«»eite 2 — Nr. 86
Nagotder Tagblau „Der Gesellschafter"
Montag. 21. März L»»V
Oberkolberhof OA. Aalen, feiert am 19, März feinen 70. Geburtstag. Freiherr von Perglas gehört dein Vorstand der Deutschen Landwirtschafksgesellschafi an und hat sowohl als Landtagsabgeordneter wie als Vorstandsmitglied der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft stets in zielbewusster Weise für unsere württ. Landwirtschaft gewirkt.
Der Vorstand des Württ. Staatsarchivs, Geh. Archiv-at Dr. Fr. WintterIing, vollendete am 19. Mürz das 60. Lebensjabr. Seit drei Jahren steht er an der Spitze des Staatsarchivs.
Lehrberechstquna. Dem Direktor der Raturalicnscimm- lung in Stuttgart, Professor Dr. Raut her, ist die Lehrberechtigung für das Gebiet der Zoologie an der Abteilung für allgemeine Wissenschaften der Technischen Hochschule St"""ort erteilt worden.
Der Vorstand des Württ. Slädtekags hak gegen die beabsichtigte Aufhebung der Gekränkesteuer kelgraphisch beim Reichstag Einspruch erhoben, wenigstens insolange nicht der Reichsfinanzausgleich endgültig geregelt sei.
Die Süddeutsche Textil- und Bekleidungsmesse wurde am Samstag in den Ausstellungshallen auf dem Gcwerbe- halleplatz eröffnet. Die Ausstellung ist bis 22. März ge- vff.t.
Milchhäuschen auf der Planie. Auf der Planie wird auf Bestreben des Landesausschusses zur Förderung des Milchverbrauchs und der „Frauengruppe für Trinkerfürsorge" ein Milchhäuschen errichtet, in dem ständig Frischmilch zum Verkauf gelangt.
Gmünd. 18. März. Der Geigervon Gmünd. Das Gmünder Heimatspiel „Der Geiger von Gmünd" in der Bearbeitung von H. Streich wird in jeder Hinsicht eine künstlerische Ausgestaltung erfahren. Von den eingegange- »«n 44 Plakatentwürfen wurde der von A. Fischinger-Wim
zur Ausführung ausgewählt. Die Kostüme, von einem hie-' sigen Künstler entworfen, sind bereits vollendet. Sie kamen aus 4500 zu stehen. Die Lieder des Schauspiels wurden von Studieurat Wekenmann vertont.
Heidenheim, 20. März. Aus dem Gemeinderat. Der Gemeinderat hat den Neubau eines Mädchenrealschul- oebäudes mit einem Aufwand von etwa 240 000 -st beschlossen. Auf ein Gesuch des Stadtoerbands für Leibesübungen verwilligke der Gemeinderak für das Rechnungsjahr 1927/28 einen Beitrag von 2000 -st zur Förderung der Leibesübungen. — Die Ziele des neugegründeten Verkehrsvereins unterstützt der Gemeinderak durch einen Beitrag von 1000 Mark.
Geislingen a. Sk., 20. März. Glückwünsche des früheren bulgarischen Königs. Der Gründer des .Bräustüble', R. Lorenz, feiert am Montag, den 21. März seinen 70. Geburtstag. Hierzu sind Lorenz vom Hofmarschallamt des früheren Königs Ferdinand von Bulgarien die wärmsten Glückwünsche zugegangen. Lorenz hatte früher mehrere Jahre einen Hotelbetrieb in Sofia.
Aus Stadt undLand
Nagold, 2l. Mürz 1927.
Man ist Mensch, um sich zu beherrschen.
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Ein FriihUugssonutag
Einen schöneren und liebenswerteren Vorboten konnte sich der heutige Frühlingsanfang garnicht wünschen als den vergangenen Sonntag. Und wer die wahre Schönheit dieses Sonnentages voll erfassen wollte, der durfte nicht wie in letzten Wochen
beim Tagesgranen nochmals den Bettzipfel wohlig über die Ohren ziehen, sondern der musste hinaus schon beim ersten Tagesgrauen. Wohl nie ist der Drang größer ins Freie, niemals ist die Sehnsucht stärker nach der Natur als nach einem langen, grauen Winter, wo Herz und Seele sich nach dem Lichte sehnen. Tie ganze Natur atmet Freude und die Freude überträgt sich auf den Menschen. Doch die wahre Freude an der Natur hat nur der, der Ehrfurcht vor ihren Geheimnissen, ihrer Schönheit und ihrer Keuschheit, ihrer Unerschöpflichteit und Vielseitigkeit, ihrer Wahrhaftigkeit und Erhabenheit hat. Und ein jeder, der Herz und Sinne anflat, der erkannte, daß es Glück ist, ivaS da vom blauen Himmel, vom wogenden Wald und von grün- schimmcrnder Flur in seine Seele strömte. Aber wer hat nun von Nagolds 4200 und soundsoviel Einwohnern das am gestrigen frühen Margen gesucht und gesunden'/ 9kur ganz, ganz wenige! Fast keinem Menschen begegnete man in dem großen Konzcrtsaal der "Natur, im Walde, ivv unsere gefiederten Sänger schöner als alle Sänger der Erde ihr Morgen und Danklied zum Himmel sandten. Wer einmal gelauscht wie sie aus übervollem Herzen und frischer Kehle jubilieren und singen, wie der Fink und die Drossel schlägt, der Täuberich seiner Täubin ruft und all die anderen vielen Bögelein ihr Lied erschallen lassen, der möchte eS nickst inehr missen. Fa, würde ein klingender Einlritt erhoben zu diesem Konzert, der Wald wäre bald zu klein, um die Menschheit all zu fassen. Aber es ist gut so, denn das Schöne mit all seiner Einsamkeit wäre für den, der Freude daran hat, verloren. — Ein neuer Punkt ist nunmehr auf dem Nagolder Svnntagsprogramm erschienen: „Coneordia". Wie inan allem "Neuen etwas mißtrauisch entgegensieht, «o waren auch die Gefühle mit denen man das erste Platzkonzert des jungen Vereins erwartete, sehr gemischt. Um so größer war die Freude, durch die Tat überrascht, jawohl richtiggehend überrascht zu werden. Sehr erstaunt muß man in "Anbetracht des kurzen Znsammenspiels über die vhünvmenale Leistung sein, die der als Eröffnung gespielte „Kriegsmarsch der Priester" aus der Oper Athalia von "Mendelssohn erforderte. "Nicht leichter, im Gegenteil, vielleicht in manchen Teilen schwerer war „Der Rose Hochzciiszug" von Jessel, und auch diese "Ausgabe wurde gut gelöst. Die „Festouvertüre" von Gottlöber, „Sommernachts- träume" von Gärtner, das immer wieder hinreißende „Wienerlied" von SiecznnSki und der temperamentvolle „Grillenbanner- marsch" wurden in ihrem Charakter fein wiedergegebeu. Das „Stolzenfels am Rhein" von Meißler wurde ebenfalls technisch und im Ausdruck vorzüglich entwickelt, doch fiel es in seiner Qualität etwas aus dem Rahmen der übrigen Konzertstücke heraus. Bei der „Coneordia" fühlte nian sofort die fachmännische Leitung von Musikmeister Cortschewski heraus, der seine 13 Mann bald wie eine Militärkapelle im Zug hat und gerne gedachte man bei den Klängen gestern in der Vorstadt an alte vergangene, schöne Tage zurück. Wenn noch etwas „Holz" zu der Kapelle kommt, wird man sie in nicht allzulanger Zeit als vollkommen bezeichnen können. Nur eines wäre noch zu lösen: die Platzfrage, denn die äußeren Umstände zu den Kon- ! zerts in der Vorstadt sind bei diesem Autobetrieb wie gestern alles andere wie schön. Erstens ist es ein ewiges Aufgepasse für die Zuhörer, ob sie nicht von Wagen, Autos, Motorrädern, Fahrrädern oder sonstigen fahrbaren Instrumenten über den Haufen geworfen werden. Zweitens ist es sicherlich für die Spieler höchst unangenehm, die vielen Menschen, wie wir sie gestern beobachten konnten, dicht auf sich gedrückt zu wissen. Es wäre doch ein viel freieres Spiel und könnte in weit höherem Maße mit Genuß ausgenommen werden, wenn die Kapelle frei steht und die Zuhörer gemütlich auf und ab promenieren können. Im gewöhnlichen Leben spricht man ja deshalb von einem „Promenade'-Konzert. Wie wäre es, es einmal auf dem schön gelegenen Stadtackec zu versuchen, oder aber, wenn es unbedingt in der Stadt sein muß, am alten Kirchturm, wo der Verkehr bei weitem nicht so groß ist. Junge Kapelle, fahre in
diesen Spuren fort, ermüde nicht und laß bei der ersten Anerkennung nicht gleich den liebermut ins Kraut schießen, dann wirst du noch Lorbeeren ernten. Am späten Nachmittag fand das in Anbetracht des herrlichen Frnhlingswetters noch gut besuchte Beethoven-Konzert des Liederkranzes statt ebenso wie am Abend der Familien-Abend des Christi. Vereins junger Männer' regen Zuspruch gewann. An anderer Stelle ist darauf des Näheren eingegangen.
Beethovenkouzert
des Der. Lieder- und Siiuserkrauzes
Landauf, landab finden in diesen Tagen Beethovengedenkfeiern statt, und so hatte auch der Ver. Lieder- und Sängerkranz anläßlich des 100. Todestages des großen Meisters, dessen nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen zivilisierten Welt gedacht wird, zu einer Feier eingeladen. Ließ man die Klicke nicht links oder rechts schweifen, sondern nur gerade aus, so konnte schon der äußere Rahmen in eine weihevolle Stimmung versetzen. Das Podium war ringsum grün ausgeschlagen und mit Tannengrün und Lorbeeren verziert und in der Milte hob sich aus einem Wald vvn Lorbeeren des Meisters Büste ab. Die Vortragsfolge war schlicht, doch gehaltvoll aufgebaut. Eingeleitet wurde die Feier durch Sonate op. l 3 (Pa- lhetique) I. Satz durch Herrn Hauptlehrer Nicht am Flügel. Herr Nicht war wohl der während des ganzen Konzerts am meisten in Anspruch Genommene, denn es ging kaum ein Chor oder ein Solo vorbei, ohne daß er neben seinen eigenen Vorträgen am Flügel nicht Mitwirken mußte,Hund wie immer, sich seiner Aufgabe aufs Glänzendste entledigte. Gellerts Gedicht „Gottes Macht und Vorsehung" von Baumgartner bearbeitet und vom Männerchor unter der altbewährten Leitung des Herrn Oberlehrer Gried vorgetragen, bildet in seinem leichtoerständ- lichen Ausbau eine wirkungsstchere Einführung. Es folgten wiederum zwei Gellertgedichte „Bitten" und „Liebe des Nächsten von demselben bearbeitet und von Herrn Präzeptor W i e- land gesungen. Wie immer gefiel auch hier wiederuni der warme, geschmeidige, auch in den höheren Lagen ansprechende Bariton. Technisch sowohl wie im Ausdruck vorzüglich wiedergegeben wurde die Ouvertüre zu Egmont mit Herrn Nicht und seiner Schülerin Fräulein Hilde Wieland am Flügel. Die Ruhe und Sicherheit beim Spiel hinterließ den besten Eindruck und was das Wesentlichste hierbei war, die Ouvertüre gab uns wie kaum ein anderer Teil des Programms, außer op. 20 Septett 1 Satz von den beiden gleichen gespielt, den Gedankenreichtum Beethooenscher Kompositionen zu erkennen. Auch die nun folgende „Adelaide", Gedicht von Matthison, bearbeitet von R. Buck, wußte Herr Wieland mit Geschmack vorzutragen. Eindrucksvoll erklang das „Opferlied" des Mannerchors, wenn auch es um die Sicherheit nicht so ganz zum besten bestellt war. Dafür aber gefiel das einschmeichelnde, zuversichtlich klingende i„Fahr wohl du goldne Sonne", Gedicht von Rückert und die wohlbekannte „Hymne an die Nacht" um so besser. Ernst und innig gingen die beiden Stücke zum Gemüt der andächtig lauschenden Zuhörer und der Eindruck mag besonders durch die wohlklingenden vollen 2. Bässe gehoben worden sein. Etwas ängstlich sah man dem umfangreichen Solo „An die ferne Geliebte", Liederkreis v. A. Jeitteles, von Herrn
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LDinosoI
Beethoven.
Wie dunkle Flut umwogte dich das Schweigen.
Kein Erdenton fand mehr den Weg zu dir.
Doch eine Welt des Klanges war dein Eigen,
Und als ein Priester lebtest du in ihr.
Nie wärmten dich vertrauten Herdes Gluten,
Bo» Frauenhänden liebevoll genährt.
Ein Weltbeschenken war dein Sich-Verbluten.
Und zeitlos wuchtet deines Werkes Wert.
Anna Enders-Dix.
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Beethoven.
Von l)r. Rudolf Ochs-Berlin.
Als Beethoven starb, stand ein Gewitter über dem winterlichen Wien, und unter Donner und Blitz, im Windesbrausen und Schneesturm fuhr seine Seele zurück, von wannen sie gekommen: ins Reich der ewigen Harmonie. Hatte sein Tod den Widerhall himmlischer Mächte geweckt? Glaubten sie, den, dessen ganzes Leben Ringen und Kümpfen hieß, nur mit der mächtigen Musik des Donners, der Entfesselung eines Kampfes der Elemente ehren zu könne»?
Was war es, das da aussuhr im Wetter? Ein Geist, seine Zeit umfassend und die kommende, der das Fühlen von Generationen vorausspürte. dessen Ausmaße keine irdischen Grenzen kannten, der sich vermessen durfte, in Tönen auszudrücken, ivas, Worte» nicht mehr erreichbar, nur noch durch die tiefste, unmittelbarste, unirdischeste aller Künste gesagt werden kann: durch die Musik.
Der uralte heilige Messetext malt in sprödem Latein die Freuden himmlischen Lebens, „kxspeeto rosurrsetionom mor- tnoi-uin et viüim venturi saeeuti." Was sagen uns diese Silben, die nur von verhältnismäßig Wenigen verstanden werden können? Aber die Töne, die Beethoven dazu erdachte, sprechen zu Armen und Reichen. Gläubigen und Ungläubigen, Gebildeten u»d Ungebildeten. Diese Musik ist, im eigentlichen Sinn des Wortes, überirdisch und spricht in Ausdrucksformen, die nicht mehr den ernüchternden Umweg über das Gehirn brauchen, den Worte zu nehmen gezwungen sind. Sie gehen unmittelbar vom Herzen des Schöpfers zu den Herzen der Beschenkten. So empfand es Beethoven. „Bon Herzen — möge es zu Herzen gehen", fckrieb er auf die erste Partiturseite der .Vli^ri solemnis.
Worin liegt das Geheimnis des Schauers, der uns so oft bei seinen Harmonien anrührt, bei Stellen, die wir jetzt „echt Äeethovensch" zu nennen gewohnt sind? Strömt da wirklich der Einfluß dieses zeitlosen Geistes unmittelbar auf uns Nachgeborene? Wenn es in Beethovens Orchester plötzlich so ernst und feierlich wird, daß sogar die Geigen noch zu hell sind und nur noch die dunklen, weichen Bratschen leise singen: oder wenn mitten im wilden Taumel der Töne düstere Schatten Heraufziehen. alles erstirbt und nur noch bang klopfende Schläge der Pauke in bedrückende Totenstille Hallen - bis dann plötzlich Sonne und Leben mit vollstem Glanz elementar durchbrechen — wer erinnert sich nicht jener erschütternden Ueberleitung zum Schlußsatz der fünften Symphonie, wenn er sie auch nur ein einziges Mal gehört hat? Was ist es, daß uns da anrührt? Ahnung der Unendlichkeit? Ein Gefühl, daß vielleicht doch etwas in uns, über uns, „überm Sternenzelt" wohnt, das mehr ist als Atome und Moleküle und alles Rechnen und Wissen?
Und was blieb zurück, als an jenem trüben Märztag dieser Geist von der Erde gewichen war? Ein armseliges Häuflein Mensch — und welch ein Mensch! Unfaßbar, welche dürftige Hülle dieser Feuerseele zugciyessen war. Pockennarbig das Gesicht, ein in langem Hinsiccheik zerstörtes Gehör, der Körper von
akuter Krankheit abgezehrt, in dem von wirren Haarsträhnen umrahmten Gesicht tiefe Falten, die der stete Kamps mit dem Kleinkram des Taseins. stete Sorge um den geliebten, aber leichtsinnigen Neffen grub, die Faust noch mit letztem Lebenswillen drohend geballt — so, Menschheit, lag einer deiner Größten da, als die Seele ihn verlassen hatte.
Ach nein, das ist kein Friede, keine Erlösung, von der wir so gern fabeln. Das ist Kampf, Entbehrung, Entsagung bis zum letzten Atemzug! Wenn je ein Künstler die Dornenkrone trug — dieser hat sie sein Lebenlang getragen. Einen durch Bildung, durch Besitz geebneten und geglätteten Weg -- er hatte ihn nicht. Was er an Bildung besaß, hat er sich mühevoll erbampst. Muße zu ungestörter, sorgenfreier Arbeit — er fand sie nicht oft und nur durch die Gunst großzügiger Freunde und Gönner. Beflügelung seiner Schöpferkräfte durch Liebe — er hat sie nicht gesunden. Wohl verzehrte er sich zeitweise in Leidenschaft, schrieb überschwengliche Briefe an eine Geliebte, die dadurch unsterblich geworden ist — aber dauerndes Glück blieb ihm versagt. Freude an seinen Werken? Er konnte sie schließlich nur noch mit dem inneren Ohr vernehmen, denn sein äußeres verbind so, von Mißgeschick aller Art versolgt, verkannt, in seinem wichtigsten, edelsten Sinn unheilbar erkrankt, ging er durch die Welt und wurde nicht Menschenfeind, wabf nicht sein Leben weg: denn „sie, die Kunst hielt mich zurück". Hütte Beethoven nichts hinterlassen außer diesem „Heiligenstädter Testament", in dem er sich mit der Welt und den Menschen auseinandersetzt, er wäre damit für uns, wenn auch nicht einer der größten Tondichter, aber einer der größten Charaktere aller Zeiten. Für den Tondichter Beethoven sprechen seine Werke. Wer den Menschen Beethoven kennen lernen will, der lese dieses Schriftstück, das noch keiner ohne tiefste Erschütterung aus der Hand gelegt hat und ohne das Empfinden: „Sehet, welch' ein Mensch!"
Wir haben jetzt eine Beethovenbriefmarke. Denkmäler sollen enthüllt, in Schulen soll „ans die Bedeutung des Komponisten gebührend hingewiesen werden": man wird Stiftungen für bedürftige Künstler schassen und Gedenkkonzerte veranstalten in seinem Namen, wird Tatsächliches und Anekdotisches aus seinem Leben wieder in die Erinnerung zurückrufen. Was nützt das alles? Erinnerung nur zu bestimmten Jahrestagen ist nichts Lebendiges. Der Künstler will, daß er in den Herzen der Menschen lebe. Wenn aber irgend ein Wort, eine Veranstaltung, ein Bild, ein Ton dieser Tage, die ihm geweiht sind, bewirkt, daß jemand den Weg zu ichm selbst findet und er dadurch hinausgehoben wird über sein eigenes kleines Ich, wenn ihn ein Strahl aus dem himmlischen Reich der Kunst trifft und wärmt —, ja, dann war Beethoven nicht umsonst auf der Welt: «id die, die mit und in ihm leben, haben seiner bitteren Erdentage und seines bitteren Sterbens nicht umsonst gedacht.
In der Berliner Zeitschrift „Der Freimütige" konnte man im Jahre 1806 folgende Besprechung lesen: „Fürwahr, wenn einige unserer neuesten Musiktalente, besonders Beethoven, ihren Weg fortgehen, so werden sie Wohl nie auf der Bühne glänzen. Vor kurzem wurde die Ouvertüre zu seiner Oper „Fidelis", die man nur einige "Male aufgesührt hatte, im Augarten gegeben: und alle parteilosen Musikkenner und Freunde waren darüber vollkommen einig, daß so etwas Unzusammenhängendes, Grelles. Verworrenes, das Ohr Empörendes noch nie in der Musik geschrieben worden sei. Die schneidendsten Modulationen folgen aufeinander in wirklich gräßlicher Harmonie, und einige kleinliche Ideen, welche auch jeden Schein von Erhabenheit daraus entfernen, worunter z. B. ei» Posthornsolo gehört, das vermutlich die Ankunft des Gouverneurs ankündigen soll, vollenden den unangenehmen, betäubenden Eindruck." Dieser „schwierige», grellen und sonderbaren" Musik, die Beetboven
„am iiaier-pen von der wahren Schönheit" entferne, wurde eine „herrliche" Ouvertüre von Romberg gegenüber gestellt, an deren klarer Schönheit sich Beethoven ein Beispiel nehmen sollte. Die derart absprechend kritisierte Leonoren-Ouvertüre war die dritte, die heute von allen Musikfreunden bewundert wird und die unzähligen Menschen Augenblicke der Weihe lind Erhebung verschafft hat.
Beethoven in der Kritik seiner Zeit.
Von Gerd Dame rau.
Die Mitlebenden eines überragenden Genies werden immer von den Nachfahren beneidet. Man glaubt, daß sie den Einfluß des Künstlers viel mehr hätten fühlen müssen, weil sie noch seine irdische Persönlichkeit vor sich hatten. Das Leben mit seinem verwirrenden Vielerlei erschwert cs aber oft nur zu sehr, die wahre Größe in ihrer wirklichen Gestalt zu erkennen Es ist schon beinah zu einem Schlagwort geworden, daß der große Künstler immer erst von den späteren Geschlechtern voll gewürdigt werden kann. Das Genie geht seiner Zeit voraus, es ist der Bereiter neuer Wege und ist daher in seinem innersten Wesen nichts für den gerade geltenden Alltagsgeschmack.
Auch Beethoven hat nicht schon bei seinen Zeitgenossen die Stellung eingenommen und die Würdigung gesunden, die ihm heute als selbstverständlich zugebilligt wird. Daß dem zu allen Zeiten seltsamen Gebilde „Publikum" viele seiner Werke - „chinesisch" vorkamen, ist nicht weiter verwunderlich. Etwas weniger verständlich ist es schon, daß die für sehr musikverständig geltenden Wiener seinen Gelegenheitsarbeiten „Die Schlacht bei Vittoria" und „Der glorreiche Augenblick" begeistert zuju- belten, dagegen seine großen und tiefen Werke, den „Fidelio", die „Missa solemnis", die „Neunte" zum Teil ohne innere Beteiligung anhören konnten. Sie können aber als entschuldigt gelten, wenn wir sehen, daß sogar die zünftige Kritik Beethovens Größe nicht erkannte. In der Allgemeinen Musikalischen Zeitung, in der E. T. A. Hoffman» als Erster Beethovens Werke ihrer Bedeutung entsprechend würdigte, hatte man vor Hoff- manns Eintreten sür den Tondichter in einer Besprechung von Beethovens Biolinsonate op. 12 lesen können: „Herr van Beethoven geht einen eigenen Gang: aber was ist das für ein bizarrer, mühseliger Gang! Gelehrt, gelehrt und immerfort gelehrt, und keine Natur, kein Gesang!" Nicht besser erging es dem Violinkonzert des Meisters. Als es der Konzertmeister Clement zum erstenmal öffentlich gespielt hatte, urteilte die Wiener Theaterzeitung: „Ueber Beethovens Konzert ist das Urteil von Kennern ungeteilt: es gesteht demselben manche Schönheit zu, bekennt aber, daß der Zusammenhang oft ganz zerrissen scheine, und daß die unendlichen Wiederholungen einiger gemeiner Stellen leicht ermüden könnten." Die heute allgemein geliebte und l viel gespielte Kreutzersonate hielt man zu Beethovens Zeit für unausführbar!
In der schon genannten Allgemeinen Musikalischen Zeitung in Leipzig, der damals führenden musikalischen Zeitschrift Deutschlands, die später allerdings zur Einsicht kam, wußte man auch mit der „Eroika" nicht viel anzufangen: man schrieb über diese Symphonie: „Diese lange, äußerst schwierige Komposition ist eigentlich eine sehr weit ausgesührte kühne und wilde Phantasie. Es fehlt ihr gar nicht an frappanten und schönen Stellen, in denen man den energischen, talentvollen Geist ihres Schöpfers erkennen muß: sehr oft scheint sie sich ins Regellose zu verlieren " Bei der ersten Aufführung der Eroika hatte sie gar nicht gefallen, und daß Prinz Louis Ferdinand von Preußen sie während eines Besuches in Wien nach einer Privataufführung beim Fürsten Lobkowitz sofort, nachdem die Musiker sich etwas „restauriert" hätten, noch einmal hören wollte, war eine seltene Ausnahme ihrer Würdigung.