Veriagsort Calw

HEIMATBLATT EUR STADT UND LAND

CALWER ZEITUNG

SAMSTAG, 2. MAI 1953

ÜBERPARTEILICHE TAGESZEITUNG

9. JAHRGANG / NR 100

Monnet eröffnet den Stahlmarkt für die sechs Montanunion-Länder

Keine Export- und Importbeschränkungen mehr / Erstes europäisches Roheisen

LUXEMBURG. Die Eröffnung des gemein­samen Stahl marktes am 1. Mai wurde vom Präsidenten der Hohen Behörde der Montan­union, Jean Monnet, offiziell bekanntge­geben. Damit fallen fortan alle Beschränkun­gen für den Export und Import von Eisen, Stahl und Walzstahlerzeugnissen in den sechs Montanunionländern Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Holland und Luxemburg. Die Eröffnung des gemeinsamen Stahlmarktes ist der zweite Schritt auf dem Wege zur wirt­schaftlichen Einheit, nachdem bereits am 12. Februar der gemeinsame Markt für Kohle, Erz und Schrott eröffnet wurde.

Die Eröffnung des gemeinsamen Stahlmark­tes bedeutet: 1. Die Aufhebung aller Be­schränkungen für den Stahlhandel im Gebiet der Montanunion. 2. die Aufhebung der Zölle für Stahleinfuhren aus einem Mitgliedsland in das andere. 3. Die Aufhebung aller Men­genbeschränkungen in der Stahl-Ein- und Ausfuhr. 4. Aufhebung aller Devisenbeschrän­kungen im Stahlhandel. 5. Die Aufhebung al­ler Preisdiskriminierungen, z. B. unterschied­licher Inlands- und Exportpreis, und Preis­privilegien. 6. Die freie Einfuhr von Stahl aus Nichtmitgliederstaaten von einem Land der Montanunion in das andere.

Der Beginn des gemeinsamen Marktes wurde durch einen symbolischen Akt gefeiert. In Ge­

genwart von Vertretern der sechs Montan­union-Staaten und der bei der Hohen Be­hörde akkreditierten diplomatischen Vertreter gab Präsident Monnet am Donnerstag im Lu­xemburger StahlwerkArbed das Zeichen zum Anstich eines Hochofens, in dem das erste europäische" Roheisen erschmolzen wurde.

Bundesrepublik wehrt sich

Gegen eine Diskriminierung

hf. BONN. Nachdem in maßgebenden Krei­sen der deutschen Wirtschaft und des Bun­destags wiederholt gegen eine Diskriminie­rung der Bundesrepublik innerhalb der Mon­tanunion protestiert worden war, beschlossen am Donnerstag die Bundestagsausschüsse für Wirtschaft und Finanzen einen Gesetzentwurf, durch den der Bundesfinanzminister ermäch­tigt werden soll, im Umsatzsteuergesetz vor­gesehene Ausgleichsausgaben für Halb- und Fertigwaren, besonders auch für Rohstahl, die bisher mit einem Satz bis zu 6 v. H. ge­regelt waren, bis zu 12 v. H. zu erhöhen. Es handelt sich um eine Kann-Bestimmung, die der Bundesfinanzminister anwenden dürfte, wenn die Hohe Behörde der Montanunion trotz aller deutschen Proteste bei ihren im Rahmen des gemeinsamen Stahlmarktes ge­planten Maßnahmen bleiben sollte.

Schattenspieler Ulbricht

ßs gibt bei uns keinen Kirchenkantpf n

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Achselzucken ist keine Politik

Von Hermann Renne/

Dulles: Nicht ohne die Deutschen

EVG harte Brobe für Geduld der USA / Europa kein Vakuum mehr

WASHINGTON.Ich glaube nicht, daß Amerikaner, Briten oder Franzosen zur Ver­teidigung Deutschlands antreten werden, wenn die Deutschen als unbeteiligte 'Zuschauer dabeistehen, erklärte der amerikanische Au­ßenminister Dulles am Donnerstag. Die Tatsache, daß der EVG-Vertrag noch nicht in Kraft sei, stelle die Geduld der Vereinigten Staaten auf eine harte Probe, denn die Eu­ropa-Armee sei die beste Lösung der Ver­teidigung Europas. Da Deutschland noch nicht wieder bewaffnet sei, klaffe gegenwärtigeine große Lücke in der Verteidigung Europas, die die westlichen Nationen zwar zu füllen versuchten, was ihnen jedoch allein ohne deut­sche Beteiligung niemals ganz gelingen werde.

Dulles fuhr fort, daß die neuen Pläne der NATO, die die Minister der 14 Mitgliedstaa­ten in Paris gebilligt haben, eine verringerte Belastung für die Budgets der beteiligten Staaten bedeuteten, dennoch aber durch sie erreicht werde, daß sich die Verteidigungs­kraft der NATO wesentlich erhöhen werde.

Der amerikanische Außenminister betonte, daß die 50 alliierten Divisionen in Europa plus der 25 griechischen und türkischen ab­schreckend auf jeden Aggressor wirkten. Wenn sich auch Europa noch nicht völlig in Sicherheit wiegen könne, so sei es aber auch nicht mehr ein Vakuum, das die Gegenseite zu einer kriegerischen Besetzung verlocke.

Eisenhower will Budget kürzen

WASHINGTON. Präsident Eisenhower soll, wie in Washington verlautet, am Donnerstag den führenden Mitgliedern des Kongresses Vorschläge zur Kürzung des von seinem Vor­gänger Truman ausgearbeiteten Staatshaus­haltes um 8,5 Milliarden Dollar unterbreitet haben. Kongreßmitglieder, die am Donners­tag mit Eisenhower im Weißen Haus Budget­fragen diskutierten, erklärten anschließend, diese vorläufig geplanten Kürzungen würden fünf Milliarden Dollar Verteidigungsausgaben einschließen.

Maifeiern in aller Welt

Über tausend Kundgebungen in der Bundesrepublik / Militärparade in Moskau

DORTMUND. Bei trockenem und warmem Frühlingswetter wurde gestern in den Städten und Gemeinden der Bundesrepublik der Welt­feiertag der Arbeit in festlichem Rahmen, mit Demonstrationszügen und Maireden, began­gen. Die Beteiligung war besonders im west­deutschen Industriegebiet stärker als in den vergangenen Jahren. In Kassel hielt Bundes- präoident Prof. H e u ß die Maiansprache vor einigen tausend Arbeitern und Angestellten der Henschel-Werke.

Am Vorabend des Feiertages hatte der DGB-Bundesvorsitzende Walter Freitag an die Arbeitnehmerschaft appelliert, bei den Bundestagswahlenihre staatsbürgerlichen Rechte zugunsten des sozialen Fortschritts zu nutzen.

Im gesamten Bundesgebiet wurden über tausend Kundgebungen, darunter allein 300 in Nordrhein-Westfalen vom DGB abgehal­ten. Daneben fanden in diesem Jahr erstmalig

Die Häiite seines Lebens

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wartet der Soldat vergebens

getrennte Maifeiern der SPD, KPD und CDU in vielen Orten des Bundesgebietes statt.

Moskau feierte den 1. Mai wieder auf seine Art: Der sowjetische Verteidigungsminister Marschall B u 1 g a n i n nahm auf dem Roten Platz eine große Parade der Moskauer Gar­nisonstruppen ab. Alle öffentlichen Gebäude und ganze Straßenzüge in der sowjetischen Hauptstadt waren mit Zehntausenden von Spruchbändern mit den Maiparolen mit rie­sigen Porträts Lenins, Stalins und der füh­renden Persönlichkeiten der Sowjetunion ge­schmückt worden. Auch aus dem Ausland nahmen mehrere Delegationen an den Feiern teil.

Ein ähnliches Bild, in etwas verkleinertem, nicht ganz so prunkvollem Rahmen, bot der 1. Mai in der Sowjetzone. Bei den Massen­aufmärschen in Ostberlin wurden erstmals Bilder von Malenkow, Berjia und Molotow mitgeführt. In den Ansprachen fehlten die Beschuldigungen gegen diekapitalistischen Kriegshetzer, dagegen wurde nach Moskauer Vorbild immer wieder die Möglichkeit eines friedlichen Nebeneinanders aller Völker be­tont.

Stegner wieder beim Kanzler

Zerbricht die niedersächsische Koalition?

BONN Der FDP-Landesvorsitzende von Niedersachsen, Arthur Stegner. ist am Donnerstag zum zweiten Male innerhalb der letzten 24 Stunden von Bundeskanzler Dr, Adenauer empfangen worden. In parla­mentarischen Kreisen wird auf die Möglich­keit einer Regierungsumbildung in Hannover hingewiesen und angenommen, daß Stegners Gespräche mit dem Kanzler dieses Thema be­rührten.

Die Ersetzung der gegenwärtigen nieder­sächsischen SPD / BHE - Regierungskoalition durch eine neue CDU/DP/FDP/BHE-Regierung

Der Bundeskanzler behauptet, die Verträge, die wir im Begriffe stehen mit dem Westen abzuschließen, förderten die deutsche Wieder­vereinigung, ja, sie seien der einzige Weg da­zu. Das kann man natürlich bestreiten Man kann auch sehr wohl der Ansicht sein, daß die Europaarmee militärisch keine Ideallösung darstelle Und am leichtesten dürfte der Nach­weis fallen, daß die Bundesrepublik nach der Ratifizierung des Deutschland-Vertrages und seiner Annexen in vieler Hinsicht immer noch nicht gleichberechtigt sei- Die Schwächen und die Gefahrenstellen der Vertragswerke für Deutschland liegen offen zu Tage. Aber das gleiche gilt auch für die Vorteile.

Dazu kommt: Die besiegte und militärisch besetzte Bundesrepublik kann einfach keine Politik auf der Fiktion aufbauen, sie wäre noch im materiellen Sinne souverän Sie ist auf die Anlehnung an einen der beiden großen Machtblöcke angewiesen. Sie braucht für ihre wirtschaftliche Prosperität amerikanische Hilfe welche Partei könnte denn ihre sozialen Wahlversprechen auch nur in etwa verwirk­lichen, wenn es den Amerikanern einfallen sollte, den westdeutschen Brotkorb höher zu hängen. Die Bundesrepublik hat auch politisch, gerade im Hinblick auf die ihr im Verhältnis zu den Nachbarn noch fehlende Gleichberech­tigung. die Protektion Amerikas nötig.

Genug mit diesen Binsenwahrheiten. Wer die Vertragswerke ablehnt, muß bereit sein, wirtschaftliche, politische und militärische Konsequenzen von größter Tragweite in Kauf zu nehmen

Immerhin, es mag eine andere, bessere Lö­sung geben. Der Politiker, der glaubt, sie gefunden zu haben, wird die Adenauerische Konzeption verneinen und an deren Stelle seine eigene bekanntgeben müssen. In dieser verantwortlichen Entscheidung gipfelt sein Recht und auch seine Pflicht Eines nur ist unerträglich: Das Ausweichen vor der Ent­scheidung.

Genau das aber hat der Bundesrat am ver­gangenen Freitag getan. Die Folgen sind ent­sprechend. In der amerikanischen Öffentlich­keit ist ein Meinungsumschwung zuungunsten der Bundesrepublik erfolgt. Schon werden Stimmen laut, man brauche Westdeutschland nicht unter allen Umständen unterstützen. Gleichzeitig wurde die Verwirrung in der Bundesrepublik selbst, die ohnehin schon kaum mehr zu überbieten ist. noch weiter ge­steigert.

Jetzt ist die Situation so, daß der Gesetz­gebungsvorgang nicht abgeschlossen werden kann, nachdem der Bundesrat letztes Jahr er­klärt hat, die Vertragsgesetze bedürften auch

würde die Stimmenzahl der Opposition gegen die Verträge im Bundesrat von 20 auf 15 ver­mindern und die der bisherigen Minderheit von 18 auf 23 erhöhen und damit eine Mehr­heit für die deutsch-alliierten Verträge sichern.

Festgefahren

PAN MUN JON. Die koreanischen Waffen­stillstands-Verhandlungen in Pan Mun Jon kamen immer noch keinen Schritt weiter Die UN-Delegation lehnte nun auch den kommu­nistischen Vorschlag ab. einen asiatischen Staat alsneutrale Macht zur Aufnahme der nicht repatriierungswilligen Kriegsgefangenen zu bestimmen.

seiner Zustimmung. Solange die Gesetze aber im technischen Sinne noch nicht fertig sind, kann die Sozialdemokratie die Vereinbarkeit der darin enthaltenen Verträge mit dem Grundgesetz in Karlsruhe nicht prüfen lassen. Der Bundesrat wiederum stellte sich am Frei­tag auf den Standpunkt, daß er sein Votum nicht abgeben wolle, bevor ein Spruch von Karlsruhe vorliegt; er verlangte einen Gut- achtensantrag.Diesen Gutachtensantrag schließ­lich kann das Parlament nicht einbringen, nachdem es die Vertragsgesetze in drei Lesun­gen unter der Voraussetzung behandelt hat, daß sie ipit der Verfassung vereinbar seien.

Der Bundesrat stellt demnach für seine Zu­stimmung eine Voraussetzung auf, deren Er­füllung er selbst blockiert hat. Nach dem ge­sunden Menschenverstände müßte man anneh­men, daß damit eine getarnte Ablehnung zum Ausdruck kommen soll.

Aber weit gefehlt, gerade Reinhold iviaier, dessen fünf Stimmen den Ausschlag gaben, hat erklärt, er halte die Verträge im Prinzip für richtig. So läuft das ganze schließlich dar­auf hinaus, daß diese nationale Frage deshalb nicht zur Entscheidung gebracht wurde, weil sonst eventuell in Stuttgart eine Regierungs­krise entstanden wäre.

Das ist nun freilich eine eigenartige Konse­quenz unserer föderalistischen Struktur. Ent­weder hält ein Land die Beurteilung der weltpolitischen Situation durch- Dr. Adenauer für richtig, dann muß es Ja sagen, oder es hält sie für falsch, dann muß es Nein sagen. Aber es kann doch nicht so sein, daß eine große Entwicklung deshalb blockiert wird, weil in Stuttgart meinetwegen in kulturpoli­tischen Fragen Demokraten und Sozialdemo­kraten so schön einig sind. Das ist doch keine Beurteilungsgrundlage für die Außenpolitik der Bundesrepublik. Man richtet doch nicht eine Uhr nach dem Wasserstand.

Wahrscheinlich hatte Dr. Adenauer recht, als er seinen ursprünglichen Entschluß die Verträge sofort an Heuß weiterzuleiten, um­stieß. und nun darauf hinarbeitet, die miß­glückte Szene im Bundesrat nochmals zu spielen. Es wäre nämlich sehr schwer, zu klären, welche Wirkung nach unserer Verfas­sung das Verschweigen des Bundesrates zei­tigt, wie lange die Ländervertretung berech­tigt ist, durch Nichtausüben einer für den Gesetzgebungsvorgang notwendigen Funktion die Gesetzgebung zu blockieren Es wäre noch schwieriger und noch viel peinlicher, even­tuell durch Karlsruhe feststellen zu lassen, inwieweit der Bundespräsident, wenn man einmal den Gesetzgebungsvorgang für abge­schlossen ansehen würde, berechtigt ist, nun seinerseits den Vollzug der Unterschrift zu verweigern

Der Kanzlei will dem Bundesrat die Mög­lichkeit geben, nochmals und nun unter Be­rücksichtigung aller Konsequenzen skh mit den Vertragswerken zu befassen Es will uns fast scheinen als würde dabei ein anderes Er­gebnis herauskommen, als in der Vorwoche. Sollte es wirklich eine klare Entscheidung sein, so wäre sie selbst mit dem Ende der Stuttgarter Koalition nicht zu teuer bezahlt. Die politische Verantwortung darf nicht auf die Dauer hinter taktischen Winkelzügen, das Staatsinteresse nicht hinter das lokale Partei­interesse zurücktreten Wir brauchen eine Ant­wort. laute sie nun so oder so Mit einem Ach­selzucken der Ländervertretungen ist weder der westdeutschen Außenpolitik noch dem fö­deralistischen Prinzip gedient.