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Nr. »
Begründet 1827
Mittwoch, den 4. Januar 1928
Zernsprecher Nr. LS
102. Jahrgang
Das pMWs Jatze 1S27
Das Jahr 1927 ist zu Ende und man möchte sich Rechenschaft darüber geben, was es außenpolitisch gebracht hat. Das ist dermalen nicht so einfach, denn es fehlt das greifbare Ergebnis, um das unfertige Ergebnisse sich sammeln könnten. Unfertig ist alles, geblieben und wir nehmen alle Aufgaben, womit wir uns im Lauf des Jahres M beschäftigen hatten, ungelöst mit ins neue hinüber. Ein rechtes Jahr des Uebergangs also — wenn ihm denn eine besondere Marke aufgeklebt werden soll.
Gleichwohl ist es nicht an dem, als hätte das Jahr uns über die wichtigsten dieser Fragen nicht zu große Klarheit verholfen. Da ist gleich an erster Stelle die Abrüstung, die — laut Versailler Vertrag — als Folge der deutschen Vorleistung allgemein hätte werden sollen. Wir wissen heute, daß das ein Trug ist, genau so wie die feierliche Zusage, Wilsons 14Punkte sollen die Grundlage der Friedensverhandlungen werden, wenn wir die Waffen niederlegen, ein Trug gewesen ist; ein doppelter sogar, denn weder haben die 14 Punkte mit dem Frieden etwas zu tun gehabt, noch ist über den Frieden verhandelt worden, der wurde uns bekanntlich einfach diktiert. So ist es heute über jeden Zweifel klar, daß das Ziel der anderen, nachdem sie unsere völlige Abrüstung erreicht haben, nicht die allgemeine Abrüstung, sondern größtmöglichste Aufrüstung ist. Wir haben die Tatlache vorerst zur Kenntnis zu nehmen und Folgerungen, die daraus gezogen werden könnten, sind für gelegenere Zeiten zurückzustellen.
An der allgemeinen Aufrüstung, die durch die Welt unserer alten Kriegsgegner ging, haben sich nach und nach drei Gegensätze entzündet, die für die politische Weltlage bestimmend geworden sind und vermutlich aus lange hinaus bestimmend bleiben werden, wenn sie auch zeitweise wieder schlummern. Rußland, das mit seiner Propaganda nach Westen gescheitert war, versuchte die Weltreoolution über China „vorwärts zu treiben", rief dadurch Englands Seemacht aus den Plan, und im englisch-russischen Raufen um die Vorherrschaft im Fernen Osten ging der Versuch, für die 400 Millionen Chinesen einen machkpolitischen Kern zu schassen, um den sich ein neues Staatswesen kristallisieren könnte, in die Brüche. Bestehen blieb der englischrussische Gegensatz mit seinem unentschiedenen Ringen um die Vorherrschaft in Ost-, Mittel- und Westasien. Auf ein engeres Gebiet, auf die Vorherrschaft im Mittelmeer, beschränkt sich der. franz ösisch - i t al ien isch e Gegensatz, der sich am Streit um Tanger und am Streit um Albanien entzündete und der. wie der englisch-russische auch, in der Schwebe bleibt, weil keiner der Beteiligten Luit hat, weder ihn zur Zeit ans?,»tragen, noch die Vorherrsckmst des anderen, auch nur für eine sogenannte Interessensphäre, anzuerkennen.
In gewissem Sinn entschieden dagegen wurde der dritte der Weltgegensätze, der englisch-amerikanische, der im Anschluß an eine der sogenannten Abrüstungs- Konferenzen ausbrach, die erfahrungsgemäß ohne die beabsichtigte praktische Wirkung zu bleiben pflegen. Die Genfer Konferenz war von England zum Scheitern gebracht worden, weil es eine Vorherrschaft oder auch nur Gleichberechtigung der Vereinigten Staaten Kur See nicht anerkennen wollte. Das war als Bluff gemeint, wurde aber von den Amerikanern mit einer so entschiedenen Haltung beantwortet, daß England ohne weiteren Verzug den Rückzug antrat. Damit sind die Vereinigten Staaten von Amerika als erste Macht der Welt zur Zeit unbestritten anerkannt. Und das hat feine besondere Bedeutung auch für uns.
Denn wenn ganz Eurova mehr oder minder von Amerika abhängig geworden ist, so sind wir, seit der Geltung des Dawesvlans, sozusagen unter amerikanischer Vormundschaft. Der Vertrauensmann des amerikanischen Kapitals aber, der Dawesagent, der uns am Gängelband zu halten hat, ist zu der Erkenntnis gekommen: daß die Gesamtsumme des Kriegstributs, den wir noch zu entrichten haben, endlich festgesetzt werden müsse, und daß wir dann versuchsweise wieder auf eigene Füße gestellt werden sollen. Daß er dese Erkenntnis offen ausgesprochen hat, ist sicher im Einverständnis mit seinen Auftraggebern geschehen, und die zehn Zeilen in seinem Rechenschaftsbericht, die das aussprechen, sind für uns vielleicht das bedeutsamste Ereignis des ganzen Jabrs. Bedeutsamer jedenfalls als das alltägliche Parteigezänk Und der hergebrachte Parteischacher, womit wir das aanze Jahr hergebrachtermaßen glaubten aussüllen zu müssen
Nach den amerikanischen Wahlen 1928 also werden wir vielleicht damit zu rechnen haben, daß die endgültiae Festsetzung unseres Kriegstributs — zehn Jahre nach Abschluß des Krieges selbst! — in Angriff genommen wird. Sind wir auf diesen Vorgang einigermaßen zweckmäßig gerüftet? Die einzige Rüstung, die uns noch erlaubt ist, ist die Einheitlichkeit unseres staatlich organisierten Votkswillens, und die braucht uns niemand zu verbieten, die ?erstören wir uns mit äußerster Hingebung immer wieder selbst. Auch im abkaufenden Jahr ist in dieser Beziehung bedeutsames geleistet worden.
Die Rache Trotzkis
Prag. 3. Jan. Für seinen An Schluß aus den Slmitern und der 'Nmnnijtische» Partei rächt sich Trotzt! dadurch, daß er die Zustande in Swvietrußland, besonders in Arbeüerkreisen rar ausländischen Pressevertretern schonungslos enthüll:. So erklärte er einem Vertreter der Prager „Narodni Listy", in Sowjetrußland herrsche eine Diktatur von Einzelpersonen, nicht des Proletariats. Gerade das Proletariat leide am schwersten darunter. Die Zahl der A r b e i t s st u n d e n sei von 9 auf 10 erhöht worden. Dabei zahlen die Fabriken, die staatlich sind, solch geringe Löhne, daß sie nicht einmal zur Befriedigung der allernötigsten Bedürfnisse hinreichen. In keinem Land sei die Lage der Arbeiterklasse so trostlos wie jetzt in Rußland. In Rußland sei heute alles möglich, auch eine Gegenrevolution.
Die Auflösung kirchlichen Eigentums in Polen Warschau, 3. Jan. Die polnische Regierung geht in der Enteignung des evangelischen Kircheneigentums rücksichtslos vor. Neuerdings sollte auch das Diakonissen-Muttsrhaus in Vandsburq ausgelöst werden. Dagegen hat der Vollzugsausschuß des in Bildung begriffenen Rats aller evangelischen Kirchen in Polen an die Regierung die Bitte gerichtet, nnn der Ent-iannna des Mntterb-inl-s abfthen ?" wallen.
In dem Ausschuß sitzen auch drei Nationalpolen. Die Eingabe ist unterzeichnet von den Führern der sechs Kirchen- gemeinschasten Polens, darunter dem Generalsuperintev- denten der unierten evang. Kirche^ l). Blau (Pose«), und dem Generalsuperintendenten der evang.-augsbur» gischen Kirche, Bursche (Warschau). Beide haben sich bisher oft sehr deutschfeindlich betätigt.
Der italienische Waffenschmuggel
Budapest, 3. Jan. Zn der Angelegenheit der Bahnsendung von Maschinengewehren aus Verona stellen sich die ungarischen Zollbehörden auf den Standpunkt: Me Sendung ging von einer ausländischen (italienischen) Firm» und war zur Durchfuhr durch Ungarn bestimmt. Da die für Mafsensendungen erforderliche Durchfuhrerlaubnis der m»- garischen Regierung vorher nicht eingeholt war, sei die Sendung anzuhalten, jedoch nicht von den österreichisch««, sondern von ungarischen Behörden, da die Eiserckahnwagen sich bereits auf ungarischem Gebiet befanden.
Die österreichischen Zollbeamten find auf ihren Post« in Szsnk-Tokthard zurückgekehrt.
Keuesle McheWen
Die Vereidigung der Reichswehr Berlin, 3. Jan. Zum neuen Jahr hat der Reichswehr- minister über die Vereidigung von „Personen, die in die Reichswehr eintreten", eine neue Verordnung herausgebracht. Danach hat für den ganzen Standort bei der Einstellung und Vereidigung der Mannschaften eine gemeinsame Dereidigungsstarade stattzufinden. Die Musik spielt den Präsentiermarsch. Darauf weist der leitende Offizier 4A>f die Bedeutung des Eides, sowie auf die Berufspflichten des deutschen Soldaten hin und hat dann den Mannschaften die folgende Eidesformel vorzuspreihe.n: „Ich schwöre Treue
der Reichsverfassung und gelobe, daß ich cüs tapferer Soldat das Deutsche Reich und seine gesetzmäßigen Einrichtungen jederzeit schützen, 'den Reichspräsidenten und meinen Vorgesetzten Gehorsam leisten will." Die Freiwilligen haben daraus die Hand zu erheben und den Eid laut nachzusprechen. Als Abschluß bringt der kommandierende Offizier ein Hoch auf Las Deutsche Reich aus und die Musik spielt das Deutschlandlied.
Keine Krankenkasse für Reichsbeamle Äerlin, 3. Januar. De: Reichstag hatte am 5. April 1927 in einer Entschließung die Reichsregierung ersucht, die Vorarbeiten für eine einheitliche gesetzliche Krankenkasse für Reichs beamte beschleunigt durchzuführen. Die Reichsiegierung hat nun hierauf folgende Antwort erteilt: Die Prüfung der Angelegenheit hat ergeben, daß eine Krankenkasse für Reichsbeamte nur durch hohe Beiträge des Reichs und der Beamten tragfähig gestaltet werden könnte, und daß durch eine solche die aus dem Gebiet der Beamtenkrankenfürsorge entstandenen Selbsthilfeeinrichtunger. gefährdet werden würden. Die Reichsregierung ist deshalb der Auffassung, daß die Schaffung einer Krankenkasse für Reichsbeamte sich aus finanziellen und beamtenpolitischen Gründen zurzeit nicht empfiehlt, jedenfalls in nähere Erwägung erst gezogen werden kann, wenn bei den bestehenden Beamtenkrankenkassen ausreichende Erfahrungen gesammelt worden sind. Zu einem im wesentlichen gleichen Ergebnis hat auch eine Aussprache mit Vertretern der Beamtenspitzenver- dände geführt, die eine gesetzliche Krankenkasse ablehnen. Die Reichsregierung wird hiernach bis auf weiteres an der Einrichtung der Notstandsbeihilfen sesthalten.
Die Ausführung des Schiedsspruchs ln der Großindustrie Bochum, 3. 3an. Das Arbeitsgericht in Bochum hat auf Antrag des Christlichen- und des Deutschen Metall- arbeikerverbands entschieden, daß der Bochumer Verein und andere Firmen der Großeisenindustrie, die sich weigerten, den Achtstundentag für die unter die Verordnung bzw. den Schiedsspruch fallenden Arbeiter der Großeisen- industrie einzuführen, sofort entsprechend den Bestimmungen des Schiedsspruches die Arbeitszeit festzusetzen haben. Das Gericht erließ dementsprechend eine einstweilige Verfügung.
Württemberg
Stuttgart 3. Januar.
Dienstjubiläum. Der Direktor des Chemischen Unter- suchungsamts der Stadt Stuttgart, Dr. Otto Mezger, feiert heute sein 25jähriges Dienstjubiläum im Dienste der Stadt. Er hat fich um die Rahrungsmi'kkelkonkrolle» besonders um die Milchkontrolle, große Verdienste erworben.
Todesfall. In Cannstatt ist der frühere langjährige Gemeinderat Otto Bessert nach schwerem Leiden gestorben.
Straßenbahn nach Rohr. Der Beitrag zwischen den Stuttgarter Straßenbahnen und der Gemeinde Vaihingen zum Bau einer Straßenbahn in der Rohrer Straße ist nun
mehr abgeschlossen. Man rechnet damit, daß spätestens dis zum Sommer der Ausflugsverkehr auf den Schönbuchrand ausgenommen werden kann.
Der Werkspionage-Prozeh. Zn Sachen der Werkspionage bei den Normawerken ist dis Anklage jetzt der Eröffnungs- Kammer zugestellt worden. Die Verhandlung dürfte jedoch erst im Februar stattfinden. Die Voruntersuchung erstreckte sich im ganzen auf 13 Personen, doch wurde nicht gegen alle Anklage erhoben. Da keine Verdunkelungsgefahr mehr vorliegt, wurden die Beteiligten bis auf den Ingenieur Karrer aus der Untersuchungshaft entlasten. Der in Cannstatt in dieser Angelegenheit verurteilte Hahn hat Berufung eingelegt, dagegen hat der gleichfalls verurteilte Ingenieur Kohl seine Strafe von 2)4 Jahren Zuchthaus in Ludwigsburg angekreten.
Mord. Am Montag abend hat der in der Wilhelm-Blos- straße wohnende 48 I. o. Schreiner Albert Schiefer nach einem Wortwechsel aus Eifersucht seiner 39 I. a. Ehefrau zwei Stiche in die Halsseite versetzt, an deren Folgen sie nach wenigen Augenblicken verstarb. Der Täter ging zunächst flüchtig, konnte aber gegen Morgen, als er in seine Wohnung zurückkehrte, verhaftet werden. Er ist geständig.
Stuttgart, 3. Jan. Staatsprüfung im Maschine n i n g e n i e u r f a ch. Bei der im Herbst 1927 abqehal- tenen Staatsprüfung im Maschineningenieurfach einschließlich Elektrotechnik sind zwei Prüflinge für befähigt erklärt worden. Sie haben die Bezeichnung „Regierungsbaumeister" erhalten.
Der Landlag wird am 10. Januar ds. Js. seine Vollsitzungen wieder aufnehmen.
Dienstfreier Tag. Zur Ersparung von Brennstoffen hat das Staatsministerium bestimmt, daß die Kanzleien am 7. Januar 1928, der zwischen zwei dienstfreien Tagen liegt, geschlossen bleiben.
Aus dem Lande
Hohenheim, 3. Januar. Todesfall. Hier ist der im Ruhestand lebende 75 Jahre alte Pfarrei a. D. Paul Matter gestorben. Er stammte aus Pommern, hatte in Tübingen studiert und stand bis zu seinem 50. Lebensjahre im württen.bergischen Küchendienst.
Siudelfingen, 3. Jan. Landesverdandstagung und Ausstellung der Geflügel- und Vogel- schutzvereine. Die Vorbereitungen für die am 21. und 22. Januar ds. Js. im Stadt. Saalbau und der anstoßenden Turnhalle stattfindende 37. Landesverbandsausstellung der Geflügel- und Vogelschut-nereine für Württemberg und Hohenzollern sind in vollem Gang.
Winnenden, 3. Jan. Zeitungsjubiläum. Das Amtsblatt für die Stadt Winnenden, das „Volks- und Anzeigeblatt" kann in diesem Jabr auf ein 80jähriges Bestehen zurückblicken. Die erste Nummer wurde am 1. Oktober 1848 zum ersten Mal ausgegeben. Unter der Leitung der Herren Kreh und Huß hat das Blatt in den letzten Jahren einen kräftigen Aufschwung genommen
Nürtingen. 3 Jan. Ueble Folgendes Ne u - iadrsschießens. In Oberbohingen wurde beim Reujahrsschietzen mit einem Böller einem 20jähr gen Mann der rechte Vordersuß zerrissen, was seine alsbaldige Ueberfüb- runa ins Plochinger Krankenhaus notwendig machte. — än Altdorf Kak sich ein 20 I. a. leb. Schlosser infolge vorzeitigen Losgehens eines Böllerschusses derartige Gssichtsverletzungen zugezogen, daß er mit dem SanitStsanto in die Klinik nach Tübingen ÜbergefShrt werden mußte.
Tübingen. 3. San. Spende. Oberbürgermeister Scheef hat aus den Tag seiner Amtseinsetzung für die dürftigen der Stadt den Betrag von 500 °4t gespendet und dem Wohlfahrtsamt «ir Verwendung übergeben.