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Nr. 161
Amis- unä Anzeigeblaii für äen Oberamlsbezirk calw
Montag, den 14. 3uli 1930
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Jahrgang 103
Der Kampf um die Steuervorlagen
Die Regierungsvorlage wird wiederhergestellt —
Verständigung in der Kopfsteuerfrags — Morgen zweite Lesung im Reichstag
— Berlin, 14. Juli. Der parlamentarische Wirrwarr hat am Samstag seinen Höhepunkt erreicht. Der Steuerausschuß des Reichstages lehnte den Sprozentigen Zuschlag zur Einkommensteuer für die höheren Einkommen und die Ledigensteuer rundweg ab und änderte Paragraph 2 des Reichshilfegesetzes in grundlegender Weise, sodaß der Reichs- finanzmintster erklärte, die Reichsregierung habe kein Interesse mehr an einer zweiten Lesung der Vorlage, d. h. der Minister betrachtete die parlamentarische Durchdringung der Deckungsvorlagen als gescheitert. Am Samstag nachmittag hat sich die kritische Lage jedoch wieder wesentlich verbessert. In einer Besprechung Minister Dietrichs mit den hinter der Negierung stehenden Parteiführern ist es gelungen, einen Ausweg aus den parlamentarischen Schwierigkeiten zu finden. Die Regierungsparteien haben sich bereit erklärt, am Dienstag bei der Beratung der Deckungsvorlag« im Plenum Initiativanträge einzubringen, durch die bas Programm der Regierung wiederhergestellt wird.
Am Sonntag setzten im Reichstag die Finanzsachverständigen und einige Parteiführer der hinter -er Regierung stehenden Reichstagsfraktionen gemeinsam mit Vertretern der Finanzministerien der größeren deutschen Länder ihre Besprechungen über die Deckungsvorlage, insbesondere über ihre Ergänzung durch die Kopfsteuer fort. An Stelle des wieder erkrankten Reichsfinanzmiuisters Dietrich leitete Ministerialdirektor Dr. Za r d en die Verhandlungen. In den 3)4stündigen Beratungen machte besonders der preußische Finanzministcr die stärksten Bedenken gegen eine Kopfsteuer und gegen die Möglichkeiten ihrer Durchführung geltend. In nicht ganz so scharfer Form äußerte sich auch der bayerische Rcgierungsvcrtrcter gegen die Kopfsteuer. Trotzdem wurden die technischen Möglichkeiten für die Durchführung der Kopfsteuer genau durchgesprochen. Die Fraktionen behielten sich ihre endgültige Stellungnahme vor und es gelang, wie verlautet, eine Annäherung in den Auffassungen der Regierungspa rt eien herbeizuführen. Beschlüsse wurde« zwar nicht gefaßt, doch geht die Ten« denz dahin, es im wesentliche» bei de« vor einigen Tagen von der Regierung ausgestellte« Ergänzungsvorschliigeu zn de« Deckungsvorlagen zu belaste«. Die Kopsstener soll für bas Rechnungsjahr 193« den Gemeinde« fakultativ znr Verfügung gestellt werden und zwar i« einer Höhe von mindestens S Mark pro Kopf. Falls die Realste«ersätze, -ie ab 1. Juli i« Kraft waren, überschritte« werbe«, solle« die Gemeinde«
znr Einführung der Kopfsteuer verpflichtet sein. Vom 1. April 1981 a« soll die Kopfsteuer überhaupt obligatorisch sei«.
Die Fraktionen werden sich heute mittag mit dieser Frage zu beschäftigen haben. Das Ergebnis der Fraktionssitzungen soll der Regierung heute nachmittag mitgeteilt werden. Die Entscheidung liegt hauptsächlich bet den Demokraten und bei der Bayerischen Volkspartei, in deren Reihen sich starke Widerstände gegen die Kopfsteuer geltend machen.
Wie die Telegraphen-Union ergänzend zu der geplanten Kopfsteuer erfährt, soll diese auch nach dem April 1931 nur dann obligatorisch sein, wenn die Rcalstenern über de« Satz vom 1. Juli 1S8Ü hinans gesteigert werden sollen. Der Plan, mit der Kopfsteuer eine Realsteuersenkung zu erzwingen, ist fallen gelassen worden. Um den Schwierigkeiten der Einziehung der Kopfsteuer zu begegnen, ist in Aussicht genommen, sie bet den Lohn- und Gehaltsempfängern Lurch den Arbeitgeber zusammen mit der Lohnsteuer einzuziehen, während sie bei den veranlagten Steuerpflichtigen zusammen mit der Veranlagung und zwar in zwei Teilen jährlich erhoben werden soll.
Die Demokraten verzichte« auf . die Schank-Berzehrsteuer. Die demokratische Reichstagsfraktion hat angesichts der jüngsten Entwicklung der Deckungsfrag« die Absicht ausgegeben, die Einführung einer Schankverzehrsteuer zu beantragen. Dieses Steuerprogramm war, wie erklärt wird, nur gedacht als eine notwendige Ergänzung -er Bürgerabgabe, wenn mit den Deckungsvorlagen die Sanierung der Gemeindeftnanzen gleichzeitig in Angriff genommen werden sollte. Da diese Absicht aber bei der Negierung nicht vorherrsche, bestehe kein Grund, an dem Antrag der Schankverzehrsteuer festzuhalten.
Mit der erzielten Verständigung ist noch nicht gesagt, daß Las Deckungsprogramm -er Regierung im Reichstag eine Mehrheit findet. Die hinter -er Regierung stehenden Parteien haben bekanntlich im Reichstage keine ausreichende Mehrheit. Die Regierung will Infolgedessen zunächst einmal abwarten, wie die Beratung im Plenum laufen wird. Sie dürfte jedoch spätestens nach der zweiten Lesung sich darüber entscheiden müssen, ob sie die Deckungsvorlage auf parlamentarischem Wege durchbringt oder auf Grund LeS Artikels 48 im Wege der Notverordnung in Kraft setzt. Die Anwendung des Notverordnungsrechts ist nämlich nur solange möglich, als die Vorlagen der Regierung im Reichstag nicht endgültig abgelehnt woren sind. Die Regierung müßte also unter Umständen vor der dritten Lesung Las Notverordnungsrecht in Anwendung bringen.
Um Briands Paneuropa-Denkschrift
Zustimmende Antwortnote Oesterreichs
TU. Wien, 14. Juli. Der österreichische Gesandte in Paris hat im Ouai d'Orsay die Antwort der österreichischen Regierung auf die Paneuropa-Denkschrift Briands überreicht. Die österreichische Antwort beschäftigt sich ausführlich mit dem Vorschlag Briands und erklärt zum Schluß, die österreichische Neg'ernng sei bereit, «ach besten Kräften und im Gesite der Versöhnung und der enropiiische« Solidarität an dem großen Werk der Organisierung Europas, zu welchem Brianb -ie Völker und Negierungen Europas a«fr«st, mttzuarbeiten. Solche aufrichtige und loyale Mitarbeit glaubt die Regierung sowohl den unendlichen Opfern schuldig zu sein, die eine kaum vernarbte Vergangenheit von den europäischen Völkern gefordert hat, wie auch den künftigen Generationen, die von der Gegenwart erwarten dürfen, daß man ihnen eine leichtere und reinere Zukunft bereitet.
Auch Rumänien stimmt zu.
Die vom rumänischen Außenminister Mtronescu persönlich in Paris überreichte und vom Quai d'Orsay veröffentlichte Antwort auf die Briandsche Denkschrift stellt eingangs fest, daß Rumänien mit de« Grundprinzipien des Vorschlages einverstanden erklärt und bereitwillig an der Verwirklichung der Vereinigten Staaten von Europa Mitwirken werbe. Der Plan falle in hohem Maße mit den Ausgaben des Völkerbundes zusammen. Die Vereinigte» Staaten von Europa könnten dem Völkerbund weder unter- «och übergeordnet werde«. Der vorgcschlagene Plan müfse in d'esem Sinne in de« Genfer Nahmen etngefiigt werden. E'ne biegsame politische Vereinigung der europäischen Staate« werde genüge«, um eine euge wirtschaftliche Zusammenarbeit zn ermöglichen. Für den Anfang wird in der rumänischen Antwort vorgeschlagen, ein provisorisches Sekret«» riat einzusehen, das die verschiedenen Fragen bearbeiten müsse. Die Ergebnisse dieser Arbeiten sollten dann der europäischen Konferenz im nächsten Jahre unterbreitet werden.
England übt Zurückhaltung.
Die Antwort Englands auf Las Briandsche Memorandum wird nach dem diplomatischen Korrespondenten -es „Daily Telegraph" heute erfolgen. Sie werde etwas von dem Text abweichen, der ursprünglich vom Auswärtigen Amt beabsichtigt gewesen sei. Dieser Wechsel sei die Folge nachdrücklicher geheimer Borstellungenderfran- zösischeu Regierung in London gegen die kürzlich angedeutete Auffassung, daß sich England jetzt aus eine Empfangsbestätigung beschränken und seine Stellungnahme nach einer Aussprache in Genf bekanntgeben werde. Von französischer Seite sei darauf hingewiesen worden, daß eine derartige Haltung Englands von den übrigen Nationen als eine vollständige Ablehnung angesehen und das Ansehen Briands als des Verfassers des Plans schädigen würde. Mit Rücksicht auf die französische Empfindlichkeit werde daher die Antwort zwar materiell «nverbindlich, da eine Entscheidung erst in Uebere»«stimmuug mit de« Dominien möglich sei, jedoch im Ton entschieden wohlwollender gehalten fein, als dies vor 14 Tagen beabsichtigt gewesen sei.
Ein Handstreich Tardieus
Die Kammer i« die Ferien geschickt.
TU. Paris, 14. Jnli. Die französische Regierung schickte letzte Woche überraschen- Senat und Kammer in die Ferien, ohne die begonnenen Beratungen fortznsetze«. Die Verfassung erlaubt eS der Regierung, die Summe«, die sie zur Landesverteidigung von der Kammer verabschiedet habe« wollte, auch ohne diese Verabschiedung anfznwenden, um sie den beide« Hänser« später znr Abstimmung vorzulege«.
Bei der vorangegangenen Beratung der Militär zu» sa tzkredit« in Höhe von 1126 Millionen Franken in der Kammer übten die Sozialisten heftige Kritik an den ungeheuren Rüstungsausgaben. Abg. Reviere warf der Regierung vor, künstlich Beunruhigung zu schaffen, um damit die erhöhte» Rüstunasausgaben zu rechtfertigen. Frankreich habe seit
Tages-Spiegel
I« Kampf «« die neue« Steuergefetze wurde von den Regierungsparteien beschlossen, die Regierungsvorlage «ie- der herzustellen. Eine Verständigung in der Sopfstcnsr- Krage läßt -ie Lage der Regierung Brüning hofsnnngs- voller erscheine«.
Der Reichstag wird morgen die zweite Lefnng der DecknngS- vorlage vornehmen. Die Beratungen solle« mit einer Rede -es Reichskanzlers eingeleitet werde«.
Im polnischen Außenministerium wurde gestern -as deutsch- polnische Roggeuabkomme« «nterzeichuet.
In Ost- und Westprentze« fanden gestern anläßlich des Nb- stimmnngsgedenktages große Kundgebungen statt, in denen «ach -er Befreiung des Rheins die -er Weichsel gefordert wurde. I« Pole« ereignete« sich Gegendemonstrationen, die deutsche Gesandtschaft in Warschau mußte unter Polizeischutz genommen werden.
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Oesterreich erklärt sich i« seiner Antwort a« Briand bereit, an der Pan-E«ropa-Frage mitznwirke«.
Die französische Regierung hat Kammer und Senat i« die Ferien geschickt «nd ans dem Verordnnngswege das neue Programm zn den Rüstungen i« Höhe von 299 Millionen Mark veröffentlicht.
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Ein Flugzeug, das revolnttonäre Flugblätter über Mailand ansstrente «nd anscheinend von einem anslSndische« Fa- schistengegner gelenkt wnrde, ist auf dem Rückflug im St. Gotthardt-Gebiet abgestürzt.
19S9 über 19« Milliarden Franke« für die Landesverteidigung anfgewandt. Ans diese Weise könne man di« im Versailler Vertrag vorgesehene Abrüstung nicht durchführen. Sozialisten und Radikalfoztalisten nahmen die Verlesung der Vertagungsurkunde mit Lärmkundgebungen auf.
Das „Journal officielle" veröffentlicht am Sonntag einen Negierungserlaß, der die Eröffnung der für die Rüstungen notwendigen Zusatzkredite in Höhe von nahezu 1^1 Milliarden Franken (rund 200 Millionen Mark) vorsteht. Durch die plötzliche Schließung der Sitzungsperiode der Kammer konnten diese Kredite bekanntlich nicht mehr verabschiedet werden. Die französische Regierung scheint mit der Aufwendung dieser neuen Summe für ihr« militärischen Aufgaben eine außerordentliche Eile zu haben, da sie andernfalls den Wiederzusammentritt der Kammer im Oktober abgewartet hätte.
Minister Curlius zur Saarfrage
TU. Karlsruhe, 14. Juli. Im Nahmen des badischen Heimattages, zu dem u. a. etwa 500 Amerika-Badener erschienen waren, fand am Sonntag eine Rhein-uuLSaarknnd- gebung statt, bei der Retchsaußenminister Dr. Curtius im Namen der Reichsregiernng u. a. ausführte:
Selten haben wir Deutsche uns so fest au die Heimat geklammert, wie in den schweren Zeiten, die seit 1919 über uns gekommen sind. Aber noch »ie war in -er deutsche» Geschichte das deutsche Gesamtbewußtsein i» der Welt so einheitlich, wie in der Gegenwart. Sodann gedachte Dr. Lurtius der Pfalz und der Saar, die durch tausend Fäden und Klammern der Geschichte, -er Kultur, der Wirtschaft und des VolkStumS mtt uns unlöslich verbunden seien. Die drei neuen RHeinbrücken, die trotz der Not der Nation gebaut werden sollen, seien Symbol und Mittel für diese Verbundenheit. Leider fällt, so sagte er, auf das Licht der Befreiung des Rhetnlandes ein tiefer Schatten: Die Rückgliederung der Saar ist hinausgescho- ben! Die Haltung Deutschlands war klar und maßvoll. Wir wollten berechtigten wirtschaftlichen Wünschen der inter- essterte« französischen Kohlenverbraucher entgegenkommen, wir mußten aber fordern, baß das Eigentum an den Kohlengruben uneingeschränkt an den preußischen und bayerischen Staat zurückgeht. Das entsprach dem einmütigen Willen der Saarländer, mit denen die deutsche Abordnung von Anfang btS zum Ende in vollem Einvernehmen war. Wir danke« de« Saarländern, die in der Gewißheit eines deutsche« Ad- sttmmnagsfieges d»e Nerve« bewahrt habe«. Wr habe« ge-s stützt darauf die Forderung -er Gegenseite ans Beteiligung an de« Kohlengrube« abgelehnt, «nb ich möchte der Hoffnung Ausdruck gebe«, daß sich di« Erkenntnis durchsetzt, -atz -er Grund für das Saarregime des Versailler Vertrags fortfalle und daß es im Interesse der Zusammenarbeit der beiden Nationen tn fortschreitender Befriedung liegt, wenn die Rückgliederung der Saar an Gesamtdeutschland bald verwirklicht wird. Wir grüßen heute die Saarländer und versichern sie unserer Treue. — Im Anschluß an die Rede wurde von Sängerchören zur Bekräftigung der Worte des Reichsaußenministers der Saarchor gesungen.