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Ummaus

S 23 Rogate M 24 Esther, Sus.

D 25 Urban M 26 Beda, Phil.

D 27 Chr. Himraelf. F 28 Wilhelm.

S 29 Christine

Nr. 21/ 6. JAHR / 23. MAI 1954

ILLUSTRIERTES WOCHENBLATT

Mathematik ungenügend / Von Hellmut Holthaus

A zu b wie c zu x! Dies ist ein durch und durch verläßlicher Satz. Er besagt, daß zum Beispiel ein Fünf­zigmarkschein sich zu einem Hundert­markschein verhält wie ein Zehn­markschein zu einem Zwanzigmark­schein.

Sollten Sie es auf den ersten Bück verstanden haben, sind feie in meinen Augen ein mathematisches Genie. Ich habe neun Jahre dazu gebraucht. In der Tat, aües, was ich in neun Jahren Mathematikunterricht gelernt habe, ista zu b wie c zu x. Das ist eine traurige Bilanz, und die Frage wäre ganz berechtigt, was in aller Welt wir denn neun Jahre lang in der Mathe­matikstunde getrieben haben. Es lag aber nicht an der Schule, es lag an mir. Denn es muß gesagt sein, daß ich der schlechteste aller Mathematik- schüler gewesen bin, die ehemals leb­ten, jetzt leben und künftig leben werden: ein König an Unwissenheit, ein Ungeheuer an Begriffsstutzigkeit, eine Atombombe an Verbohrtheit, der Schrecken der Mathematiklehrer, welche bei meinem Anblick blaß wurden und beiseite wichen.

Nein, die Schule trägt keine Schuld Denn wir haben, soviel ich davon verstehe, in jenen neun Jahren alles

Die Starenfeder

Wenn einst in späten Zeiten,

In die kein Blick mehr reicht, Uber die Felderbreiten Wie Wind ein Schatten streicht Von einer kleinen Wolke,

Von einem Starenvolke,

Dunkel im lichten Blau

Und wenn von allen Staren Am goldenen Mittelmeer,

Wo sie zu Gaste waren,

Bei ihrer Wiederkehr Aus rauschendem Gefieder Ein Federchen hernieder Auf unsre Erde fällt:

Dann sind wir längst begraben. An unsern Gräbern steht Mit bunten Blumengfiben Ein Enkelkind: dem weht Das Federchen im Fluge

Vom großen Vogelzüge Zu seinen Füßen hin.

Die Schrift auf unserm Hügel Verwittert, naß und kalt,

Noch rauschen Starenflügel Nach Süden überm Wald

Ein Federchen von allen,

Die ihm so gut gefallen,

Das zierlichste von vielen Gibt in die Hand zum Spielen Die junge Mutter ihrem Kind.

HANS THYRIOT

Varietebühne gehörte, aber ich habe mit eigenen Augen Schüler gesehen, die es konnten. Bei mir brachen die Blätter und Zweige immer ab, die Wurzel saß zu fest...

Das aber war Spielerei gegen die ernsthaften mathematischen Opera­tionen großen Stils, an die wir uns heranwagten. Wir schrieben Berge von Heften voll mit magischen Zei­chen und rechneten Logarithmen, Dif­ferential und Integral, als wären es Groschen und Pfennige. Ich beteiligte mich hochstaplerisch an diesem wis­senschaftlichen Treiben, obwohl ich zu keinem Zeitpunkt meines Lebens gewußt habe, was ein Logarithmus, Differential oder Integral ist. Und wenn die Mathematik ein mächtiger iDiktaturstaat wäre, und ich käme ins Gefängnis, und der Kommissar Pytha- goroff sagte zu mir: Überlegen Sie sich, was ein Integral ist, Sie haben acht Tage Zeit, wenn Sie es dann noch nicht wissen, werden sie ge­köpft! ich könnte meinem Kopf nicht helfen. Alter Freund, würde ich zu ihm sagen, es ist aus, wir müssen uns trennen, du mußt herunter. Wa­rum hast du auch niemals ein Inte­gral enthalten?

Eines der magischen Zeichen sah aus wie eine liegende Brezel. Dieser erdenhaften Gestalt zum Trotz be- zeichnete es die Unendlichkeit. Ja, wir schreckten vor nichts zurück, verwegen stürmten wir hinein ins Unendliche! Wir berechneten die Sphären und das Unberechenbare, die ganze Unendlichkeit -des Alls. Wir berechneten gewisse Kurven, zaubrische Gebilde, die irgendwo, sa­gen wir zu Freiburg im Breisgau, auf- stiegen und sich emporschwangen bis in die höchsten Höhen, wo sie, ohne einen Augenblick anzuhalten, die Un­endlichkeit kraftvoll durchstießen, graziös eine verblüffende Wendung vollzogen und sich wieder hemieder­senkten, so daß sie in Remscheid oder Mekka landeten. Noch haftete an ihnen ein Sternenschimmer von ihrer überirdischen Reise, wir aber

msam

Neckisches Spiel im Frühlingswind

Aufnahme: Hase

packten sie mir nichts, dir nichts und rechneten sie aus.

Man sieht, es gab genug zu tun für neun Jahre. Es grenzt ans Unglaub­liche, wie ein Mensch es fertig bringt, in neun Jahren nichts zu lernen als a zu b wie c zu x. Ich darf mich dieser Leistung rühmen, und sie er­füllt mich mit einem gewissen ruch­losen Stolz. Es kann keine kleine Ar­

beit gewesen sein, ein solches Aufge­bot von Mathematik abzuwehren, und ich weiß heute noch nicht, wie ich sie bewältigte. Ich hatte Reißzeug und Bücher wie alle anderen, auch schrieb ich Hefte voll, aber alles, was ich schrieb, war falsch. Am Anfang stellte ich noch manchmal eine Frage: Herr Schulrat, ich habe es nicht ver­standen. Dann erklärte er es noch

Nachtaufnahme / Von Adrienne Qlöckner

angestellt, was ein Mensch in der mathematischen Wissenschaft anstel­len kann. Früh schon hörten wir die Namen der ruhmreichen Männer Euklid und Pythagoras, gewisser­maßen des Großen Kurfürsten und des Alten Fritz der Mathematik, de­ren Taten darin bestanden, daß sie jeder einen Satz aufsteüten.

Euklid und Pythagoras standen ziemlich . am Anfang unseres Pro­gramms. Ihre Sätze gingen in meinen Kopf nicht hinein, wodurch sie mir neun Jahre lang fehlten, denn das ganze Programm war so listig aufge­baut, daß eine Sache keineswegs ab­getan wart nachdem man sie einmal durchgenommen hatte. Neun Jahre lang zogen wir Wurzeln und berech­neten wir Winkel, Dreiecke und Kör­per von den seltsamsten Formen. Die Wurzel zogen wir mit der bloßen Hand. Das war ein sehenswürdiges Kunststück, das eigentlich auf die

Die Kirchturmuhr schlug erst vier­mal, und dann kamen langsam und ein paar Töne tiefer noch zwei Glok- kenschläge.Zwei Uhr, sagte der alte Mann und gähnte ein bißchen. Zwei Uhr, wiederholte mechanisch die Frau, die ihm gegenüber saß und ließ den Pullover, an dem sie strickte, in den Schoß sinken. Nach einer Wei­le packte sie ihn in eine Tasche.Ich sehe nichts mehr, murmelte sie,bin auch zu müde.

Die Beleuchtung ist schlecht, sagte eine andere und klappte ihr Buch zu.Wie weit sind die denn da draußen? Kommen wir nicht bald zur Aufnahme?

Sie bekam keine Antwort. Der Alte zuckte die Achseln.Wir warten ja erst drei Stunden, sagt er schließ­lich und stand auf. Er tat die drei, vier Schritte durch das Abteil und trat auf den Gang hinaus. Einige Menschen standen herum und rauch­ten, die anderen es waren viele saßen auf ihren Plätzen. Er ließ ein Fenster herab und blickte in die Nacht.

Der Rabe und die Nachtigall

Ein alter Rabe krächzte von einer knorrigen Eiche weit in den grünen Wald hinein. Darüber aufgebracht fuhr ihn die musische Nachtigall an: Nicht einmal mehr in Ruhe kann man seinem Geschäft nachgehen ob deinem elendiglichen Gekrächze. Den ganzen Wald störst du mit deinem Mißgesang. Warum singst du so laut und so falsch?

Was kann ich dafür. Du hörst eben nicht richtig, versetzte ruhig

der Rabe und stimmte ein neues Lied an. *

Ein alter, mit sich und der Welt hadernder Esel, der des Weges kam, ärgerte sich über den Schatten eines Baumes:Wer gibt dir das Recht, dich so breit zu machen, wo du doch niemandem etwas nützest? Warte nur, ich werde dich schon eines anderen belehren, sprachs, bedeckte den Schatten mit Sand und schritt befriedigt hocherhobenen Hauptes davon. H. u

Der Zug stand ein paar hundert Meter vor dem kleinen Vorortbahn­hof Münchens. Die Gleise blinkten matt im trüben Licht der Hängelam­pen. Gegenüber stand ein leerer Gü­terzug mit vielen Wagen. Es war still und kalt. Der Himmel flimmerte von Sternen, dazwischen hing schmal und silbern die Mondsichel.Da ist ja der Mond, dachte der Alte fast ver­wundert und sah mit seinem gefurch­ten, braungeschminkten Gesicht hin­auf.Wie lange ist es her, sann er, daß er mir etwas bedeutet hat? Vierzig Jahre. Fünfzig Jahre. Da­mals las ich in seinem Schein die Worte der großen Dichter, und sie brannten in meinem Herzen, und ich mußte weinen, um nicht zu ver­gehen. Ja. Ich wollte ein zweiter Kainz werden, mindestens. Ich bin nichts geworden. Ich habe an mittle­ren Theatern mittlere Rollen gespielt und mühsam meine Familie damit ernährt. Jetzt bin ich allein und froh, wenn sie mich hier und da als Kom­parsen nehmen. Ja. Und es tut nicht einmal mehr weh. Wie kommt das? Er starrte immer noch in den Mond. Du bist alt, sagte eine Stimme in ihm.Es ist die Barmherzigkeit des Alters. Der Brand ist gelöscht. Was bleibt, ist die Stille.

Vom Bahnhof her kam ein heller Schein. Im Lichte vieltausendkerzi- ger Jupiterlampen wurde die Ab­schiedsszene zwischen den beiden Hauptdarstellern gedreht. Endlich. Bald würde der Zug langsam nach vorn fahren, die Komparsen werden ein- und aussteigen, es wird ein Ru­fen, Lachen, Abschiednehmen und Winken sein und der weibliche Star wird mit schleppenden Schritten am Zug entlanggehen und mit gro­

ßen, todtraurigen Augen aus dem Fenster zurückschauen.

Das wird dann der Moment sein , wo die Frauen im Parkett verstoh­len zum Taschentuch greifen, dachte der Mann und mußte plötzlich la­chen. Er ging in das Abteil zurück. Wenn wir Glück haben, ist es bald so weit, sagte er zu den müden braunen Masken.Gott sei Dank, seufzte die eine und griff zum Spie­gel, um die Lippen nachzuschminken. Scheußlich, diese Nachtaufnahmen. Na, ich bin nur froh, daß mein Mann jetzt eine Stellung bekommt, dann habe ich das hier nicht mehr nötig.

Ja, wir haben uns das alle mal anders vorgestellt frühersagte irgendeine Stimme, und diese Stim­me klang traurig.Ach was, meinte die Frau,ich bin froh, daß ich das hinter mir habe. Eine kleine, behagliche Bürgerlichkeit, das ist das Beste, was das Leben einem geben kann.

Ganz in der Ecke saß ein sehr jun­ges, sehr hübsches Mädchen und hörte diese Worte. Es hatte bis jetzt in sei­nen Mantel gekuschelt dagesessen und vor sich hingeträumt.Was die reden, dachte es nun und empfand eine große Überlegenheit.Sie sind alt. Und sie haben wahrscheinlich nie etwas gekonnt, sonst wären sie nicht Komparsen geblieben. Bei mir ist das anders. Ich bin jung. Ich bin begabt, ich weiß es. Eines Tages werde ich entdeckt, vielleicht schon bald, viel­leicht schon heute nacht-. Sie

schmiegte sich wieder in den Mantel, der neben ihr hing, und lächelte. Und träumte von der großen Karriere, die sie machen würde. Sie war sehr jung. Knapp achtzehn.

STILLES WUNDER

Wunder, das uns Menschen der Städte und der lärmerfüllten Tage manchmal überfällt: Stille auf Waldwegen, Ruhe, im Mittagslicht um sonnbeglänzte Hänge stehend, oder Schweigen, groß und un­endlich über Ebene und Weite von Landen gebreitet. Stille berührt uns, wie eine fremde, kühle Hand uns be­rühren mag, denn wir und der Gang unserer Zeit sind der Stille entfrem­det. Wir haben uns daran gewöhnt, die Stille und den leeren Raum zu fliehen. Sie wecken Urangst in uns. Ihrer starken Forderung zur Besin­nung sind wir müde geworden, und der Blick, den keine zerstreuenden Bil­der verwöhnen, fällt auf das Selbst zurück. So ist das Wunder des Frühlings, der uns wie keine andere Jahreszeit zurück in die Stille einsamer Täler und Weiten führt, ein Weg zu unserer Eigentlichkeit, die im Lärme der All­täglichkeit gar zu leicht sich verliert. Denn das ist es, was uns nottut und un­ser wahres Sein im Grunde erfüllt: unbegangene Wege zu gehen, am Abend, zu sehen, wie die rote Sichel vom Frühjahrsmond sich aus den Fel­dern löst und die begnadeten Verse zu denken, mit denen Mathias Claudius die Stimmung solcher Stunden be­schworen. Die Torheit einer Blume zu finden, die lächelnde Einfachheit einer Blüte, die wie tröstendes Licht einer Kerze lang in die Dämmerung glüht, das birgt für uns das beseligende Wunder, daß das Vollkommene dieser Welt im kleinen sich ereignet und im Schweigen des Unscheinbaren, das wie eine Mauer schützend aufwärtsstrebt. Nie ist Stille überm Land so groß und erfüllt, wie in unseren Tagen, da der Bogen des Frühlings bereits zu den satten Ufern des Sommers sich zu spannen beginnt. Das Gefühl baldigen Vollführtseins weckt Wunsch und Sehn­sucht in uns nach Heimkehr und Voll­endung, die stetig, da wir Menschen sind, sich stumm vor uns verschlie­ßen. Werner Birkenmaler

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einmal, aber höchst sonderbar, kaum begann er eine mathematische Er­klärung, da fühlte ich eine schwarze Klappe in meinem Kopf herabfallen, und diese Klappe schloß alles, luft­dicht ab, so daß nicht ein mathema­tisches Stäubchen herein konnte. Nur einmal, als nämlicha zu b wie c zu x durchgenommen wurde, muß die Klappe versagt haben. Wenn das Ge­fühl vom Vorhandensein der Klappe mich nicht trügt, kommt alles Ver­dienst ihr zu, und meine mathema­tische Unberührtheit erklärt sich auf die einfachste Weise, denn ein Mensch mit einer Klappe im Kopf braucht sich nicht weiter anzustrengen, er kann sich ganz auf sie verlassen. Spä­ter fragte ich nicht mehr, und der Lehrer fragte mich auch nicht. Das war ein Abkommen.

Bis heute hat mir mein Verhältnis zur Mathematik noch keinen Nachteil gebracht. Ungleich Albert Einstein führe ich ein vollständig unmathe­matisches Leben. Die normalen Ver­richtungen eines Haushaltungsvor­standes, wie Strickwolle halten, Ofen­rohre entrußen,' Kinder anziehen, Märklinbauten errichten, Märchen er­zählen, Rechnungen bezahlen und zwei Prozent Skonto abziehen, erle­dige ich ohne Zuhilfenahme der Ma­thematik. Natürlich muß ich auch Geld verdienen, aber ich war glück­lich genug, eine Arbeit zu finden, die sich in sicherer Deckung vor jeglicher Mathematik vollzieht.

Als die neun Jahre herum waren, bekam ich eine Fünf. Das wird kei­nen Leser erstaunen, wie es auch mich nicht erstaunte. Hätten sie eine sechs gehabt, hätte ich diese bekom­men müssen. Aber damals gab es als Ausdruck des Untersten und Letzten nur die Fünf und ich hatte sie ver­dient

Und doch! Vor einigen Tagen kam mir das Zeugnis wieder vor Augen, und da stand noch die Fünf, wie sie der Studienrat vor einem Viertel­jahrhundert geschrieben hatte, die Tinte war noch nicht verblaßt. Ein Mord verjährt in zwanzig Jahren, eine Fünf verjährt nie. Das ist un­gerecht