tag. 8. Mai 1S28

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Nr. 108

Gegründet 1827

Mittwoch, den S. Mai 1S28

Fernsprecher Nr. 29

1V2. Jahrgang

5,

Aegyptens

Englands beste Waffe im Weltkrieg war die Lügen- Propaganda, wodurch die öffentliche Meinung der Welt gegen Deutschland eingestellt wurde. Der Krieg war für uns verloren in dem Augenblick, da große Massen der deut­schen Bevölkerung auf die feindliche Lügenpropaganda hin­einzufallen bereit waren.

Die Lügenpropaganda baute sich auf dem Sästvindel, dis Entente führe den Krieg für die Freiheit und das Selbst- oestimmungsrecht der Völker gegen die deutsche Eroberungs­sucht. Eine besondere Rolle spielte innerhalb der Propa­ganda auch der englische Eidschwur, das edle Großbritannien erstrebe keinerlei Landerwerb für sich. Als mangesiegt" hatte, wie man es längst nicht mehr zu hoffen wagte, war es eine Hauptfrage englischer Politik, wie man um diese feierliche Versicherung herumkomme. Man Erfand zu diesem Zwecke dasM a n d a t s s y st e m" des VÄferbunds. Und heute zerbricht man sich den Kopf darüber, wie man dem Völkerbund ein Schnippchen schlagen und Mandate, dis man von ihm zu Lehen trägt, dem Britischen Reichfür immer" einverleiben könnte. Denn daß der liebe Gott schon am ersten Schöpfungstag heimlich die Bestimmung getroffen habe, Afrika müsse einmalvom Kap bis Kairo" englisch werden, bezweifelt kein waschechter Engländer.

Um so törichter war es von der englischen Politik, den Grundschwindel der Kriegspropaganda noch über das Kriegsende hinaus fortsetzen zu wollen. Die Welt hat ge- lächslt, als England ihr noch im Jahr 1922 die Komödie der beschränk re n Unabhängigkeit" Aegyptens glaubte Vorspielen zu sollen. Und viel Freude bat England an diesem Muss gegenüber der öffentlichen Weltmeinung eigentlich nicht gehabt. Denn so wenig Aegypten auch fähig sein mag, sich selbst zu regieren, es gibt da doch die kleine, aber rührige Partei der Wafd, die ihren Lebenszweck darin er­blickt, der englischen Oberherrschaft das Leben so sauer wie möglich zu machen, und die mit der einseitigen Erklärung von 1922 einen moralischen Rechtstitel bekommen hat, den sie nicht ungeschickt zu handhaben versteht. In einem jener Anfälle von Geistesabwesenheit, die nach englischer Meinung bei der Bildung des Weltreichs eine so große Rolle gespielt haben, beschenkte die englische Regierung das neue König­reich mit einem prunkvollen Messer ohne Heft und Klinge, eben jenerbeschränkten Unabhängigkeit". Wie oft man in London diese spleenige Anwandlung schon verwünscht haben mag, ist schwerlich mehr zu zählen.

Diese besonderen Kennzeichen der ägyptischenUnab­hängigkeit" bestehen darin, daß sie sich nicht erstreckt auf die Landesverteidigung im allgemeinen und die Verteidigung des Suezkanals im besonderen, nicht auf den Sudan, der mit ägyptischem Mut und Geld zurückerobert worden ist, und nicht auf die Fremdenpolizei. Ueber diesen letzten Punkt entstand der neueste Zank. Der ägyptische Parlamentaris­mus auch ein Geschenk von Englands Gnaden, das ur­sprünglich wohl als Spielzeug gemeint war, womit die ehr­geizigen Nationalisten sich die Zeit vertreiben sollten war munter dabei, ein neues Versammlungsrecht zu schaffen, das unter anderem auch Versammlungen unter freiem Himmel erlaubt hätte. Es wird schon stimmen, daß unter solch einem

Zähmung

l Gesetz die Fremden in Aegypten ihres Lebens nicht mehr sicher gewesen wären, denn Versammlungen unter freiem Himmel lassen sich in diesem Land nicht kontrollieren, und

I ein fanatischer Fremdenhaß ist rascher entfacht als wieder gebändigt. England forderte also kurz und bündig, daß das neue Versammlungsrecht niemals Gesetz werde. Nahas Pascha, der Ministerpräsident, lehnte es ab, in den Gang der parlamentarischen Gesetzgebung einzugreisen, worauf Chamberlain dem Widerspenstigen einfach die gepanzerte Faust unter die Nase hielt. Schon die unmißverständliche Gebärde wirkte, es bedurfte diesmal nicht der Mobilmachung der halben englischen Flotte, wie seinerzeit im Fall Schang­hai gegen das gleichfallsunabhängige" China.

Bemerkenswert ist, daß Nahas nicht etwa sein Unrecht eingesehen und keineswegs versprochen hat, es nicht wieder zu tun. Die weitere parlamentarische Behandlung des neuen Versammlungsrechts ist einstweilen nur bis zum November vertagt worden und in London atmet man erleichtert auf. Die englische Linkspresse versichert eifrig: das sei die endgültige Lösung, weil es die endgültige Lösung sein müsse. Man muß das richtig verstehen. Es kann gar kein Zweifel daran sein, daß England jeden Versuch der ägyptischen Re­gierung, mit derUnabhängigkeit" Ernst zu machen, mit brutalster Gewalt Niederschlagen würbe; nur möchte man in London zur Anwendung von Gewalt lieber nicht ge­zwungen werden, weil man sich nicht entschließen kann, dis löcherige Maske der Kriegslügenpropag^nda endgültig fallen zu lassen.

Aegypten weicht der Drohung mit Ewnst, aber es denkt nicht daran, denRechtsstandpunkt" seines Herrn und Ge­bieters anzuerkennen. Nahas Pascha sagt in seiner Ant­wort auf Chamberlains Ultimatum: er könne nicht glauben, daß die Negierung Seiner Britannischen Majestät,deren liberaler Geist wohlbekannt sei, ein unbewaffnetes Volk zu demütigen beabsichtige, dessen Stärke einzig und allein in seinem Recht und in der Aufrichtigkeit seiner Absichten liege". Das ist diplomatisch wirklich nicht schlecht gegeben, nament­lich, was dieAufrichtigkeit der Absichten" betrifft. Der Daily Telegraph" gibt denn auch zu, der englischen Re­gierung bleibe gar nichts anderes übrig, als sichgroßmütig" zu zeigen und sich mit der Vertagung des Streitfalls bis zum November zufrieden zu geben, in der Hoffnung natür­lich, daß die Wafd bis dahin zur Einsicht gekommen sein wird.

Auch gibt es ja Mittel, dieser Einsicht nachzulzelfen! In Frankreich, w" man immer darauf aus ist, die Weltgeschichte der nächsten zwei bis drei Jahre in Vertragsparagraphen sestzulegen, wird man dies Verfahren kaum verstehen. Es entspricht aber durchaus dem englischen Grundsatz: Warte ab und sieh zu, was sich machen läßt. Im alten England hatte man übe" die Zähmung eines Widerspenstigen noch andere Auffassungen! Aber das neuere England hat seine besten Weltgeschäfte in der Rolle einesBefreiers der unter­drückten Völker" gemacht. Wie könnte es zugeben, daß irgendein Volk der Welt die englische Oberherrschaft nicht mit Entzücken trage?

Neueste Nachrichten

Hauswirtfchastskagung am Kaiserdamm Verlin, 8. Mai. Im Rahmen der AusstellungDie Ernährung" wurde yeute in der Fnnkhalle am Kaiserdamm me wirtschaftliche Tagung der Hausfrauenvereine eröffnet. Rach einer einleitenden Begrüßung der Gäste durch Frau Abgeordnete Schott sprach Staatssekretär Dr. Hofs- m." u Reichsministerium für Ernährung und Land­wirtschaft namens des verhinderten Reichsministers Schiele über die Stellung der Hausfrau im Rahmen -er Volks- «Währung.

Line Hcwssrouena bordnung beim Reichspräsidenten

Lettin, 8. Mai. Der Herr Reichspräsident empfing heute rwrmittag «ine Abordnung der Hausfrauenverbände von Ltadt und Land unter Führung der Reichstagsabgeorü- nete» Frau Schott.

Maßnahmen gegen di« Umgehung der Beratungsstelle Ausländsanleihen

Mai. Die Vorgänge der letzten Zeit, ine besonder« die Aufnahme einer Anleihe der Stadt Kölns Holland ohne Zustimmung der Beratungsstelle, haben de ^. «m Srerung Veranlassung gegeben, an die Regierunge ^ Länder heranzutreten mit dem Ersuchen m ^ ?r"Sen zu wollen, daß in Zukunft ein der RiÜAA.^fahren unmöglich gemacht wird. DerTag hat Preußen bereits zugesagt, auf aus Wege den Gemeinden die Aufnahme voi ratu w!»°n A'UAlandsanleihen ohne Zustimmung der Be ^ unmöglich zu machen. Die Stellung 'vhme der übrigen Lander steht noch aus.

Kundgebung der geschädigten Ausländsdeutschen

Berlin» 8. Mai. Die geschädigten Ausländsdeutschen hielten gestern mehrere Versammlungen ab, in denen gegen die Behandlung ihrer Angelegenheiten durch das Reichs­entschädigungsamt heftig Widerspruch erhoben und die Frei­lassung des Farmers Heinrich Langkor p, der seinerzeit denAnschlag" gegen den Präsidenten ausgeführt hatte, gefordert wurde. Eine große Zahl der Versammlungsteil­nehmer zog nachmittags vor das der Sicherheit wegen nach Friedenau verlegte Entschädigungsamt und verlangte den Präsidenten Karpinski zu sprechen. Dieser ließ die Ab­ordnung aber nicht vor. Die Menge wartete auf der Straße, bis die Beamten nach Schluß der Bürostunden das Ge­bäude verließen, die dann allerhand wenig schmeichelhafte Zurufe über sich ergehen lassen muhten.

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Putsch des Priazeu Larol?

London, 8. Mai. DieMorningpost" meldet, zwei Schriftleiter eines Londoner Mattes haben zwei Flug­zeuge gemietet. Angeblich sollte Prinz Carol von Ru­mänien am Samstag mitfliegen und zwar nach Rumä­nien. Infolge einer Störung an der Maschine habe der Flug aus Samstag verschoben weiden müssen. Auch an den Pässen der Zeitungsleute sei etwas nicht in Ordnung ge­wesen. Die Regierung habe Wind bekommen und man babe entdeckt, daß in dem Flugzeug 20 000 Flugblätter ver­staut waren, die einen Ausruf an das rumänische Doll ent­bleiten. Die. großen Bauernversammlungen in Karlsburg und in anderen Städten Siebenbürgens sollten die Vorbereitung für den Putsch sein, durch den Carol wieder in seine alten Rechte eingesetzt und die liberale Re­gierung Bratianu gestürzt werden sollte.

Die englische Regierung hat den Prinzen Carol ersucht, England zu verlassen: es soll ibm iedock anae-

Tagessviesel

Das englische Unterhaus hat in dritter Lesung den Ge­setzentwurf, der den Frauen in gleicher Welse wie de» Männern das Stimmrecht schon vom 21. Lebensjahr M gerväbrk, angenommen.

Brians, der einige Zeit krank war. wird einen längere« Erholungsurlaub antreten. voraussichtlich wird inzwischen Poincarö das Außenministerium übernehmen.

Bon Japan werden weitere 15000 Mann nach der chine- sischcn Provinz Schenkung gesandt.

messene Zeit gewährt werden, die nötigen Vorbereitungen zur Abreise zu treffen.

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Der Führer der nationalen rumänischen Bauernpartei, Maniu, ist in Bukarest eingetroffen. Me Regierung übt eine scharfe Pressezensur, um die Berichte der Blätter über die Bauernversammlungen zu unterdrücken.

Drei Verteidiger im Jngenieurprozeh

Moskau, 8. Mai. Das Oberste Gericht hat die Erlaubnis erteilt, daß für die verhafteten deutschen Ingenieure und Monteure drei von der deutschen Botschaft auszuwählende Verteidiger zugelassen werden.

Die Heidelberger Rede Schurnums

Revyork, 8. Mai. Nach einer Meldung derTimes" aus Washington erklärte Kellogg, das Staatsamt habe in keiner Weise etwas mit der Rede Schurmans in Heidelberg zu tun. Kellogg habe im übrigen adgelehnt, sich darüber zu äußern.

Die Lage bei Tsinonsu

Peking, 8. Mai. Die japanische Brigade, die gestern aus Dairen in Tsingtau eintras, ist nach Tsinansu in Marsch gefetzt worden. Die japanische Artillerie hat ein chinesischer Flugzeug, das Tsinansu überflog, abgeschossen. Ferner wird gemeldet, daß Marschall Tschangtsolin sein« Truppen aus die von der Peking-Hankau-Bahn gebildete Linie zurück­gezogen hat.

Die südchinesische Regierung will Len Streitfall von Tsinansu, den die Japaner in durchaus gefälschter Weise dargestellt hätten, dem Völkerbund unterbreiten. Es hat doch noch nie Zweck gehabt» den Teufet bei seiner Großmutter zu verklagen.

Der Oberkommandierende der südchinesischen Truppen, General Tschiangkaischek, veröffentlicht eine Erklä­rung, in der es u. a. heißt: Die japanischen Truppen haben uns ohne den geringsten Grund herausgefor­dert. Sie haben auf unsere Soldaten und die chinesische Zivilbevölkerung geschossen und über 1000 Personen getötet. Die Böswilligkeit der Japaner und die von ihnen aus­geübte Bedrückung gehen über jede Beschreibung hinaus. Ich kann mich einer solchen Brutalisierung nicht beugen, und ich wünsche die wohlüberlegte Brutalität der Iavanervorder ganzen Weltbloßzu st eklen.

In Tsinansu ist am Abend des 7. Mai erneut zwischen Chinesen und Japanern gekämpft worden.

Württemberg

Stuttgart, 8. Mal. Forstliche Nachprüfung. Bei

der in der Zeit vom 11.28. Aprll 1828 in Freiburg sorge- iwmmenen forstlichen Fachprüfung find 15 Prüflinge für befähigt erkannt und zu Forstreferendaren bestellt worden.

Menstprüfung für das Lehramt Gewerbeschulen. Bei der im Frühjahr 1928 abgehaltenen Dienstprüfung für das Lehramt an Gewerbeschulen sind 33 Bewerber für befähigt erklärt worden.

ep. Tine Führertagung -er Tvang. tzangmänirerdüud« fand vom 1.3. Mai in Münden (Hann.) statt, an der etwa 500 in der Arbeit stehende Männer aus allen Gauen des deutschen Vaterlandes teilnahmen.

ep. Die 83. Hauptversammlung de» Württ. Hauptvereins der Gustav-Adolf-Stiftung in Urach-Metzingen ist verschoben worden. Sie findet nicht am 15. und 16. Juli des Jahre», sondern am 9. und 10. September des Jahrs statt.

Die württ. Staatsvereiutachung des Jahrs 1924. In der Württ. Zeitschriftfür Rechtspflege und Verwaltung" (Verlag von I. Heß-S«uttgart) erschien in den Nummern von März bis Mai (Heft 3 und 5) aus der Feder von Staatsrat Dr. Hegelmaier ein Aufsatz überDie n ürtt. Staatsvereinfachung des Jahrs 1924". Staatsrat Dr. Hegel- maier war damals Vorsitzender der Sparkommission und ist somit einer der besten Kenner dieser Frage.

Kandidaten de» Zentrum». Die Kandidaten der Württ. Zentrumspartei für den Reichstag sind an vorderster Stelle Minister Bolz, die bisherigen Abgeordneten Andre, Feilmayr, Johannes Groß und Gutsbesitzer Farny in Dürren. Für die Landtagswahl wurden 14 Wahlkreis­verbände gebildet und 16 Spitzenkandidaten aufgestellt, unter ihnen dl« Minister Beyerle und Bolz und Dom-