MONTAG, 8. FEBRUAR 1954
Morgen Beratung über Wehrergänzung
Neue Auseinandersetzung zwischen Koalitionspartelen und SPD Von unserer Bonner Redaktton
BONN. Um den Beginn der Ausschußberatungen über die sogenannte Wehrergänzung des Grundgesetzes ist es zu einer neuen Auseinandersetzung zwischen Koalitionsparteien und SPD gekommen. Während die Koalition darauf besteht, daß im Rechtsausschuß und im Bundestags- ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit am Dienstag mit der Beratung der drei vorliegenden Gesetzentwürfe begonnen wird, kündigten maßgebende Abgeordnete des SPD- Fraktionsvorstandes an, daß die Vertreter der Opposition den Antrag auf Vertagung stellen und alle parlamentarischen Mittel einsetzen würden, um die Erörterung angesichts der laufenden Viererkonferenz zu verhindern.
Die Behandlung von Gesetzen zu Verträgen, die sich nur auf das halbe Deutschland beziehen, sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt unvertretbar und müsse als eine zusätzliche Erschwerung der Berliner Verhandlungen gewertet werden. Von seiten der Koalitionsparteien wurde erklärt die Beschleunigung der Durchsetzung der Verträge, für deren ent gültige Ratifizierung die Wehrer
gänzungen die Voraussetzungen schaffen sollen, sei ein Beitrag zur Politik der Wiedervereinigung.
Die Koalitionsparteien werden bereits heute mit Vorbesprechungen über die Gesetzesvorlagen beginnen und dabei eine Einigung über die Frage des Oberbefehls suchen. Sie kündigten an. daß sie schon im März die Verabschiedung der verfassungsändernden Gesetze herbeiführen wollen.
einen Parteitag in Berlin ausspiach, sagte, er wolle die Verdienste Dr. Schumachers in keiner Weise schmälern, doch habe seine Position der SPD nicht immer Glück gebracht. Man müsse die Verantwortung nicht einzelnen Persönlichkeiten, sondern einem Kollektiv übertragen.
Dr. Müller ist zuhieden
BADEN-BADEN. Ministerpräsident Dr. Gebhard Müller erklärte am Samstag in einem Gespräch über den Südwestfunk, die Landesregierung habe in ihrer jetzigen Zusammen
setzung bisher gut zusammengearbeitet. Er teile die Sorge nicht, daß die frühere kleine Koalition im Verborgenen weiterbestehe, und die CDU aus der Verantwortung gedrängt werden solle. Es bestehe kein Grund für Befürchtungen, wenn die Meinungen auch einmal hart aufeinan- derprallten, was sich aus dem Fehlen einer Opposition erklärte. Dr. Müller versicherte der Bevölkerung, daß die Regierung einen dezentralisierten Staat anstrebe und volksnahe Behörden schaffen wolle, die von jedermann ohne großen Zeitverlust aufgesucht werden können.
Erst Kader, dann Revision
Schöttle für innere Reform der SPD
HEIDELBERG. Der SPD-Vorsit- zende von Baden-Württemberg, Erwin Schöttle, hob am Sonntag in Heidelberg die Notwendigkeit einer Neuorientierung und inneren Reform der Sozialdemokratie hervor. Mit dem ,,Ballast-Abwerfen“, von dem Prof. Carlo S c h m i d gesprochen habe, sei die Neuorientierung der Partei nicht zu realisieren. Mit der Revision des Parteiprogramms könne erst dann begonnen werden, wenn die Kader der Partei erneuert worden seien. Schöttle, der sich gegen
Befinden des Papstes wenig verändert
Bulletin spricht von großer Schwäche / Ärzte Tag und Nacht am Krankenlager
VATIKANSTADT. Die Papst Pius XII behandelnden Ärzte konnten am Sonntagmorgen von einer noch geringen, aber anhaltenden Besserung im Befinden des 77jährigen Heiligen Vaters berichten, der seit 14 Tagen mit einem bisher nicht sicher erkannten inneren Leiden ringt. Der Patient verbrachte die Nacht in wohltuendem Schlaf und erwachte m leicht gekräftigtem Zustand.
In dem vom päpstlichen Leibarzt Dr. Galleazzi-Lisi Unterzeichneten Bulletin heißt es, der Papst habe recht gut geschlafen. Der Ma-
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Angreifer Tiuinan
»Wo bleiben Eisenhowers Wunder?“ NEW YORK. Ex-Präsident Harry T r u m a n griff am Freitag auf einem Essen der Organisation „Ameri- cans for democratic action“ die Regierung Eisenhower heftig an und erklärte, durch die republikanische Gesetzgebung der Steuererleichterungen erfahre das Nationaleinkommen der USA ,,auf umgekehrtem Wege eine Neuverteilung — von den Armen an die Reichen“. Diese Gesetzgebung sei die „beste Steuererleichterung für reiche Leute, von der ich je gehört habe.“ Er glaube, die nationale Sicherheit sei wichtiger als Steuersenkungen, und er fürchte, daß die nationale Sicherheit der USA um einer falschen Sparsamkeit willen geschwächt werde. Wie andere Amerikaner habe er ständig auf die lm Jahre 1952 angekündigten Wunder gewartet. „Mir scheint, es gibt eine kleine Stockung im Wundergeschäft“, meinte Truman sarkastisch.
Vier Städte vei wüMet
benden erste Hilfe gebracht. Augenzeugen erzählten, daß die Stadt Yaja- lon ein Trümmerhaufen sei, aus dessen Häuserschutt Arme und Beine der getöteten Bewohner ragten. Im Umkreis von 80 Kilometer entstand schwerer Schaden.
Arbeiterpriester protestieren
PARIS. Ein großer Teil der sogenannten Arbeiterpriester, die die katholische Kirche in Frankreich in die Betriebe entsandt hatte, um die Arbeiter wieder dem Christentum näher zu bringen, haben am Sams tag in scharfer Form gegen den Beschluß ihrer Kirche protestiert, ihre Tätigkeit zu beschränken.
Die katholische Hierarchie in Frankreich hatte im November 1953 im Einvernehmen mit dem Papst angeordnet, daß die Priester in Zukunft nicht mehr länger als 3 Stunden täglich manuelle Arbeit verrichten dürfen, daß sie sich aus der Gewerkschaftsarbeit zurückziehen und mehr Zeit ihrer kirchlichen Tätigkeit widmen müssen.
„Ich blieb nicht freiwillig“
KÖLN. Der Kölner Arzt Dr. Ottmar Köhler, dem der Bundespräsident für seine aufopferungsvolle ärztliche Tätigkeit in sowjetischer Gefangenschaft das Bundesverdienstkreuz verliehen hat, wandte sich am Samstag in Köln gegen die Darstellung, daß er freiwillig in Gefangenschaft geblieben sei, weil seine Hilfe dort dringend benötigt wurde. Auf einem Heimkehrerempfang der Stadt Köln erklärte er, daß er wohl freiwillig in den Kessel von Stalingrad geflogen sei. Er sei aber nicht aus eigenem Entschluß in sowjetischer Gefangenschaft verblieben. Dies sei gar nicht möglich gewesen, denn wer auf der Entlassungsliste stehe, müsse fahren. Einen Tag vor der ursprünglich erwarteten Rückkehr im Jahre 1949 sei er verhaftet und wie viele andere Offiziere, Ärzte und Ingenieure verurteilt worden. Dr Köhler bedauerte, daß durch eine nicht- zutreffende Darstellung dieser Vorgänge ein falscher Eindruck entstanden sei
gen sei etwas beruhigt und zeige Besserung an. Der Allgemeinzustand sei jedoch weiterhin erheblich geschwächt.
Inoffiziell wurde mitgeteilt, daß Papst Pius am Samstagabend' zum erstenmal seit zwei Tagen wieder etwas flüssige Nahrung zu sich nehmen konnte und sich auch kräftig genug fühlte, für eine Weile das Bett zu verlassen und in einem Stuhl zu sitzen. Er hatte den Kardinalstaatssekretär Montini zu sich berufen und besprach mit ihm etwa eine Stunde lang Fragen des kirchlichen Lebens.
In den vorangegangenen Tagen mußte der Kranke durch intravenös injizierte Stärkungsmittel bei Kräften erhalten werden, da der Magen keine Flüssigkeit behielt. Der Allgemeinzustand ist dadurch stark geschwächt worden. Wegen der Unmöglichkeit einer Magenfüllung mußte die beabsichtigte nochmalige Durchleuchtung der Magengegend und der benachbarten Organe bisher unterbleiben. Unter den zugezogenen Ärzten, die seit Freitag Tag und Nacht am Krankenbett sind, befindet sich der schweizerische Spezialist für Drüsenstörungen und Altersleiden, Dr. Paul N i e h a n s.
20 Heimkehrer aus der CSR
HOF. Im Grenzdurchgangslager Hof-Moschendorf trafen am Samstag wieder 17 Männer und drei Frauen aus dem Lager Groß-Kunzendorf bei Mährisch-Ostrau in der Tschechoslowakei ein. Ein Vertreter des Bayerischen Roten Kreuzes erklärte, daß für das kommende Wochenende mit einem neuenTransport gerechnet wird.
MEXIKO-CITY. Von einem verheerenden Erdbeben wurde am Freitag die südmexikanische Provinz Chiapas an der Grenze von Guatemala heimgesucht. Die 5000 Einwohner zählende Stadt Yajalon und drei kleinere Städte sowie zahlreiche Ortschaften in dem schwer zugänglichen, Kaffee anbauenden Tropengebiet sollen nach ersten Nachrichten fast dem Erdboden gleichgemacht sein. Die Erdstöße hielten am Samstag noch an. Ein Strom von Flüchtlingen, die von einer noch nicht übersehbaren Zahl von Opfern berichteten, ergoß sich in die umliegenden Dschungel und in die Provinzhauptstadt Tuxtla Gutierrez. Von dort sind Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung in das Erdbebengebiet entsandt worden. Mit Flugzeugen wurde den Uberle-
Mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Dem Präsidenten des Direktoriums der Europäischen Zahlungsunion, Dr. Hans Karl von Mangoldt, ist aus Anlaß seines 70. Geburtstags das Große Verdienstkreuz mit Stern verliehen worden.
Buhl kontra Herrligkoffer. Der Nan- ga - Parbat - Bezwinger Hermann Buhl erklärte am Samstag, das von Dr. Karl Herrligkoffer herausgegebene Buch „Nanga Parbat 1953" sei „von A bis Z erlogen“ und stelle eine vollkommene Verdrehung der Tatsachen dar. Buhl wird in Kürze selbst ein Buch über die Expedition herausbringen.
„Alte Adler“ besichtigten US-Flug- platz. 20 ehemalige deutsche Piloten der „Vereinigung der Alten Adler“ besuchten am Samstag den Fürstenfeldbruk- ker Fliegerhorst und besichtigten die amerikanischen Einrichtungen. Unter den deutschen Besuchern waren auch
Kleine Weltchwnik
die ehemaligen Offiziere Kesselring, Plocher und Dörstling.
Der CSU beigetreten. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Bayernpartei im Bundestag, Dr. Hugo Decker, ist der CSU beigetreten. Decker hatte kürzlich seinen Austritt aus der BP erklärt.
Würzburger Zwillinge gestorben. Die Würzburger siamesischen Zwillinge, die zwei Oberkörper und einen gemeinsamen Unterkörper hatten, sind in der Würzburger Universitäts-Kinderklinik gestorben.
Zuchthaus im Spionageprozeß. Zu Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr und sieben Monaten Zuchthaus und sieben Monaten Gefängnis verurteilte das bayerische 1. Landgericht sieben Mitglieder eines oberpfälzischen Spionage
ringes, die landerverräterische Beziehungen zum tschechoslowakischen Nachrichtendienst unterhalten hatten.
Prominente Juden an Dulles. Vier prominente ehemalige österreichische Juden, die jetzt amerikanische Staatsbürger sind, haben in einem Schreiben an den US-Außenminister Dulles ihrer Enttäuschung über die Haltung Wiens gegenüber den Wiedergutmachungsforderungen Ausdruck gegeben. Das Schreiben ist von dem Nobelpreisträger für Medizin, Löwy, der Witwe des Dichters Franz Werfel, dem Dirigenten Bruno Walter und dem ehemaligen Wiener Gesandten in den USA, Professor Schüller, unterzeichnet.
Königin - Elizabeth - Inseln. Kanadas nördlichste Arktisinseln haben am Samstag den Namen Königin-Elizabeth- Inseln erhalten. Die Inseln, die nördlich von Lancaster liegen, werden von 200 Personen bewohnt.
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Winterschlußverkauf beendet
KÖLN. Der am Samstag zu Ende gegangene Winterschlußverkauf hat in den einzelnen Gebieten der Bundesrepublik für den Textileinzelhandel ein sehr unterschiedliches Ergebnis gebracht, teilt der Bundesverband des deutschen Textileinzelhandels in einem vorläufigen Schiußbericht mit.
lm allgemeinen seien die Läger in Winterware jedoch weitgehend geräumt worden. Durchweg habe die Kundschaft Qualitätsware bevorzugt. Der niedrig« Preis allein habe die Mehrzahl der Käufer nicht angelockt, vielmehr seien auch Waren der mittleren und höheren Preislagen stark gefragt gewesen. Käuferschlangen, wie sie bat Saisonverkäufen in den vergangenen Jahren beobachtet worden waren, hab« es bei dem diesjährigen Winterschlußverkauf nur vereinzelt gegeben.
Aus Niedersachsen, Bremen und Hamburg werde gemeldet, daß die Umsatzwerte dort im Vergleich zum Vorjahr von minus 5 Prozent bis zu plus 3 Prozent schwankten. Dasselbe gelte für Ostwestfalen nud das Ruhrgebiet sowie für Hessen. Vereinzelt seien sogar Umsatzrückgänge bis zu 25 Prozent gemeldet worden. In Bayern dagegen seien erhebliche Umsatzsteigerungen zu verzeichnen gewesen, die zum Teil bis 28 Prozent gingen. Vor allem Damenoberbekleidung, Herrenkonfektion, Damenblusen, Kleider und Röcke wurden besonders gut abgesetzt.
Gegen Ende der ersten Schlußverkaufswoche sei eine gewisse Flaute ein- egtreten, doch habe der Monatsanfang dem Textileinzelhandel erneut erhebliche Umsätze gebracht.
SPD will Obstmarktneuordnung
hf. BONN. Eine umfassende Neuordnung und Stabilisierung des Obst- und Gemüsemarktes ist das Ziel eines Gesetzentwurfs, der von der SPD im Bundestag eingebracht wurde. Der Entwurf geht von Beschlüssen aus, die bereits im ersten Bundestag in dem Unterausschuß für Obst und Gemüse von allen Parteien gefaßt worden waren. Nach dem Entwurf sollen künftig di« Obst- und Gemüseprodukte über zentrale Großhandelsmärkte verkauft werden. Dadurch soll über den Zwang zur Sortierung die Qualität der Waren positiv beeinflußt werden. Die Erzeuger sollen in der vorgesehenen „Bundesstelle für Obst und Gemüse“ vertreten sein und an der Festsetzung der Mindestpreise mitwirken.
Index für Wohnungsbau gesunken
BONN. Der Preisindex für den Wohnungsbau ist Ende vergangenen Jahre* gegenüber dem im Mai 1952 erreichten Höchststand seit der Währungsreform um 5,2 Pr.ozent zurückgegangen, wi« das statistische Bundesamt am Freitag bekanntgab. Der Preisindex für November 1953 belief sich auf 226 (1936 gleich hundert), verglichen mit 238 im Mai 1998.
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Die Sowjetunion gewährt Fina» land eine Anleihe in Höhe von 40 MH» lionen Rubel in Gold, Dollars oder anderen Währungen.
Der Werkzeugexport der Bundesrepublik ist 1953 mit einem Erlös voa 163,31 Millionen DM um 21 Prozent hinter dem Erlös des Vorjahres zurückgeblieben.
Die Bundesrepublik war im Januar mit einem Uberschuß von 43,1 Millionen RB wiederum stärkster Gläubiger der EZU.
Die holzverarbeitende Industrie ist Über die Preisschere zwischen Roh- und Fertigware und das Vordringen anderer Rohstoffe zu Lasten des Holzes beunruhigt.
Im Dezember 1953 hat die Zahl der Insolvenzen lm Bundesgebiet gegenüber dem Vormonat um 32 zugenommen.
1956 wird mit einer westdeutschen Erdölproduktion von rund drei Millionen Tonnen jährlich gerechnet.
ROMAN VON ELSE VONDERLAHN
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Copyright by Verlag v. Graberg & Görg, Wiesbaden (49. Fortsetzung)
Selten nur verirrt sich ein Fremder in diese Abgeschiedenheit, ein Tourist, ein städtisch gekleideter Wanderer. Der ruft dann wohl einen Gruß zu ihm herüber, vielleicht bleibt er auch stehen und fragt einiges über den Weg oder er setzt sich neben den alten Jostepeter an den Wegrand und teilt seinen Reiseproviant mit ihm — schweigt und blickt nur eifrig kauend auf die Tiere da vor ihm
So wie heute der Fremde, der vom Weg ab und auf den Jostpeter zugeht und ihn freundlich fragt, wohin der Weg geradeaus führt.
„Nach Lindenmarkt? — So? — Ist es noch weit?“
Als er hört, daß es noch gute fünfviertel Stunden Weges sei, läßt er sich gemächlich nieder, holt aus seiner Tasche Essen hervor, teilt getreulich mit dem Alten, und schweigend, den Blick auf die still und stetig rupfenden Tiere gesenkt, verzehren die beiden schweigend ihr einfaches Mahl.
Der Jostepeter wundert sich dabei im Stillen. Er hat den Herankommenden vorhin schon richtig eingeschätzt: Ein Herr ist das, der sich etwas leisten kann. Feines Schuhwerk hat er an, und eine seidene Reisemütze auf dem Kopf Einen Wanderstecken hat er aus einem Rohr, das in Deutschland nicht wächst.
Wie ein richtiger feiner Herr sieht er aus, denkt der gute Alte, nur ungute Augen hat er in seinem tiefbraunen, hageren Gesicht. Und darum wundert sich der Jostepeter, daß einer, der so ungute Augen hat. hier so ruhig sitzen mag. Was der Andere dann noch alles mit ihm spricht über die Gegend hier und die Schafzucht und die ländliche Einfachheit und das unlautere Treiben ln den Städten, das verwirrt den alten Schäfer noch mehr. Und während er den fremden Herrn so von der Seite betrachtet, das kühne, harte Profil, die lederfarbene Haut über den kräftigen Backenmuskeln, wendet der Mann den Kopf, und den Alten überrinnt unwillkürlich ein Schauer, so scharf und hart und brennend ist der Blick der leuchtend blauen Augen.
Ehe er sich versieht, ist der Mann schon aufgesprungen, hat einen flüchtigen Gruß gemurmelt und stakt über die Wiese davon in den Wald, ohne sich noch einmal umzuwenden.
Aber ln der Rüdeerinnerung will Ihm scheinen, als habe er in seiner Jugend jemand gekannt, der so ausgesehen habe. Er zergrübelt seinen alten müden Kopf noch eine Weile, aber es will ihm nicht einfallen, wer es gewesen sein könnte.
XXVII
Aufruhr in Lindenmarkt!
Was ist aus dem kleinen, verschlafenen Landstädtchen geworden! Manch biederes Bürgerherz träumt nächtlich von Verbrecherjagd und Fangprämien Mit großem Elan hat sich die örtliche Polizei in den Fall hineingestürzt.
Sie war es ja auch, die die Meldung über das Auftreten des Doppelgängers, der in der Krone sein kurzes Gastspiel gab, nach Berlin gesandt hatte.
Doch hatte man die Hoffnung bald wieder aufgegeben, den Verbrecher hierorts zu er
wischen. Der war sicher schon längst ins Ausland entkommen.
Umso höher steigt daher wieder die Spannung bei allen an der Suche Beteiligten, als ein Berliner Kriminalkommissar überraschend erscheint, um auch hier in Lindenmarkt erneut nach dem Gesuchten zu fahnden.
Denn wenn die Berechnung des Untersuchungsrichters in Berlin stimmt, dann wird der Mann, der in Kilians zweiter Wohnung in der Seidlstraße nach dem Material suchte, das sein Sekretär in Kilians Zeitschriften versteckt hatte, nun auch, zumal eine bisher noch immer nicht geklärte Beziehung zwischen den beiden besteht, in Christian Blohms Wohnung einzudringen versuchen, in der Hoffnung, dort auf das Gesuchte zu stoßen. Dr. Wüstenroth geht wohl auch nicht fehl ln der Annahme, daß der Bandenchef auch von Kilians letzter Reise nach Lindenmarkt unterrichtet Ist, und also auf den Gedanken kommen kann, daß dieser jenes für ihn so wichtige Dokument, das. Aufzeichnungen über den inneren Aufbau der Verbrecherorganisation, über die Geld- und Rauschgiftdepots und hundert andere Dinge enthält, gelegentlich der Reise dort sichergestellt hat.
Er kann ja nicht wissen, daß dieses Material dank seinem vorbildlichen „Sekretär“ längst in die Hände der Polizei fiel, ohne daß die Oeffentlichkeit davon erfuhr.
Währe .d Lindenmarkt in heimlicher Erregung, llüsternd und Gerüchte verbreitend, mehr oder weniger aktiv an den Vorgängen teilnimmt, während der Steckbrief des Mannes mit der bastseidenen Reisemütze:
„1000 Mark Belohnung! Gesucht wird - überall angeschlagen ist, sitzt Anna in unermüdlicher Fürsorge am Krankenbett des Mannes, der allein über den Gesuchten noch Auskunft geben könnte.
Christian Blohm rast ln wilden Fieberdelirien.
Nachdem er von seinem ersten Malaria- aofall soweit wiederhergestellt war, daß di« Aerzte im Krankenhaus in Merbach es verantworten zu können glaubten, Ihn nach Lindenmarkt ln die Pflege Annas zu entlassen, hatte sie zusammen mit dem Gesellen Wilhelm Schmid den Kranken nach Lindenmarkt gebracht, willens, Ihn noch so lang« zu betreuen, bis er wieder zu Kräften gekommen war. Aber leider hatte sich Christian auf der Reise erkältet, und ein« Lungenentzündung hatte ihn erneut niedergeworfen.
Nun stand es sehr schlimm um ihn. Es war zweifelhaft, ob der fiebergeschwächte Körper dem neuen Ansturm gewachsen war.
Nun liegt er in dem stillen Haus am Marktplatz reglos in den Kissen. Die Nacht hat sich über das Städtchen gesenkt Di« Häuser rundum am Platz stehen wie schwarz«, stumme, geduckte Tiere. Der Brunnen plätschert verloren ln der Dunkelheit. Sacht wiegt der Nachtwind die Zweige der Linden. Fernher kommt heiseres Hundebeilen. Schritte klingen auf, werden ferner und ferner, verlieren sich in der schweigenden Nacht — — —.
Christian liegt stumm mit geschlossenen Augen.
Und wieder, wie oft, seit jenem Augenblick, da der Verhaßte wie ein unheimlicher Spuk in Lindenmarkt auftauchte, und spurlos wieder verschwand, brechen in fiebrigen Traumgesichten die Wände des engen Zimmers auf und weiten sich zu einem Schauplatz nievergessener Qualen.
Wieder liegt er verkrümmt und mit gefesselten Gliedern auf dem schmutzstarrenden Bretterboden einer Dschunke und hört die trägen Wellen des gelben Flußes an die Schiffswände schlagen. (Forts, folgt)