderungen Poineares entschiedenen Widerstand entgegen, so daß Poincare es anscheinend vargeZogLN stüstchyS bereit- gehaltene Schriftstück, das inhaltlich wohl der vom „Temps" veröffentlichten Einigung zwischen den Verbündeten entsprochen haben dürfte, vorläufig wieder beiseite zu legen. Vielleicht war die Voraussetzung für diese Einigung, daß Deutschland keinen ernstlichen Widerstand mache.
So haben also Poincare und Briand die Forderungen wieder glatt durchgesetzt. Die Regelung der „Reparationen" ist förmlich wieder in die Hand der Pariser Entschädigungskommission gelegt, die man seit zwei Jahren für erledigt glaubte. Für Deutschland bedeutet das zunächst, daß es in der Regelung der „Reparationen" tatsächlich nichtalsgleichberechtigt anerkannt ist, trotz der Bemerkung in Punkt 3, daß die Sachverständigen unter sich auf gleichem Fuß stehen sollen, denn weder die Entschädigungskommission, noch die Regierungen sind an die Vorschläge gebunden, we^n sie ihnen nicht passen. Die Konferenz wird auch voraussichtlich in Paris stattfinden; wenn die Sachverständigen einmal dorthin von der Entschädigungskommission einberufen sind, werden sie die Niederlassung wohl kaum mehr mit irgendeinem neutralen Ort vertauschen wollen. Was das alles heißen will, werden wir bald ssben.
Stresemann, Lhamberlain und Briand
Lugano, 12. Dez. Heute nachmittag fand eine Besprechung zwischen Dr. Stresemann, Chamder- lain und Briand statt. Die Gerüchte, daß Stresemann erkrankt sei, werden für unzutreffend erklärt, doch soll er ziemlich abgespannt sein — was der Einheitsfront Briands und Chambcrlains gegenüber erklärlich ist.
Auch Italien in der gegnerischen Einheitsfront
In der Unterredung mit Dr. Stresemann soll der italienische Unterstaatssekretär Grandi erklärt haben, auch nach der Auffassung der italienischen Regierung habe Deutschland kein Recht, die Räumung des besetzten Gebiets auf Grund des Artikels 431 des Versailler Vertrags zu verlangen.
Die poinijch-litauische Frage vor dem Völkerbund
Lugano, 12. Dez. Der Bölkerbundsrat trat heute vormittag in die Verhandlung der polnisch-litauischen Frage ein. Quinones de Leon als Berichterstatter schlug vor, daß vor einer weiteren Stellungnahme des Rats beide Parteien nähere Angaben über das vorliegende dokumentarische Material zu der zweiten Königsberger Konferenz machen. Fast die ganze 2 ständige Vormittagssitzung wurde mit zwei längeren Exposes des litauischen Ministerpräsidenten ungefüllt.
Die polnisch-litauische Spannung
Korsno, 12.-Dez. Vax. seiner Abreise mach Lugano hielt Ministerpräsident Wotöemaras, der Diktator von Litauen, im Offizierskasino in Ramove eine Ansprache. Der polnische Diktator Pilsudski habe kürzlich eine silbern« Landkarte von Polen zum Geschenk erhallen, und er Hab« darauf bemerkt, die Grenzen Polens seien noch zu eng. Darauf habe seine Umgebung erwidert, wenn er (Pilsudski) befehle, so würden in 24 Stunden die Grenzen weiter sein. Aber jeder litauische Soldat wedde wissen, was er zu kun habe, wenn die Polen versuchen sollten, ihre Grenzen vorzurücken. Ein französischer Admiral habe kürzlich gefordert, Litauen solle seinen Anspruch auf Wilna aufgeben, sonst werden die Flotten der großen Staaten sein« Küste blockieren. Aber Litauen werde niemals auf Wilna verzichten. Das Gerede von der Einsetzung eines Völker - bundsausschusses sei eine leere Drohung, um Litauen einzuschüchtern, denn irgendwelche Vorschläge von Völkerbunds-Sachverständigen könnten ohne Zustimmung Litauens gar nicht durchgeführt werden. Die Litauer werden eher in Ehren untergehen, als in Knechtschaft lebe». General Nagevitschius erklärte im Namen des litauischen Offizierkorps, das litauische Heer habe keine Furcht vor Drohungen, von welcher Sette sie auch kommen mögen.
Der südamerikanische Streitfall
Eine heikle Sache für für de« Dölkerbnnd
In die geruhsame Tagung des Völkerbundsrats ist unerwartet der Fall des Grenz st reiis zwischen Bolivien und Paraguay und des Abbruchs der amtlichen Beziehungen dieser beiden Staaten zueinander hereingeplatzt. Beide Staaten sind Mitglieder des Völkerbunds, und nach verschiedenen Bestimmungen der Völkerbundssatzung sind sie verpflichtet, ihren Streitfall vor den Völkerbundsrat bzw. eine Schieds- oder Schlich- tungsinstanz zu bringen. Im vorliegenden Fall haben weder Bolivien noch Paraguay sich an den Bölkerbundsrat gewandt. Der Rat und auch die nicht dem Rat angehörenden, aber in der Frage interessierten Völkerbundsmitglieder haben sich offenbar gescheut, das heiße Eisen anzurühren und den Zwischenfall politisch zu behandeln, so wie man in den letzten zehn Jahren ähnliche Zwischenfälle, z. B. zwischen Polen und Litauen, Griechenland und Bulgarien politisch behandelt hat. Der Grund für diese Bedenken liegt in Art. 21 der Völkerbundssatzung, denWilsonin die Satzung hat aufnehmen lassen auf Grund der amerikanischen Monroelehre: „Der Völkerbund darf sich nicht in die inneren Angelegenheiten des amerikanischen Erdteils ein- mischen."
Ein Teil der Ratsmitglieder war der Ansicht, es müsse in dem Streitfall zwischen Bolivien und Paraguay etwas geschehen auf Grund des Artikels 4 der Satzung, in dem der Völkerbundsrat sich die Zuständigkeit beilegt für jede Angelegenheit, die den Frieden der Welt betrifft. Auch Briand konnte sich der Ansicht nicht verschließen, daß wenigstens der Schein gewahrt werde. Und so wurde an
vle Negierungen von BoI ^ ien und Paraguay telegraphisch eine Entschließung des Rats übermittelt:
Der Bölkerbundsrat, in Lugano zu seiner 53. Tagung vereinigt, gibt seinem vollen Vertrauen Ausdruck, daß die Zwischenfälle zwischen den beiden Völkerbundsmit- gliedern keine weitere Zuspitzung erfahren und die Mitglieder gemäß ihrer feierlich übernommenen Verpflichtung zur Lösung der Streitigkeiten nur zu Maßnahmen greifen werden, die ihren internationalen Verpflichtungen entsprechen und die geeignet sind, eine friedliche Regelung zu erzielen.
Chamberlain und der Vertreter Japans hatten gegen die Absendung des Telegramms Bedenken, weil die Vereinigten Staaten sich dadurch verletzt fühlen könnten und eine Verstimmung Amerikas gerade jetzt von unerwünschten Folgen für die Sachverständigenkonferenz sein könnte. Die Entschließung ist ziemlich vorsichtig gehalten, wohl in der Erkenntnis, daß ein „Eingreifendes Völkerbunds so gut wie wirkungslos wäre und nur zu einer Blamage für den Völkerbund führen würde. Bolivien ist überdies nur seiner Unterschrift nach Völkerbundsmitglied: es hat an den Versammlungen noch nie teilgenommen und auch noch keine Beiträge bezahlt. Bei Paraguay dürfte es ähnlich sein.
Der südamerikanische Zwischenfall hat für Lugano dar eine Gute, daß man nun über etwas zu 'prech.n hat. Im übrigen sei noch keine Ratstagung so langwellig und uninteressant gewesen wie die gegenwärtige.
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