Seite 2 — Nr. 131
Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter
Donnerstag, 7. Juni 1928
Zwischen Böhninger und Dr. Alsberg entspann sich darauf ein erregtes Wortgefecht. Dr. Alsberg machte Böhninger zum Vorwurf, er habe seine Anwälte ruhig erklären lassen. daß diese Dinge unwahr wären, obwohl er sie nun. wenn auch abgeschwächt, zugeben müsse.
Anschließend an vier Vernehmung des Ilhlich entspann sich eine Debatte über die Person des Iuskizraks Eschen- bach aus Berlin, der ursprünglich die Verteidigung für Direktor Ilhlig übernommen hakte. Iustizrat Eschenbach soll nicht nur mit den Normawerken, so lange er das Mandat für Direktor Ilhlig übernommen hatte, in Verhandlung gestanden sein, sondern auch durch Rechtsanwalt Dr. Kahen- stein dem Kahn haben sagen lassen, daß eine Kollusionsgefahr in der gleichen Weise beseitigt werde, ln der seine Honorarregelung ebenso wie die mit Rechtsanwalt Dr. Alsberg von statten gehen werde. Nachdem darauf Iustizrat Eschenbach das Mandat entzogen wurde, betätigte sich dieser immer noch und sandte Briefe und Telegramme an den Untersuchungsrichter, in welchen er die Angeklagten Kahn und Rosen khal als die Alleinschuldigen bezichtigte. In wieweit die Angaben richtig sind, wird erst die genaue Nachprüfung ergeben.
Stuttgart. 6. Juni. Glückwunsch der württ. Regierung. Die württembergische Regierung hat dem bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Held zu seinem 60. Geburtstag durch den württ. Gesandten in München ihre herzlichen Glückwünsche aussprechen lassen.
Stuttgart. 6. Juni. VomLandtag. In der gestrigen Sitzung des Landtags wurden nach den Vorschlägen der Parteien durch Zuruf folgende 8 Abgeordnete als Schriftführer gewählt: Oster (Soz.s, Winker (Soz.), Dr. Hölscher (BP.). Stooß (DB.), Pollich (Ztr.), Gengler (Ztr.), Henne (Dem.) und Köhler (Komm.).
70. Geburtstag. Hofkunsthändler Max Sch all er. früher Mitinhaber der bekannten Firma Schalter, Marienstraße. vollendet am 7. Juni das 70. Lebensjahr.
Deutsche Schulen im Ausland. Wie der „Schwäbische Merkur" hört, befindet sich Min.-Rat Dr. Löffler vom württ. Kultministerium zurzeit im Auftrag der Reichsregierung in Pest, um an der dortigen reichsdeutschen Oberrealschule die Reifeprüfung zu leiten. Im Anschluß daran wird er sich nach Mailand begeben, um dort an der in Entwicklung zur Vollanstalt befindlichen deutschen Schule ebenfalls als Reichskommissar die Schlußprüfung zu halten.
Warnung. In verschiedenen Stuttgarter Geschäften und Firmen haben in den letzten Tagen Reisende vorgesprochen, die angeblich Anzeigenaufträge „für das Stuttgarter Adreßbuch" sammeln wollten. Das Städl. Nachrichtenamt macht demgegenüber darauf aufmerksam, daß bis jetzt niemand zur Werbung von Geschäftsanzeigen für das neue Adreßbuch 1929 ermächtigt worden ist.
Wassenbachhausen OA. Brackenheim. 6. Juni. Der letzte Veteran. Unter großer Anteilnahme von hier und auswärts wurde gestern Josef Kitzinger. Küfermeister und Veteran von 1870/71, im 80. Lebensjahr stehend, zur letzten Ruhe bestattet. Damit ist der letzte Mitkämpfer der großen Zeit 1870/71 zur großen Armee eingerückt.
Geddelsbach OA. Oehringen. 6. Juni. Verbrechen oder Unfall? Heute früh wurde ein Mann in bewußtlosem Zustande von Einwohnern auf der Straße liegend aufgefunden. Es wurde eine tiefe Wunde im Gesicht festk gestellt, an der der Verwundete auf dem Weg ins Kranken« Haus gestorben ist. Nach den vorliegenden Papieren handelt »» sich um einen Reisenden aus der Neuenbürger Gegend.
Lad Mergentheim. 6. Juni. Vom Bad. General Heye, der Chef der Heeresleitung, ist zu mehrwöchigem Kurgebrauch hier eingetroffen und hat im Kurhaus Wohnung genommen.
Tübingen. 6. Juni. Todsfall. Vorgestern starb nach langem Leiden Oberamtssparkassier a. D. Wilhelm Höhn im Alter von 65 Jahren.
Von der Universität. Die Zahl der Studenten ist in diesem Semester höher als man anfangs nach den rohen Berechnungen angenommen hat. Die Universität verzeichnet 3411 Immatrikulierte. Die medizinische, die juristische und die theologische Fakultät haben eine starke Zunahme erfahren.
Schnaitheim OA. Heidenhcim, 6. Juni. Leichen- fund. Vorgestern wurde von einem Spaziergänger im Waldteil Winterhalde ein schon stark in Verwesung übergegangenes menschliches Bein und ein Schuh gefunden. Gestern machte die Polizei weitere Funde. Es handelt sich um Sen schon seit August v. I. verschollenen 49 I. a. Fabrikarbeiter Friedrich Schmid. Seine Personalien konnten nur noch durch eine Fahrkarte mit Paßbild, die er in der Tasche trug, festgestellt werden. Wahrscheinlich hat sich der Unglückliche das Leben durch Erhängen genommen. Der Grund zu dieser Tat dürfte in Schwermut zu suchen sein.
Ravensburg. 6. Juni. Landgerichtsrat Rehm gestorben. Dienstag früh ist Landgerichtsrat Albon Rehm einem schweren Leberleiden erlegen.
75. Geburtstag. Den 75. Geburtstag begeht am 7. Juni S. Exzellenz Generalleutnant a. D. Paul Scholz.
Friedrichshafen, 6. Juni. Besuch. Der Chef der englischen Luftschiffahrt Bourney, dem auch der Bau der englischen Luftschiffe untersteht, besichtigte gestern Dienstag den Luftschiffbau Zeppelin mit dem im Bau befindlichen L. Z. 127, die Darnier-Metallbauten und den Maybach- Motorenbau. Außerdem trafen gestern Studenten der Technischen Hochschule in Rom unter Führung des Senators Andora sowie vier Universitätsprofessoren und 6 Dozenten hier ein, um gleichfalls die hiesigen Industriebetriebe des Zeppelinkonzerns zu besichtigen.
Ehrung. Anläßlicb des 50. Geburtstages von Direktor- Dr. Dürr brachten ihm Stadtkapelle und „Harmonia" ein Ständchen vor seiner Wohnung.
Aus Stadt und Land
Nagold, 7. Juni 1928
Bis aus den letzten Augenblick spielen wir Komödie mit uns selber. Heinrich Heine.
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Vereinfachte Einreichung der Lohnsteuerabzugsbelege für 1928
Laut Verordnung des Reichsfinanzministers vom 31. März 1928 haben die Arbeitgeber, welche die Lohnsteuer im Ueberweisungs- oder Behördenverfahren bar (also nicht im Markenverfahren) abführen,
1. für alle am 31. Dezember 1928 bei ihnen in einem Dienstverhältnis stehenden Arbeitnehmer auf der Rückseite der Steuerkarte 1928, die dem Arbeitnehmer am Schluß des Kalenderjahrs nicht mehr (wie bisher) zurückzugeben ist, eine Lohnsteuerbescheinigung.
2. für die im Kalenderjahr 1928 vor dem 31. Dezember 1928 aus dem Dienstverhältnis ausgeschiedenen Ar-
. beitnehmer vereinfachte Lohnsteuerüberwei- sungsblätter auszuschreiben.
Vordrucke können von den Finanzämtern von jetzt ab unentgeltlich bezogen werden.
Damit sich die notwendigen Arbeiten am Schluß des Kalenderjahrs nicht zu sehr häufen, empfiehlt es sich, hauptsächlich für größere Betriebe und Betriebe mit großem Wechsel unter den Arbeitnehmern, mit dem Ausschreiben der vereinfachten Lohnsteuerüberweisungsblätter schon jetzt zu beginnen und dieselben fortlaufend (monatlich oder vierteljährlich) an die zuständigen Finanzämter einzusenden. Die Einsendung hat jeweils an dasjenige Finanzamt zu geschehen, in dessen Bezirk die Steuerkarte 1928 ausgeschrieben worden ist.
Bei größerer Anzahl wären die Lohnsteuerüberweisungsblätter alphabetisch geordnet einzusenden.
Nähere Auskunst' erteilen die Finanzämter.
Neueinteilung der Arbeitsämter
Der Vorstand der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat im Benehmen mit : den obersten Landesbehörden die Grenzen der Arbeitsämter für das Oberamt Nagold und die benachbarten ' Oberämter endgültig wie folgt festgesetzt: Nagold, um- I fassend: die Oberamtsbezirke Nagold, Calw (aus- I
genommen die Gemeinden Unterreichenbach, Bad Liebenzell, Monakam und Unterhaugstett), Freuden st adt, Horb und Herrenberg. Pforzheim, umfassend: den Amtsbezirk Pforzheim, den Oberamstbezirk Neuenbürg (ohne die Gemeinde Loffenau), den Oberamtsbezirk Maulbronn und die Gemeinden Unterreichenbach, Bad Liebenzell, Monakam und Unterhaugstett des Oberamtsbezirks Calw und die Gemeinden Friolzheim, Wimsheim und Mönsheim des Oberamtsbezirks Leonberg.
Zahl und Sitz der Nebenstellen der Arbeitsämter hat der Vorstand noch nicht sestgelegt.
Vis zur Eingliederung in die Reichsanstalt führen dis öffentlichen Arbeitsnachweise ohne Rücksicht auf die neuen Grenzen ihre Aufgaben fort.
Als Sitz des Arbeitsamtes Nagold ist das frühere „Rößle" vorgesehen und zwar werden für diesen Zweck im Parterre die beiden von Kaminfeger Ebinger und Maurer Rähle benutzten städtischen Wohnungen geräumt werden. Zwei neue ständige Beamte erhalten durch ihre Dienstleistung an dem hiesigen Arbeitsamt ihren Sitz in Nagold.
Witterungsumschlag
Nach herrlich schönen Sonnentagen setzte in der Nacht von Montag auf Dienstag um ^1 Uhr ein wolkenbruchartiger Platzregen ein, der bis gegen 3 Uhr dauerte und durch seine Heftigkeit manchen Schläfer aus seinen Federn trieb. Gestern nun suchte um 18 Uhr ein kurzes und doch schweres Gewitter, verbunden mit heftigem Niederschlag das Nagoldtal heim. Die elektrischen Entladungen waren so stark, daß man an Lichtleitungen Funken überspringen sehen konnte. Der Regen setzte sich mit Unterbrechungen bis heute morgen fort.
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Rücktritt vom Vertrag. Bei positiven Vertragsverletzungen durch eine Partei kann die andere Partei vom Vertrag zurücktreken. Positive Vertragsverletzungen sind solche nicht ganz unerheblichen Zuwiderhandlungen gegen Vertragspflichten. die den Vertragszweck derart gefährden, daß dem Vertragstreuen Teil die Fortsetzung des Vertrags nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann. Bei Ver- trägen, wo die Ware erst angefertigt werden muß, kann die unberechtigte Beanstandung eines Probestücks unter Umständen eine positive Vertragsverletzung darstellen. Aber nicht jede unberechtigte Beanstandung eines Probestücks bildet für die Lieferanten einen Grund, deshalb vom Vertrag abzugehen. Vor allem muß gegenüber einem auf unrichtige Vertragsauslegung sich gründenden Verhalten einer Partei die Gegenpartei auf die unrichtige Auffassung des Vertrags aufmerksam machen und auch versuchen, die andere Partei umzustimmen. Wo es sich um eine fahrlässige falsche Auslegung der Vereinbarungen durch den Besteller handelt, muß der Lieferant zuerst versuchen, diesen umzu- stimmen. Erst wenn der Besteller dann immer noch bei seiner unrichtigen Auffassung bleibt, kann sein Verhalten als eine die Bertragszwecke gefährdende Vertragsverletzung angesehen werden.
Zwangsvollstreckung gegen den Untermieter. Ein vollstreckbarer Schuldtitel gegen den Hauptmieter allein genüg* nicht, um auch den Untermieter zwangsweise zu entfernen - Ein Räumungsurteil berechtigt nur zur Entsetzung der zum Hauptmieter gehörigen Familienmitglieder. Zur Entsetzung öes Untermieters aus den in seinem Gewahrsam befindlichen Räumen bedarf es eines besonderen gegen ihn lautenden» vollstreckbaren Titels.
Herrenberg, 6. Juni. Die Kraftwagenlinie Herrenberg — Nagold hat nunmehr ihre gesamte, aus dem Erwerb des Wagens herrührende Schuld aü- gedeckt,' die Linie Herrenberg — Calw dagegen ist noch mit rund 28 000 belastet.
Herrenberg, 7. Juni. Hohes Alter. Gestern beging der älteste Einwohner der hiesigen Stadt, Herr Schuhmachermeister Karl Zinser, seinen 87. Geburtstag. Wenn ihm auch sein Schwächezustand ein Verlassen des Hauses nicht mehr erlaubt, so erfreut sich doch Herr Zinser noch bester Gesundheit.
Calw. 6. Juni. VundestagungderDeutschen Pfadfinderschaft. In den Pfingsttagen hielt die Deutsche Pfadfinderschaft unter Leitung ihres Vundesfeld- meisters, des Studieninspektors Hencke aus Calw, ihre
Die lieckme Kme
von Henriette von Meerheimb Roman (Margarete Gräfin von Bünau) aus dem
Jahre 1866
31. Fortsetzung (Nachdruck verboten)
„Ich glaube, ich hänge mehr an den mir li-b'v Menschen, als an der Gegend, in der ich wohne." meinte Gisela nachdenklich. „Mit einem geliebten Menschen zusammen würde meine Seele sich iiberall heimisch fühlen."
„Leides gehört für mich zusammen." sagte Prinzeß Frederike und trcL aus der Glastür des chineillchcn Saal-s hinaus ins Freie.
Die anderen folgten ihr Geranien, Astern, Georginen leuchteten in bunter Farbenpracht auf den Besten. Die Wiese, in die der Park überging, der mit den Gärten von Schonbrunn zusammenstieß, war mu Herbstzeitlosen reich bestickt. Lange Marienfäden wehten wie zerrissene Schleier durch die reine, klare Luft. Die Erzherzogin Mathilde schlug lachend mit der Hand nach solch einem Silb rfaden. „Altweibersommer! Wenn wir erst selber alte Weitstem sind, Gisela — kannst du dir das ausdenken? Ich möchte nicht alt werden — nein, immer jung und hübsch will ich bleiben, wie heute! — Wie schon alles ist! Sieh mal, die Birke regnet Gold. Alle Märchen werden heute wahr — auch das von dem Bäumchen, das andere Blätter haben wollte. Die Blätter sind wirklich zu Edelsteinen und Gold geworden. Ach die dummen Menschen, die nicht an Wunder und Märchen glauben — das ganze Leben ist doch ein wundervolles Märchen!"
Sie tanzte unter den Bäumen hin wie ein großer weißer Schmetterling. Die Sonne spann lauter Goldfäden aus ihren langen, blonden Locken.
Die beiden anderen folgten langsamer.
„Wie süß sie ist — immer fröhlich, und doch führt sie eigentlich ein trauriges Leben bei dem strengen Vater und der unangenehmen Stiefmutter!" sagte Prinzeß Frederike gerührt.
Als sie an der Wiese ankamen, kniete Mathilde schon im Grase und pflückte eifrig einen großen Strauß Herbstzeitlosen. „Hilf mir, Gisela!" bat sie. „Wir wollen heute zur Tafel alle drei Kränze von den hübschen Blumen tragen. Frederike, du auch!"
Prinzeß Frederike schummle den Kopf. „Ich trage keine Blumen. Ich gehe nur in schwarzen Kleidern, solange wir Verbannte sind."
„Wir aber huldigen dir, schöne Königstochter!" Mathilde hielt ihr einen Blütenstrauß entgegen. Ihr Frohsinn sprudelte über. Jedes traurige Wort verwandelte sie zum Scherz.
„Mathilde, nimm dich in acht!" warnte Gisela. „Herbstzeitlosen sind giftig, und du hast keine Handschuhe an."
„Wie ängstlich du für mich bist und hat dabei in Prag Cholerakranke gepflegt, ohne dich vor Ansteckung zu fürchten. Mich friert, wenn ich nur daran denke."
„Arme Gisela, Sie haben wirklich schwere Tage durchgemacht!" sagte Prinzeß Frederike mitleidig. „Graf Hallermund hat uns davon erzählt. Wir bewundern alle Ihren Mut."
„Es waren schwere, aber doch schöne Tage," wies Gisela etwas kurz ab. „Komm, Mathilde, wir haben jetzt Blumen genug, um zehn Köpfe damit zu schmücken."
„Buntes Laub muß ich noch haben. Ich will den dicken, häßlichen Pagoden im chinesischen Saal Kränze von Buchenblättern aufsetzen. Die knistern so hübsch, wenn die Köpfe wackeln." Sie lachte hell auf und griff nach den tief herabhängenden Zweigen. „Die kann ich erreichen! Aber hier die Blutbuche hebt ihre Aeste zu hoch. Wie schade — gerade das rote Laub ist so schön!"
Sie blieb mit erhobenen Händen stehen. Die weiße, zierliche Gestalt mit den goldflimmernden Locken hob sich mit den wie sehnsüchtig erhobenen Armen in unbewußter Anmut malerisch ab."
„Kann ich helfen?" fragte da eine tiefe, weiche Stimme.
Die junge Erzherzogin fuhr erschrocken herum. Die Hände fielen schlaff herunter, ihr Gesicht glühte. „König Ludwig —" sagte sie leise.
Gisela knickste tief. Prinzeß Frederike, die den anderen den Rücken gewandt hatte, hatte schon längst die hohe, kräftige Männergestalt in dem grünen Jagdanzug, das Gewehr über die Schulter auf sich zukommen sehen. Sie
gönnte aber der Freundin den kleinen Schrecken — und dem König den reizenden Anblick. Seinem künstlerischen Blick gefiel das Bild auch sichtlich. Seine großen, dunkelblauen Augen mit dem schwermütig-schwärmerischen Blick leuchteten auf. —
„Majestät waren auf der Jagd?" fragte die Prinzessin.
„Ja — ich wollte gern ganz früh die Herbstnebel um die Berge ziehen sehen. Am Schießen lag mir weniger," antwortete König Ludwig. „Ich sehe gern im Nebel wie mit einer Tarnkappe — man sieht alles und wird selbst nicht gesehen. Alle Grenzen verschieben sich — eigentümlich groß erscheint jeder Gegenstand, die aufgeschichteten Holz- und Steinhaufen sind merkwürdige Ungetüme geworden. Die Wurzeln kriechen wie Schlangen über den Weg. Wenn dann der Nebel fällt, sieht man, was man sich alles eingebildet hat. Wre anders die Wirklichkeit ist — viel enger und kleiner!"
Er stockte. Etwas an seinen eigenen Worten fiel ihm auf. Wie eine Anspielung aus seine gelöste Verlobung erschienen sie ihm. Als die Zauberschleier rissen, mit denen seine Phantasie damals die genebte Braut geschmückt hatte, da sah die Wirklichkeit auch so ganz anders aus. Von der idealen Frauengestalt, die er angebetet hatte, blieb ein eitles, oberflächliches Mädchen zurück, dem nur am Glanz der Stellung, nichts an seiner heißen Liebe lag.
Vorüber — er wollte nicht daran denken!
„Von dem roten Laub möchte ich gern einige Zweige haben," bat ihn Mathilde.
König Ludwig zog sein Jagdmesser aus der Tasche, schnitt einige Aeste ab und hielt sie ihr hin.
„Wie schön das glänzt!!" Sie ließ die Sonne durch das rote Laub glitzern.
„Mathilde will den Pagoden in meines Vaters Saa Kränze davon flechten," sagte Prinzeß Frederike.
König Ludwig lächelte, wie man sich über die neckischen Einfälle eines übermütigen Kindes belustigt.
Die Erzherzogin Mathilde wehrte ab. „Nein nein, das Laub ist zu hübsch für die häßlichen Götzenbilder. ^ hält sich in einer hohen Vase noch lange — rch nehme mit nach Hause."
(Fortsetzung folgt)