Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
Freilag, 16. September 1V27
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Gemeinderatssitzung
Voranschlag 1927 / Gemeindenmlage 26°/° Bür
Anwesend: Der Vorsitzende und 13 Gemeinderäte.
Abwesend: Die Gemeinderäte W. Harr, G. Harr und Schraeder.
Mitteilungen : Von der Kinderrettungsanstalt Stammheim liegt ein Dankschreiben für die Jubiläumsspende vor. Die Anstalt hat dabei die Festschrift über 100 Jahre Kinder- rettungsanstall überreicht. Von einer öffentlichen Versammlung des Nagoldbahnausschuffes liegt Einladung auf Freitag, den 30. September 1927, nachm. 3Vr Uhr, in dem Bürgerausschuß- saal des Rathauses in Pforzheim vor. Die Versammlung wird von der Stadtverwaltung und dem Gewerbeverein beschickt — Frau Martini z. .Waldhorn" hat ihren Wirtschaftssaal vergrößert und bittet um Ausdehnung der Konzession. Das Gesuch wird dem Oberamt befürwortend vorgelegt.
Kreuzertalbach-Korrektion. Bekanntgegeben wird das Gutachten des Baurats Großjohann über die Hoch- wafferkatastropfe vom 5. Mai ds. Js. im Gebiet des Kreuzertalbaches, über die Ursachen der Katastrophe und die Maß nahmen zur schadlosen Abführung der Hochwasser. Das Gutachten koinmt zusammengefaßt zu dem Ergebnis, von der Durch- laßausmündung bis zur korrigierten Waldach einen, teils geschloffenen, teils offenen Kanal mit entsprechenden Querschnitten zu führen. Von. dem gründlichen Gutachten nimmt der Gemeinderat mit Interesse Kenntnis. Eine Stellungnahme erübrigt sich zunächst bis das staatliche Abwafferami das Projekt im Zusammenhang mit mit dem städt. Kanalisationsplan mei- terbearbeitet hat. Es ist Vorsorge getroffen, daß das Projekt im Zusammenhang mit dem großen Flußkorrektionsunlernehmen bleibt.
Fortsetzung und Abschluß der Boranschlagsberatung für 1927: An Hand des den Mitgliedern vorliegenden Entwurfs wurde in der Gemeinderatssitzung vom 7. ds. Mts. der Boranschlag des Stadthaushalts für das Rechnungsjahr 1927 beraten. Die Beratung wird in der heutigen Sitzung zum Abschluß gebracht. Unter Berücksichtigung des Abmangels vom Rechnungsjahr 1926 mit 20 080 der in der Hauptsache durch die Ausführung von Notstandsarbeiten für die Erwerbslosen entstanden ist, betragen die lim Vorjahr)
Gesamtausgaben 453 820 377 402
und die Gesamteinnahmen 232 820 203 850
sodaß sich ein Abmangel von 221000 ^ 173 552 ^
ergibt.
Der Voranschlag zeigt kein anderes Bild, als wie es sich in fast allen kleineren Städten und Gemeinden des Landes in diesen Jahren zwangsläufig ergibt. Aus der einen Seite Minderung der Einnahmen, (Rückgang der Ueberweisungssteuern an Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteueravteilen, Senkung der Grunderwerdfteuer und Aufhebung der Getränkesteuer mit Belastung der Biersteuer, Rückgang des Reinertrags des Stadtwalds) und auf der anderen Seite unaufhaltsames Steigen der Ausgaben (Straßenlasten, Schullasten, Fürsorgelasten, Amtsschaden, allgemeine Verwaltung usw.). Dazu kommt in Nagold Heuer ganz besonders der Schaden von etwa 80000 ^ (30000 Schuldaufnahme und 30000 ^ im laufenden Etat), den das Hochwasser vom 3. Mai ds. 2s. allein dem städt. Haushalt verursacht hat.
Im Vergleich zu 1913 betragen heute die Aufwendungen:
As Schulen 88 243 ^ (gegenüber 1913 40 389 ^), auf Straßen, Wege und Kanäle 83 000 (24423 ,^t), allgemeine Verwaltung 68 100 (27 090 ^i!), Amtsschaden 55 000 (21 000
Mrsorgewesen 12 000 ^ (2 300 ^), während die Einnahmen aus dem Vermögen (Wald, Güter und Gebäude) nur 80 050 betragen, gegenüber dem Jahre 1913 mit 76176
Daß die Gemeinden beim heutigen Steuersystem am schlechtesten weggekommen sind, beweisen die statistischen Feststellungen des Statistischen Amts des Deutschen Reiches, wonach seit 1913 die Steuern des Reiches um das 4fache, der Länder um das Sfache und der Städte und Gemeinden um das 2fache gegenüber dem Frieden zugenommen haben. Das sind Tatsachen, die weder Reich noch Länder wegdisputieren können. Aber auch nicht die großen Städte mit ihren starken Industriebetrieben und großen Steuereinnahmen leiden heute am meisten, sondern die kleineren Äädte, die schwächere Steuerkräfte haben, aber als Kultur- mttelpunkte für eine engere oder weitere Umgebung — man denke nur an die Unterhaltung der Schulen und Straßen — außerordentlich hohe Aufwendungen machen müssen. Das beweisen auch die Kundgebungen dieser kleineren Städte wie Calw, Neuenbürg, Freudenstadt, Oberndorf, Leutkirch usw. Wir möchten deshalb an die hohe Staatsregierung und den Landtag die dringende Bitte stellen, in erster Linie auf dem Gebiet der Stras- senlasten (Etterstrecken von Staatsstraßen und Vizinalstraßen) aber auch bei den Schul- und Fürsorgelasten eine fühlbare Entlastung der Gemeinden eintreten lassen zu wollen.
Den Abmangel von 221000 wird beschlossen, wie folgt zu decken:
durch 20 Prozent Umlage auf das Grund-, Gebäude-, und Gewerbekataster von schätzungsweise 650000 — 130000
Das Gewerbekataster ist zwar noch nicht festgestellt; es ist aber mit keinem höheren Betrag als im Vorjahr zu rechnen, eher mit einem niederen.
vom 14. September
k>errmtze« ausgesetzt 2 ,° »ige Mietziaserhöhung
Die Umlage im Vorjahr betrug 17«/,, der Staat hat vom 1. April 1927 ab seine Steuer von 7 auf 5°/, ermäßigt, so daß die Mehrumlage tatsächlich 1«/, beträgt. Leider entspricht eine Umlage von 20°/„ dem Durchschnitt der kleineren Städte des Landes. Städte wie Calw. Neuenbürg, Freudenstadt, Altensteig, Rottweil, Oberndorf u. a. erheben denselben oder einen noch höheren Umlagesatz.
Ferner wird gebeten:
a) um einen Beitrag der Amtskörperschaft zu den Hochwasserschäden ;
b) um einen Staatsbeitrag zu den Schulgehalten;
o) um einen Staatsbeitrag zur Unterhaltung der Etterstrecken
von Staatsstraßen;
ck) um einen Beitrag aus dem Ausgleichsstock.
Der dann noch verbleibende Rest ist durch Schuldaufnahme zu decken.
De« waldbesitzenden Gemeinden ist es besonders schwer gemacht, aus dem Ausgleichsstock etwas zu erhalten, auch wenn ne noch so notleidend sind. Wir müssen aber bei einer 20«/,igen Umlage und bei dem großen Hochwasserschaden von der Hoch- wafferkatastrophe vom 5. Mai ds. Js. alles daransetzen, um zur Deckung des verbleibenden ungedeckten Abmangels von 91000 einen möglichst hohen Beitrag aus dem Ausgleichs- üock zu erhalten. Solange nicht alle Gemeindesteuern ausgeschöpft sind und insolange eine Gemeinde Bürgerholzgabe verteilt, zeigt der Steueroerteilungsausschuß keinerlei Gebe- sreudigkeit. Solange der Zustand des Stadtwalds so unbefrie- oigend ist, und die Stadt gezwungen ist, 20 oder mehr «/, Umlage zu erheben, kann es schlechterdings nicht mehr verantwortet werden, aus öffentlichen Mitteln Bürgerholz und Geldgaben zu verteilen. Es wurde deshalb beschlossen, die Verteilung der Bürgerholzgabe mit 100 Wellen bezw. 50 Wellen und 7 Geldentschädiguug solange auszusetzen, bis sich die finanzielle Lage der Stadt wesentlich und dauernd gebessert hat; sei es von innen heraus durch Steigerung des Rein-Ertrags des Waldes oder von außen herein durch einen besseren Finanzausgleich zwischen Land und Gemeinden. Mit dem Wegfall der Bürgerholzgaben fallen auch die Brennholzleistungen an die Gemeinde 2selshausen bezw. an deren Bürger und zwar 61 Rmtr. Brennholz und 668 gebundene Wellen. Durch die große Abhängigkeit vom Staat sind wir gezwungen, diese einschneidende und unpopuläre Maßnahme zu treffen. Wenn die Beiträge aus dem Schul- und Straßenrands, aber vor allem aus dem Ausgleichsstock wider Erwarten nicht entsprechend ausfallen oder die Verhältnisse sich ändern, so ist die Stadt immer wieder in der Lage, erneut zur Frage Stellung zu nehmen. Wenn wir aber diesen Schritt nicht tun, so haben wir trotz unserer Hochwasserschäden und trotz der hohen Umlage aus dem Ausgleichsstock nichts oder nur einen geringen Beitrag zu erwarten. Der Bürgernutzen hat übrigens bei der heutigen Stellung der Gemeinden im Staat und im Reich nicht mehr die Bedeutung wie früher. Die Fürsorge ist heute ganz anders ausgebaut als früher. Zu der gehobenen Fürsorge der Sozial- und Kleinrentner, der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen, der Minderjährigen- und Wöchnerinnen- iürsorge leistet der Staat 25«/, Beitrag, zum Bürgernutzen natürlich nichts. 191 Bürger von 620 haben sich in der Inflationszeit mit Goldmarkbeträgen von 1 Psg. bis 1 eingekauft. Es ist ein Unrecht, daß diese mit diesem geringfügigen Einstandsgeld am Bürgernutzen teilnehmen. Auch Städte wie Freudenstadt, Leutkirch u. a. haben in diesem Jahr den Bürgernutzen aus denselben Gründen aufgehoben.
Natürlich muß den notleidenden Bevölkerungsschichten auf dem Wege der Fürsorge eine entsprechende Unterstützung zuteil werden.
Der Gemeinderat hat es gewiß nicht leicht genommen, eine altehrwürdtge Einrichtung, wenn auch nur vorübergehend, außer Wirkung zu setzen und er hat sich nur im vollen Bewußtsein seiner Verantwortung gegenüber der Gesamtheit und nur unter dem Zwang der Verhältnisse dazu entschlossen.
Die Erhöhung der Umlage um 3°/<> hat die weitere Folge, daß sich der Mietzins um «, 4 «/, für jeden Prozent Umlageerhöhung also um 2V«o/g erhöht. Die Mieter sind zur Nachzahlung dieses Betrags ab 1 . 4. 27 gesetzlich verpflichtet.
Letzte Nachrichten
Noch kein Abschluß der Beratungen über die Befoldungsreform
Berlin» 16. Sept. Die gestrige Nachmittagsfitzung des Reichskabinetts dauerte bis in die späten Abendstunden. Wie verlautet, hat eine abschließende Beratung der Beamtenbesoldungsoorlage noch nicht erfolgen können, sodaß mit einer Fortsetzung der Beratung für morgen bezw. einem der nächsten Tage zu rechnen ist.
Parker Gilbert berichtet über den Dawes-Plau New-Pork, 16. Sept. Der Reparationsagent Parker Gilberts erstattete dem Präsidenten Coolidge und Staats- sekrerär Mellon Bericht über den Dawes-Plan, wobei er ein optimistisches Bild über die Arbeiten des Dawesplans entwickelte, das in starkem Gegensatz zu der Ansicht hervorragender Wirtschaftssachverständiger steht.
Die erste Sitzung des neuen Bölkerbundsrates Genf, 16. Sept. Der gestern neugewählte Völkerbundsrat tritt am Samstag zu seiner ersten Sitzung zusammen. Es besteht die Absicht, den bisherigen Präsidenten Villegas zum Präsidenten der am Samstag beginnenden neuen Ratssession wiederzuwählen, obwohl der geschäftsordnungsmäßigen Reihenfolge nach China den Vorsitz im Rat übernehmen müßte. Auf der Tagesordnung der Samstagssitzung stehen die beiden heute vertagten Danziger Fragen sowie der ungarisch-rumänische Streitfall. Belgien und die Tschechoslowakei, die nunmehr aus dem Völkerbundsrat ausgeschieden sind, scheiden damit auch aus der ständigen Militärkommission des Völkerbundes, sowie aus der vorbereitenden Abrüstungskommission aus, falls nicht der Völkerbundsrat die beiden Staaten zur Entsendung von Vertretern in die Abrüstnngskommission auffordert.
Bor einer neuen Abrüstungsdebatte Genf» 16. Sept. Anläßlich der Vorlegung des Berichts der 3. Kommission für Abrüstungsfragen in der Vollversammlung erwartet man allgemein eine neue lebhafte Diskussion über das Abrüstungsproblem, bei der auch Deutschland in grundsätzlicher Erklärung Stellung nehmen wird.
London über die Wahl Kanadas erfreut London, 16. Sept. Die Wahl Kanadas als nichtständiges Mitglied des Völkerbundsrates hat in politischen Kreisen Londons große Befriedigung ausgelöst, während gleichzeitig das Ausscheiden Belgiens aus dem Rat bis zu einem gewissen Grade bedauert wird. Man hofft, daß Belgien in der Aufforderung, Mitglied der ständigen Abrüstungskommission zu bleiben, eine gewisse Genugtuung für seine Wahlniederlage erblicken wird.
Handel und Volkswirtschaft
Abl.-Rente I 54.75-
Abl.-Rente ohne Ausl. 15.5.
Franz. Franken 124.02 zu 1 Pf. Sk.. 25.50 zu 1 Dollar.
Absatzsteigerung und Skandardisierung im deutschen Gartenbau. Die Ausstellung „Blumen und Früchte", die vom 18. September bis 2. Oktober in Frankfurt a. Main vom deutschen Gartenbau und der deutschen Konservenindustrie veranstaltet wird, ist die erste deutsche Gartenbau-Ausstellung, die unter dem Zeichen des Skan- dardisierungsgedankens stattsindet. Die Skandardisierung von Obst und Gemüse, d. h. die Vereinheitlichung der Lieferbedingungen hierfür in bezug auf Sorte, Qualität Aussehen. Reifegrad. Gewicht, Verpackung usw. hat bekanntlich den amerikanischen Gartenbau zu überraschender Blüte gebracht, und man erhofft von der Durchführung der Skandardisierung im deutschen Gartenbau ähnliche Einwirkungen auf die Absatzsteigerung.
Die Kanalisierung der Ruhr für Schiffe bis 2300 Tonnen von Mülheim a. R. bis zur Ruhrmündung unter Schaffung einer großen Schleuse von 130 Metern Länge und 13 Metern Breite ist nach einer Blättermeldung vollendet.
Märkte
Stuttgarter Schlachtviehmarkt, 15. Sept. Dem Markt waren zugetrieben: 8 Ochsen, 2 Bullen, 60 Jungbullen, 41 Jungrmder, 26 Kühe, 258 Kälber, 453 Schweine, die sämtlich verkauft wurden. Verlauf des Marktes: Großvieh mäßig. Kälber lebhaft. Schwein« mäßig belebt.
Ochsen:
15. 9
13. 9.
Kühe:
15 9.
13. 9.
ausoemiiste:
K1-K3
K0-64
fleischig
21-31
21—31
oollfieischig
—
52-58
gering genährte
15-19
15—19
fleischig
40—50
Kälber:
Bullen:
«einste Mast- und
ausgemästei
54—bk
53-55
beste Saugkälbei
83-88
82-85
voll fleischig
51-58
49-52
mittl. Mast- und
sleischia
—
—
gute Saugbälber
76-80
76-80
Jungrinder:
geringe Kälber
70-75
67-74
ausgemästet
K2-K6
K3-86
Schweine:
oollfleischig
53-58
53-KO
über 300 Pfd.
73-74
71-73
fleischig
48-52
48-52
240—300 Pfd.
73-75
72—73
gering genährte
—
200—240 Pfd.
76
74—75
160—200 Pfd.
74-75
72-73
Kühe:
i'20-IM Pfd.
71-73
68-70
ausgemäsle:
42-51
42-51
"--r :'20 Pf).
71-73
68-70
oollfleischig
->2-40
32-40 l
S/-65
57-65
Das Wetter
SüddeuLschland liegt noch im Bereich deÄ südöstlich abwandern- den Hochdrucks. Da sich aber Randstörungen einer nordwärts vor- verziehenden Depression auch auf unser Gebiet Vordringen, ist für «amstag und Sonntag unbeständiges, verhältnismäßig kühles, aber in der Hauptsache trockenes Wetter zu erwarten.
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