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Freitag, den 27. Mai 1927 Fernsprecher Nr. 29 161. Jahrgang
Her Weltkrieg « für die Verbündeten verloren
Ein amerikanisches Zeugnis
Der Großadmiral der amerikanischen Flotte im Weltkrieg, William S. Sims, veröffentlicht im „Worlds Work" (Neuyork) einen Artikel, „Wie wir fast den Krieg verloren", der ungeheures Aufsehen erregt. Sims will durch seine Veröffentlichung diejenigen Kreise in Amerika brandmarken, die damals gegen die Kriegsrüstungen und die Maßnahmen der amerikanischen Marineleitung arbeiteten; er will ihnen Nachweisen, wie gefahrdrohend im Weltkrieg die Lage für die Verbündeten war. In dem Kampf im eigenen Lager setzte sich Sims dann allerdings durch.
Großadmiral Sims sagt in dem Artikel, den die „Ber- liner Börsenzeitung" übernimmt, u. a. folgendes:
„Während es allgemein bekannt ist, daß wir (die Verbündeten) den Krieg verloren hätten, wenn der deutsche U-Bootkrieg erfolgreich gewesen, ist es außerhalb militärischer Kreise unbekannt geblieben, daß wir nur knapp der Niederlage durch den U-Bootkrieg entgingen, durch die wir den ganzen Krieg verloren hätten." „Unterdessen gewann Deutschland den Krieg. Deutsche U-Baote versenkten Schiss« in beispiellosem Umfang. Im April 1917 schien die Lage für die Verbündeten hoffnungslos, und zwar auf Grund der Schisfsveriuste. Die Verluste des Jahrs 1917 machten es unmöglich, irgendwie ins Gewicht fastende Mengen amerikanischer Truppen, sowie anderer Zufuhren zu transportieren. Es stellt« sich als notwendig heraus, die amerrkam- -schen Truppentransporte auf eine monatliche Zahl von 26 000 M beschränken. Wenn aber die weiteren ScWssverstrste des Jahrs 1917 von 1 500000Tonnen infolge sachgemäßer Zusammenarbeit durch unsere Flotte vermieden worden wären, t en die nach Frankreich transportierten amerikanischen -vruppen verdoppelt oder sogar verdreifacht weiDen können. Anstatt MO 000 Mann Hütte Amerika dann 1000 060 Soldaten im Jahr 1918 in Frankreich ins Fel> stellen können."
Inzwischen faßte der deutsche Reichstag die Friedens- reso! uiion. Sims schreibt:
..Aniana Avril 19.17 war ich in London eingetroffen.
Wir Amerikaner hatten die amtlich oerüsseuMc^en Schtffs- vcrlufte alle gelesen, und für uns schien es feststehend, daß die Sache der Verbündeten gut stehe. Man wird daher meine Ueberraschung verstehen, als bei meiner Unterredung mit dem damaligen ersten britischen Seelvrd, dem Admiral Jellicoe, dieser mir sin Schriftstück zeigte, das die Ke- sarHverluste cm Tonnage während der letzten Monare enk- hiE. Die Verluste überstiegen fast um da- Vierfache die uns amtlich mitgeteilten. Pr war offensichtlich, daß die Verbündeten die tatsächlichen Zahlen nicht veröffentlichen konnten, ohne hiedurch den Feinden Mitteilungen von ungeheurem W e r r z u k o m m e n z u l a s s e n.
„Es ist unmöglich für uns, den Krieg fortzusetzen, wenn die Verluste in gleichem Maß u»e bisher anhalten, erklärte mir Jellicoe; wir vermehren unsere Kampfmittel gegen die deutschen U-Boote, soweit uns dies irgend möglich ist, jedes einigermaßen brauchbare Fahrzeug rmvd zur Bekämpfung der Ü-Boote herangezogen. Wir baue« U- Voor-Jäger und andere für diesen Zweck geeignete Fahrzeuge. Die Lage ist aber sehr ernst und wir bedür» fen dringend jeder .stille, die uns gewährt werde« kann."
Die Ausführungen des Admirals Sims werden bestätigt durch den Vericht des Untersuchungsausschusses des amerikanischen Abgeordnetenhauses vom 15. Juli 1919, in dem es Wörtlich heißt: „Die Transportlage war so schlecht, daß, wenn die Deutschen nicht Schluß gemacht hätten, die amerikanische Armee es. hätte tun müssen. Daß die maßgebenden Leut« drüben (in Deutschland) dar nicht wußten, ist kaum glaublich oder sin Wunder."
Es sei noch angeführt, daß Großadmiral v. Tirpitz im April 1917 an den Kaiser schrieb: „Wenn wir den ver- schärfsten U-Vootkrieg führen, aber auch nur wenn wir ihn führen, werden wir einen Erfolg über England erzielen, der uns ermöglicht, Flandern zu behaupten und damit den Krieg siegreich zu beenden." — Allein Tirpitz kam gegen Veth- mann und die hinter ihm stehenden Leute nicht aus und der Krieg wurde verloren — für Deutschland.
Ür. 121 Gegründet 18L7
Tagesspiegel
Der amkliche britische Funkdienst verbreitet, der Schrill Englands gegen Moskau werde aus die allgemeinen Grundzins der auswärtigen Politik Englands keinen Einfluß haben. Diese Politik werde weiterhin auf die Erhaltung und und den Ausbau der im Locarnooerkrag niedergescgken Grundsätze gerichkek sein.
Der amerikanische Staatssekretär Kellogg erklärte, das Vorgehen Englands rechtfertige die Politik der Vereinigten Skaaken, Sowjekrußland nicht anzuerkennen.
Die Moskauer Regierung wird den Staaken der Sowjetunion die Gründe für den Abbruch der diplomatischen Böschungen seitens Englands darlegen. Der Kriegskvmmissar Woroschilow erklärte, die Sowjetregierung werde alles tun, um das Aeußerske zu vermeiden, das roke Heer müsse aber in ständiger Bereitschaft gehalten werden.
Die Dreimächlekonferenz der Vereinigten Staaten. Englands und Japans zur Festsetzung der Flotkenrüstungen wird am 2V. Juni in Genf eröffnet werden.
Die französisch« und die englische Gesandtschaft in Buenos Aires sollen in Botschaften mngewandelt werden. Damit wurde Argentinien als neue Großmacht anerkannt werden.
Englands Politik gegen Moskau
Was soll Deutschland tun?
Die Welt wartet immer noch darauf, zu erschien, was die Londoner Polizei bei Hier gewalttätigen Haussuchung stn Gebäude der russischen Handelsgesellschaft denn eigentlich gefunden hat. Sie suchte bekannMch „ein Dokument", das der englischen Regierung abhanden gekommen sei. Suchte es mit Brecheisen und Sauerstoffgebläse, woraus man entnehmen mag, wie schmerzlich die englische Regierung das Dokument vermißt.
Es., sei ein gemeinsamer Aufmarschplan Englands und Frankreichs gegen Deutschland oder durch Deutschland gegen Rußland gewesen, ist inzwischen versuchsweise behauptet worden. Das würde eine zu schöne Genugtuung für die vergewaltigten Russen sein, um nicht den Verdacht zu rechtfertigen: hier sei der Wunsch Vate? des Gedankens gewesen. Aber wenn die Londoner Polizei auch nicht gerade auf der Suche nach einem abhanden gekommenen englisch-französischen Aufmarfchplan gewesen sein sollte, — so wäre das natürlich noch kein Beweis dafür, daß es derartige Pläne nicht gibt. Schon bald, nachdem die Entente cordiale erstmals geschlossen war, haben englische, französische und belgische Generalstäbler zusammengehockt und die Maßregeln durchgesprochen, die „im Fall eines gemeinsamen Kriegs" zu ergreifen wären.
Was gebot uns die Notwehr gegen die englisch-französische und belgische Uebermacht zu tun, wenn wir gleichzeitig von Osten und Süden her bedroht sind? Das war ja die Frage, die Schlieffen zu beantworten hatte für den Fall, daß einmal die Politik „mit anderen Mitteln" fortgesetzt werden müsse. Und er knüpfte an das an, was in kritischster Stunde Friedrich der Große gewagt hatte, und entwarf den Aufmarschplan nach dem Muster der Leuthener Schlucht, nur ins riesenhafte Ausmaß der Millionenheere des Völkerkriegs übertragen. Der Diplomatie eines Beeth- mann-Hollweg und Moltke zerbrach aber das „andere Mittel" unter den schwachen ständen; es war für sie zu groß gedacht. Die Trennung Frankreichs von England, die es mit genial einfacher Folgerichtigkeit anstrebte, gelang nicht, der sich hinschleppende Krieg ging für uns verloren. England fühlt sich als Sieger — und schlägt sich heute, am Ende des ersten Jahrzehnts nach Kriegsschluß, ärgerlich und gereizt mit den Folgen seines Siegs herum.
Es gibt Leute, die sich immer wieder durch den Gedanken blenden lassen, England werde sich eines Tags in steldenpose an die Spitze des Kampfs gegen den Bolschewismus stellen. Möglich, daß es das eines Tags noch tut — obwohl es nicht recht wahrscheinlich ist, daß wir's noch erleben werden —, aber jedenfalls, ehe wir England eine Blankovollmacht ausstellen, wodurch wir uns im voraus .zur steeresfolge gegen den Bolschewismus verpflichten, wollen wir uns doch immer wieder erinnern, daß der Bolschewismus nichts als eine Folge der englischen Kriegs- Politik ist. England hat das zaristische Rußland gezwungen, bis zum Weißbluten zu fechten. Englische Wühlereien haben den letzten Zaren verhindert, als Rußlands militärische Kraft am Widerstand der Mittelmächte zerbrochen war, den sinnlos geworden Krieg durch einen Frieden der Verständigung zu beendigen. Als Folge dieser Kriegspolitik M in Rußland der Bolschewismus zur Herrschaft gekommen, aber daß der Bolschewismus sich dann sehr rasch zu einer wesahr für das britische Weltreich auswachsen konnte, das ist R>ch nur Folge der blöden Knock-out-Politik gegen Deutschland gewesen. Zwischen Rußland und den Westmächten liegt wehrloses Land, haust ein entwaffnetes Volk von 70—80 Millionen. Die natürliche Folge der Art, wie der Krieg sturch den Wortbruch des Waffenstillstands und »as Versailler Diktat abgeschlossen wurde, war der Versuch des Bolschewismus, dies wehrlose Land der 70—80 Millionen iür sich und seine Gedankenwelt zu erobern. Der Versuch mißlang, er brach sich am inneren Widerstand des sMnier noch lebenden deutschen Kulturbewußtseins, und nun
rannte Ser Bolschewismus, weil er irgendwelchen mumwß des wehrlosen Deutschtums nicht zu fürchten hatte, seine Propaganda der Tat nach Osten wenden und den englischen Einfluß an einer sehr empfindlichen Stelle, in China, bedrohen.
Unterschätzt hat England die Gefahr, die seiner Weltstellung von da aus drohte, gewiß nicht; das bezeugt die gewaltige Kriegsmacht, die es gegen den südchinesischen Nationalismus ausgeboten hat. Die Frage ist nur, ob die brutalen Friedensschlüsse, wodurch unter englischer Verantwortung der Weltkrieg beendet wurde, es ihm noch gestatten, sich der Gefahr ohne Einbuße an Macht und Ansehen zu erwehren. Die Vergewaltigung der russischen Botschaft in Peking scheint ein Fehlschlag gewesen zu sein, und nach einem blendenden Erfolg sieht die Vergewaltigung der russischen Handelsvertretung in London bisher auch nicht aus. Japan vorbehaltlos an seine Seite zu bringen, ist England bisher nicht gelungen. Die Vereiniflten Staaten haben Englands Vindung in Ostasien lediglich dazu benutzt, sich in aller Ruhe selbst ein „Mandat" über Nikaragua zuzusprechen, was bekanntlich eine von England erfundene Annexion ist, die selbst dann noch als ausführbar gilt, wenn man hoch und heilig geschworen hat, keinen Landerwerb zu erstreben. Aber Englands Geschäfte in China zu besorgen, daran denken die Vereinigten Staaten einstweilen nicht.
Vielleicht ist nichts bezeichnender für den Wandel der Dinge, als daß Tschangkaischek, der vor wenigen Monaten noch Englands gefürchteter Gegner in China war, heute seine beste Hoffnung geworden ist. Wer will, mag das als einen Erfolg englischer Diplomatie betrachten. Eine vorsichtigere Einschätzung der bekannt gewordenen Tatsachen wird jedoch eher zu dem Schluß kommen: aus wessen Seite der Enderfolg liegen wird, ob auf seiten der englischen Imperialisten oder auf seiten der chinesischen Nationalisten, das läßt sich im Augenblick zum mindesten noch nicht mit Sicherheit erkennen. Klar zu erkennen ist dagegen ein anderes: wenn England sich in China so überlegen und jeder möglichen Lage gewachsen fühlte, wie es glauben machen möchte, so brauchte es heute, wo es keine deutsche Flotte und kein deutsches Volksheer mehr gibt, keine Aufwärmung der Entente cordiale von 1904.
Ob der Machtzuwachs, den England durch di« Auswärmung der Entente bekommen hat oder bekommen zu haben glaubt, dazu ausreicht, in ein offenes feindliches Verhältnis zu Sowjetrußland einzutreten, werden wir ja sehen. So fest geschmiedet, daß Deutschland unbedingt über Für und Wider entscheiden müßte, ist die „Einheitsfront" »egen Smvjet- ruhland unter englischer Führung doch wohl noch nicht. Ge- rviß, Frankreich braucht Englands moralische Mithilfe und Mitschuld, um die Erfüllung der Locarnozusagen Mi Hintertreiben, aber daß Frankreich nur darauf brennt«, zum Schutz der bedrokten englischen Vorherrschaft in Ostasien gegen Vowjetrußland zu marschieren und dem beglückten Mussolini derweil freie stand im Mitteimeer ur lasten, — das ist dock
auch so eine Sache. Es werden doch auch Stimmen laut, die sich sehr entschieden dagegen cmslebnen, daß Frankreich noch einmal den Landsknecht für britische Weltinteressen mache.
Abbrikch der englisch-russischen Beziehung«»
Erklärung Baldwins
London, 25. Mai. Im Unterhaus wurde gestern der Streit Englands mit der Sowjetunion behändest. Erstministec Baldwin gab' folgende Erklärung ab: Seit vielen Monaten haben die englischen Polizei- und Militärbehörden die Tätigkeit russischer Geheimagenten verfolgt, die bemüht waren, st r e n g g e h e i m e Schriftstücke über die britische Militärmacht in ihren Vesitz zu bringen. Der Verdacht, daß sich die entwendeten Schriftstücke in dem Gebäude der russischen Hande'sabordnung photographiert und so nach Moskau weiterbefördert wurden, wurde dadurch bestätigt, daß ein britischer Untertan, der bei de« Luststreit- krästen beschäftigt war, wegen Diebstahls und Auslieferung zweier solcher Schriftstücke verurteilt werden konnte. Ein weiteres höchst geheimes Schriftstück sei kürzlich als vermißt gemeldet worden. Es sei sestgestellt worden, daß auch dieses Schriftstück in den sowjetrussischen Gebäuden photographisch vervielfältigt worden sei, und daraufhin sei am 12. Mai der Durchsuchungsbefehl von der Regierung gebilligt und von der Polizei durchgeführt worden. Dort hat man u. a. Angestellte, angeblich namens Anton Müller und Koh- ling, getroffen, die mit den russstchen Geheimagenten in Verbindung standen und die eine An,zahl verschlossener Briefe mit den Anschriften bekannter Kommunisten !m In- und Ausland bei sich hatten. Die Briefe enthielten gewisse befehle der Moskauer Internationale an kommunistische Vereinigungen in England und Amerika. Es hat sich herausgestellt, daß die „Arcos" und die russische standelsabordnunq als W e l t v e r m i ttl u n g s st e l l e für die umstürz- lerische Werbearbeit Moskaus benützt worden ist, ebenso für das von den Kommunisten aufgestellte Schlag- wort „stände weg von China!" Die britische Regie, rung hat wiederholt die Svwjetbehvrden auf die Miß- brauchung der diplomatischen Beziehungen durch die russische standelsabordnung aufmerksam gemacht. Die Behauptung des sowjetrussischen Geschäftsträgers in London und Sst- winows in Moskau, daß die Moskauer Regierung kein« Verbindung mst dem Wühler Borodin in China unterhalte, hat sich als unwahr herausgestellt. Baldwin verliest ein Telegramm des russischen Geschäftsträgers an die Moskauer Regierung, das sich mit der „Dur-^iübrung eines Feldzugs gegen britische Gewalttätigkeiten in China" beschäftigt. Der Erstminister fährt fort: Angesichts dieser Verletzungen des Handelsabkommens und der internationalen Höflichkeit hat die britische Regierung eine Gedulh gezeigt, die wahrscheinlich in internationaler Beziehung ihresgleichen nicht hat. Sie Kat gegenüber dem überlegten planmäßigen Miß-