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Nr. 12 Gegründet 1827 Montag, den 16. Januar 1928 Fernsprecher Nr 29 102. Jahrgang

Tagerspiegel

Reichskagsabgcsrdneker Dr. Mrkh war am 13. Januar iu Paris bei Briand zu Gast.

Washington auf der Anklagebank

Die sechste allamerikanische Konferenz.

Da e,ne Einigung mit den Vereinigten Staaken über der erAfsten Vertrau gegen den Krieg ausgeschlossen erscheint die französische Regierung, wie der »Petit Varifien' meldet, zum Genfer Protokoll zurückkehren. Die Verein!» keu Staaten wollen sich nicht zum Beschüß« des anmockeu- den und händelsüchtigen Frankreich mach«, lassen.

. Dlanillr (Philippinen) wurde ein Dampfer aagehMen. der 40 000 Gewehre aus der halbstaatlichen kschechoslowaki- Ku ^"^^brik in Brünn an Bord hatte. Die Gewehr« hakte der Machthaber in Peking. Tschangtsoliu. aagekauft.

Wemlismus außer dem Leiche

Laut hallt jetzt schon der Wcchlschlachtrus: »Hie Nmtaris- wus, hie FöderÄismus!" Oder, um die unschönen Fremd­wörter zu vermeiden: »Hie Einheitsstaat, hie Bun­desstaat".

Es liegt uns ferne, in diesen Spalten uns in den Streit M mischen. Aber wenn man so dieUnitaristen" hört, so hat es den Schern, als ob es ans der Welt nur Einheits­staaten geben würde, etwa wie Frankreich, England, Italien, Manien u. a. Freilich auch in diesen Einheitsstaaten ist nicht eitel Einheit und Eintracht. Man denke z. B. nur an Katalcmnien, die vielleicht industriell wichtigste spanische Provinz, die aber sich ganz und gar nicht im spanischen Einheitsstaat wohisühkt. Man denke an das 'dreiteilige Süd- fiawien aus den Serben, Slowenen und Kroaten, an die Tschechoslowakei, deren Doppelnamen schon die Zweiteilung kennzeichnet und in deren Staatsbereich mit Tschechen und Slowaken dreieinhalb Millionen Deutsche um Gleichberech­tigung ringen, an Rumänien mit seinem beffarabffchen An­hängsel n. a. Kurz: die vielgepriesene nationale Einheit zeigt, wenn man genauer hinsieht, ganz bedenkliche Risse.

Neben diesen Einheitsstaaten gibt es aber auch aus­gesprochene Bundesstaaten.

Hier nur einige wenige, die uns politisch und wirtschaft­lich näher liegen. Das kleine Oesterreich ist ein Bundes­staat. Dies war es in der Vorkriegszeit. Dies ist es jetzt auch noch gemäß dem Friedensdiktat von St. Germain. Dem Tiroler ist sein Tirol, dem Steierer seine Steiermark heute noch der starke Heimatbegriff, an dem diese Bundes­länder auch dann festhalten werden, wenn sie dem Deut­schen Reich einverleibt würden. Eigentlich ist auch Groß­britannien eine Art Bundesstaat (England, Schottland, Wales).

Und wie ist es in der Schweiz? Hier steigen Leute, -die das. Vertrauen ihrer Mitbürger haben, aus der Ge­meinde über die Kantonsregierung zur Bundesregierung auf. Jeder Kanton hat seine Selbstverwaltung, sogar auf Gebieten, die nach der deutschen Reichsverfassung dem Reich Vorbehalten sind.

Dann das S o w j e t r u ß l a n d! Es ruht auf der Auto­nomie der einzelnen Sowjetrepubliken. Das Ganze nennt sich geradezu denBund der sozialistischen Republiken". Also ein großer Bundesstaat, zu dem der Großrussenstaat (die Russisch-Sozialistische Sowjet-Bundesrepublik"), die Ukraine, der Bund der Transkaukasischen Republiken und Weißrußland als gleichberechtigte Mitglieder, und außerdem in loserem Zusammenhang noch Buchara, Chiwa, die Mon­golei und die Sojotenrepublik Urjancha-i gehören.

Wichtiger für uns aber als alle diese ganz anders ge­lagerten Bundesstaaten wie Sowsetrußland und China und andere asiatischen Staaten ist der Vorgang der Ver­einigten Staaten. Dort geht der Föderalismus so cheit, daß die einzelnen Staaten ihre eigene Gesetzgebung daben. Man hat eingesehen, daß der landwirtschaftliche 't^uden und der industrielle Osten nicht von Washington aus ?^öEn können. Jeder der 48 Staaten, ob groß ^in, hat seine eigenen Häuser, einen Senat und ein avgeordnetenhaus. Seit Abschaffung der Sklaverei hat sich niemals die Zentrale in die Rechte und die Verfassung der inzemen Staaten eingemifcht. Diese Verfassung hat sich » bewährt. Die Bundesregierung in

^ E dem Schulwesen nichts zu tun. Die höheren sind Sache des Einzelstaats. -» eichsfchulgesetz braucht man in Amerika nicht. Auch ! .n vor, daß ein Mann Senator m Washington seine Tätigkeit in Parlament oder egierung fernes Hermatstaates das Vertrauen seiner Mit­bürger gewonnen hat.

wir recht gut, daß ausländische Derfaflungs- V nicht ohne weiteres auf Deutschland übertrage« .6slt aber auch für die Unitaristen mit ihrer Berufung auf Frankreich genau so gut wie für die Föds- bas gleich?*"" ^ dasselbe tun, so ist es noch lärme nicht

Leveste Lachnchka

Der Reichskanzler bei« Reichspräsidenten

Berlin, 14. Jan. Der Herr Reichspräsident enepflnA heute den Reichskanzler Dr. Marx zum Bortrag.

Am 16. Januar wird in Havanira auf Kuba die sechste allamerikanische Konferenz eröffnet, zu der Vertreter aus allen Staaten des amerikanischen Erdteils herbeigeeilt such. Welche Bedeutung man dieser Tagung beiinißt, kann man schon aus der Taffache ermessen, daß der Präsident der Bereinigten Staaten selbst mit seinen Staatssekretären Kellogg und Wilbur an der Spitze einer umfangreichen Abordnung nach Havanna gereist sind. In der Tat ist die Tagesordnung der Konferenz sehr umfangreich und mS Ttrerfftosf überreich geladen.

Bier Streitfragen sind es in der Hauptsache, die d»-n Versöhnungswillen und das Geschick der amerikanische« Diplomatm aus Nord und Süd auf eine horte Probe stelle« werden. Zwischen Argentinien, das bereits eine« entsprechenden Antrag gestellt hat, und dm Vereinigt«« Staaten wird die alte Streitfrage erneut 'durchgepaukt wer» den. ob für Streitigkeiten unter amerikanischen Staat« ganz allgemein der Grundsatz der Schiedsgerichts, darkeit Anwendung zu finden habe, oder ob. nach der Ansicht der Vereinigten Staaten, dieser Grundsatz nur in sol­chen Fällen anzuwenden sei, deren internationaler Tbarakter klar sei und 'deren Gegenstand sich ohne weiteres auch entscheiden lasse.

Panama wird sich mit der im vergangenen Frühjcchr in Washington gefundenen Lösung der Frage, ob die Ver­

einigten Staaten tatsächlich das Recht haben, in der Kanok- zone Handel zu treiben, nicht mehr zufrieden geben, sonder« wird Zurückziehung des amerikanischen Handels aus dies«! Zone fordern. Daneben wird noch von anderen Staat« laemeiusam die Forderung nach Abänderung der Konsular- gepflogenhciten im inneramerikanischen Verkehr «hob« werden.

Bei weitestem die heikelste Frage, die man wohl vev- nreiden möchte, um die man aber nicht herum kommen wird, betrifft das allgemein bestrittene Reckst der Vereinigt« Waat«, irgendwie in die Angelegenheiten ande* rer amerikanischer Staaten ei nzu gr e i fe«. Besondere Entrüstung hat in dieser Beziehung das Vor- gehen der amerikanischen Marinetruppe» in Nikaragua bei der Unterdrückung der Liberalen unter ihrem Präsidenten Sakasa gesunden. Die latei» amerikanische Politik der Bereinigten Staaten wurde «« übrigen Amerika allgemein abgelehnt. Durch die Oper» Äonen der amerikanischen Truppen noch in jünMer ZeK find unliebsame Erinnerungen wochgerufen und kaum ver­narbte Wunden wieder ausgerissen worden. Die ganze Frage und ihre rechtliche Seite wird gegenwärtig von ein« internationalen Juristenkvmmiffion bearbeitet, der« Bericht die Grundlage für die Verhandlungen über dieses Thema bilden wird.

Wer wird Reichswehrminist«?

Berlin» 15. Jan. Die Blätter erörtern lebhaft die Frage, wer als Nachfolger Dr. Gehlers zu berufen sei. Diekom­missarische Vertretung" durch Dr. Marx oder den Reichs- wirffchästsminister Dr. Curtins wird abgelehnt, weil sie den Eindruck desAbwicklungszustands" der Regierung machen würde, der Reichspräsident würde sich M dieser Lö­sung auch nur entschließen, wenn gar kein neuer Mann zu finden wäre. Es wird eine Reibe von Männern vorgeschla­gen, die fast durchweg der Deutschen Volkspartei angehören. DieGermania" (Zentr.) meint aber, es stehe noch keines­wegs fest, daß der neue Reichswehrminister der Deutschen Volkspartei angehören müsse; das Matt weist aus General Grüner hin. Nach derDeutschen Z-itung" soll der Chef des Reichsheers, General Heye, selbst nicht übel Lust ha­ben, Reichswehrminister zu werden. Nach demLokal­anzeiger" soll Dr. Marx für den früheren Reichsinneummi- ster Dr. Külz (Dem.) sein.

DerBerliner Mittag" will wissen. Misch« dem stark linksgerichteten" General Heye und Dr. Äeßler bestehe schon seit einiger Zeit eine starke Verstimmung. Heye bekunde einen hohen persönlichen Ehrgeiz und ein Streben nach den höchsten Stellen, wozu er sich derLinken" zu be­dienen bestrebt sei. Die Verstimmung ziehe sich durchs ganze Reichswehrministerium und habe dort ^ur Bildung einer Heye-Partei" und einerGegen-Heye-Partei" geführt. Es werde sogar befürchtet, daß sich diese Parteibildung auch aus die Offiziere des Reichsheers ausdehne.

Geringe Aussichten für die Länderkonferenz

Berlin, 15. Jan. Der .Jungdeutsche" berichtet, Reichs­kanzler Dr. Marx habe die Länderregierung« dringend ersucht, auf der Konferenz am 16. Januar nicht nur durch die Miniskerpräsidenken, sondern auch durch die Finanz- und Innenmini st er und womöglich durch die Gesandt« verkieken zu sein. Die Aussichten der Konferenz werden in Berlin ungünstig beurteilt. Der bayerische Innen­minister Dr. Stütze! habe ein« Beitrag abgelehnt. Zwi­schen verschieden« Ländern fei vereinbart worden, gewiss« Fragen überhaupt auszuschalten. Bestimmte Vor­schläge für die Neugestalkung des Reichs dürft« etwa von Hessen gemacht werden, das auch gewisse Finanzwünsch« geltend machen werde. Dr. Marx befinde sich in Reber­einstimmung mit Bayern, wenn er eine Neuordnung von unken her wünsche. Die große Mehrzahl der Län­der werde den demokratischen Einheitsstaat a b l e h n e n.

Nach dem demokratischen Zeitungsdienst glaubt man auch im Reichstag, daß das Ergebnis der Länderkonferenz mehr zu Gunsten der Bundesstaatlichkeit als des Einheits­staats aussallen werde.

Die Teilnehmer der Länderkonferenz, etwa 100, sind aus Montag abend zum Reichspräsidenten eingeladen.

Aenderung der Gewerbeordnung

Berlin, 15. Jan. Im Anschluß an die Ende vorig« Jahrs im Reichswirffchaftsministerium abgehalkenen Be- rattmgen mit den Landesregierungen über Aenderung« der Gewerbeordnung wurde in diesen Tagen im Reichswirk- schastsministerium wieder mit den Epihenverbänden der Wirtschaft beraten. Auch diese Beratung führte zu keinem abschließenden Ergebnis. Die Spitzenverdände haben sich eine endgültige Stellungnahme Vorbehalten. Das Reichs- virtschastsministerium wird sich wegen einzelner Fragen noch mit den Fachverbänden ins Benehmen setzen.

Gründung einer deutschen Reformationspartei

Berlin, 15. Jan. In Berlin ist eineDeutsche Refor­mationspartei" gegründet worden. Der von Hofprediger

Döring erlassen« Gründungsausrus wendet sich gegen die Zersplitterung der nationalen Kräfte durch das Parteiwesen and fordert alle bismarckisch gesinnten Deutschen auf, in klarer Erkenntnis des reformatvrischen Vorzeichens der bis­marckisch« Staatsgesinnung dem bisherigen als unzuläng­lich erwiesen« Partei wesen den Abschied zu geben und an die Stelle von 5 und mehr Parteien dieDeutsche Resor- mationspartei" zu setzen.

Das Johannilerkreuz iu Preußen verbot«

Berlin, 15. Jan. Aus eine Anklage derrepublikanisch« Beschwerdestelle", daß Offiziere der preußischen Schutzpoli­zei auf ihrem Uniformrock das Johanniterkreuz tragen, hat der preußische Minister des Innern, Grzesiuski, a»- georün.tt, daß nur noch Kriegsord«, Ehrenzeichen, d« Ret­tungsmedaille und das Sportabzeichen getragen wert»« dürfen.

Der Kampf um Bager»"

Münch«, IS. Jan. Suter der UeberschrfftDer Kampf um Bayern" veröffentlich« die Münchner R. Rochr. ein« Aufruf, der von einer großen Zahl führender Männer aller Kreise unterzeichnet ist. Der Aufruf tritt mit all« Ent­schiedenheit für die Ausrechterhaltuug und Aus­gestaltung des bundesstaatlichen Charak­ters des Reichs ein. Reben den wirtschaftlichen verwaltungsrechtlichen Vorbedingungen für das Gedeih« der Länder könne nur auf dem Weg des BundesstaÄs- gedcMkens die Heiligkeit und nationale Einheit aller Deut­schen gesichert, einer bodenständigen wirklichen Kultur i« ganzen deutschen Volk die Entwicklung ermöglicht und für eine unbegrenzte Heimats- und Vaterlandsliebe all« Deut­schen die Grundlage geschaffen werden. Rur wenn ine bundesstaatliche Art des Reichs gewahrt werde, sei an einen Anschluß Oesterreichs und die Wieder­gewinnung der verlorengegangenen deutschsprachigen Ge­biete und des früheren Ansehens Deutschlands in der Wett zu denken.

Das sinkende Erträgnis von Sohle und Eff«

Duisburg, 15. Jan. In der letzten Sitzung der Rieder- rheinischen Industrie- und Handelskammer Duisburg-Wesel sprach der Vorsitzende, Kommerzienrat Dr. R e u s ch, über den Rückgang der Rentabilität der Schwerindustrie. Die Ursache sei in erster Linie der Lohn- und Arbeitszeitpositik des Reichsarbeitsministers Dr. Brauns zuzuschreiben. Das soziale System des Ministers möge vom rein mensch­lichen Standpunkt aus erstrebenswert sein, er entferne sich aber immer weiter vom wirtschaftlich« Denken und beweise, daß er die Gebote der wirtschaftlichen Lage nicht kenne. Daß auch das Schlichtungswesen den natürlichen Wirtschafts­gesetz« fchr häufig ins Gesicht schlage, sei eine nicht zu be­streitende Taffache. Der Führer der christlichen Gewerk­schaften, Im dusch, sei ganz auf den Klassenkampf eingestellt. Aus sozialem Gebiet werde Deutschland ein« Zwangswirtschaft zugetrieben, unter deren Folg« gerade auch die Arbeiter zu leiden haben werden. Im zwei­ten Merteljahr 1927 haben die Schichttöhne der Bergarbeiter im Ruhrgebiet betragen: für Untertagearbeiter 8.32 Mark, für Uebertagarbeiter 6.92 Mark: zu gleicher Zeit sei« i« ganzen französischen Bergbau bezahlt worden: Untertag­arbeiter 5L1 Mark, Uebertagarbeiter 4.07 Mark. Im Ruhr­gebiet waren demnach die Löhne höher für Uebertagarbeiter um 70 v. H.. für Untertagarbeiter um 51 v. H. In einem Großwerk der rheinisch-westfälisch« Industrie lag im Ok­tober der Durchschnittsstundenverdienst der Schlosser um 78 v. H. über dem der Schlosser in der belgischen Maschinen- mdustrie. Durch die neuen Arbeitsverordnung« des Reichs­arbeitsministers werde der Untersckped noch erweitert. Die