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Nr. 240

Gegründet 1887

Freitag, den 14. Oktober 1927

Fernsprech« Nr. 29

191. Jahrgang

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Die polnische Anleihe in Neuyork im Nennbetrag von 72 Millionen Dollar ist nach Verhandlungen, die drei Viertel­jahre dauerten, zustande gekommen, aber unter Bedingungen, wie sie von Geldgebern selten einmal gestellt wurden und die für Polen äußer st demütigend sind. Die Anleihe ist mit 7 v H. zu verzinsen. Der Ausgabekurs beträgt 92 n. H. (die amerikanischen Bankiers wollten anfangs sogar nur 89 v. H. zugeskehen), die Anleihe muß zu 103 v. H. zu­rückbezahlt werden: die Vergütung an die Banken beträgt 5 vom Tausend. Polen muß einen Vertreter der Banken in die Verwaltung der polnischen Staatsbank aufnehmen, der nicht nur die Geldverwaltung, sondern namentlich die Staaksausgaben, soweit sie aus der Anleihe bestritten wer­den, zu überwachen hat. Polen steht also fortan unter der Finanzaufsicht der amerikanischen Ban­kiers. Dem polnischen Staat wurde ferner vertraglich vor geschrieben, wie er für die Tilgung zu sorgen habe. Die Zock einnahmen sind den Banken verpfändet: es ist ein Abzah­lungsgrundstock anzusammeln, in den zunächst 4 v. H. der Rückkaufssumme einzuzahlen Md; alle vier Jahre wachsen die Aückzahlungsraken um ein halbes Prozent, so daß also in 20 Jahren die Rückkaufssumme vollständig angesammelk wäre. Die weiteren Sicherungs- und Ueberwachungsmaß- nabrneir wurden nickt bekannkaeaeben. .

Volen ersckeint älio den amerikanischen Geldgebern es handelt sich um die Finanzgruppe Blair u. Co. nicht kreditwürdig, einerseits wegen der augenblick­lichen wirtschaftlichen Lage des Landes, andererseits aus politischen Gründen, denn mit Recht wird Polen als der Unruheherd in Osteuropa bezeichnet. Dem enlsorechen die Bedingungen. Der polnische N a t i o n a l st o lz hat also eine schwere Niederlage erlitten. Es würde wahrscheinlich leichtere Bedingungen erzielt haben, wenn es sich hätte angelegen sein lassen, zu Deutschland in bessere politische und wirtschaftliche Beziehungen zu kommen. Po­lens Widerstand z. B. gegen die berechtigten Forderungen Deutschlands bei den Verhandlungen über den Handelsver­trag haben die Amerikaner m>t d>"" rich "an mehreren Prozent beim Ausgabekurs der Anleihe quittiert, Polen kann sich danach, wenn es den Ausgobekurs seiner neuen Anleihe mit dem vergleicht, zu dem andere Staaten An­leihen bekommen, fast genan bis auf den Dollar ausrechnen, was ihm sein gehässiger Widerstand gegen Deutschland ge­kostet hat. Vermutlich ist sogar bei der Gewährung der Anleihe die Voraussetzung gemacht worden, daß Polen Zu­sagen mußte, endlich mit Deutschland auf handelspolitischem Gebiet ins reine zu kommen.

Tagesspiegel

Der Reichskanzler ist wieder in Berlin eingekroffen und gab ein Essen zu Ehren des Internationalen Arbeitsamts.

Der haupkvorsiand der Deutschen Volkspariei wird aus 21. November nach Braunschweig zur Beratung des Schul­gesetzes einberufen.

Die litauische Regierung hat gegen die Ausweisung uni sonstige Bedrückung von Litauern im Mlnaer Gebiet durch Polen beim Völkerbund Beschwerde erhoben..

Unlust am Msenspiel

Seit mehreren Monaten bereits beobachtet man eine aus­gesprochene Zurückhaltung des großen Publikums der klei­neren und mittleren Kavitalseigner gegenüber dem Markt der Börsenwerte, insbesondere dem Aktienmarkt. Nach wie vor besteht in Deutschland eine schwer empfundene Kapital- knappheit. Dis Neubildung von Kapitalien aus unverbrauch­ten Einkommensüberschüssen und aus besonderen Produk­tionsgewinnen geht langsamer vor sich, als zu erwarten war. Das liegt teils an den hohen Steuern, teils auch an dem gestiegenen Aufwand, der sich sowohl aus der vermin­derten Kaufkraft des Geldes als auch aus den zahlreichen neuen Verbraucheransprüchen der Gegenwart Auto, Radio,Weekend", Sportbetrieb in allen Formen, Mode­luxus herleitet. Jedenfalls genügt die Neuschaffung von freiem Kapital für Anlagezwecke dem heimischen Kapital­bedarf bei weitem nicht. Die Tatsache, daß das verfügbare Kapital dem Aktienwesen in ungenügendem Umfange zu- Pleitet wird, hat zunächst eine wirtschaftliche Ursache. Durch die Erfahrungen der Inflation belehrt, hat man allgemein Feschäftlich praktischer denken gelernt. Der Kaufmann, der heute etwas Kapital erübrigt, steckt es am liebsten in den eigenen Betrieb; nur in flaueren Zeiten schafft er seine un­beschäftigten Gelder auf die Bank und die Sparkasse oder legt sie vorübergehend in Effekten an. Die Sparer, die nicht selbst Geschäftsleute sind, suchen heute doch, sobald ihnen größere Beträge zur Verfügung stehen, Möglichkeiten un­mittelbarer geschäftlichen Anlage, wie etwa Beteiligungen an den Unternehmungen von Verwandten und Bekannten, um dabei eine Kontrolle über die Verwendung des Gelds ausüben zu können und höheren Gewinn zu erzielen als bei anderweitiger Anlage. Und so entsteht die Erscheinung, daß in einer Zeit der Konjunkturbelebung, wie gegenwärtig, das Interesse am einfachen Sparen oder an Effektenkäufen sich vermindert, weil allenthalben gut beschäftigte Erwerbs­betriebe auf der Suche nach Geldern sind und dafür meist günstige Gewinne in Aussicht stellen. Das bezieht sich be­greiflicherweise in allererster Linie und in ganz besonderem Maße auf die Dispositionen von Kapitalseignern, die selber ein Geschäftsunternehmen besitzen. Man finanziert natür- li- m liebsten sich selbst.

andererseits kann man wohl fast von einer Vertrauens­krise des Aktienmarkts sprechen. Dqs große Publikum ist als Aktienkäufer unentbehrlich. Dennoch ist es von den Großbanken und Großaktionären im Lauf der letzten Jahre vielfach in einer nicht befriedigenden Weise behandelt wor­den. Die Folgen liegen nunmehr klar zutage. Warum hält sich der kleinere und mittlere Kapitalsanleger vom Aktien­markt zurück? Vor allem deshalb, weil seine Interessen keine angemessene Vertretung finden. Das große Wort in Aufsichtsräten und Generalversammlungen sprechen die Be­sitzer der Majoritätsaktienpakete, oft, wenn auch nicht immer, mit den Großbanken identisch. Der kleinere und mittlere Aktionär, der für sein Geld eine dauernde, solide, rentable Kapitalsanlage sucht, verlangt eine Gesell­schafts Politik, die den gesunden Mittelweg zwischen Divi­dendenwünschen und Reservestärkung darstellt, und die dem Aktionär auch die Möglichkeit zur Beteiligung an Kapitals­erhöhungen bietet. Von solcher Politik unterscheidet sich die Praxis nicht weniger Gesellschaften recht wesentlich. Enorme Vergütungen an Aufsichtstatsmitglieder, die in der Regel die Hauptaktionäre sind, verkürzen den Gewinnanteil der von Auffichtsratsposten natürlich ausgeschlossenen Mittel­und Kleinaktionäre. Anderswo wiederum speichert man die Ueberschüsse, anstatt sie zu verteilen, übermäßig auf, was zwar der Großaktionär wohl als Vorteil für die Stärkung seines Besitzes verbuchen kann, was aber in die Rechnung der kleineren Anteilsinhaber ein böses Loch reißt, die zur Ergänzung ihres Einkommens den regelmäßigen Kapi­talsertrag ihrer Aktien nicht entbehren können. Ein ganz trübes Kapitel ist die Gestaltung der B e zu g s r e cht e, die pst geradezu auf eine geflissentliche Umgehung und Schädi­gung der Kleinaktionäre hinausläuft. Der Unfug der Mehr- siimmen-Aktien ist zwar etwas abgeflaut; dafür aber hat man das nicht minder raffinierte System der Vorrats­aktien ausgebaut, die im rechten Augenblick den rechten Emissionsgewinn immer schon der rechten Stelle zu sichern wissen. Vollends unbehaglich wird die Sache für den Klein- und Mittelaktionär, wenn zwei Gruppen rivalisierender Großaktionäre einander in die Haare geraten. Dann fragt überhaupt keine Stimme mehr nach k - bescheidenen Leu­ten, die in den Aktien der betreffenden E ftllschaft sichere Anlage ihres Golds suchten. Rücksichtslos werden dann Kurssprünge auf und ab gemacht und alle möglichen Manö­ver mit Dividenden und Bezugsrechten vorgenommen, was

dann nicht selten in einem Friedensschluß derGroßen" endet, der in der Regel dieKleinen" völlig kaltstellt.

Kein Wunder, wenn das Publikum bei solchen Erschei­nungen im deutschen Aktienwesen die Lust an Börsenwerteu verliert. Man fühlt sich ja doch immer als der Letzte,den die Hunde beißen".

Neueste Nachrichken

Das Reichsschulgesctz in den Reichsraksausschüsfen Berlin, 13. Okt. Die zweite Lesung des Reichsschulgesetzes in den Ausschüssen des Reichsräts hat eine wesent­liche Veränderung insofern gebracht, als nicht nur die Abänderungsanträge der preußichen Regierung, sondern auch eine Reihe noch weiter gehender Anträge Sachsens und einiger kleinerer Länder angenommen worden sind. Es handelt sich hie bei vor allem um eine schärfere Fassung der Vorschrift, wonach die Gemeinschaftsschule als Regel schule gelten soll und ferner um die Streichung des kirchlichen Aufsichtsrechts über den Reli­gionsunterricht. Angenommen wurde ferner ein radikaler Antrag Sachsens, daß die Gemeinschaftsschule er­höhten Schutz genießen solle, doch dürfte dieser Antrag in der Vollversammlung des Reichsrats am Freitag nicht durchdringen. Eine von den süddeutschen Ländern beabsichtigte Beantragung der Wiederherstellung der Regie­rungsvorlage hat nach Ansicht der Blätter keine Aussicht auf Annahme in der Vollversammlung. Man glaubt, daß eine Doppelvorlage dem Reichstag übergeben werde.

Die Frage des Finanzausgleichs Berlin, 13. Okt. Der Reichsrat har sich in seiner heutigen Sitzung mit den Abänderungsanträgen der Ländervertreter zum Finanzausgleichsgesetze beschäftigt. Preußen soll ent­schlossen sein, sich dem bayrischen Vorschlag, die Einkommen­steueranteile der Länder von 75 auf 80 Prozent zu erhöhen, anzuschließen. Die Annahme des Antrags gilt als gesichert.

Heute nachmittag fand in Gegenwart des Reichskanzlers ein Ministerrat statt, der sich mit den Fragen der Besol­dungsreform beschäftigte.

Vom internationalen Arbeitsamt Berlin, 13. Okt. Der Verwaltungsrat des Internatio­nalen Arbeitsamts hat beschlossen, die Tagesordnung von 1928 auf die zweite Beratung der Ermittlung der Mindest­löhne und auf die erste Beratung der Frage der Unfallver­sicherung zu beschränken.

Unterstützte Erwerbslose am 1. Oktober 1927 Berlin, 13. Okt. In der zweiten Septemberhälfte ist die Zahl der männlichen Hauptunterstützungsempfänger von 303 000 auf 286 000 z u ck g e g a n g e n, die der weib­lichen von 78 000 auf 69 000. Die Gesamtzahl ist von 381 000 auf 355 000 zurückgegangen. Der Gesamtrückgang beträgt also rund 26 000 gleich 6,8 v. H. Die Zahl der Zuschlags­empfänger (unterstützungsberechtigte Familienangehörige) hat sich im gleichen Zeitraum von 426 000 auf 406 000 vermindert. Der Gesamtrückgang in der Zahl der Hauptunterstützungsemvfänger im September beträgt rund 49 000 gleich 12,1 v. H. Ueber die Krisenfürsorge liegt eine neuere Zahl nicht vor.

Zu den Lohnforderungen im Ruhrbergbau EHen. 13. Okt. Von bergbaulicher Seite wird mitgeteilt, daß die bisher geltende Lohnregelung frühestens am 1. April 1928 gekündigt werden könne. Die Ruhrzechen brauchten die bisher stets abgelehnte Preiserhöhung für Kohle um 7)4 v. H., um bei den bisherigen Bergarbeiterlöhnen ohne Verlust arbeiten zu können. Unter diesen Umständen könne von einer neuen Lohnerhöhung nicht die Rede sein.

Der nordisch-barbarische Parlamentarismus Rom, 13. Okt. Die faszistischen Blätter begrüßen die Er­öffnung der Nationalversammlung, des Antiparlamento", als ein Verdienst Primo de Riveras um die Wiedergeburt der lateinischen Staaten und als ihreBefreiung aus dem nordisch-barbarischen Parlamentarismus". Bis vor drei Jahren, als Mussolini Herr in Italien wurde, blühte aber dieserbarbarische" Parlamentarismus von altersher nir- gens mehr als in densüdisch-lateinischen" Ländern!

Der amerikanische Arbeiterverdand für ine Zulassung von

Bier

Los Angeles, 13. Okt. Ans dem Kongreß des amercka- Nischen Arbeiterverbands wurde unter lebhaftem Beifall eine Entschließung angenommen, in der die Wiederzulassung eines Gesundheitsbieres von 2,75 Prozent Alkoholgehatt gefordert wird.

Die Solomon-Inseln im Aufruhr Sydney, 13. Okt. Nach den neuen Funkmeldungen be­findet sich die ganze Eingeborenenbevölkerung der Salomon- Jnseln in Hellem Aufruhr. Die Insulaner sind durch di« neuein geführte Kopfsteuer empört und weigern sich, sie zu bezahlen. Die wenigen auf den Inseln lebenden Weißen sind schwer gefährdet. Die Polizei ist schwach und besteht nur aus Eingeborenen. Das australische Marinetransportschiff Biloela" wurde mit einer Ladung Stachelüraht nach de» Inseln gesandt.

Beduinenüberfälle

Jerusalem, 13. Okt. Ein Beduinenstamm, oer nn Eüd- teil von Französisch-Syrien ein Lager bezogen hat, unter­nimmt Streifzüge an der Grenze von Palästina, in deren Verlauf mehrere Dorfbewohner getötet oder verwundet wurden.

Württemberg

Beisetzung der Herzogin Philipp

Allshausen OA. Saulgau, 13. Okt. Am Dienstag nach, mittag um 4 Ahr traf der Sarkophag mik der Leiche der Herzogin Maria Theresia, Witwe des Herzogs Vhilipp von Württemberg, von Tübingen hier ein. Der Sarg wurde unker Glockengeläuts in die Kirche überführl unter Borankritt des Erzabks von Beuron Dr. Walzer. Herzog Albrechk von Württemberg und die her­zogliche Familie folgten ihm. Der Erzabt nahm die Ein­segnung der Leiche vor- Umgeben von einer Ehrenwach« ruhte die Verstorbene bis zu ihrer Beisetzung in der Kirche. Die Beisetzung in der Familiengruft unter der Schloßkirchs fand am Mittwoch nachm. 3 Uhr statt. Unter dem Trauer­gefolge bemerkte man neben der herzoglichen Familie, den Herzogen Albrechk, Roberk, Ulrich, Philipp Albrechk, Albrechk Engen, Pater Odo, Herzogin Maria und Margarete, den Stellvertreter der Königin Charlotte von Württemberg, die in Böhmen weilt, Herzog, Herzogin und Prinzessin von Ealabrien. die Fürsten von Quadt-Jsny, Waldburg-Molseag, Waldburg-Zer l, die Gra­fen von Rech der g, Maldburg-Hobenenn, - niosegg-Aulendorf, Neivpcr q-S 6, waigern. sämtliche mit ibren Gemoblinnen. Nach der Einsegnung der Leiche durch Bischof Dr. Sproll bewegte sich der Leichen- zna über den Schloßplatz, wo die herzoglichen Beamten, die Schulen und die Ortsvereine Spalier standen, zur Gruft. Äer Sarg wurde von vier Förstern und sechs Lakaien ge- getraaen. Unter den zahlreichen Kränzen befand sich anck ein Kranz Kaiser Wilhelms II. und seiner Gemahlin, fer­ner des Grobberzoas von Baden »nd der Vrinrellin Io-