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Segrünäet 1827

Mittwoch, den 14. September 1S27 zemsprech« nr. s«

101. Jahrgang

Wandlungen des Wirtschaftsgedankens

Vor etwa Jahresfrist hat der auch in Deutschland düW

Tagesspiegel

feine Kritik der Friedensverträge und der Dawespokitik be­ikannte englisch« Wirtschafts-Wissenschaftler Keynes einen Bortrag gehalten, in dem er den Nachweis führte, daß die Zeit des Manchestertums (der völligen wirtschaftlichen lln- Gebundenheit) in der europäischen und wohl auch der Welt- -ivirtschastsgeschichte abgelaufen sei; daß die wirtschaftlich« Entwicklung der Völker nicht mehr durch das schrankenlose Ge-winnstrLven Einzelner bestimmt werde, sondern - durch die Macht organisierter Unter nehmungsformen ihre Ordnung erhalte. Inzwischen ist der Schlußband von Wer­ner SombartsModernen Kapitalismus" erschienen, der ebenfalls, und zwar aus einer jahrzehntelangen wissenschaft­lichen Erforschung der europäischen Wirtschaft und aus ge­nauester Beobachtung ihrer Triebkräfte und Erscheinungs­formen das Ergebnis zieht, daß allerdings die Kurve der rein kapitalistischen, d. h. auf schrankenloses Ge- winnstreben eingestellten Wirtschaftsbetätigung, auf ihrem Höhepunkt angelangt fei- Auch Sombart sieht ein« Däm­merung des Kapitalismus herannahen, oder viel­mehr schon ausgetaucht; er glaubt eine grundsätzliche Ver­änderung der wirtschaftlichen Denkweise und Betätigung jetzt schon feststellsn zu können, die mit Manchestertum wenig oder nichts mehr gemein haben. Keynes wie Sombart er­bringen den Beweis, daß die heutige kapitalistische, d. h. auf dem Privateigentum auch an den Produktionsmitteln aufgebaute Wirtschaft die Schlacken des krassen Manchester­tums fast völlig abgsworsen und im Prozeß der Umbildung zu höheren, organischeren Formen der Produktion ein tüch­tiges Stück Wegs schon hinter sich gebracht hat.

Von besonderem Interesse ist daneben eine ganz ähnlich lautende, aber aus der Praxis des Wirtschaftslebens ge­wonnene und kürzlich in meinem auserlesenen Kreise prak­tischer Wirtschafter zur Erörterung gestellte Feststelluna vom Ende des Manchestertums. Kein anderer als der an hervorragender Stelle in der Jndustriewirtschaft wir­kende Geschäftsführer des Reichsverbands der Deutschen In­dustrie, Geheimrat Bücher, hat ihm auf der Frankfurter Jndustrietagung das Grablied gesungen. Dem manchester- lichen Unternehmen kommt heute, zum mindesten im Pro­duktionsprozeß, eine bestimmende Rolle nicht mehr zu. Bü­cher gelangt zu dieser Feststellung durch ein? anscheinend etwas äußerliche Beweisführung. Von dem gesamten in der industriellen Erzeugung angelegten Kapital, das sich auf rund 50 000 Firmen mit je 50 000 Mark und mehr Be­triebsvermögen verteilt, entfalle rund die Hälfte auf Fir­men mit mehr als 10 Millionen Mark Betriebsvermögen. Nehme man zu diesen noch die Unternehmungen mit einem Betriebsvermögen von mindestens einer Million Mark hin- M, so umfassen diese großen und größeren Firmen 6570 Prozent des gesamten industriellen und gewerblichen Be­triebsvermögens der deutschen Volkswirtschaft. In diesen Unternehmungen kcm.ientrierter Kapitalkraft wird aber heute in viel höherem Maß als jemals früherdas privatwirt­schaftliche Handeln nach Gesichtspunkten volkswirt­schaftlicher Art geleitet. Der Direktor oder der General­direktor einer solchen Unternehmung ist nichts mehr als ein gehobener Angestellter, dem gewisse Sonderausgaben ob­liegen, der aber unmittelbarer als für sich selbst für dritte Rechnung, nämlich für die Eigentümer eines zersplitterten Aktienkapitals und für die Unternehmung als solche arbeitet. Für das Handeln der Leitung derartiger Unternehmungen sind die volks- und weltwirtschaftlichen Gesichtspunkte zweck­entsprechender Warenerzeugung zur Deckung des Konsums, sowie zur Verbilligung und Erweiterung des Konsums so unmittelbar ausschlaggebend, wie es das Manchestertum nie gekannt hat. Die Erträgnisse derartiger Unternehmungen werden, abgesehen von einer Dividende, die Verzinsung und Risikoprämie für das Kapital enthält, so gut wie ausschließ­lich für die Verbesserung der Fabrikanlagen Md die Mehrung und Verbilligung der Pro­duktion verwandt".

Diese antimanchesterliche Auffassung von den Aufgaben der Unternehmung und des Unternehmers trifft also nach Bücher aus die Sachwalter von rund zwei Dritteln -es in Industrie und Gewerbe investierte«. Kapitals zu. Aber da­mit noch nicht genug, glaubt Bücher auch die kleinen und mittleren Betriebe, innerhalb der Vermögensgrenzen von 50100 000 Mark, M die vom Manchestertum abgewandte Front in Anspruch nehmen zu dürfen, z Diese Unternehmer können ihrem ganzen Bildungsgang undfihrer Lebenshaltung gemäß grundsätzlich kaum unterschieden werden von den gehobenen Schichten des Angestelltentums, bei denen die typisch manchesterliche Eigenart ausgeschaltet sei. Bleiben also Mr die Unternehmungen mit einem Vermögen von 100 000 As «ine Million Mark, deren Bedeutung innerhalb der Pro­duktion swirtschaft zu gering sei. als daß sie das Bild des industriellen und Gewerblichen Unternehmertums maßgeblich beeinflussen könnten.

Man wird sich über das reichlich Schematische dieser Einteilung, die doch einen Moßstab kür die allerstkbtilsten seelischen Kräfte des Wirtschaftslebens geben soll, keine Illu­sionen machen, wird aber andererseits gern anerkennen, baß sie das Wesen der heutigen Wirtschastsverfasiung richtig kennzeichnet. Es mag umstritten sein, wie weit sich in dieser Abwendung vom krassen Individualismus der freie Wille ?er wirtschaftenden Persönlichkeiten ausgewirkt, wie weit ihn äußerster Zwang in diese Entwicklung hineingedrängt

hat. Die staatliche Gesetzgebung der Kriegs- und Nachkriegs­zeit und die aus ihr zwangsläufig folgenden Sslbstverwal- tungsmaßnahmen der Wirtschaft haben zweifellos nicht wenig dazu beigetragen, Auswüchse des individuellen Ge­winnstrebens zu beschneiden, haben sogar vielfach die freie Unternehmertätigkeit verhängnisvoll eingeschränkt. Aber alle diese zwangsweisen Eingriffe gegen die Unternehmerpersön­lichkeit weggedacht, bleibt doch in der Tat noch genug übrig, um von einem g r u n d s 8 tz l i ch e n W a n d e l d e r W i r t- schastspsyche sprechen zu können. Bücher hat vollkom­men recht mit der Feststellung, daßder Kamps gegen den Manchestermann, der im Schrifttum und zum Teil auch noch vom Katheder herunter geführt wird, entweder Lemaqogffcher Tendenz oder dem Umstand zuzuschreiben ist, -ah man di« EntwiiL-ung der letzten Jahrzehnte übersehen hat." Der ManchestermMn exMert als^Typ, in Deutschlan wenigstens, seit 1880 nicht mehr. Nicht umsonst hat das deutsche Unter­nehmertum durch die Gesetzgebung eine sozialpolitisch? Er­ziehung genossen, die die in der deutschen Seele an sich schon kräftigen Wurzeln organischen Gestattungswillens und ge­meinschaftlichen Denkens nur fördern konnte.

Vor allem aber genießt die Lettische Wirtschaft vor vielen anderen hochkapitalistischen Ländern den Vorzug, daß sie als wesentlichen Bestandteil, ja als die Grundlage ihrer Eristenz, eine Landwirtschaft besitzt, aus der von jeher ein mächtiger Strom organischer Wirtschaftsauffassung ge­flossen ist, dem sich auch die anderen Produktionszweige nie­mals ganz entziehen konnten und entziehen Hannen. 2n der deutschen Wirtschaft hat es ein Manchestertum nie gegeben, wird auch niemals Raum dafür vorhanden sein. Sombari stellt in seinem eingangs erwähnten Werke fest, daß di« Landwirtschaft noch nicht einmal vom Kapitalismus erfaßt sei, was wir wohl so zu verstehen haben, daß er sie frei sieht von den Erscheinungen-und Regungen der rein kapi­talistischen, mit anderen Worten manchesterlichen Denkweise. Dem 'Landwirtschwebt bei seiner Arbeit etwas anderes, etwas höheres vor als die bloße Mehrung seines Kapi­tals. Die enge Verbundenheit mit der organischen Natur, die unmittelbare und aus alle menschliche Beziehungen sich ous- dehnende Arbeitsgemeinschaft mit seinen Gehilfen haben ihn Lavor bewahrt, in seinem Betrieb ein seelenloses Produk­tionsmittel und in seinen Mitarbeitern ein Ausbeutungs- objekt zu erblicken. DieEinheit im Produktionsprozeß", die der Sprecher der Industrie neulich in Frankfurt seinen Ve- rufsgenossen als erstrebenswertes, aber noch längst nicht erreichtes Ideal vor Augen stellte, hat in der Landwirtschaft schon längst ihren lebendigen Niederschlag gesunden.

Neuestes vom Tage

Rekchsangehörigkett statt Skaakscwgchörigkeit?

Berlin. 13. Sept. Der D. Z. teilt mit, die demokratisch« Fraktion habe im Reichstag einen Gesetzentwurf eingebracht, der für ganz Deutschland ein einheitliches Bürgerrecht ein­führen und im besonderen Staatsrechtsangehörigkeit durch die Reichsangehörigkeit ersetzen wolle. Der Entwurf, der verfassungsändernden Charakter hat, sieht u. a. auch noch vor, daß Deutsch-Oesterreichern unter gewissen Voraussetzungen ein im Verwaltungszuge verfolgbarer Rechtsanspruch auf die Einbürgerung in Deutschland ge­währt werden soll, während sie gleichzeitig die österreichische Staatsangehörigkeit beibehalten können.

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Vom Völkerbund

Genf, 13. Sept. Im Völkerbund ist wieder Ruhe ein­getreten. Gestern wurden in der Hauptsache nur Ausschuß- sitzungen abgehalten, die nicht von allgemeinem Interesse sind.

Minister Chamberlain beabsichtigt, nach Erledigung der Amtswahlen am Donnerstag abend nach London zurück­zukehren. Briand wird gleichzeitig zu einer Kabinetts­sitzung, die am Freitag in Paris stattfindet, nach Paris cch- reisen und dann wieder nach Gens kommen.

Die Bemühungen von deutscher Seite, eine Aussprache der am Locarno-Berkrog beteiligten Mächte zustande zu bringen, scheint bis seht nicht aussichtsreich zu sein, da die andern furchten, daß die B e s e tz u n g zur Verhandlung ge­stellt und die Erfüllung der Versprechungen verlangt werden könnte. Es ist nicht bekannt, ob und wann Chamberlain nach Eens zurückkehren wird.

Der A.O.D. weiß zu berichten, nachdem Polen seine Absichten im Völkerbund nicht habe durchsetzen können, wolle es jetzt mit Sowjetiußland engere Fühlung zu nehmen versuchen. Rußland solle den polnischen Besitz Wilnas anerkennen, wogegen Polen den russisch-litauischen Sicherheiksoetrrag anerkennen wolle.

Der Verteter der Republik Panama hatte im Völ­kerbund Beschwerden über die Bedrohung der Selbständig­keit der Republik durch die Bereinigten Staaten vorge- brachk. Die Regierung in Washington soll demgegenüber darauf hingewiesen haben, daß sie eine Besprechung der Angelegenheit im Völkerbund zwar nicht hindern könne, daß sie aber den Völkerbund nicht anerkenne und ihm das Recht abspreche, Streitpunkte zwischen den Bereinigten Staaten und Panama zu^schlichten.

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bripreckmng statt, in der die Fcc??e des Bostfinan'nesetze« erörtert wurde. Bekannstick bcstel'n, bsGndrrs seit der kehlen Tarisvoriaae der Beick-psst. Bestrebungen, ei« Aenderuna des PoP'vomzxeftßes herbsftnsüßren.

Die Kosten der Lrhehnngsn der Bcamkenbesoldungen werden für Preußen 150 Millionen Mark jährlich avs- machen.

Die Stadt Berlin bezw. die Wohnunasfürsorge G.m.bch. verhandelt über eine Ausländsanleihe für den Wohnungs­bau in Höhe von 50 Millionen Mark. Ls liegen bereits Angebote von amerikanischer Seite vor.

Die Herabsetzung der britischen Besatzung London, 13. Sept.Times" zufolge ist die Verminderung der britischen Besatzung im Rheinland jetzt im einzelne» geregelt worden. Danach werde das zweite Bataillon Shropshire Light-Jnfanteri? in Stärke von 700 Mann und etwa 300 Mann aus anderen Truppen, sowie Militär- polizei, Feldprediger, Krankenschwestern und etwa ein Dutzend Stabsoffiziere zurückgezogen.

Ein Angebot Tschstfcherins an Briand Paris. 13. Sept.Matin" berichtet, daß Tschitscherin m dem anläßlich der Rakowski-Angelegenheit erfolgten Noten­wechsel Briand vorgeschlagen habe, wegen des Abschlusses eines Freundschafts- und Nichteinmischungsvertrags zu ver­handeln. Nach Kenntnis des Blattes soll aus dieses Angebot noch keine Antwort erfolgt ftin. Die Regierung Hobe dar­über nicht beraten.

Verhaftung des tschechischen Generalkonsuls m Saloniki Paris, 13. Sept. Nach einer Blättermeldung derIn­formation" aus Athen ist auf Anweisung -er griechischen Gerichtsbehörden der tschechoslowakische Generalkonsul in Saloniki unter der Beschuldigung verhaftet worden, daß er den amtlichen Kurierverkehr zum Schmuggel benutzt habe.

Gespannte Beziehungen zwischen Persien und dem Irak Teheran, 13. Sept. Die Abgeordnetenkammer nahm den Gesetzentwurf, der eine Summe von 2000 Pfund Sterling

zur Unterstützung der Perser im Irak (Mesopotamien) bo-> wüligt, besonders um ihnen die Rückk^r io die Heimat z» ermöglichen. Me Regierung beschloß, keine Paste für de» Irak auszustellen, solange sich die Beziehungen Müschen Persien und dem Irak nicht gebessert haben.

Japans«indlichc Regungen in der McnGfch«« London, 13. Sept. Dem «Daily Telegraph' zufolge hat der japanische Gesandte in Peking wegen der japcmfemd- llchen Strömung in den mandschurischen Provinzen bei Marschall Tschangtsolin in Peking ernstliche Vorstellungen erhoben und mit japanischen Truppensendungen gedroht, falls die Behörden dem Treiben keinen Einhalt gebieten.

Me Südtruppen am Jangtse erfolgreich Schanghai, 13. Sept. Wie aus britischen Quellen ver­lautet, haben sich nunmehr auch die letzte» fliegenden Ko­lonnen der Armee des Nordgenerals, die auf dem Sädufer des stangtseflufses standen, auf das Nordufer zurückgezogen. Die nationalistischen Truppen hoben fast alle ihre verlore­nen Stellungen zurikckeroberi.

Blutbad in einer chinesische« Stadl Peking, 13. Sept. Nach Meldung» chinesischer Lokal­blätter töteten Mitglieder einer chinesischen Bereinigung einige Soldaten Fengyuhs längs in Tschangtse, einer Stadt im Norden der Provinz Honan. Die Truppe» Fengyuhsiangs richteten daraus ein furchtbares Gemetzel an, ohne auf Alter oder Geschlecht Rücksicht zu nehme«. Nach den Schätzungen chinesischer Blätter sollen Mische» SO und 80000 Menschen niedergemacht worden sein.

Württemberg

Stuttgart, 13. Sept. Leine amtliche» FeharM zum 80. Geburtstag des Reichspräsident«« Am 80. Geburtstag des Herrn Reichspräsidenten von Hiu- denburg, dem 2. Oktober 1927, werden auf dessen Wunsch keine amtlichen Feiern veranstaltet werden. Nach Anord­nung des würtk. Staatsministeriums finden aber Schul­feiern statt und die öffentlichen Gebäude werden in de» Reichs- oder Landesfarben beflaggt. An die Gemeindebehör­den und die Einwohnerschaft ergeht das Ersuchen, sich ebenfalls an der Beslaagung zu beteiligen.

Stuttgart, 13. Sept. Die Zahl der Fernsprech­teilnehmer betrug in Stuttgart Ende 1924 14 612, Ende 1925 16 228 und Ende 1626 17 177, im ersten Vierteljahr 1927 17 388

Neuer Sportplatz. Die beiden katholischen Stadtpfarreien St. Nikolaus und St. Fidelis Stuttgart haben von der Stadl den Mühlbachhvf aus 10 Jahre gepachtet, um auf dem dazu gehörenden Gelände einen Spiel- und Sportplatz einzurich­ten. Mit dem Mühlbachhos verfügen die katholischen Go« meinden in Stuttgart jetzt über ein halbes Dutzend Spiet« Plätze und Gemeindegärten.