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Gegründet 1827
Donnerstag, den S. Juni 1927
Fernsprecher Nr. 2»
101. Jahrgang
Tagesspiegel
Dr. Liresemann ist nach seiner Begegnung mit Lschitsche- I rin in Baden-Baden wieder in Berlin eingekrossen. um dem Reichskabinett über die Besprechungen Bericht zu erstatten. Am Donnerstag sollen die Richtlinien für die Genfer Tagung des Völkerbundsrats festgesetzt werden. Am Freitag E wird Dr. Skresemann nach Genf abreisen.
! Tschitscherin ist in Berlin eingekrossen.
s Der Deutsche Ltädkekag hat den Verwalkuugsrcrt der I Reichspost in einer Eingabe dringend gebeten, der vorge- !: schlagenen Erhöhung der Postgebühren die Zustimmung zu ^ versagen.
; Die südslawische Regierung hak ihren übereilten Befehl, daß die südslawischen Konsuln aus Albanien nach Süd- slawien zurückkehren sollen, zurückgenommen. Dagegen schein! der Gesandte vorläufig zurückgezogen zu sein.
Der französische Gesandte in Belgrad, der in Paris auf Urlaub weilte, ist beschleunigt nach Belgrad zurückgereist.
Die deutsche Zahlungsbilanz 1926
Das Statistische Reichsamt bringt in der Zeitschrift „Wirtschaft und Statistik" eine Untersuchung über die deutsche Zahlungsbilanz im Jahr 1926, die ein wertvolles Bild von der Bewegung der Forderungen und Verpflichtungen Deutschlands im internationalen Verkehr gibt.
Für 1926 ergibt sich zwar eine gegenüber 1925 erfreuliche Entwicklung, aber zum großen Teil nur unter besonderen Voraussetzungen, die nicht immer eine längere Dauer verbürgen^ Die Warenhandelsbilanz ist mit 888 Millionen aktiv gegenüber einer Passivität von 2526 Millionen im Jahr 1925. Aber bekanntlich ist diese Verschiebung in der Hauptsache aus die innere deutsche Krise und die großen Rohstoffvorräte aus dem Vorjahr zurückzusühren, die den Einfuhrbedarf stark herabminderten und an sich einmalige Erscheinungen sind. Bereits im zweiten Halbjahr war der deutsche Warenhandel wieder mit 159 Millionen passiv, wozu im ersten Drittel 1927 noch rund eine Milliarde 'hinzugetreten ist. Die Steigerung des Ueberschusses aus Dienstleistun gen um rund 10Ü Millionen ist erfreulich, aber im Vergleich zur Vorkriegszeit und im Hinblick auf die Erfordernisse der gestiegenen Belastung der deutschen Wirtschaft lange nicht genügend. Schon macht sich der Zinsendienst für die Auslandanleihen durch einen auf 180 Millionen verdoppelten Passivsaldo für diesen Posten geltend. In Zukunft wird dieser Zinsendienst, wie durch die Vorgänge der letzten Wochen am Devisenmarkt schon fühlbar geworden ist, zunächst weiter erheblich anwachsen und ! fürs erste wohl nur zu einem kleineren Teil durch Zinsei nn ahmen aus deutschen Anlagen im Ausland ausgeglichen werden. Die Passivität der Zahlungsbilanz ist weiter in verstärktem Grad erhöht worden durch die Steigerung der Daweslei st ungen um 350 aus 1031 Millionen Mark ! und wird sich in Zukunft gleichfalls wieder erhöhen. Dagegen hat die Belastung durch die Einfuhr von Währungsdeckungsmitteln eine Verminderung um rund 50 auf 667 Millionen erfahren und dürste sich in Zukunft weiter ver- ! ringern.
Alle bisher behandelten Posten ergeben für 1926 einen P a s s i v s a l d o der Zahlungsbilanz von 743 gegenüber 3955 Millionen im Jahr 1925. Seine Deckung erfolgt durch den Kapitalverkehr. Hier haben zunächst die öffent- ^ lich aufgelegten Auslanda/nleihen dem Auszah- lungs-werr nach eine Vermehrung um 270 auf 1400 Millionen erfahren, ferner sonst bekanntgewordene Anleihen, d. h. kurzfristige Anleihen mit einer Laufzeit von einem halben Jahr bis drei Jahren, Hypothekarkredite u. a., wahrscheinlich zu niedrig gedrückt, um 90 aus 200 Millionen. Ferner sind von der Reichsbank freie Devisen im Betrag von 57 gegen 433 Millionen in den Verkehr abgeflossen. Auf der andern Seite erforderte die Vermehrung der Goldrücklage der Reichsbank im Ausland einen Betrag von 74 Millionen, während im Vorjahr die Verminderung 111 Millionen als Aktivsaldo erbrachte. Die Tilgung langfristigerAuslandanleihen erforderte bereits 65 gegenüber 12 Millionen Mark 1925. Die bisher angeführten Posten des Kapitalverkehrs bedeuten eine Ueber- deckung des oben mit 743 Millionen angeführten Passio- saldos der deutschen Zahlungsbilanz durch einen Betrag von 775 Millionen. In dieser Höhe muß daher eine Kreditgewährung Deutschlands an das Ausland erfolgt sein.
Im einzelnen ist ein erheblicher Betrag zur Erweiterung der bei der Ausfuhr deutscher Waren gewährten deutschen Handelskredite, z. B. an Rußland, verwandt worden, ein Teil wohl auch zur Erweiterung der deutschen Auslandanlagen. Im Jahr 1925 hatten die Auslandanleihen und die Bewegung der freien Devisen und der ausländischen Goldrücklage der Reichsbank nicht entfernt genügt, den Pafsiv- saldo von 3955 Millionen zu decken. Außer einem Rückfluß gehamsterter Noten,, der mit 200 Millionen geschätzt wird, mußte er vielmehr in Höhe von 2043 Millionen ausgeglichen werden durch sonstige Auslandkredite, Kapitalrückkehr, Liquidierung und andere Bewegungen deutscher Auslandvermö- gen, sowie sonstige ausländische Vermügensanlagen in Deutschland.
Was die weitere Entwickluna anaeht. so ist eine Liaui -
Die Ozeanflieger
Berlin, 8. Juni. Wie wir bereits gestern meldeten, ist Chambertin jubelumtost in Berlin angekommen, nachdem er nachmittags mit seinem Flugzeug „Miß Columbia" in Kott- bus aufgestiegen war.
Ilm 5.35 Uhr erschien es, von 14 Flugzeugen der Fliegerschule und der Lufthansa begleitet, über dem Flugplatz Berlin-Tempelhof und machte zuerst eine Begrüßungsrunde über der Stadt, worauf die Landung in Tempelhof glatt ausgeführt wurde. Die Sirenen des Flugplatzes heulten und die unschätzbar große Menschenmenge brach in stürmischen Jubel aus. Chamberlin und Levine wurden von Reichsminister Dr. Curtius, Staatssekretär Dr. v. Schubert, Bürgermeister Scholz u. a. in kurzen Ansprachen willkommen geheißen, worauf auch der amerikanische Botschafter Schurman eine Ansprache hielt und sie als seine Gäste zu sich einlud. Das Publikum benahm sich bei aller Begeisterung manierlicher als in Paris und London. Dann fuhren die Flieger im lorbeergeschmückten Wagen des Botschafters zur amerikanischen Botschaft, in den Zufahrtstraßen von der dichtstehenden Menschenmenge lebhaft begrüßt.
Chamberlim bei Hindenburg
Berlin, 8. Juni. Der Reichspräsident empfing heute vormittag Chamberlin und Levine, die von dem amerikanischen Botschafter eingeführt wurden, und ließ sich nähere Einzelheiten über den Flug von Neuyork nach Deutschland erzählen. Er beglückwünschte sie herzlich und gab der Hoffnung Ausdruck, daß die Tat ein gutes Vorzeichen für die weitere Annäherung der beiden großen Völker sein werde. Als Andenken überreichte er ihnen sein Bild mit Unterschrift in silbernem Rahmen.
Es wird bemängelt, daß dem die Richtung nach Berlin suchenden Chamberlin — seine Korten reichten nur bis zur
bei Hindenburg
französischen Küste und überdies mußte er in Wolken und Rebel stiegen — auf dem Flugplatz in Dortmund nur durch Peilzeichen der Flugplatzpolizei die Richtung angegeben werden, statt daß sich einige Flieger bereit gehalten und mit der .Columbia" wegweisend geflogen wären. Dann wäre Chamberlin leicht bis nach Berlin gekommen und nicht so weit südlich abgeirrk und bis in die Odergegend vorgedrungen. Die Ordnungen mancher deutscher Flugplätze scheinen noch vervollkommnungsbedürftig zu sein.
Aus Amerika sind am Lauf des Vormittags des 7. Juni für Chamberlin und Levine über 300 Telegramme eingelaufen. Eine Filmfabrik in Hollywood (Kalifornien) hat ihm angeboten, technisches Personal nach Berlin zu senden, um von seinem Wiederabflug Filmaufnahmen zu machen. Bon den Einnahmen solle er 70 v. H. erhalten und außerdem 60 000 Dollar. Chamberlin hat das Angebot abgelehnt.
Am Pfingstmontag sind in Kottbus für ungefähr 50 000 Mark Ferngespräche geführt und Telegramme von in- und ausländischen Berichterstattern aufgegeben worden.
Die Londoner „Daily News" bemerken, am gleichen Abend, wo Chambertin auf dem Tempelhofer Feld in Berlin landete, seien auch die beiden englischen Offiziere Carr und Gillman, die am 20 Mai (am gleichen Tag, wo Lindbergh seinen Pariser Flug begann) den Flug nach Karachi (Indien) antraten, nach London zurückgekehrt. Während aber in Tempelhof 60 000 Menschen Chamberlin zujubelten, seien die Engländer in London nur von einem Dutzend Menschen begrüßt worden, obgleich sie nur 300 Kilometer weniger weit geflogen seien als Chamberlin. — Der Dauerflug der englischen Offiziere ist bekanntlich mißglückt; sie mußten auf dem Persischen Meerbusen niedergehen. Sie wurden durch ein Schiff gerettet, das Flugzeug aber cnna in Trümmer.
dierung von A u s l a n d v e r m ö g e n und dergleichen in der Hauptsache nur noch durch Freigabe des beschlagnahmten Eigentums in Amerika zu erwarten. Auf der andern Seite werden wir mit der zunehmenden weiteren Verflechtung der deutschen Wirtschaft in den Weltmarktverkehr noch stärker als im vergangenen Jahr unserseits dem Ausland Kapital zur Verfügung stellen müssen. Die Beteiligung deutscher Banken im kurz- und langfristigen Kreditgeschäft an ausländischen Geldplätzen ist ja auch in den ersten Monaten von 1927 schon nicht unerheblich gewesen. Wir können die Zinscinnahmen aus derartigen Anleihen wahrlich gut gebrauchen. Dringend nötig ist es aber vor allem, daß die ganze deutsche Wirtschaft, ja das ganze Volk, sich viel mehr als bisher vor Augen hält, daß ein Ausgleich unsrer Zahlungsbilanz auf die Dauer nichtin der Hauptsache durch die Aufnahme von Auslandanleihen erfolgen darf. Vielmehr gilt es, die eigeneKa - pitalbildung zu kräftigen, darüber hinaus durch Anlagen im Ausland steigende Zinseinnahmen zu gewinnen, den Aktivsaldo der Dienstleistungen weiter zu erhöhen und vor allem auch die Handelsbilanz so günstig wie möglich zu gestalten, hauptsächlich durch Verminderung der Einfuhr. Eine passive Handelsbilanz in dem Ausmaß wie vor dem Krieg werden wir uns auf absehbare Zeit nicht mehr leisten können. Freilich erweist die Detrachtuna der Zablungsbilanzen von 1926 und 1925 auch, wie gering die Eriüllungsmöglich- keiten der D a w e s v e r p f l i ch t u n g e n sind.
Neuestes vom Tage
Die Besprechung in Bade« Baden Berlin, 8. Juni. Die „V. Z." glaubt zu wissen, daß bei den Besprechungen Dr. Stresemanns mit dem Moskauer Volkskommissar Tschitscherin in Baden-Baden die finanzielle Auswirkung des Abbruchs der russisch-englischen Beziehungen erörtert worden sei. Tschitscherin babe daraus hingewiesen, daß die Ermordung Wojkows in Warschau zu einer Prüfung der Verhältnisse beider Länder beitragen werde.
Das Steuervereinheitlichungsgeseh Berlin, 8. Juni. Die bayrischen Bedenken gegen das Steuerrahmengesetz sind bekanntgegeben worden. Sie gehen darauf hinaus, daß das Ertragssteuersystem unter allen Umständen in der Hand der Einzelstaaten bleiben müsse. Von andern Länderministern werden mehr praktische Bedenken gegen den Enrwurf erhoben. So ist u. a. darauf hingewiesen worden, daß angesichts der Ueberlastung der Finanzämter eine sofortige Uebertragung der Realsteuerveranlagung auf die Finanzämter nicht möglich sein würde.
Fortsetzung der deutsch-französischen Handelsvertrags- Verhandlungen
Berlin, 8. Juni. Die deutsche Abordnung für die deutschfranzösischen Handelsoertragsverhandlungen ist unter Führung von Ministerialdirektor Posse vom Reichswirtschaftsministerium gestern abend zur Fortsetzung der Verhandlungen nach Paris abgereist.
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Der Gesandtenmord in Marschau .
Warschau, 8. Juni. Die polnische Regierung hat der Sowjelregierung in Moskau ihr Beileid zur Ermordung des Gesandten Wojkow ausgedrückt. Die Sowjetregierung telegraphierte, sic habe die polnische Regierung wiederholt auf mögliche Anschläge aufmerksam gemacht. In den politischen Kreisen herrscht eine gedrückte Stimmung.
Der im 20. Lebensjahr stehende Täter Boris Ko- werda ist Schüler des polnischen Gymnasiums in Wilna. Er sagte im Verhör, er habe die vielen, von den Kommunisten ermordeten russischen Brüder und Schwestern rächen wollen.
Die polnischen kommunistischen Blätter beschuldigen die Sozialistische Partei der Anstiftung zum Mord. In einem Aufruf wird Pilsudski scharf angegriffen.
Die Leiche Wojkows wird nach Moskau überführt.
Indische Fürsten in London
London. 8. Juni. Eine Abordnung der indischen Fürsten ist hier eingetroffen, um im Namen der Fürstenkammer des indischen Parlaments die Frage de? zukünftigen Steilung der indischen Fürsten zu erörtern, wenn demnächst der Ausbau der indischen Verfassung in die Wege geleitet wird.
Württemberg
Stuttgart, 8. Juni. Vertrag zwischen dem herzoglichen Haus und der württ. Regierung. Wie wir von gut unterrichteter Seite erfahren, sind die Mitteilungen der Oberschwäbischen Presse über den Vertrag zwischen dem herzoglichen Haus und der württ. Regierung teilweise unrichtig und ungenau. Der Vertrag dürfte demnächst als Landtagsdrucksache erscheinen und es wird dann Gelegenheit gegeben sein, auf seinen Inhalt näher einzugehen.
Das Sriegervereinswesen in Württemberg. Dem Geschäfts- und Rechenschaftsbericht des Württ. Kriegerbunds für das Jahr 1926, das 50. Jahr seines Bestehens, ist folgendes zu entnehmen: Das Berichtsjahr brachte dem Bund einen Zuwachs von rund 11 000 Mitgliedern, sodaß er mit einem Mitgliederstand von annähernd 152 000 die Schwelle des Jubiläumsjahrs 1927 überschreiten konnte. Darunter befinden sich 93 225 Kriegsteilnehmer, und zwar 2797 Veteranen aus den Feldzügen 1866 und 1870/71 und 90 428 Teilnehmer am Weltkrieg und an den Kämpfen der Schutz- iruppen, sowie 23 106 Kriegsbeschädigte und Kriegerhinterbliebene. Damit ist der Württ. Kriegerbund die größte aller Kriegsteilnehmer, und Kriegsbeschädigtenvereinigungen des Landes. Das Bundesvermögen hat um 54 000 -4l zugenommen und betrug Ende des letzten Jahrs 295 600 °4t einschl. des Werts der beiden Krieger-Erholungsheime in Herrenalb und Njedernau. Für Wohlfahrtszwecke wurde insgesamt die beträchtliche Summe von 106 935 ,4t verwendet. 2977 kranke und bedürftige Kameraden und Hinterbliebene von solchen erhielten Geldunterstützungen im Gesamtbetrag von 62 295 -K, der Aufwand für Unterkunft und Verpflegung oon 484 erholungsbedürftigen Kameraden, darunter 18 Nicht- bundesmitafleder. in den Krieaer-Erbolunasbeimen betrug