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Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
Montag. 18. Juni 1928
Württemberg
Der Mensch in gesunden und kranken Tagen
Am Samstag wurde die Ausstellung „Der Mensch in gesunden und kranken Tagen", die vom Deutschen Hygienemuseum veranstaltet wird, in den Ausstellungshallen am Interimstheaterplatz in Stuttgart eröffnet. Eine Vorbesichtigung durch die Presse am Freitag nachmittag gab bereits Gelegenheit, die Ausstellung in ihren Grundzügen kennen zu lernen. Die Ausstellung erfüllt ihren Zweck in einer Weise, der als vorbildlich gelten kann.
In der ersten Gruppe, „Der Mensch in gesunden Tagen", lenken zunächst die Knochen des menschlichen Körpers die Aufmerksamkeit des Besuchers auf sich. Besonderes Interesse verdient das auf dem Podium aufgestellte Herzmodell, das einen instruktiven Ueberblick über den Blutkreislauf ermittelt. An die Darstellung des Blutes folgt diejenige der Atmung, dann des Stoffwechsels, der Ernährung, der Verdauung, der Ausscheidung, weiter des Nervensystems. Alle Modelle sind höchst vollkommen dargestellt.
Die zweite Gruppe der Ausstellung zeigt den Menschen in kranken Tagen. Hier sieht man die verschiedenen Krankheiten, vor allem ansteckende und unheilbare Krankheiten. Praktisch interessiert uns besonders die Art, wie wir uns gegen ansteckende Krankheiten schützen können. Ausführlicher behandelt werden wegen ihrer großen allgemeinen Bedeutung zwei Krankheitsgruppen, die Tuberkulose und die Geschleckl-ckrankheiten. Zahlreiche Tafeln zeigen die unheilvollen Wirkungen des Alkohols. In der dritten Gruppe, der Gesundheitspflege, tritt namentlich die Pflege des Erbgutes hervor, als deren wichtigster Teil die Gesundheitspflege des Säuglings anzusehen ist. Auch der Körperpflege ist eine besondere Abteilung gewidmet.
Das Wertvollste, was die Ausstellung zu bieken hak, ist die Abteilung „Der durchsichtige Mensch", eine zusammenfassende, besonders eindrucksvolle Uebersicht über den inneren Bau des menschlichen Körpers. Durch ein besonderes Verfahren sind sämtliche Gewebe durchscheinend gemacht, sodaß man im Innern des Körpers die einzelnen Organe, wie Herz, Leber, Milz, Nieren ufw., liegen sieht. Es sollte niemand versäumen, sich diese einzigartige, im Dienst der Aufklärung stehende Schau anzusehen.
Skukkgark, 17. Juni. Neues Zollgebäude der Reichsbahn. Auf dem Platz des alten Güterbahnhofs an der Ludwigsburgerstraße werden zurzeit immer noch neue Geleise gelegt. Dazwischen wird in den nächsten Ti- gen mit dem Bau des Zollgebäudes der Reichsbahn beo-' - nen. Es handelt sich dabei um einen 200 Meter laugen und 20 Meter breiten ^stückigen Betonbau, der jedocb nickt nur für das Zollamt bestimmt ist. Ein ganzes Stockwerk wird den Stuttgarter Großfirmen als Lagerräume zur Verfügung gestellt werden. Das gewaltige Untergeschoß wird einen Riesenweinkeller, wohl Stuttgarts größten Weinkeller. aufnehmen.
Das Urteil im Rorma-Prozeh. Anläßlich des Norma- Prozesses werden verurteilt: Der Angeklagte Karrer wegen je eines Vergehens der,Unterschlagung und der Hehlerei der Gefängnisstrafe von 8 Monaten, der Angeklagte ein wegen eines fortgesetzten Vergehens des Diebstahls an Stelle einer an sich verwirkten Gefängnisstrafe von 14 Tagen zu der Geldstrafe von 200 NM. und der Angeklagte Zeifang wegen eines Vergehens des Diebstahls an Stelle einer an sah verwirkten Gefängnisstrafe von einer Woche zu der Geldstrafe von 100 RM. Von der Anklage eines Vergehens gegen das unlautere Wettbewerbsgesetz wurden die drei Angeklagten freigesprochen. Sämtliche ausgesprochenen Strafen gellen als durch die Untersuchungshaft verbüßt. Soweit Verurteilung erfolgte, fallen die Kosten den Angeklagten zur Last, im übrigen werden aber die Kosten der Nebenklage auferlegt. Damit ist der Norma-Prozeß beendigt.
Landesvertrekerkag der Deutsch-Demokr. Partei Württembergs. Die Deutsch-Demokr. Partei Württembergs hält am Samstag, den 23. Juni, nachmittags im großen Saa- des Bürgermuseums eine Landesvertretertagung ab mit der Tagesordnung: Die Deutsch-Demokr. Partei nach den Wahlen und die Regierungsbildung in Württemberg.
Aus dem dritten Stock gesprungen. In selbstmörderischer Absicht stürzte sich ein 28 I. a. Mädchen aus dem 3. Stock I eines Hauses in der Ludwig-Pfaustraße in den Hof. An den erlittenen schweren Verletzungen ist die Lebensüberdrüssig» wenige Stunden darauf gestorben.
Aus dem Lande
Eßlingen, 17. Juni. Die „Eßlinger Abendzeitung", die vor einigen Wochen gegründet wurde, hat ihr Erscheinen wieder eingestellt. Der Vorgang ist eine neue Warnung vor überflüssigen Zeikungsgründungen, mit denen weder dem Verleger, noch der Oeffentlichkeit, noch der inserierenden Geschäftswelt gedient ist.
Ludwigsburg, 17. Juni. Tödlicher Verkehrs- Unfall. An der Kreuzung der See- und Karlstraße fuhr ein mit 2 Personen besetztes Fahrrad gegen einen Personenkraftwagen. Der 14 I. alte Ausläufer Karl Bäuerle erlitt bei 'dem Fall einen schweren Schädelbruch, an dessen Folgen er nun gestorben ist. Der Beifahrer, Kupferschmied Robert Mutkach, kam mit leichteren Verletzungen davon. Den Auko- lenker soll keine Schutt» treffen.
Das 25jährige Geschäftsjubiläum begeht Architekt Friedrich Hauser. Neben seiner reichen Tätigkeit im Wohnbau sind besonder? die öffentlichen Gebäude wie Oberamtssparkasse, Ortskrankenkasse, die Gewerbe- und Jn- dustrieausstellung 1914 samt Natskellersaal und viele andere Gebäude als sein Merk heute noch Zeuge der Schaffenskraft dieses Architekten, der sich auch außerhalb Ludwigsburg große Aufträge, besonders Denkmäler und Schulen, sichern konnte.
Bietigheim, 17. Juni. Ausbesserung des Enz- Viadukts. Der im Jahre 1853 nach 2Z4jähriger Bauzeit fertiggestellte imposante Bietigheimec Enzviadukt wird einer Ausbesserung unterzogen. Witterungsunbilden und die gesteigerte Benützung haben an dem Riesenbauwesen schadhafte Stellen aufkommen lassen, die, obgleich sie den Verkehr nicht unmittelbar gefährden, einer Wiederinstandsetzung bedürfen.
Heubach O.-A. Gmünd, 17. Juni. Fabrikant Ern st Pfister h. Im Alter von 59 Jahren starb Fabrikant Ernst Pfister nach kurzer Krankheit. Der Verstorbene war Mitinhaber und Begründer der Firma Gebr. Pfister, Karkonnagefabrik, Buch- u. Skeindruckerei, der er seit vielen Jahren seine unermüdliche Arbeitskraft gewidmet hat.
Reutlingen. 17. Juni. Ein neues Verwaltungsgebäude für die Ortskrankenkasse. Nach lan- gem Suchen ist es der Orkskrankenkasse nunmehr gelungen, ein geeignetes Gebäude zu erwerben, auf dem in absehbarer Zeit ein neuzeitliches Verwaltungsgebäude erstehen soll. Es handelt sich um Grundstücke im Gesamtausmaß von über 70 Ar, die an der Tübingerstraße von den Bandlen'schen Erben erworben wurden.
Rottenburg. 17. Juni. Todesfall. Am Mittwoch starb hier der Obersekretär Meyer, der seit dem Jahr 1912 beim hiesigen Amtsgericht ist. Der Verstorbene ist zu den Nachkriegsopfern zu zählen. Als Reserveoffizier des Grena- dierregiments- 123 zog er ins Feld. Die Sorgen um die Kriegsopfer und um das schwer ringende Vaterland bestimmten ihn, als Bezirksobmann des Württ. Kriegerbunds in schwersten Jahren Dienst zu tun für die Allgemeinheit. Obersekretär Meyer wurde am Tag seines Hinscheidens vom Staatspräsidenten zum Rechnungsrat befördert.
Tübingen, 17. Juni. Verbindung mit dem Flugplatz Böblingen. Dem Tübinger Verkehrsverein ist es in Verhandlungen mit der Flugleitung und dem Stadtschultheißenamt Böblingen gelungen, zwischen Tübingen und Böblingen eine ähnliche regelmäßige Verbindung herzustellen wie zwischen Stuttgart—Böblingen. Der Zubringerverkehr zum Fernflug erfolgt kostenlos; er ist im Fahrpreis für den Fernflug enthalten. Zur Teilnahme an den Rundflügen und Wochenendkursen 'st ebenfalls Fahrtgelegenheit geboten.
Rokkrveil, 18. Juni. Verleihung der Rettungsmedaille. Der Frau Luise Lang geb. Ritter, Ehefrau des Kaufmanns Julius Lang hier, wurde auf Antrag des Stadtschultheißenamts für die mutvolle und opferwillige, mit eigener Lebensgefahr ausgeführte Errettung eines Menschen vom Tod des Ertrinkens die Rettungsmedaille verlieben.
Metzingen. 17. Zuni. Auszeichnung. Anläßlich einer am 14. d- M. im Skadtgarkensaal in Stuttgart tagenden Vollversammlung der .Zesta' (Zentralstelle für staatlichen Drucksachenbedarf), die die größte Zahl württ. Provinzialbuchdruckereien und Zeikungsverlage umfaßt, wurde ^ >okkeur E. Köllreuther in Anbetracht seiner Verdienste um das Buchdruckgewerbe zum Verwaltungsdirektor ernannt und mit der Führung dieser neuen Landesorganisation betraut.
Crailsheim, 17. Juni. D e u ts ch e F l i e g e r f l i e g e n dem Ozean flieger Köhl entgegen. Donnerstag vormittag ging auf den Wiesen zwischen Sauerbrunnen und Falkenhof ein Flugzeug nieder, das mit 9 weiteren der Deutschen Verkehrsfliegerschule Schleißheim bei München abgeflogen war, um zum Empfang des Ozeanfliegers Köhl am kommenden Montag in Bremerhaven einzutressen. Das Flugzeug nahm hier die Kontrolle ab. Sechs Flugzeuge trafen kurz nacheinander ein und passierten die Kontrollstelle durch Abwerfen von Erkennungszeichen, während die restlichen Flugzeuge direkten Kurs über Ansbach genommen hatten. Wegen Betriebsstoffmangel mußte noch ein weiteres Flugzeug landen. Nach kurzem Aufenthalt flogen die Flugzeuge in Richtung Mergentheim wieder ab, wo eine Zwischenlandung erfolgt. Der Weiterflug geht dann über Frankfurt a. M. und Köln nach Bremerhaven.
Weilderstadt, 17. Juni. Zur Stadtschultheißenwahl. Nachdem die Amtsperiode von Stadtschultheiß Schütz abgelaufen ist, sinket am 15. stuli Neuwahl statt.
Ulm, 17. Juni. Vom Auto erfaßt wurde ein 7 I. alter Knabe, als er bei der Gasfabrik zwischen einen Lieferung^ und Lastwagen geriet, wodurch er auf das Pflaster geworfen wurde. Der Knabe erlitt einen schweren Schädelbruch.
Der Verein württ. Körperschaftsbeam- t e n hält hier vom 13.—15. Juli seine Landesversammlung ab. Die eigentliche Landesversammlung findet am 14. Juli statt. Auf der Tagesordnung steht u. a. ein Vortrag von Oberbürgermeister Dr. S ch m i d - Ludwigsburg über die Selbstverwaltung und ihre Stellung zu den Fragen der Staatsvereinfachung und dem Finanzausgleich.
Ertrunken. Im nahen Illertissen wurde die Leiche des Hilfsarbeiters L. Rogg, gebürtig aus Au, am Rechen des Wieland-Kanals aus der Iller gezogen. Rogg dürfte bei der Heimfahrt den schmalen Kanalweg genommen haben und so durch Ausrutschen in den Kanal gekommen sein.
Aus Stadt und Laad
Nagold, 18, Juni 1928
Den Leuten, die im gewöhnlichen Leben geschliffen genannt zu werden pflegen, traue nimmer allzuviel, denn beim Schleifen ist oft das Beste mit weggegangen.
Hans Thoma
Letzter Friihlingssonntag.
Eine Verbindung mit der augenblicklichen kühlen und wechselvollen Witterung und dem in dieser Woche beginnen den Sommer könnte man sich wirklich nicht Herstellen, waren es nicht die langen Tage und die kurzen Nächte, die uns an den erlebten, besser gesagt nicht erlebten, Frühling mahnten. Länger, immer länger ist die Bahn geworden, die der Himmelswagen über unsere Breiten zieht. Kaum ist der letzte Strahl des Tagesgestirns verblaßt, da hebt auch in wenigen Stunden schon der neue Tag an, Weit im Norden schimmert es hell. Die tiefe Finsternis der Nächte ist einem Dämmern gewichen. Klar funkeln am Himmel die Sterne, Wie Nachglänzen des Tageslichtes ist dieses Leuchten, das die Dunkelheit verscheucht. Durch Busch und Wald zieht ein leises Raunen und träumender Vögelruf unterbricht die Stille. Vertraut zieht das Wild auf die Fluren, der Wachtel schlag verkündet den nahen Morgen und bald beginnt es im Osten ganz hell zu werden, lange bevor die Sonnenstrahlen sich mit allen Regenbogenfarben in den Millionen von Tauperlen brechen. Es ist Tag geworden und war doch nicht Nacht. Ringsumher ist heilige Stille. Die Vögel singen ihr Morgenlied. Nichts stört ihre Andacht. Kein Wagen poltert auf den Wegen. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen.
M mlmne Krolle
von HenriettevönMeerheimb Vornan (Margarete Gräfin von Bünau) a^s dem
Jahre 1866
Fortsetzung (Nachdruck verboten)
Gisela verlor diesem hartnäckigen, sinnlosen Eigensinn gegenüber die Geduld. „Erst willst du unsere Verbindung nur zugeben, wenn Königseck auf mein mütterliches Vermögen verzichtet, und wenn er die Bedingung eingeht, ist es dir auch wieder nicht recht. Was willst du eigentlich?"
„Nichts mehr von der Geschichte hören — das will ich! Rach diesem Krieg soll ich einem Preußen meine einzige Tochter zur Frau geben, ihn als Sohn in meinem Hause aufnehmen? Eher zünde ich Waldstein an allen vier Ecken an."
„Das wirst du wohl bleiben lassen! Außerdem würde mich das in meinem Entschluß durchaus nicht beirren. Ich bin majorenn,"
„Trotzdem hast du bis zu deinem fünfundzwanzigsten Jahre keinen Heller — und auch dann gebe ich nichts heraus,"
„Das kannst du machen nach Belieben. Verklagen werden wir dich nicht. Wir schränken uns lieber ein und leben von Königsecks Gehalt und seinem kleinen Vermögen"
„Die Frau eines preußischen Offiziers betritt mein Haus nicht, Gisela!"
„Mache das mit deinem Gewissen ab, Vater, wenn du mich verstoßen willst. Du hast mich ja freilich nie geliebt, eine Trennung wird dir also nicht schwer fallen — und ich werde es lernen, mich damit abzufinden,"
„Und wo soll die Hochzeit stattsinden, wenn ich fragen darf? Mir ins Haus kommt der Herr nicht,"
„Vorläufig bleibe ich noch bei Mathilde. Später reise ich zu Königsecks Mutter. Mein Verlobter kann jeden Tag eins Schwadron bekommen. Er bat darum, in eine kleine Garnison versetzt zu werden, weil wir dort billiger leben können."
„Sehr schön ausgedacht! Und wenn ich dich einsperre, bis'du zur Vernunft gekommen bist?"
„Dazu hast du kein Recht. Es gibt Gott sei Dank Gesetze, die mich schützen!"
„O du — du!" In ausflammendem Zorn ergriff der Graf den Arm seiner Tochter und schüttelte ihn roh,
Gisela biß die Zähne zusammen. Ein Ausdruck unbeugsamen Trotzes trat in ihr weiches, reizendes Gesicht. „Und wenn du mich halb tot schlügest — ich heirate Königseck doch!"
„Vom ersten Augenblick deiner Geburt an Haft du mir Unglück ins Haus gebracht!" schrie der alte Waldstein außer sich. „Wärst du doch nie geboren worden, dann hätte Lexi allein alles geerbt,"
„Er würde auch mit dem Ganzen fertig werden!" fiel Gisela bitter ein. Die Ungerechtigkeit ihres Vaters trieb ihre sanfte Natur zur Empörung. „Was für ein Vater bist du mir mutterlosen Kinde eigentlich gewesen? Was habe ich für eine Kindheit gehabt? Nichts wie Strafen, Mißhandlungen — körperliche und seelische — mußte ich ertragen! Immer sollte ich hinter dem Bruder zurückstehen, unter seinem Leichtsinn leiden. Meine ganze Jugend ist eine einzige Kette von Demütigungen und Opfern gewesen. Jetzt ist es aber genug, ich sage dir! Verstoße mich — ich gebe nicht viel drauf. Meine Heimat finde ich bei dem Manne, den ich liebe."
„Geh nur — geh!" Der Graf war plötzlich merkwürdig ruhig geworden. Er ließ Giselas Arm los, „Aber dann reise auch so bald wie möglich. Wir wollen hier keine Spione um uns haben!"
„Was soll das heißen?"
„Du wirst doch wohl mit deinem Herrn Bräutigam korrespondieren! Die Herrschaften in Schönbrunn und in der Villa Braunschweig ahnen das nicht, sie lasten sich also im Gespräch gehen — und das wird wahrscheinlich alles getreulich von dir berichtet werden und kann viel Unheil stiften. Ich werde dem Erzherzog Albrecht sagen, daß es nicht mehr meine Tochter ist, die bei der Erzherzogin Mathilde Hofdame spielt, sondern die Braut eines Feindes."
„Tue was du willst! Wenn die Herrschaften daraufhin dkinen beleidigenden Verdacht teilen, reise ich allerdings bester so bald wie möglich ab."
Giselas Augen füllten sich mit Tränen. Viel schwerer
als der Zorn des Vaters traf sie dieser Verdacht, denn sie konnte sich der Befürchtung nicht verschließen, daß diese ungerechte Vermutung geteilt werden könnte. Man würde jedenfalls in ihrer Gegenwart ängstliche Zurückhaltung beobachten und jedes intime Gespräch vermeiden.
Der Gesang nebenan verstummte. Das heftige Sprechen des Grafen Waldstein hatte die Erzherzogin Mathilde gehört. Sie klappte den Flügel zu, warf die Notenblätter in die Mappe und schob die Tür zurück.
Gisela saß in ihrem Stuhl und hielt die Hände vors Gesicht gepreßt. Der Graf Waldstein stand mit vor Zorn entstellten Zügen vor ihr.
Als er Mathilde bemerkte, verbeugte er sich zwar höflich, aber sein Ausdruck wurde nicht freundlicher.
Mathilde versuchte Giselas Hände fortzuziehen. „Eisa — weine doch nicht! bat sie. „Ich heule sonst auch mit! — Was haben sie ihrer Tochter wieder getan, Graf?"
„Getan habe ich ihr gar nichts!" brummte Waldstein verdrießlich,
Gisela ließ die Hände sinken. Sie streifte ihren Spitzenärmel hoch. Große blaurote Flecke waren von dem rohen Griff des Vaters auf ihrem Arm zurückgeblieben.
„Mathilde schrie empört auf. „Schämen Sie sich nicht?" fuhr sie in Heller Entrüstung den Grafen an.
„Laß gut sein, Mathilde!" wehrte Gisela ab. „Das hier ist mir egal, viel weher tut es mir, daß ich dich verlaßen soll."
„Wer sagt das?"
„Mein Vater wünscht, daß ich sofort abreise. Ich bm, wie du weießt, mit Königseck verlobt. Mein Vater sieyr seit meinem Geständnis eine „Spionin" in mir, die er aus eurer Nähe entfernen will."
„Du verdrehst meine Worte!" Den Grafen verdroß es, diese unangenehme Sache laut werden zu lasten, Er y>" gehofft, Gisela durch seine Drohung einzuschüchtern, aber verrechnete sich in ihrer und Mathildes Energie.
„Ich gehe sofort zum Papa!" ^ef die junge Erzherzogin mit fliegendem Atem, „Niemand darf Gisela a schuldigen und sie von mir trennen !"
(Fortsetzung folgt)