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Nr. 174
Dienstag, den 29. Juli 1930
Jahrgang 103
Politische Strömungen in Deutschland
Die Ziele der Deutschen Staatspartei
Die Ncugründnng der Dentsche» Staatspartei.
TU. Berlin, 28. Juli. Im Haus der Deutschen Presse wurde am Montagmittag die Neugrünbung der Deutschen Staatspartei bekannt gegeben. Der Führer des Jungdo, Marauhn, kennzeichnete die Neugründung als eine natürliche Folgeerscheinung der Entwicklung der letzten Jahre. Der negative Aktivismus schreite von Erfolg zu Erfolg. Aufgabe der jungen Front sei, dem einen positiven Aktivismus entgegenzusetzen. Eine Vorbedingung sei gewesen, daß man eine Fusion alter Parteien hätte ablehnen müssen. Vielmehr mußte vor allem längst die in Gruppen und Bünden zu politischem Wollen zusammengeschlossene Jugend ergriffen werden. Die neue Partei grenze sich gegen sozialistische Staatsexperimente genau so scharf ab wie gegen den Radikalismus. Sie lehne ferner die politische Gelöherrschaft ab, die im reinsten Egoismus ihre politischen Ziele durchsetzen wolle. Dagegen sei es «in hoffnungsvolles Zeichen, daß auch Kräfte des Wirtschaftslebens sich mit der jungen Front zusammengeschlossen hätten. Das Ziel sei, die deutsche Republik zu einem wahren Volksftaat zu entwickeln. Darum sei auch die erste Forderung die Wahlreform.
Der Führer der Demokratischen Partei, Koch-Weser, unterstrich, dahier die dreitätigen Verhandlungen, die zur Gründung der Partei geführt hätten, ganz allein auf seine Verantwortung geführt habe. Die Demokratische Partei könne ihn desavouieren. Er hoffe aber, daß sie ihm zustimmen werde. Er bleibe seiner Partei und ihrer Tradition treu, wenn er deren tragende Gedanken auf eine breiteste Grundlage zu stellen versucht habe. Di« neue Partei schließe sich nach rechts von selbst ab durch die Neugründung der konservativen Volkspartei und durch die Partei Hugenbergs. Nach links schließt sie sich ebenso lückenlos nach den Sozialdemokraten ab, deren Geüankengänge in der neuen Partei keinen Platz hätten. Die Partei stehe weiteren Kräften jederzeit offen, und -war nicht nur weiteren Mitgliedern, sondern auch Führern. ^
Zur Frage, ob in den Vorverhandlungen auch Fühlung mit Führern der Deutschen Volkspartei genommen worden sei, erklärte Marauhn, er möchte begreiflicherweise keine Auskunft geben über Besprechungen, die im Gange seien, oder in Gang kommen könnten. Dr. Win schuh ergänzte dies dahin, daß gegen End« der Woche aus den Kreisen der jungen Bewegung mit den Führern der Deutschen Volkspartei verhandelt worben sei, daß diese aber auf dem Standpunkt stünden, daß eine solche Neugrünbung keinesfalls vor den Wahlen erfolgen solle. Der stell». Bundesvorsitzenbe des Reichsbanner Schwarzrotgolü, Hemmer, einer der Mitunterzeichner des Aufrufes, stellte fest, daß das Verhältnis der neuen Partei zum Reichsbanner genau so sei wie das der demokratischen zum Reichsbanner.
Deutsche Volkspartei gegen Staatspartei.
TU. Berlin, 28. Juli. Die Nationalliberale Korrespondenz, der parteiamtliche Pressedienst der Deutschen Volks-
— Die Volkspartei macht nicht mit
Partei, nimmt zu der Gründung der Deutschen Staatspartei Stellung und stellt fest, daß niemand von denjenigen, die die neue Partei gründeten, überhaupt an die Deutsche Volkspartei eine Frage gerichtet habe. Die Tatsache der vollzogenen Gründung sei durch den demokratischen Parteivorsitzenden Koch-Weser und den Jungdeutschen Ordenskanzler Bornemann lediglich dem Vorsitzenden und einigen Mitgliedern der Ncichsgemeinschaft junger Volksparteiler mit Ser Aufforderung zur Kenntnis gebracht worben, sich unverzüglich für ober wider das neue Parteigebilüe zu entscheiden, was die Beteiligten selbstverständlich abgelehnt hätten. Die Deutsche Volkspartei stehe nach wie vor aus dem Standpunkt, daß es nicht darauf ankomme, der kaum gegründeten konservativen Rechten mit denkbarster Beschleunigung eine republikanische bürgerliche Linke entgegenzustellen und das deutsche Staatsbürgertum auf dem Weg einer solch eigenartigen Sammlung wieder erneut in eine Rechte, eine Mitte und eine Linke mit allen möglichen Zwischenstufen aufzuteilen, sondern es komme darauf an, die denkbar größte staatsbürgerliche Einheitsfront herzustellen. Sie halte deshalb an ihren umfassenden Sammlungsbestrebungen fest und werde auch Herrn Koch-Weser, wenn er, wie zugesagt, zu diesen Besprechungen erscheine, die erforderlichen Fragen vorlegen. Die Deutsche Volkspartei habe nur ein staatspolitisches Ziel. Von diesem übergeordneten Standpunkt gesehen, könne aber die erfolgte eilige Umtaufe der Demokratischen Partei unter Mitwirkung der Jungdeutschen und die damt erfolgt Gründung einer neuen Partei nur als Zeichen einer weiteren Zersplitterung betrachtet werden, denn gerade an neuen Parteien fehle es uns nicht. Es handle sich um eine Sonderaktion, deren Ziel nicht der Zusammenschluß des Bürgertums sei, sondern zunächst eine Rettung und Sicherung demokratischer Mandate mit Hilfe des Jungdeutschen Ordens.
Eine Erklärung der Dentfche« Staatspartei.
TU. Berlin, 28. Juli. Die Führung -er Deutschen Staatspartei teilt mit: „Die Leitung der Deutschen Volkspartei hat angesichts der Gründung der Deutschen Staatspartei nichts anderes zu sagen, als daß sie die umgetaufte Deutsche Demokratische Partei sei. Wie eine solche Behauptung gegenüber einer Bewegung gewagt werden kann, der eine Reihe bisher der Rechten angehöriger Politiker, wie der Gewerkschaftsführer Baltrusch und -er Handelskammerpräsident S ch ü tt e-Minden angehören und zu der sich bereits im Gründungsaufruf mehrere namhafte junge deutsche Volksparteller bekennen, wie Dr. Eschenburg, Freiherr Rochus von Rheinbaben und Dr. Windschuh, überlassen wir dem Urteil der Öffentlichkeit. Wir stellen fest, Laß bereits jetzt Zustimmungserklärungen führender Persönlichkeiten der Deutschen Bolkspartei aus dem Lande vorliegen, z. B. die des Textilfabrikanten Hans Croon-Aachen und des Geschäftsführers der Aachener Arbeitgeberverbände, Stadtverordneter Dr. Ziervogel-Aachen. Solche Erklärungen liegen vor, ohne daß bisher irgendwelche Beitrittsaufforde- ruiWen ergangen sind.*
Die gespannte Lage in Aegypten
Abbas Hilmi will zurück aus den aegyptischen Thron
TU. London, 23. Juli. Wie der diplomatische Mitarbeiter des „Daily Telegraph" behauptet, versucht der von England
im November 1914 wegen seiner türkenfreundlichen Einstellung abgesetzte Vizekönig von Aegypten, Abbas H Hilmi, die gegenwärtige Lage für seine Rückkehr auf den Thron aus- zunutzen. Abbas soll Vertreter nach London gesandt haben, deren Empfang durch Mitglieder der britischen Regierung jedoch weder amtlich noch privat völlig unmöglich sei. Man sage, sie seien der Unterstützung gewisser einflußreicher britischer Sozialisten sicher. Die Hintergründe dieser plötzlichen Thronansprüche seien dunkel. Es sei unbekannt, ob Nahas Pascha Abbas Hilmi nur als Werkzeug gegen König Fuad benutzen wolle, dagegen sei es nicht zweifelhaft, daß führende Wafdisten König Fuad durch ein anderes Mitglied seiner Dynastie ersetzen wollen, vielleicht durch Sen zehnjärigen Sohn König Fuads mit Nahas Pascha als Regenten.
Abbas Hilmi, -er 1874 geboren wurde, folgte seinem Vater Mohammed Tewfik Pascha 1892 als Khebive auf dem Thron. Schon kurz vor dem Kriege richtete Lord Kitchencr als britischer Oberkommissar in Aegypten die Warnung an ihn: „Die Hand, die Sie auf den Dhron setzte, kann Sie auch wieder beseitigen."
In amtlichen ägyptischen Kreisen in Alexandrien wird die Mitte voriger Woche ausgetauchte Behauptung, daß ein neues ägyptisches Parlament vor November zusammentreten werde, nicht bestätigt. Bon einflußreichen Persönlichkeiten wird jedoch die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwick
lung bestätigt. Das neue Parlament würde nicht auf Grund allgemeiner Wahlen, sondern nach anderen politischen Gesichtspunkten zusammenberufen werden.
TU. London, 28. Juli. Der ägyptische Ministerpräsident Sidky Pascha erklärte am Sonntag, die Regierung sei überzeugt, daß der Steuerverweigerungsfeldzug -er Wafd zu keiner ernstlichen Verminderung der Steuereinnahmen führen werde. Die ägyptischen Bauern seien seit 5000 Jahren an Lie Zahlung der Steuer gewöhnt und würden von dieser Gewohnheit durch den Aufruf der Wafd-Partei nicht abgebracht werden. Die einzige Steuer, die bas Volk verweigern könne, sei die Laudabgabe. Aber in diesem Falle habe die Regierung das Recht, das Land ohne Einleitung eines Rechtsverfahrens zu beschlagnahmen.
Der Sonderberichterstatter des „Daily Expreß" berichtet, daß in Kairo viele tausend Mann Truppen zusammengezogen seien. Kavallerie patrouilliere durch die Straßen und Soldaten mit aufgepflanzten Seitengewehren und Stahlhelmen ständen an allen wichtigen Punkten. Das Regierungsgebäude und das Parlamentsgebäude seien von einem Truppenkordvn umgeben. Mindestens die Hälfte der gesamten ägyptischen Armee sei für den Ordnungsdienst ausgebo- ten worden.
Kairo, 26. Juli. Infolge der politischen Entwicklung der letzten Stunden ist die Spannung in der ägyptischen Hauptstadt wieder erheblich gestiegen. Der Umstand, -ab die Wakd-
Tages-Spiegel
Die Dentsche Staatspartei, die bisher schon die Zustimmung bei der Demokratie, beim Jungdeutschen Orden und de« Jnngliberale« gefunden hat, ist heute mit einem Aufruf an die Oeffentlichkeit getreten.
Die Berliner Presse nimmt zu der Gründung der Staats- Partei je nach dem Standpunkt eine zustimmendc oder ablehnende Haltung ein.
»
Die Deutsche Volkspartei beteiligt sich nicht a» der Staats» Partei. Die hält vielmehr an ihre« Weitergehende« umfassenden Sammlungsbestrebungen fest.
In Aegypten ist eine sehr gespannte Lage cingetrete«. Dt- Wafdisten fordern die Abdankung von König Fuad.
Partei trotz ihrer einschneidenden Beschlüsse für heute von Demonstrationen in den Straßen abgesehen hat, hat jedoch die Aufrechterhaltung der Ruhe im Verein mit den energischen Vorkehrungen der Regierung gesichert.
Im Anschluß an die trotz aller Gegenmaßnahmen der Regierung zustandegekommene Sitzung des Parlaments hat Nahas Pascha eine Proklamation an das ägyptische Volk erlassen, in der er die gegenwärtige Regierung für illegal erklärt, nachdem ihr bas Parlament heute sein Mißtrauen ausgesprochen habe. Nahas Pascha fordert die Bevölkerung auf, an diese unrechtmäßige Regierung keine Steuern mehr zu bezahlen und ihr in jeder Hinsicht den Gehorsam zu verweigern.
Die Regierung hat 2000 Mann Militär an den wichtigsten Punkten von Kairo verteilt, um sie nötigenfalls sofort «insetzen zu können. Doch ist es bis jetzt infolge des Verzichtes des Wafds auf Demonstrationen zu keinerlei Zwischenfällen gekommen. Das Sträßenleben bot das gewohnte Bild und die Geschäft« waren geöffnet.
Die Brücke zum Osten
TU. Koumo, 28. Juli. Wie aus Moskau gemeldet wird, haben Sie neuesten Angriffe Litauens gegen das Memelstatut in Moskauer politischen Kreisen große Aufmerksamkeit gefunden. Das Vorgehen Litauens, so wird erklärt, sei ein Schritt, der sich für Osteuropa noch in bedeutungsvoller Weise auswirken könne. Mit diesem Schritt könne Litauen sein freundschaftliches Verhältnis zum Deutschen Reich verderben, wodurch sich seine Stellung gegenüber Polen verschlechtern werde. Die russische Regierung verfolge mit großer Aufmerksamkeit den litauischen Angriff auf das Memelstatut, um so mehr, als Sowjetrußland auch an Memeler Fragen unmittelbar interessiert sei, besonders in der Frage der Holzflößerei auf dem Memelstrom. Ob Moskau die litauische Regierung auf die Folgen des Vorgehens Kownos noch einmal aufmerksam machen wird, bleibt abzuwarten.
In Moskauer politischen Kreisen ist es übrigens aufgefallen, daß in einer polnischen Zeitung ein Artikel unter dem Pseudonym „Augur" sdaS Sprachrohr des britischen Botschafters Tyrrel in Ostfragen) veröffentlicht worden ist, tu dem Pole« geraten wird, Memel als Tauschobjekt gegen Danzig vorzuschlagen. In sowjetrussischen Regierungskreisen meint mau, Litauen leiste solche» Bestrebungen durch di« ständige Verletzung des Memelstatuts Vorschub, und Polen habe schon lange die Absicht, Litauen politisch zu vernichten.
Aus Litauen
Rätselhafter Zwischenfall mit Woldemaras. — Wollte er fliehe«?
TU. Ko««o, 28. Juli. Infolge eines rätselhafte« Zwischenfalles wurde die Polizeiaufsicht über Woldemaras im Kreise Krottingen stark verschärft. Am Samstag nachmittag erschienen bet ihm zwei seiner Anhänger und machten mit ihm einen Spaziergang. Etwa 1 Kilometer von dem Ber- bannungsort fuhr plötzlich ein Kraftwagen vor, den die drei Spaziergänger besteigen wollten. Der Polizeibeamte, -er Woldemaras beaufsichtigte, erhob heftigen Protest und griff nach der Waffe. In demselben Augenblick holten auch Woldemaras und seine Besucher Revolver aus den Taschen hervor und forderten den Beamten auf, seine Waffe sofort wieder' einzustecken. Der Polizeibeamte gab nach, und Woldemaras fuhr mit den beiden Besuchern ab, er entfloh jedoch nicht, sondern kehrte im Kraftwagen nach seinem Berbannungsort zurück. Infolge dieses Zwischenfalls wird Woldemaras, der bei dem Ortspfarrer untergebracht ist, von einem verstärkten Polizeiaufgebot bewacht.
Erdbeben in Bulgarien
TU. Sofia, 28. Juli. In der Nacht zum Freitag wurde das bulgarische Eröbebengebiet durch eine Anzahl von Erdstößen erschüttert. Sechs Häuser wurden dabei beschädigt. Nähere Meldungen liegen aus diesem Gebiet, das sich seit der großen Erdbebenkatastrophe von Philtppopel 1928 nt« ganz beruhigt bat, nicht vor.