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Nr. 17S
Gegründet 1827
Samstag, den 3V. Juli 1927
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Tagesspiegel
7 >?e 1l7krlst"7.Fs"«cker k-i-tt 'st?en Reichsparkeikas vom 24. bir, 27. August in Hamburg ab.
Nach einer Meldung aus Washington sollen Präsiden! Lv'-Nge und das Mariveamk entschlossen sein, keine weiteren Venr.iltlungsvorschlägc in der Flsttenabrüstung mehr zu machen. Die englischen Dorsch,läge (daß Amerika die Wiche stahl von Kreuzern bauen dürfe, wie England sie bereits besitze oder noch bauen werde) feien für Amerika unannehmbar. weil sie Amerika zwingen würden, für Neubauten etwa eine halbe Milliarde Dollar auszugeben oder auf die Gleichest zu verzichten, da England sich weigere, seine Kreuzerzahl zu verringern.
Die Nankingtruppen Tschangkaischeks sollen von den Nordgeneralen Tschangkschungtschaug nnd Suschuanfang schwer geschlagen worden sein.
Politische Wochenschau.
„Kein Körnchen Wahrheit in Artikel 2311" Das ist die Antwort, die der bekannte amerikanische Prof. Larnes auf der 5. ordentlichen Reichstagung des „Reichs- vrrbands akademischer Kriegsteilnehmer" in Weimar aus die Sonntagsrede Poincares in Orchies gab. Die C.'schichtsforscher aller Länder seien sich darüber einig, daß alle andern Staat ° ganz besonders aber Rußland und Frankreich, größere Schuld am Kriegsausbruch treffe als das vielgeschmähte Deutschland. Es sei höchste Zeit, daß man mit Artikel 231 aufräume. Auf der Grundmauer von Versailles, den „schreiendsten Kriegslügen und Kriegsheucheleien" lasse sich der Bau von Locarno nicht errichten. Aber auch die deutschenEntschädigungs- Zahlungen müßten aufhören. Es sei unmoralisch, eine Geldstrafe den angeblich schuldigen Völkern aufzuerlegen, die sich viel weniger verantwortlich erwiesen haben, als die meisten ihrer Richter. Vielmehr müsse eine europäische Wirtschaftskonferenz einen gerechten Plan für die Ausgleichung der unseligen Wirtschaft lichen Folgen des Versailler Vertrags vornehmen.
Das klingt wahrhaftig ganz anders als die Anklagen Poincares. Was aber speziell Orchies betrifft, das allerdings dem Erdboden gleichgemacht wurde, so wird die Welt, wird auch Frankreich — freilich weiden die Franzosen nichts davon zu lesen bekommen — staunen, wenn sie aus den Protokollen des deutschen Untersuchungsausschusses die Gründe erfahren, warum die Deutschen zu diesem Ver- geltungs- und Abschreckungsmittel notgedrungen greifen muhten. Ein Dutzend Zeugen, darunter auch 2 französische Geistliche, haben unter ihrem Eid bezeugt, daß am 23. Sept. 1911 eine deutlich erkennbare deutsche Lazarettkolonne von französischen Soldaten und Franktireuren überfallen und daß am 25. September 21 deutsche Soldaten vorgesunden wurden, denen Ohren und Nasen abgeschnittn, die Augen ausgestochen und sie durch Einschüttung von Sägmehl erstickt worden waren. Die Zerstörung des von den Einwohnern S'-wor geräumten Orts bewirkte, daß mit einem Schlag derartige Niederträchtigkeiten aushörten.
So etwas wird wohlweislich verschwiegen. Die Hauptsache ist, daß gegen Deutschland gehetzt werden kann. Das ist aber nur möglich, wenn man über unsere wackeren Truppen die abscheulichsten Kriegslügen verbreitet und, wo sic in Vergessenheit geraten sollten, mit Reden in die Erinnerung zurückruft, damit ja der Haß gegen Deutschland nicht verblassen kann. Dabei eilen leider sogen. „Deutsche", wie ein Arnold Rechberg, unseren Ekz- und Todfeinden zu Hilfe. Dieser Tropf konnte im „Avenir", einem rechtsradikalen französischen Blatt, schreiben, Locarno sei nur ein Fetzen Papier. Frankreichs Sicherheit sei ganz und gar nicht sichergestellt. Wenn in einem neuen Krieg Deutschland siegreich bleiben würde, dann blwbe diesmal in Frankreich. wie in Orchies, kein Stein aus dem andern.
Daß „Versprechungen" in der Politik unsichere Wechsel auf die Zukunft sind, beweisen nicht nur Locarno und Thoiry. -auch andere scheinen sich herzlich wenig Gewissensbisse zu wachen, wenn sie eine feierliche Zusicherung nicht einlösen. Zu diesen unsicheren Kunden zählt auch Herr Woldewaras, der Ministerpräsident von Litauen. Versprach der -Nonn auf der Junitagung des Völkerbundsrats, „mit 9wßter Beschleunigung den Zustand, der dem Memeler Statut entspricht", sicherzustellen. Er sagte es so bestimmt N>, daß unser leichtgläubiger Außenminister Dr. Strese- wnnu auf eine weitere öffentliche Behandlung der Memeler -vc ^werde verzichten zu dürfen glaubte. Seither warten und warten die Memelländer und — nichts geschieht: Kriegszustand und Presse,zensur gehen ruhig weiter; ein --üesinnungstüchtiger" Schulrat kommt an die Skelle des w)ne allen Grund abgesetzten deutschen Schulrats Meyer, der -neLakteur Schell von der „Memelländischen Rundschau" w-rd wegen angeblicher Verfehlung gegen die Zensurvor- lchriften über Nacht des Landes verwiesen, mit der versprochenen Einberufung des Landtags und Herstellung der wtzungs-mäßigen „Verwaltungsautonvmie" wird Schindluder getrieben u. a. m. Man sieht, der „Geist von Locarno", Io wie ihn Poincare „auffaßt", steckt alle unsere Nachbarn °n. das heißt versprechen, aber den Deutschen gegenüber taucht man es nicht zu halten.
Was werden wohl jetzt die Polen machen? Der völkerkundliche Internationale Schiedsgericktshof hat in dem Ehorzower Stickstoff-Prozeß, der nächstdem dem Wurm gleicht, der nicht stirbt, abermals die Einrede der Polen
Wahrheit oder Lüge?
Vor mehreren Jahren hat der damalige englische Erst- minisier LlondGeorge erklärt, die Enwafsnung Deutschlands sei vollständig durchgeführt, so vollständig, daß das jetzige deutsche Heer nicht einmal einen Kamps mit der Londoner Polizei mehr wagen könnte. Trotzdem erfanden der Pariser Botschafterrat oder besser seine Hintermänner Poin- care, Foch, Benesch, Pilsudsky usw. immer neue „unerfüllte Punkte", die natürlich mit den Bedingungen des Versailler Vertrages gar nichts mehr zu tun chatten. Das ging so Jahre hindurch; von Deutschland wurde immerfort erfüllt, und von der gegnerischen Seite wurden immer neue „Restpunkte" erfunden. Mit der Zerstörung der Unterstände an den deutschen Ostsestungen schien nach der Meinung der vielen Unbelehrbaren endlich das letzte Glied in der langen Kette der „Restpunkte" erreicht zu sein. Da kam die Forderung, daß diese Zerstörung erst von den Ueberwachungsoffizieren des Verbandes nachgeprüsi und beglaubigt sein müsse. Die Erklärung der Reichsregierung und der Reichswehrbehörden wurden damit als unglaubwürdig gestempelt. Trotz der schwren Beleidigung und Demütigung des Reichs wurde aber auch diese Forderung nach längeren nutzlosen Verhandlungen von Deutschland erfüllt. Nach dem Friedensvertrag soll aber das deutsche Rheingebiet nach Durchführung der Entwaffnung sofort geräumt werden. Frankreich will aber nicht räumen und spricbt dies immer wieder öffentlich aus. Ob dies gegen den Vertrag von Versailles ist, ist den Franzosen ganz gleicbgültig: sie sind über- bewaffnet, Deutschland ist ent waffnet, also ist trotz Vertrag und Versprechen das Recht immer auf seiten Frankreichs, denn es hat die Macht.
Ein wenig anders ist es bei E n fl l a n d. In der Hauptsache ist England, soweit es gegen Deutschland geht, immer einverstanden, aber es möchte für seine Haltung doch Gründe oder Scheingründe angeben können, um äußerlich das Gesicht der „Rechtlichkeit" wahren .zu können. Wenn daher immer wieder neue „RiApunkte" austauchen, die die Räumung verzögern — die, wie gesagt, Frankreich im Gefühl seiner Militärmacht überhaupt nicht durchführen will, bevor . .—
es feine riesigen neuen Befestigungspläne vc^ktndet hat — so wird man vielleicht nicht weit vom Ziel schießen, wenn man annimmt, daß man in London die Neuerfindung von „Restpunkten", zu denen in gewissem Sinn ja auch die Verleumdungen der Belgier Brocqueville und Vandervelde gehören, nicht ungern sieht, wenn sie nicht gar, zum Test wenigstens, von englischer Seite ausgehen.
Ganz' bezeichnend hiefür ist eine Verhandlung im englischen Unterhaus am 27. Juli. Der Abgeordnete Kennwort h y stellte an die Regierung die Anfrage, ob die Entwaffnung Deutschlands jetzt als beendet anzusehen sei. Der Unterstaätssekretär des Auswärtigen Amts, Locker Lamp- s o n, also der Stellvertreter Chamberlains. antwortete: Der Pariser Votschasterrai habe den in jeder Beziehung befriedigenden Bericht der Ueberwachungsoffi,ziere über die Vernichtung der deutschen Ostbefestigungen gebilligt. Das Abkommen mit der deutschen Reichsregierung, auf Grund dessen am 31. Januar d. I. die Ueberwachungskommission zurückgezogen worden sei, umfasse aber nicht nur die Vernichtung dieser Befestigungen, sondern auch gewisse andere Punkte i» der Entwaffnung Deutschlands, bei denen die gestellten Forderungen noch nicht völlig befriedigt worden seien. Bevor dies nicht geschehen sei. könne nicht gesagt werden, daß die vom Friedensvertag ins Auge gefaßte Abrüstung «Mändig sei. Die Räumung des Rheinlands sei abhängig gemacht vo« Deutschlands Erfüllung seiner Vertrags-Verpflichtung en im allgemeinen tnL nicht nur derer, die sich aus die Abrüstung beziehen. ^ -
Es erübrigt sich wohl, dieser Heuchelei ein Wort Wo- ,zuzufügen: aas Wort „im allgemeinen" sagt alles. Di« Forderungen, die der Verband bei solcher Auslegung des Versailler Vertrags noch stellen kann und wird, sind gar nicht abzusehen, sie haben keine Grenzen, mag Deutschland auch immerzu erfüllen. Jede weitere erfMte Forderung soll «us weiter hinunterbringen und demütigen. Das ist der Wille sowohl in Paris, wie in London. Aber geräumt wird nicht. Da hilft kein Locarno, kein Thoiry und kein Genf. Um „Restpunkte" werden die im Botschafterrat vereinigten Mächte niemals verlegen sein, und schließlich haben sie ja die Macht.
verworfen, also dem deutschen -Standpunkt recht gegeben, somit seine Zuständigkeit in der Sache erneut bejaht. Wird sich Polen endlich fügen? Oder glaubt es, daß es als „halbstündiges Ratsmitglied" mehr Recht habe als andere Staaten?
In Genf tagt nun immer noch die Seeabrüstungs- konferenz. Wenn man recht sieht, sind die Beratungen nun an dem kritischsten Standpunkt angelangt: die Engländer wollen mehr Kreuzer haben, als die Amerikaner ihnen zugestehen. Um ihrer Sache sicher zu sein, reisten die beiden englischen Vertreter nach London ab, um dort mündlichen Bericht zu erstatten und genaue Weisungen einzuholen. Nach den neuen Nachrichten aus London zu schließen, will das Kabinett weitere Zugeständnisse machen. Man fürchtet in London, daß sonst die Amerikaner davonlaufen und die Konferenz dann in die Brüche gehe — woran man doch nicht schuld sein möchte. Es fragt st-'' nur, ob Washington auch noch weiter nachzugeben bereit ist. Wenn nicht, dann wird eben auch auf der See weiter um die Wette gerüstet wie es zu Lande geschieht. Coolidge wird am Ende sagen: „Meine Mittel erlaubn mir das." Und das stimmt.
Daß dem amerikanischen Koloß auf die Dauer niemand mehr widerstehen kann, beweist die Streit mit Nicaragua. Coolidge hat den Liberalen, also dem Anhang des mexikofreundlichen Gegenpräsidenten Sacasa, folgende 'Bedingungen gestellt: Diaz, der konservative amerika- freundliche Präsident, soll bis zu den 1928 stattfindenden Neuwahlen im Amt bleiben; die Liberalen sollen „amnestiert" werden und in das Kabinett eintreten; die Polizei unter amerikanischen Offizieren tritt an die Stelle des früheren Heers, und die 3090 Mann amerikanische Truppen bleiben bis 1928 im Lande. Damit ist Nicaragua praktisch eine Kolonie der Union geworden. Und so steht dieser nichts mehr im Wege, um ihren längstgehegten Plan eines K analb aus durchzuführen. Der Panamakanal genügt wirtschaftlich und militärisch den ungeheuren Ansprüchen, die an ihn gestellt werden, nicht mehr. Die Union braucht ganz notwendig einen zweiten Kanal, der die beiden Weltmeere verbindet und in dessen großen und tiefen Binnenseen die vereinigte Riesenflotte Platz finden kann. Dazu kommt noch, daß der Nicaragua-Kanal, dessen Kosten auf 1 Milliarde Dollar brechnet wird, keine Schleusen nötig hat. Schleusen aber können im Kriegsfall leicht gesprengt werden.
Der blutige Freitag in Wien hatte sein Nachspiel im Nationalrat, wo Bundeskanzler Dr. Seipel die Maß- n:. men der Polizei und die Haltung der Regierung mit Geschick verteidigte. Die Sojzialdemokraten forderte er auf, endlich einen dicken Strich Mischen sich und den Brandstiftern zu ziehen. Der sozialdemokratische Sprecher Dr. Bauer ließ sich aber nicht darauf ein. Er antwortete vielmehr mit einem Mißtrauensantrag gegen die Regierung. Natürlich wurde derselbe von der Regierungsmehrheit ab gelehnt. Sicher ist, daß ohne die entschlossene Haltung der Regierung aus der Revolte eine Revolution geworden wäre. Aber ebenso gewiß ist, daß die ganze Neukonstruktion, die der Vertrag von St. Germain mit dem zerkleinerten Oesterreich voraenvmmen hat, ohne Anlehnung
cu einen Eroßsraat auf die Dauer untragbar ist. Die finan- z ie Sanierung, die der Völkerbund nachträglich zur Korrektur des großen Fehlers der Entente vorgenommen hat, ist eine halbe Maßregel. Wirtschaftlich bleibt ein Staat, in welchem jeder vierte Arbeiter erwerbslos und die Jugend zukunstslos ist, ein Gemeinwesen, das nicht leben und nicht sterben kann.
In Deutschlands Innenpolitik ist der Austritt des Reichskanzlers Dr. Marx aus dem Reichsbanner das hervorragendste Ereignis der letzten Woche. Neben demselben steht der Rücktritt des Reichsbannersührers Hörsing van seinem Posten als Oberpräsident Sachsens. Damit ist die seitherige freundliche Haltung des Zentrums zum Reichsbanner stark erschüttert. Hörsing wird natürlich alles tun, um einen endgültigen Riß zu verhindern.
Im übrigen bereitet sich das deutsche Volk vor, um den 80. Geburtstag seines Reichspräsidenten Hindenburg (2. Oktober) würdig ,zu begehen. Möge Deutschland unter diesem Romen sich sammeln und einige«! H . H
Neuestes vom Tage
Zentrum und Reichsbanner
Berlin, 29. Juli. Die gestern in Berlin versammelten, dem Zentrum angehörigen Mitglieder des Reichstags sprachen ihr Bedauern aus, daß Reichskanzler Dr. Mar x sich durch den Aufruf Hörsings zum Austritt aus dem Reichsbanner veranlaßt gesehen habe. Daraus ergebe sich aber für di« anderen Zentrumsmitglieder nicht die Folgerung, ebenfalls auszutreten. Es wurde andererseits die Erwartung ausgesprochen, daß derartige Entgleisungen des Reichsbanners künftig unterbleiben und die außenpolitische Neutralität gewahrt bleibe.
Fuler n at i omder Sirchenkcmgreß Konstanz, 26. Juli. Unter Beteiligung bekannter kirchlicher Führer des In- und Auslands trat in Konstanz unter dem Vorsitz des Dean os Worchester der Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen, der sich die Mitarbeit der Kirchen an der? Werk der Völkerverständigung zur Ausgabe gestellt hat, zu einer Tagung seines Arbeitsausschusses zusammen.
Bratianu in Verlegenheit
Paris. 29. Juli. „Paris Matinal" meldet ans Bukarest, dem jetzigen Ministerpräsidenten Bratianu seien aus seinem Landhaus in Florida wichtige Schriftstücke gestohlen worden, die ein eigenartiges Licht aus die Machenschaften der liberalen Partei werfen.
WelMga für Bekämpfung des Bolschewismus London, 29. Juli. Gestern wurde eine Versammlung von bekannten Persönlichkeiten des politischen und wirtschaftlichen Lebens abgehalken. Es wurde die Ermächtigung zu vorbereitenden Schritten «rteilt, die auf Gründung einer Weitliga für Bekämpfung der bolschewistischen Lehren hin-