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Ragow« Tagdtalt ,.D« Gesellschafter"

Donuerstag, 1 September t»27

«rproben und an leichten Dingen stählen. Denn es gilt ein langes Leben, das vielleicht nur Warten ist. Warten und Hoffen, Hoffnung macht bange Herzen erbeben. Hoffnung läßt uns neu aufleben und dunkle Zeiten leichter ertragen. Warten und Hoffen gehört zusammen. Wer aber das Warten verlernte, der kann nicht hoffen, dem ist der Blick hinter jene grauen Wolken versagt, die eines jeden Menschen Gralsburg verbergen. In Kummer und Krankheit, stets heißt esabwar- ten"' Abwarten! Was heißt Warten? Hoffen und leben, denn Hoffnung ist Glück.

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Dienstuachrichteu

Das Justizministerium hat den Gerichtsvollzieher Hisam in Herrenberg seinem Ansuchen gemäß in den Ruhestand ver­seht.

Die Schwachen ziehen fort. Mancher hat sich schon die Frage vorgekegt: Welche Zeit hat eine Schwalbe nötig, um chre Reffe nach dem Süden, sagen wir nach -er afrikanischen Küste, zurückzukepen? Eine Brieftmcke soll in der Sekunde 40 Meter zurücklegen; eine Schwalbe dagegen bringt es aus 60 Meter. Das macht für erstere in der Stunde 144. für die letztere 216 Kilometer. Nehmen wir an, daß eine Schwalbe am Morgen eines Tags in Deutschland abfliegt, so kann sie selbst bei Hinzufügung von Ruhepausen am nächsten Tag bequem über dem Mittelmeer in ihrer neuen Heimat anlangen. Die enorme Geschwindigkeit des Schrval- benflugs wurde früher sehr unterschätzt. Man nahm an. der blaue Segler der Lüfte brauche mehrere Tage, um die Reise nach dem Süden zurückzulegen, was aber nur bei zanz wenigen dieser Tiere der Fall ist.

Altensteig. 31. Aug. Gemeinderatsfitzung vom 24. Aug. 1927. Abwesend GR. BäßlSk. Voranschlag der Stadt­verwaltung für das Rechnungsjahr 1927. Der Vorsitzende verweist auf den den einzelnen Mitgliedern zugegangenen Etats- mtwurf, in dem die Verwaltungszweige der eigentlichen Ge­meindeverwaltung, des städt. Elektrizitätswerks, der Fürsorge­kasse und der Schulkasse je gesondert aufgeführt sind. Zunächst gibt er einen Ueberblick über die Aufstellung des Gesamtvoran­schlags der vorläufige Abschluß desselben ergebe die Notwen­digkeit einer wesentlichen Erhöhung des Umlagefußes gegenüber dm Vorjahr. Die Ursache der Mehrausgabe sei hauptsächlich zu suchen in der Erhöhung der Amtskörperschaftsumlage, der Schul- uud Straßenlasten, der Schmälerung der Reichssteuer­anteile, sowie in den Kosten unaufschiebbarer Arbeiten. In dem Voranschlag sei nur das aller Notwendigste zur Aus­führung vorgesehen. Für die kommenden Jahre harren wei­tere, große Unternehmungen der Erledigung wie: Erweiterung des Elektrizitätswerks, Straßenverbesserung durch Teerung, Pflasterung etc., Feldbereinigung III, Straßenneubauten: Wil­helm- Anker- Weiherwiesen-Verkehrsstraße; Brückenneubauten: Wilhelm- Anker- Weiherwiesen- Seltengraben-Brücke, Schul- hausan- bezw. Neubau, Nagoldkorrektion, Spritzenhausumbau, Krankenhausbau etc. Von den bei der Einzelberatung des Vor­anschlags gefaßten Beschlüssen sind zu nennen:

1. Ausbau des Tannbachwegs im Stadtwald Priemen. 2. Kenntnisnahme von der Bekanntgabe des Vorsitzenden, daß bei der hiesigen Gewerbeschule vorraussichtlich im Herbst noch ein zweiter Lehrer angestellt werde. 3. Wiederruf des Be­schlusses vom 20. 10. 26 betr. Ansammlung eines Kranken­hausbaufonds. 4. Ablehnung eines Antrags auf Umlegung der Handwerkskammerumlage auf die einzelnen Handwerker. 5. Üebernahme von Vt der Mesnerbesolduna wie seither. 6. Einstellung in den Voranschlag von 2000 Mk. für die Be­schaffung von 4 Eisenbahnwagen als Notwohnungen für Mieter, eie keine Miete bezahlen. Die Anschaffung selbst wird vor­läufig zurückgestellt. 7. Anschaffung eines weiteren Ziegenbocks. 8. Kanalisation der Egenhauserstr. und der Straßenstrecke vom Rathausbrunnen bis zur Wendeplatte bei Oberamtsbaumstr. Köbele. 9. Vergebung der Anstricharbeiten an der Gewerbe­schule an Malermeister Müller hier. 10. Lieferung der für den Gewerbeschulanbau erforderlichen Zeichentische durch Schreiner­meister Fr. Köhler hier. Die endgültige Beschlußfassung über den Haushaltooranschlag erfolgt in der nächsten Sitzung.

Bericht über die Gemeinderatssitzung vom 23. Aug.

Abwesend: entsch. Gemeinderat Walz, Bäßler und Fuchs. Um die Stromspannung in den vom Elektrizitätswerk entfernter ge­legenen Stadtteilen zu verbessern, hat das städt. Elektrizitäts­werk angeregt, bei der Schwanenbrücke eine Gleichrichteranlage zu erstellen oder das Gleichstromnetz in ein Drehstromnetz um­zubauen und zwar sei diese Verbesserung der Stromversorgung noch vor dem Winter unbedingt erforderlich, da sonst das Elek­trizitätswerk für eine geordnete Stromversorgung keinerlei Ga­rantie mehr übernehmen könne.

Nachdem nun von mehreren Firmen Angebote mit Preis auf Gleichrichter bezw. Transformatoren vorliegen und die etwaigen Kosten der Anlagen nun berechnet werden können, ist Baurat Denzinger, Vorstand des staatl. Elektrizitätswirtschaftsantts in Stuttgart in der Sitzung anwesend, um dem Gemeinderat fachmännisch über die in Frage stehenden notwendigen Ver­besserungen zu beraten Er stellt in etwa einstündigem Vortrag die Vor- und Nachteile von Gleich- und Drehstrom einander gegenüber und betont insbesondere/daß mit dem auch schrift­lich vorliegenden Gutachten sowohl die technische als auch die wirtschaftliche Seite untersucht worden sei. Baurat Denzinger kommt sowohl in seinem mündlichen als auch in seinem schrift­lichen Gutachten zu dem Schluß, daß für die derz. Verhältnisse der hiesigen Stadt die Aufstellung eines Gleichrichters das Ge­gebene sei. Der Gleichstrom sei keine veraltete, vom Drehstrom überholte Stromart, große Städte wie Stuttgart, Ulm, Tübin­gen, Feuerbach etc. haben Gleichstrom und bauen ihr Gleich- flromnetz weiter aus. Der Umbau in Drehstrom sei in manchen Fällen fast reine Modesache. An den Vortrag schloß sich eine eingehende Aussprache an. Betriebsleiter Brändle weist noch­mals darauf hin, daß die Akkumulatorenbatterie des Werks gebrauchsunfähig sei und durch eine neue ersetzt werden müsse. Auch die Stromlieferung von Teinach gewährleiste, da sie des öfteren unterbrochen werde, keinen sicheren Betrieb. Nach den Min Baurat Denzinger und Betriebsleiter Brändle gefertigten Berechnungen erfordert die Aufstellung eines Gleichrichters ca. 50000 die Beschaffung einer neuen Akkumulatoren­batterie ca. 32000 zusammen der weitere Ausbau in Gleich­strom also 82000 Ein vollständiger Umbau in Dreh­

strom würde einschließlich eines 60 PS. Dieselmotors aber ausschließlich der erforderlichen Hochbauten ca. 138000 kosten. Weiter wäre erforderlich, daß sämtliche Motore (mehr als 500) und Zähler ausgewechselt, auch viele alte Hauslei­tungen erneuert würden. Die beiden vorhandenen Dieselmotore und die Turbine in der Zentrale könnten nicht mehr verwendet werden; es käme also ber Drehstrom als eigene Kraftanlagen nur noch der neu zu beschaffende 60 PS.-Dieselmotor und die beiden Turbinen im neuen Werk in Frage, mit welchen aber me für hier erforderliche Energiemenge nicht beschafft werden

könnte; das Werk würde sonach mit einem großen Teil des Strom bedarfs von dem Uebcrlandwerk Teinach abhängig werden. Einen nur teilweisen Umbau in Drehstrom erklärt Baurat Den­zinger nicht für tunlich. Nachdem auch Betriebsleiter Brändle erklärt hatte, daß er sich auch mit der Erstellung eines Gleich­richters einverstanden erklären könne, entscheidet sich der Ge­meinderat mit 8:3 Stimmen (Ackermann, Schittler, Henßler) für die sofortige Erstellung einer Gleichrichteranlage und Be­schaffung einer neuen Akkumulatorenbatterie. Baurat Denzinger als Vorstand des Elektrizitäts-Wirtschaftsamts wird gebeten, alsbald das Weitere zu veranlassen und in möglichster Bälde dem Gemeinderat die eingeholten bezw. noch einzuholenden Offerte zur Vergebung der Arbeit zu übergeben. Ebenso wird das Stavtbauamt beauftragt, bezüglich der notwendigen Hoch­bauarbeiten das Erforderliche vorzubereiten.

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Freudenstadt, 31. Aug. Jugendlicher Leichtsinn! Eine reisende Dirne, die in Freudenstadt schon wiederholt ihr Glück versuchte, hat sich anfangs dieses Monats wieder zwei Tage lang hier und in der Umgebung unter falschem Namen auf­gehalten. Sie hat zum Nachteil ihrer Wohnungsgeberin, bei der sie sich als Kurgast eingemietet hatte, ein Damensahrrad unterschlagen und ist damit, unter Hinterlassung ihrer Logis­schuld, flüchtig geworden. Zwei hiesige Burschen, im Alter von 17 und 19 Jahren, die beide gute Stellen hatten, sind der Arbeit fern geblieben und haben sich unter Mitnahme ent­lehnter Fahrräder der elfteren angeschlossen. Das Trio musi­zierte anfänglich in Wirtschaften und ging mit dem Teller sammeln. Aber anscheinend war das Geschäft nicht sehr ein­träglich, oder die Ansprüche der Dame zu groß, denn schon in Hall waren die jugendlichen Kavaliere genötigt, die entlehn­ten Fahrräder zu verkaufen. Gänzlich mittellos sind nun die beiden jugendlichen Glücksucher in Augsburg eingetroffen und auf Grund eines Steckbriefes in Haft genommen worden. Was noch mehr verwunderlich ist, als der jugendliche Leichtsinn, ist die Gewissenlosigkeit der Käufer der Fahrräder. Daher auch die starke Ueberhandnahme der Fahrraddiebstähle, weil es den Dieben meistens sehr leicht gemacht wird, ihre Beute in Geld umzusetzen.

Freudenstadt, i. Sept. Der Bezirk Freudenstadt in der Zahl der Kraftfahrzeugunfälle an der Spitze. Im

Landgerichlsbezirk Rollweil hat das Oberamt Freudenstadt weitaus die meisten Unfälle mit Kraftfahrzeugen; auch die Fälle von Strafanzeigen und Bestrafungen wegen Uebertretungen der gesetzlichen Bestimmungen für den Kraftfahrzeugverkehr bezw. Vergehungen sind hier außerordentlich zahlreich. Am vorge­strigen Gerichtstag des Amtsgerichts Freudenstadt standen allein in oen Nachmittagsstunden vier solcher Fälle zur Verhandlung. Der Vorsitzende wies bei Beginn einer Verhandlung darauf hin, wie enorm sich hier der Kraftfahrzeugverkehr entwickelt habe und daß Freudenstadt an der Spitze stehe mit Unfällen durch Kraftfahrzeuge: von seiten des Gerichts werde auf unbedingte Einhaltung der Vorschriften gedrungen und zwar insbesondere auch der Bestimmungen bezüglich des Führerscheins. Gerade aus den Kreisen der Automobilisten selber kommen immer wieder Aufforderungen an die Gerichte, mit aller Strenge gegen diejenigen Kraftwagen- und Motorradfahrer vorzugehen, die die Vorschriften nicht beachten und durch ihre Rücksichtslosigkeit den Kraftfahrzeugverkehr im ganzen in Verruf bringen.

Rottenburg, 31. Aug. Neugründung eines Indu­striebetriebs. Eine Firma von Tailfingen bei Ebingen hat das frühere Saukermeistersche Hopfenmaoazin in der Sülchenstraße hier jetzt im Besitz von Herrn Skud.-Nat Weiß gepachtet und wird anfangs Oktober ihren Betrieb von Tailfingen hierher verlegen.

Roktenburg, 31. August. Abschied. Lehrer Alfons Schmid verläßt auf 1. September die Stadt, um eine Lehr­stelle an der Stöckachschule in Stuttgart anzutreten. Die Stadt verliert in ihm vor allem einen hervorragenden Musiker. Schmid hat sich als Komponist einen Namen ge­macht. Er hat schon wiederholt im Stuttgarter Rundfunk musikwissenschaftliche und Klaviervorträge gegeben.

Jmnau, 31. Aug. Guter Bad besuch. Das hiesige Bad erfreut sich dieses Jahr eines sehr starken Besuchs. Be­sonders sind es Italiener, die zum Kuraufenthalt hier weilen. Das Kindererholungsheim ist von 150 Kindern aus der Rheingegend besetzt; die Kinder befinden sich recht wohl und heimatlich hier.

Aus aller Welt

Der Historische Verein der Pfalz beging am 30. August in Anwesenheit zahlreicher Festgäste in Speyer sein hun­dertjähriges Bestehen. Vom Reichspräsidenten und Kron­prinz Aupprechk waren telegraphische Glückwünsche einge­laufen. Kennzeichnend für den Geist, der die Feier be­seelte, waren die Worte in der Rede des Regierungs­präsidenten der Pfalz Dr. Matheus: «Kein anderes Land hat im Lauf der Jahrhunderte stärkere Schicksalsschläge erlitten als unsere Pfalz und nirgendwo hat sich stärkerer Lebenswille und zäherer Widerstand gezeigt als bei dieser schwer heimgesuchken Bevölkerung. Auf Felsengrund fußt der Pfälzer, treu der Heimat, zu Bayern und zum Reich, Mögen die Historiker nach weiteren 50 oder 100 Jahren in das Buch der deutschen Geschichte schreiben: In Deutsch­lands schwerster Zeit lebte ein Geschlecht, treu bis ins Mark, opferbereit mit Gut und Blut, und unerschütterlich im Glauben an Deutschlands Glück und Größe." Mi­nisterpräsident Dr. Held wohnte der Feier bei-

Gleichzeitig fand die ordentliche Hauptversammlung des seit 75 Jahren bestehenden Gesamtvereins der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine statt.

Ein Bach-Konzert mit Bach-Instrumenten. Ein Musik­fest. das in dem englischen Ort Haslemere stattfand, zeich­nete sich dadurch aus, daß Werke Bachs und anderer Kam ponisteu seiner Zeit auf Instrumenten zu Gehör gebrach! wurden, wie sie damals üblich waren. Der Veranstalter des Musikfestes ist der Deutschschweizer Arnold Dol­metsch, der seit vielen Jahrzehnten in England lebt und sich ganz der Aufgabe gewidmet hat, die alten Instrumente neu zu beleben, die im Zeitalter Bachs im Gebrauch waren. Er hak vortreffliche Harpsichorde. Clavichorde und Violen da Gamba gebaut, die allein imstande sind, den ursprüng­lichen Klangcharakter dieser Musik wiederzugeben. Die Auf­führungen verschiedener Konzerte Bachs und Purcells mii diesen Orginalinstrumenten riefen einen eigenartigen Zau­ber hervor. «Zuerst kang es für Ohren, die an die mächtigen modernen Instrumente gewöhnt sind, wie Geistermusik", schreibt ein Kritiker, «bald aber gewöhnten sich die Ohren an diese zarte Kammermusik und empfanden ihren eigen­artigen Reiz".

Zum Berliner Flüggenstreik. Dem Beschluß des Ber­liner Hotel-Bereins, nicht mehr zu flaggen, haben sich fer­ner der Hotelverband Ostharz, Thüringen mit Magdeburg/ Leipzig, Halle und anderer Städte angeschlossen. Auch in Baden-Baden wurde nicht geflaggt.

Gegen die Bubikopfskeuer. In einzelnen Orten ist kürz­lich vie Einführung einer Bubikopfsteuer, Badewanne- und Klaviersteuer, einer Besteuerung von mehr als zwei Vor­namen und dergl. beschlossen worden. Der Reichsstädtebund hat nun dagegen Stellung genommen, und seine Mitglieder, d. h. rund 1400 Klein- und Mittelstädte ausgejordert, von Beschlüssen auf Einführung derartiger Steuern abzusehen und in jedem Fall, in dem sie eine bisher nicht gebräuchliche Steuer einführen wollen, vor Fassung von Beschlüssen bei ihm anzusragen, ob überhaupt eine Aussicht aus Genehmi­gung von Steuern der beabsichtigten Art besteht.

Die frühere »Soeben" gehoben. Der seinerzeit im Marmara-Meer auf Grund gelaufene und halb versackte türkische KreuzerSultan Jawus Selim" (früher deutscher PanzerkreuzerGoeben") ist jetzt gehoben worden. Er wurde in einem von der Lübecker Werft gelieferten Schwimmdock zum Umbau eingedockt.

Das große Los der Preußisch-Süddeutschen Klassen- loklerie fiel auf die Nummer 231 135. Die Gewinner sind kleinere Berliner Bürger, die telegraphisch von ihrem Ge­winn benachrichtigt wurden.

Fünf Geschlechter. Bei einer Familienfeier in Hamburg waren dieser Tage fünf Geschlechter vertreten: Die Ururahne Frau Susanne Juliane Lanezzari, geborene Hasche (geb. 1839), die Urahne Frau Juliane Kellinghusen (geb. 1861), die Großmutter Frau Susanne Klingenberg (geb. 1880), die Mutter Frau Susanne Sachs (geb. 1903) und das Kind Irmtraut Sachs (geb. 25. 1927). Alle sind in Hamburg ge­boren.

16 Bauingenieure sind aus Rußland nach Deutschland abgereist, um die neuesten Errungenschaften der Technik und des Bauwesens in Deutschland kennen zu lernen.

Anthropologischer Vakerschaftsberveis. Ein Wiener Volks­gericht hat jüngst einem Mann auf Grund eines anthro­pologischen Gutachtens die Vaterschaft eines unehelichen Kindes zugesprochen. Die vorher vorgenommene Blutprobe war negativ ausgefallen, weil es nur vier Blutgruppen gibt, die sie zu unterscheiden ermöglicht. Das Gutachten erstattete der Wiener Universitätsprofessor Dr. Reche. In der Ein­leitung legte er die Grundzüge der anthropologischen Me­thode dar. Danach beruht die Möglichkeit, auf diesem Weg eine Blutsverwandtschaft festzustellen, auf der Tatsache, daß jeder Mensch bestimmte morphologische, physiologische und psycholgische Eigenschaften von seinen Vorfahren erbt. Wie die polizeiliche Bertillonage, benutzt die anthropologische Methode diese Tatsache. Von 500 000 Mensck-en einer Blut­gruppe haben nur 10 000 dieselbe Kopfform, von diesen nrzr 500 dieselbe Rase, von diesen nur 100 dieselbe Ohrform, von diesen nur 20 denselben Augenschnitt, von diesen bloß 5 dieselbe Augen- und Haarfarbe und kein zweiter dieselben Papillarmuster (Hautlinien). Besonders die letzteren an den zehn Fingern eines Menschen kehren in der ganzen Welt auch nicht bei .zwei Menschen vollkommen gleich wieder. Wenn sich also bei einem Kind und einem Mann gewisse seltene Muster in der gleichen Ausprägung oder gar am gleichen Finger vorfinden, bildet dies einen absoluten Be­weis für die Blutsverwandtschaft, das heißt im voliegenden Fall für die Vaterschaft. Dieses Gutachten und der Um­stand, daß es dem Beklagten nicht gelungen war, die An­gaben der Klägerin zu entkräften, veranläßten das Gericht, den Beklagten zur Zahlung der Alimente zu verurteilen.

Letzte Nachrichten

Das Berliner Wohnungsbauprojekt finanziell gefichert

Berlin» 1 . Sept. Vorbehaltlich der Genehmigung der Stadtverordnetenversammlung ist die Finanzierung des Berliner Wohnungsbauprojektes gesichert, da das bekannte amerikanische Bankhaus Dillon, Read 5 Co. in Newyork eine Wohnungsbauanleihe im Betrage von 30 Millionen Dollar auf 26 Jahre mit einer Nominalverzinsung von 6 Prozent auflegen will.

Dr. Strefeman« i« Genf

Genf, 1. Sept. Reichsaußenminister Dr. Stresemann ist gestern abend nach kurzem Aufenthalt in Lausanne in Begleitung der Staatssekretäre v. Schubert, Pünder und Weismann im Genfer HotelMetropol" eingetroffen.

Die Außenminister-Unterredungen dürften, abgesehen von einer möglichen Besprechung Dr. Stresemanns und Cham- berlain, erst nach Briands Ankunft am Samstag zu­stande kommen.

In der heutigen Ratssitzung wird Frankreich von Paul Boncour vertreten sein.

Der Rücktritt Lord Cecils und de Jouvenels beeinflußt nach wie vor die Stimmung der Völkerbundsdelegierten im ungünstigsten Sinne, sodaß man damit rechnen muß, daß alle nur das eine Interesse haben, die Septembertagung, die außer den Debatten zur Abrüstungsfrage und zu den Beschlüssen der Weltwirtschastskonferenz nichts Ueberraschen- des voraussehen läßt, sobald wie möglich zu erledigen.

Zur Eröffnung des Dölkerbuudsrats

Genf, 1. Sept. Der Völkerbundsrat wird heute vor­mittag 11 Uhr zunächst mit einer Geheimsitzung eröffnet werden, in der der chilenische Vertreter im Völkerbund, Villegard, den Vorsitz führen wird. Ob danach die übliche öffentliche Sitzung stattfinden wird, ist in Anbetracht von Briands Abwesenheit noch fraglich. In der Geheimsitzung wird die Tagesordnung und der Behandlnngsmodus der gesamten Ratstagung festgelegt werden. Der Rat wird auch zu entscheiden haben, ob der Antrag des Danziger Senats auf Verlegung der polnischen Munitionsentladungen von Danzig nach Gniengen auf die Tagesordnung gesetzt werden soll. Die Befürchtung besteht wieder, daß der Danziger Antrag auf eine andere Tagung verschoben wird. In der Frage des Klagerechts der Danziger Eisenbahner dürfte das Gutachten des Haager Schiedsgerichtshofes ein­geholt werden, sodaß auch diese Danziger Frage wieder einmal eine Vertagung erlebt.