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Rr. 115
Gegründet 1827
Donnerstag, den IS. Mai 1927
Fernsprecher Nr. 2S
1V1. Jahrgang
Tagesspiegel
Auf Einladung der Schriftleitung des Zcnkcumsblatts «Germania" werden etwa 2V polnische Abgeordnete. Senatoren und sonstige Politiker Mille Juni nach Berlin kommen zu einer Besprechung über eine friedliche Zusammenarbeit beider Völker.
Der polnische Armeeinspektor General Zeligowski hat wegen Aeberschreikung der Altersgrenze um seinen Abschied gebeten. — Zeligowski hak vor einigen Jahren mit einigen polnischen Regimentern mitten im Frieden die litauische Hauptstadt Wilna überfallen und sie Polen einverleibi. Der Völkerbund hat die Gewalttat ruhig geschehen lasten und sich um die wiederholten Beschwerden Litauens nicht gekümmert.
Im englischen Unterhaus mußte der Kolonialministcr zu- geben, daß England seit dem Friedensschluss bereits 2606 Millionen Eoldmark Zuschüsse an den Irak (Mesopotamien) geleistet habe. Nur in einem kleinen Gebiet nahe der per- stschen Grenze seien einige nicht besonders ergiebige Erdölquellen in der Ausbeutung begriffen. — In einer englischen Zeitschrift wurde bekanntlich kürzlich der Vorschlag gemacht, die vorderasiatischen „Mandate" Palästina und Irak an Italien abzukreten gegen gewisse Gegenleistungen, die wertvoller seien und England die hohen Kosten, namentlich auch in Palästina ersparen würden.
BarüberLragung und Sachliesermrgen
In der „Deutschen Tageszetung" verösfeiMcht der bekannte Wirbs chaft spoiiti ker Otto F l i ck einen beachtenswerten Artikel über den im Monat ÄpM durch den Daroesagenten Parker Gilbert ausgstührten Bartronssei (Uebsrweisung von Barmitteln aus dem Dawestribut an die Verbandsmächte), den wir unseren Lesern zur Kenntnis bring«! möchten, ohne daß wir olle Einzelheiten des Artikels uns zu eigen machen möchten.
Aus dem Aprilausweis des Doavesagenten wird bekannt, daß wieder einmal eine Bartransserierung stattgesunden hat. die diesmal in ihrer Höhe von 108,2 Millionen Mark naturgemäß etwas überraschend winkt, da man ans eine solche Möglichkeit wohl vielfach nicht gefaßt war. Bereits einmal, am Ende des zweiten Dawessahrs, ist im August vorigen Jahrs ein Bartransser erfolgt, jedoch nur in einer Höhe von 65 Millionen Mark. Solche Bartransferierungen durch Ankauf von Devisen seitens des Dawesagenten sind um deswillen schon von der allergrößten Bedeutung, als sie in eine Periode großer Passivität der deutschen Außenhandelsbilanz fallen. Damit wird der Devisenmarkt verengt. Das ist eine außerordentlich bedeutsame Erscheinung und muß im Hinblick auf die Devisenkäufe des Dawesagenten ganz besonders hervorgehoben werden. Es kommt nun nicht so sehr darauf an, die Frage zu behandeln, ob die Devisenkäufe nicht besser verteilt werden sollen oder ob sie durch gewisse Umstände ermöglicht worden sind, sondern es ist einmal aus die grundsätzlichen Unterschiede hinzuweisen, die hinsichtlich der Erfüllung des Dawes-Plans durch Sachlieferungen und Bar - Übertragungen besteht.
Was die besonderen Umstände anbetrisst, durch welche der Ankauf von Devisen durch den Dawesagenten erleichtert wurde, so muß man aus die Tatsache Hinweisen, daß wir durch die Aufnahme von Anleihen im Ausland nicht allein unsere nassive Zahlungsbilanz ausgleichen, sondern auch Devisen Hereinpehmen, die im Markt für jedermann zu haben sind, der sie eben kaufen will, also auch für den Dawesagenten. Im normalen Geschäftsverkehr werden Devisen zur Bezahlung von Waren, Ankauf von ausländischen Effekten, Abdeckung von alten Krediten und Zinszahlungen, für Auslandsreisen usw. gebraucht. Zu diesen Bedürfnissen gesellt sich nun der Dawesagent und laust für die ihm aus den deutschen Entschädigungs- lungen zufließenden Reichsmark Devisen, um sie zu »rzahlungen an die Entente zu verwenden. Mit Recht at der Reichsbankpräsident im wirtschaftlichen Untersuchungs-Ausschuß auf die Gefahr hingewiesen, daß der starke Zustrom von Devisen an die Reichsbank aus den Anleihen ihn leicht in die Gefahr bringt, dem Dawes- ogenten Devisen abgeben zu müssen. Man darf daher wohl di« Frage aufwerfen, ob es überhaupt heute noch, wo wir einen so hohen Goldbestand haben, .zweckmäßig ist, daß die Reichsbank sich ein so großes „Devisenpolster", wie man es so schön nennt, halten soll. Vor allem aber, ob es fernerhin am Platz ist, daß Deutschland Ausländsanleihen namentlich durch Gemeinden und Staaten noch aufnimmt. Unsere passive Handelsbilanz wird in erster Linie durch diese Anleihen ermöglicht. Die berühmte „geborgt-aktive" Handelsbilanz ist daher, wie wir aus dieser Tatsache der Bartransserierung erkennen können, eine Gefahr. Da wäre es schon weit einfacher, ganz offen eine Auslandsanleche seitens des Reichs für solche Barzahlungen des Dawes- ogenten aufzunehmen, als in einer Zeit der passive« Handelsbilanz mit anderweitiger Aufnahme von Aus- wndsanleihen einen Devisenüberschuß und damit ei»e B a r Zahlungsfähigkeit Deutschlands vorz». t ä u sch e n.
Sv wird der Dawesplan hinsichtlich der Barübertvagung künstlich gefördert. Noch schlimmer aber ist die künstliche Forderung aus dem Gebiet der Sackliese runaen.
Moskau fordert Genugtuung
London, 18. Mai. Die Sowjetregierung hat wegen der Durchsuchung der amilichen russischen Hanüelsabordnung und der Arkos (All-Russische Kooperative Sozietäten) der englischen Regierung soigende Note übergeben lassen: Die Sowjetregierung erklärt entschieden, daß dieForkse tz ung derHandelsdezie Hungen nur unter der Bedingung genauer Erfüllung des Handelsübereinkommens durch die großbritannische Regierung und der Gewährleistung ruhiger, sachgemäßer Arbeit der wirtschaftlichen Organe der Sowjetunion möglich ist. Mit gleicher Entschiedenheit erklärt die Sowjetregierung, daß sie sich nicht damit zufrieden geben kann, daß die Durchführung der Handelsoperationen in Zusammenhang mit zufälligen innerpolitischen Kombinationen in England, Wahlmanöoern oder phantastischen Voraussetzungen dieses oder jenes Ministers gebracht wird. Die Sowjetregierung hält sich für berechtigt, von der großbritan- uischen Regierung eine klare und unzweideutige Antwort zu verlangen, aus der man entsprechende Schlußfolgerungen ziehen kann. Sie hält sich ferner für berechtigt, die Forderung zu stellen, daß die großbritannische Regierung wegen der Verletzung vertraglicher Verpflichtungen, wegen der der Sowjetregierung zu- gesugten B Steinigung und der durch polizeiliche Handlungen zugefügten materiellen Schäden Genugtuung gebe.
Die Londoner Blätter veröffentlichen eine Anweisung des russischen Geschäftsträgers.^ und des Vorsitzenden der Hanüelsabordnung an ihrMW^M^yoBSi AvaMMe»
unter Androhung sofortiger Entlassung aufgesordert werde«» sich jeglicher Handlung zu enthalten, die als Einmischung i» die inneren Angelegenheiten Großbritanniens ausgäegD wc den könnten.
Der politische Korrespondent der „Westminster Gazette" glaubt, der Besuch des Präsidenten Doumergue stehe « Zusammenhang mit der russischen Lage. In ministerielle» Kreisen werde erklärt, daß einige der im ZusammenhaaM mit der Arcosdurchsuchung festgestellten Tatsachen äk- Staatsgeheimnis behandelt werden müssen. Es werde jetzt anscheinend die Ansicht vertreten, daß, wenn die neueste» Ereignisse zu einem Abbruch der diplomatischen Beziehung«» mit Rußland führen würden, der Friede Europas nicht «> Gefahr sein würde.
Das geheimnisvolle Aktenstück
Einer Blättermeldung zufolge soll das Aktenstück, dos von der englischen Regierung mit so großem Eifer in de» Panzerschränken der Arcos gesucht wird, einen englisch- sranzösischenAufmarschplangegenDeutsch- land und Rußland, ja sogar einen Durchmarsch- plan gegen Deutschland für den Fall, daß Deutschland sich aus dem Netz von Locarno sich zu befreien und ein engeres Zusammengehen mit Rußland anbahnen sollte, betreffen. — Von anderer Seite wird erwähnt, daß das in Berliner diplomatischen Kreisen umgehende Gerücht vielleicht ein Schuch- zug sei, um die deutsche Politik in einem für Rußltmid günstigen Sinn zu beeinflussen.
Durch den Vertrag von Versailles waren wir nur zu Z wa n g s lieferungen verpflichtet. Dank der von Rathenau und Loucheur eingeleireten „weitausschauenden Politik" sind wir glücklich bei den „freien" Sachlieferungen gelandet, wodurch alles Mögliche heute zu Entschädigungslieserungen geworden ist. Es ist aber falsch, hier von Entschädigungslieferungen zu sprechen, denn alle diese Lieferungen dienen nicht mehr zur Wiedergutmachung der im Krieg angerichteten Schäden, sondern lediglich zur leichteren Abdeckung der uns auferlegten B a r za hlu n g s last. Was heute alles aus Entschädlgungskonto geliefert wird, hat nur zum Teil noch mit dem Grundgedanken zu tun und dient lediglich dazu, die von uns allein z« leistenden Goldmarkzahlungen bequem zu überweisen. Es muß einmal ganz deutlich ausgesprochen werden: Wem kommt es zugut? Also wer liefert die aus Entschädigungskonto gutzuschreibenden Waren? Daß diese Waren aus den nach dem Dawesplan aufzubringenden Geldern bezahlt werden, ist ein Umstand, der nicht allein außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch seine Bedeutung hat. Außenpolitisch läuft er darauf hinaus, daß das deutsche Volk Kuliarbeit leistet insofern, als es seine Waren heute zu einem erheblichen Teile der Entente und deren' Bundesgenossen liefert und innenpolitisch, daß sie den deutschen Erzeugern aus den aus Entschädigungskonto eingehenden Geldern bezahlt werden. Fast ausschließlich find es Jndustriewaren und man weiß ja, daß ein Teil der guten Beschäftigung unserer Industrie auch aus dieser Quelle finanziert wird. Je mehr Aufträge auf Sachlieferungen wir erhalten, um so mehr wird die Durchführung des Dawesplans gesichert. Auf diesem Weg können wir noch viel mehr bluten als bei einer Barübertragung möglich ist.
Einer Barübertragung stehen außerordentlich viel größere Schwierigkeiten im Weg als den Sachlieferungen an die Entente. Geht man doch in Einzelfällen bereits so weit, aus lange Sicht hin Aufträge hereinzunehmen. Würden wir lediglich Goldmarkzahlungen aufzu- brrngen haben und es dem Dawesagenten überlassen, im Markt Devisen zur Barübcrtagung ,zu erwerben, so würde sich in kurzer Zeit wohl Herausstellen, daß ihm Devisen sicht in dem Umfang zur Verfügung stände« und daß er bei verstärkten Auskäufen die Mark so entwerten würde, Latz der Beweis der Unmöglichkeit der Durchführung des Dawesplans sehr schnell klar werden müßte. Es sei denn, daß der Dawesagent ein großes Ver- kaufsbürv einrichten würde und aus seiner Kasse in Deutsth- land Waren aufkaufte, um sie im Ausland zu Geld .zu machen. So aber nehmen wir ihm durch die „freien" Sbchiieferungen diese Arbeit ab und verschleiern dadurch die gesamte Lage. Gleichzeitig täuschen wir aber auch eine steigende Besserung unserer Industrie vor.
Deutscher Reichstag
Berlin. 18. Mai
Die Beratung des Berichts des parlamentarischen Untersuchungsausschusses über die Völkerrechtsverletzungen im Weltkrieg wird ausgenommen. Berichterstatter Dr. Bell (Zentr.) gab der Hoffnung Ausdruck, daß die Ausschußarbeit dazu beitragen möge, der zukünftigen Geschichtsforschung die Feststellung der geschichtlichen Wahrheit zu ermöglichen. Sozialdemokratische und kommunistische Abgeordnete stellten die Feststellungen und Ergebnisse des Untersuchungsausschusses in vielen Punkten für unrichtig und werrlos hin und zogen die Sachlichkeit der Ausschussmitglieder in Zweifel. Vertreter
ver Rechten erklärten, daß sich der Ausschuß ehrlich bemüht habe, die Wahrheit zu finden.
Hieralif folgte die zweite Beratung der Novelle zum Gesetz über den Sleimvohnungsbau. Der Ausschuß beantragt, 10 Millionen für Arbeiten und Versuche zur Verbilligung und Verbesserung des Wohnungsbaus zu überweisen. Die Novelle wird mit dem Ausschußantrag in 2. und 3. Beratung angenommen.
Zur geplänken Aufhebung der Krisenfürsorge erklärt Reicharbeitsminister Brauns, seine Verordnung auf Em- schränkung der Krisenfürsorge sei bestimmt worden von der Rücksicht auf die Besserung des Arbeitsmarktes. An eine Aufhebung der Krisenfürsorge habe kein Mensch gedacht. Die Beschränkung der Bezugsdauer der Arbeitslosenunterstützung für einzelne Berufe auf 26 Wochen habe sich aus der Gesetzesbestimmung ergeben, so daß eine Ausdehnung auf 39 Wochen nur für Berufe mit besonders ungünstige» Berhältniffev gegeben
Neuestes vom Tage
Deutsche Beschwerde beim Völkerbund über Litauen Berlin, 18. Mai. Die zwischen Deutschland und den litauischen Behörden im Memelgebiet geführten Verhondlu»- gen müssen, wie die »Kölnische Zeitung" meldet, als gescheitert angesehen werden. Nachdem vor kurzem wenigste» eine Vereinbarung über den Verkehr des deutschen Generalkonsuls mit den memelländischen Lokalbehörden zustandegekommen war, sind die Bemühungen seitdem keinen SchrM- weiter gekommen. Neben den Wirffchaftsfragen sind es vor allem die bekannten Rechtswtdrigkeiten beider Vorbereitung der memelländischen Wahlen durch die Regier u otz in Kowno, an denen die Verhandlungen gescheitert smd. DAe deutsche Regierung ist zu der Ueberzeugung gelangt, d«H Litauen nicht bereit ist, dem Memelland gegenüber die betreffenden Verträge nach Treu und Glauben zur Aruve«- dung zu bringen. Die Reichsregierung hat sich daher eob- schlossen, beim Völkerbund Beschwerde über dos rechtswidrige Verholten Litauens zu erheben.
Die Besprechuitg der Finanzmiajster Berlin, 18. Mai. Heute vormittag begann die Bestw»- chung der Finanzmimster der Länder mit dem Reichsftna»»- minister. Den Hauptgegenstand bildet Äer Plan eines Raili mengesetzes zur Vereinheitlichung des Steuersystems.
Zur Vereinfachung und Vereinheitlichung des Steuersystems sollen dem Reichstag vier Gesetze vorgelegt werde»: ein Grundsteuergesetz, ein Gewerbesteuer-Rahmengesetz, eS» Gebäudeentschuldungssteuergesetz und ein Gesetz über die Vereinfachung des Verfahrens in Steuersachen. Es soll u. a. erreicht werden, daß der Steuerpflichtige nur noch eine Steuererklärung abzugeben hat.
Verbot des „Völkischen Beobachters"
Berlin, 18. Mai. Infolge einer Sondernummer geqe» den „jüdisch-morxistisck-en Polizeiterror in Preußen", die M gegen den jüdischen Polizeivizepräsidenten Weiß richtete, wird nach der B.Z. der „Völkische Beobachter" laut einer Verfügung der Polizei in Berlin bis «es weiteres boten werden.
D» lS ett»ir st ch aft ik o« s c r «nz zur RotiomrtstieruuG
Ge«j, M. Mai. Der Jndustrieausschuß der Weitonr» sthostskon^enz »«chm eine« Enffchliehunasenttvuri a«. «