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Nr. 45 Gegründet 1827 Donnerstag, den 23. Februar 1328 Fernsprecher Nr. 29 102. Jahrgang
Selbsthilfe der Gerichte
Arm Krantz-Prozeß schreibt ein erfahrener Jurist der „Deutschen Tageszeitung":
Eine grausamere Ironie zum Fall des Schulgesetzentwurfs hätte die Zeitgeschichte nicht schreiben können als diesen Mordprozeß Krantz. Was wir Außenstehende nicht begreifen können, das ist die Art dieser Gerichtsberichterstattung, die sich in einer widerlichen Schilderung aller Einzelheiten geradezu zu überbieten sucht und Gefahr läuft, noch weiteren moralischen Schaden anzurichten. Nicht bloß unter der Jugend. Aber erst recht wird natürlich die Jugend durch solche Gerichtssaalberichte verdorben und vergiftet: ausgerechnet aus Gerichtsverhandlungen können nun halbwüchsige Bürschchen erfahren, daß auch sie sich schon zu homosexuellem Verkehr prostituieren und ihren Eltern durchgehen können. Die Gerichtsverhandlung, die ein moralisches Erziehungsmoment allerersten Rangs sein sollte, trägt infolge dieser sensationell aufgemachten Berichterstattung gar noch zur Sittenoerwilderung weitester Kreise bei. Es ist der Helle Hohn: man macht Gesetze zur Bekämpfung von Schmutz und Schund und gestattet zugleich die Verbreitung des durch einen derartigen Skandalprozeß aufgerührten Schmutzes.
Was ist nun gegen eine Wiederholung derartiger Aergerniserregung in künftigen Skandalprozessen zu tun? Es sind — auch im Reichstag — verschiedene Vorschläge gemacht worden. Aber ein Einschreiten der Gesetzgebung, sei es in Form einer Reform des Presserechts oder in Gestalt einer Justizreform, ist ja doch in absehbarer Zeit nicht in Aussicht zu nehmen.
Also müssen sich unsere Gerichte eben/auf Grund des bestehenden Rechts selbst zu helfen suchen, und das ist durchaus möglich, wenn die Bestimmungen des Gerichtsver- sassungsdesetzes über die Oeffentlichkeit der Verhandlungen vernünftig ausgelegt und angewender werden.
Daß sich im Prozeß Krantz jedenfalls während eines Teils der Verhandlung die Ausschließung der Oeffentlichkeit empfohlen hätte, das leuchtet doch jetzt nachträglich allgemein ein. Freilich, nicht bloß der Vorsitzende, auch Staatsanwalt und Verteidiger waren befugt, auf Grund des ihnen bekannten Akteninhalts den Ausschluß der Oeffentlichkeit zu beantragen. Und zwar nicht nur wegen Gefährdnung der Sittlichkeit, sondern auch wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die Justizverwaltung, d. h. das preußische Justizministerium, wäre nicht, wie fälschlicherweise vielfach angenommen wurde, zu einem Einschreiten in ein schwebendes Verfahren befugt. Das Ministerum könnte höchstens der zuständigen Staatsanwaltschaft die Weisung geben, den Ausschluß der Oeffentlichkeit zu beantragen, wobei es dann noch immer dem Gericht anheimgegeben bliebe, ob es diesem Antrag stattqeben wollte oder nicht. Noch unrichtiger ist die Kritik: Der Justizminister hätte sich vor Beginn der Verhandlung über die Person des Vorsitzenden verständigen und einen solchen für diesen Fall besonders ernennen müssen. Das wäre eine glatte Rechtsverletzung gewesen, denn die Richter, die einen bestimmten Fall zu verhandeln haben, stehen von vornherein fest und niemand darf diesem, seinem gesetzlichen Richter, entzogen werden.
Aber wir müssen lernen, den Grundsatz der Oeffentlichkeit unserer Gerichtsverhandlungen aufdasrichtige Maß zurückzu führen. Man muh nur das geltende Recht vernünftig anzuwenden wissen. Z 172 des Gerichts- verfaffungsgesetzes bestimmt: „In allen Sachen kann durch das Gericht für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Oeffentlichkeit ausgeschloffen werden, wenn sie eine Ge- I fährdung der öffentlichen Ordnung, insbesondere der Staats- I
sicherheit, oder eine Gefährdung der Sittlichkeit besorgen läßt."
Nun, daß die Besorgnis einer Sittlichkeitsgefährdung begründet war, das haben wohl die Kommentare der Presse bewiesen. Schließlich ist doch einem Berliner Gericht die sensationelle Ausschlachtung einer derartigen Zeugenaussage durch die Presse nicht unbekannt.
Aber zugleich hat doch schon der erste Verhandlungstag gezeigt, daß durch die Weiterverhandlung des Krantz- Prozesses in voller Oeffentlichkeit auch die öffentliche Ordnung gefährdet werden könnte. Darunter versteht man nämlich nicht nur drohende Radauszenen und Straßenkrawalle, sdndern darunter versteht man nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts auch den Mißbrauch der Oeffentlichkeit zur Erschwerung der Wahrheitsermittlung. Wenn einem jugendlichen Angeklagten vor dem Gerichts- geoäude Huldigungen dargebracht werden, wenn seine schülerhaften Gedichte veröffentlicht werden, wenn alles Mögliche Wahre und Unwahre, zusammengetragen wird, wenn einer jugendlichen Zeugin Honorare für „Interviews" an- geboten werden, wenn Bilder und Personalbeschreibungen die Verhandlungsberichte illustrieren, so ist das alles geeignet, besonders jugendliche Personen, seien sie Zeugen oder Angeklagte, zu verwirren und von der Wahrheit abzulenken. Bewußt oder unbewußt dient also der Verhandlungsbericht, der während einer länger dauernden Verhandlung erscheint und von den Beteiligten natürlich gelesen wird, ihrer Beeinflussung und damit der Erschwerung weiterer Wahrheitsermittlung.
Dessen mögen sich unsere Großstadtgerichte bei allen möglichen Skandalprozessen bewußt werden und nach den Erfahrungen dieses Krantz-Prozesses die Oeffentlichkeit „wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung" ausschliehen auf die Gefahr hin, daß die Kriminalstudenten und -studen- tinnen nicht mehr zu ihrer nervenkitzelnden Sensation kommen.
Noch ist das Gericht nach unserer deutschen Auffassung kein Theater, sondern die Stätte ernster Wahrheitsermittlung; zur sittlichen Wiedergebu.: unseres Volks gehört in erster Linie eine auch vom sittlichen Recht getragene Rechtsprechung.
Es geht aber allerdings andererseits auch nicht an, die Ausschlachtung des Skandals in der Presse dam" m entschuldigen oder zu beschönigen, daß das Gericht den Fehler gemacht habe, die Oeffentlichkeit nicht ganz oder teilweise auszuschließen. Die Presse muß sich unter allen Umständen ihrer Verantwortung dem Volk, den Familien gegenüber bewußt bleiben.
Eine Entschließung des Reichsverbands der deutschen Presse
Die Ortsgruppe Berlin des Reichsverbands der deutschen Presse hat folgende Entschließung einstimmig beschlossen: „Der Vezirksverein wendet sich gegen alle Bestrebungen, die aus Anlaß der Gerichtsberichterstattung im Fall Krantz ein Ausnahmegesetz gegen die Presse schaffen wollen. Es wird Sache der Reichsarbeitsgemeinschaft der deutschen Presse sein, auf Grund der in diesem Fall gemachten Erfahrungen die Gewähr dafür zu schaffen, daß nicht durch Strafgesetze, sondern durch das eigene Verantwor- tungsbcmußtsein der Presse eine schädliche Gerichtsberichterstattung ausgeschlossen wird."
Gegen das Urtell im Krantz-Prozeß wird, wie verlautet, weder vom Verteidiger noch vom Staatsanwalt Revision eingelegt werden, was von der Oeffentlichkeit begrüßt werden wird.
Das Jsteigabegesetz
Anerkennung des Privateigentums
Der amerikanische Senat hat den Gesetzentwurf für die Freigabe des beschlagnahmten deutschen Eigentums mit großer Mehrheit angenommen, nachdem das Abgeordnetenhaus sich bereits am 20. Dezember vorigen Jahrs für diese Vorlage mit 223 gegen nur 26 Stimmen eingesetzt hatte. Nach den unerquicklichen Vorgängen bei der entscheidenden Senatssitzung des letzten Kongresses war ein besonderer Optimismus kaum am Platz. Diesmal hat aber offenbar die bessere Einsicht gesiegt, die der Welt ein ähnliches klägliches «Schauspiel wie im vorigen Jahr ersparen wollte. Zudem wurde nachgerade auch denen, die früher eine feindliche oder mindestens zögernde Haltung einnohmen, die Nichterledigung dieser Angelegenheit unangenehm, zumal seit über einem Jahr durch eine amtliche Untersuchung bekannt wurde, daß bei der Verwaltung des deutschen Eigentums schlimme „Unregelmäßigkeiten" oorge- kommen sind. Senator Borah sprich damals von „achtjährigen Versuchen zur Verdeckung der Verschwendung und des Diebstahls der beschlagnahmten Gelder". Es hat auf amerikanischer Seite nicht cm hervorragenden Männern gefehlt, die. immer für die Rückgabe öffentlich eingetreten sind. Aber trotzdem hat es über neun Jahre nach Kriegsende gedauert, ehe diese Frage geregelt wurde. Amerika erkennt durch das verabschiedete Gesetz den Grundsatz des Privateigentums auch dem Krieqsrecht gegen
über an. Das ist gewiß keine Tat, die man in besonders hohen Tönen zu feiern hätte, zumal zur Zeit des Kriegsausbruchs zwischen Deutschland und Amerika ein Ueberein- kommen bestand, welches das Privateigentum im Kriegsfall sicherte. Aber es ist doch ein Verhalten, das sehr vorteilhaft von dem unserer anderen Kriegsgegner absticht. Die anderen Derbands-staaten haben deutsches Eigentum in ihren Ländern einfach beschlagnahmt und „liquidiert". Sie haben es in den großen Topf der deutschen „Entschädi- gungsleistungen geworfen, wo es in den meisten Fällen nur durch einen ganz geringen Teil seines wirklichen Werts zur Geltung kam. Man überließ es dem ausgeraubten Deutschen Reich, die enteigneten Besitzer der beschlagnahmten Vermögen zu entschädigen. Von diesem Hintergrund nackter Gewalt hetü sich das Vorgehen der Vereinigten Staaten in sehr günstigem Licht ab.
Das wirtschaftliche Ergebnis
Bon praktischen Auswirkungen dürfte zunächst wenig zu verspüren sein, denn man kennt die Hindernisse der amerikanischen Formalitäten, die zu überwinden sind, bis überhaupt eine Verrechnung oder Auszahlung der Beträge erwartet werden kann. Stellen, die mit den amerikanischen Verhältnissen gut vertraut sind, schätzen die Dauer der endgültigen Abwicklung aus ein bis zwei Jahre. Außer den hauptsächlichsten deutschen Aktiengesellschaften ist eine gapze Reihe prtqgter Unternehmungen Gläubiger
lagerspiegel
Dr. Stresemann hatte eine weitere Unterredung mit litulescu in Kap Martin.
Der deuffchaationale Reichstagsabaeordnete Universität»- Professor Dr. Hoehsch hielt in Paris einen Vortrag über die deutsche Geschichtsforschung seit Ranke. Die verlautet, wird er eine Unterredung mit Briand haben.
Aus Halle wird gemeldet, daß die Funktionäre der Metallarbeiter mit 52 gegen 4 Stimmen die Wiederaufnahme der Arbeit für Freitag beschlossen haben. Der Lohnkamps sei glänzend verlaufen.
Die albanische Regierung hat den Völkerbund dringend um Hilfe für die Hungersnot leidende Bevölkerung Nord albaniens gebeten.
Von den Dahlen in Japan sind bis seht folgende Zahlen bekannt gegeben worden: konservative Regierungspartei (Senyukai) 53, liberale Opposition (Minseito) K5, Unabhängige 5, nationale Sozialdemokraten (ohne Marxismass 3, Reformpartei 2. Partei der Geschäftsleute 2, halbpartbauern 2. Pächlerpartei 1.
der Vereinigten Staaten und hat gleichfalls mit der Rückvergütung hoher Beträge zu rechnen. Nach dem letzten Jahresbericht des Asien Property Custodian betrug dos gesamte beschlagnahmte deutsche Eigentum am 31. Dez. ^926 etwas über 260 Millionen Dollar. Hiervon wurden . d 179 Millionen Dollar in bar oder Liberty-Bonds »us- gewiesen, der Rest in Aktien, Obligationen, Hypotheken oder Liegenschaften. Inzwischen mag sich der Bestand durch wettere Auszahlungen auf rund 250 Millionen Dollar verringert haben. Rach einer Zusammenstellung des geschästs führenden Vorstandsmitglieds der Abteilung Amerika des Bundes der Auslanddeutschen, Botho Lilienthal, würden sofort oder nach Erledigung der vorgeschrisbenen Formalitäten 80 v. H. des beschlagnahmten deutschen Eigentums mit 200 Millionen Dollar und 50 v. H. der Entschädigungen für Schiffe, Radiostationen und Patente mit SO Millionen Dollar, also insgesamt 250 Millionen Dollar und innerhalb 15 Jahren 20 v. h. des beschlagnahmten deutschen Eigentums mit 50 Millionen Dollar, 50 v. H. der Entschädigungen für Schiffe, Radiostati»nen und Patente mit 50 Millionen Dollar und ausgelaufen« Zinsen vom 4. März 1923 mit 25 Millionen Dollar zurückfließen, sti daß der Gesamtkapitalrückfluß 375 Millionen Dollar betragen dürfte. Diese an sich recht stattliche Summe wird aber vermutlich zum Teil bereits bei den deutschen Unternehmungen mobilisiert sein oder werden, und dann in der Hauptsache zur Abgeltung aufgenommener Amerikaanleihen und Kredite dienen müssen. Durch diese Abgeltmig würde aber immerhin die Z i n s b e l a st u n g Deutschlcmd? erheblich erleichtert, was, wenn auch nicht sofort, so doch späterhin auf den deutschen Geldmarkt nicht ohne Mitwirkung bleiben dtz-ÜL
neueste sto-richteu ,
Das afghamfche Königspaar m Deutschland
Der Empfang in Berlin
Die Stadt Berlin hat reichen Flaggenjchmuck angelegt In der Nacht zum Mittwoch waren die Straßen vom Lehrter Bahnhof bis zum Palais Prinz Albrecht, wo das Königspaar Wohnung nehmen wird, mit der Reichsflagge und der afghanischen Flagge festlich geschmückt worden. Schon lange vor Ankunft des Zuges umsäumten zahlreiche Zuschauer die Feststraßen. Kurz vor der Ankunft des Zuges traf Reichspräsident von Hindenburg aus dem Bahnhof ein. Zur Begrüßung des Königspaares waren ferner anwesend Vizekanzler, Exz. Hergt, in Vertretung des erkrankten Reichskanzlers, die Reichsminister Curtius, Grüner, von Keudell und Koch, in Vertretung des Reichsaußenministers Staatssekretär Dr. von Schubert, ferner de»> Staatssekretär der Reichskanzlei, Dr. Pünder, der preußische Ministerpräsident Dr. Braun, Reichstagspröfidenl Löbs, der Chef der Marineleitung, Admiral Zenker, der Chef der Heeresleitung, General Heye, Oberbürgermeister Dr. Bob n n
lim 11.15 Uhr lief der Sonderzug auf dem Bahnhof ei». Der Reichspräsident hieß den König von Afghanistan willkommen. Hierauf begab sich der Reichspräsident aus den Platz vor dem Bahnhof, wo sich die Mitglieder der afghanischen Kolonie aufgestellt hatten, die das Königspaar lebhaft begrüßten. Im Namen einer islamischen Rekigions- gesellschaft begrüßte die kleine Tochter des türkischen Gene, ralkonsuls die Majestäten und überreichte einen Blumenstrauß. Der König schritt sodann mit dem Herrn Reichspräsidenten die Front der Ehrenkompognie ab. während dn Musik die afghanische Nationalhymne spielte md eine gegenüber aufgefahrene Batterie Salut schoß. Dann führe» die Gäste nach dem Prinz Albrecht-Palais, geleitet von Kavallerie. Im ersten Wagen hatte der König mit dem Herr» Reicbsoräsidenlen Blak genommen, während im zweiter