SAMSTAG, 18. APRIL 1953

Was wollen die deutschen Richter?

Von D r. Karl Dopffe l, Vorsitzender des Richtervereins Württemberg-Hohenzollern

Am kommenden Dienstag findet in Stuttgart derSüdwestdeutsche Richtertag" statt, auf dem sich die vier südwestdeutschen Landesvereine zum Verein badisch-württembergischer Richter und Staatsanwälte zusammenschließen werden. Landgerichtspräsident Dr. D o p f f e 1, Tübin­gen, der Vorsitzende des Richtervereins Würt­temberg-Hohenzollern, stellt uns dazu den fol­genden Artikel zur Verfügung:

TÜBINGEN. Die deutschen Richter und Staatsanwälte sind gewohnt, in der Stille ihre Pflicht zu tun. Sie treten nicht an die Öffent­lichkeit und haben auch kaum Parlamenta­rier aus ihren Reihen. Sie überlassen es den Justizverwaltungen, für sie einzutreten und begnügen sich mit dem einzigen Lob, das ih­nen gelegentlich zuteil wird, nämlich dem ih­rer Unbestechlichkeit. So war es, und man­che meinen, daß es so bleiben solle, denn die beste Justiz sei die, von der man möglichst wenig höre.

Aber die Unruhe der Zeit hat auch die Ju­stiz erfaßt. Es gärt unter den Richtern und Staatsanwälten. Einzelne und die Standesor­ganisationen wenden sich an die Öffentlichkeit und an die Parlamente. Statt der seit Jahr­zehnten üblichen Diskussion über die sog. Justizkrise erscheinen in der Presse Schlag­zeilen wie:Die Justiz als dritte Gewalt, Justiz im Angriff,Justiz am Bettelstab, Justiz als Aschenbrödel der Finanzverwal­tungen,Richter fordern Streikrecht und dergl. Ja selbst in den Parlamenten scheint sich etwas zu tun, denn es kommen Notizen über die Ablehnung von Anträgen auf Bewil­ligung von Zulagen an Richter und Staatsan­wälte im Bundesrat oder Bundestag. Was steckt hinter alledem?

Die Parteien meinten zunächst, es handle »ich eben um eine Folgeerscheinung der Not «Iler Beamten, der einheitlich abzuhelfen sie »ich nur zögernd entschließen unter ständigem Hinweis auf die Grenzen des nach dem staat­lichen Zusammenbruch Möglichen. Aber all­mählich mehrt sich die Einsicht, daß es bei der Justiz um Wichtigeres geht, nämlich letz­ten Endes um die Sicherung des demo­kratischen Rechtsstaates. Dieser Ansicht sind jedenfalls die Richter und Staats­anwälte. Sonst würden sie nicht aus ihrer Zu­rückhaltung herausgehen, sondern sich ledig­lich in die vorhandenen Beamtenbünde ein- glledem und mit ihnen dafür kämpfen, daß auch die staatlichen Festbesoldeten, wenn auch immer im Blick auf die Not weiter Volkskreise, so doch in etwa an dem Lebensstandard teil­nehmen, den andere Stände in der deutschen Bundesrepublik erreicht haben und für selbst­verständlich halten.

Was ist nun das Besondere bei der Justiz? Ganz einfach das, daß in unserer Demokratie die Richter und die mit ihnen imtrennbar ver­bundenen Staatsanwälte keine Beamten im sonstigen Sinn sind. Freilich erhalten auch sie vom Staat pensionsfähiges Gehalt. Aber das Bonner Grundgesetz hat den Rich­tern eine ganz besondere Funktion im Staate zugeteilt. Es hat sie neben die gesetzgeben­de Gewalt und neben die Verwaltung als staatliche Organe mit Sonderaufgaben, als die sog.dritte Gewalt, gestellt. Die Richter, deren Unabhängigkeit gesetzlich garantiert ist und die an keine Weisungen, sondern nur an das Gesetz und ihr Gewissen gebunden »lnd, vertreten unmittelbar die vom Volk aus­gehende staatliche Hoheitsgewatt. Bei der Strafrechtspflege ist dies jedem klar. Aber auch bei der zivilen Rechtspflege ist es nicht anders; auch sie greift unmittelbar von Staats wegen in das Schicksal des einzelnen ein. Nach dem Grundgesetz ist zudem die Ju­stiz (im weitesten Sinn) nicht nur die Voll­streckerin der Gesetzgebung, sondern auch die

Das Ohr im Briefkastenschlitz

PARIS. Frau Cubrie, Paris, legte sich häufig auf den Fußboden des Treppenflurs, um das Ge­spräch in der nachbarlichen Wohnung zu belau­sdien. Dabei hob eie die an der Wohnungstür befindliche Briefkastenklappe hoch und steckte ihr Ohr förmlich durch den Briefkastenschlitz, um besser hören zu können. Jetzt liegt die Neu­gierige im Krankenhaus, da Nupy, Nachbars Hund, das durch den Briefschlitz guckende Ohr einfach abbiß.

Kontrolle der Verwaltung. Dies gilt nicht nur für die obersten Gerichte. Erst eine gesunde Justiz balanciert den Staat aus.

Die Sonderstellung der Richter im Staat ist im Grundgesetz u. a. dadurch anerkannt, daß es die Erlassung besonderer Richterge­setze befiehlt. Diese Richtergesetze, die die Bundesländer erlassen müssen, müssen nicht nur die Stellung der Richter und Staats­anwälte und ihre von politischen Einflüssen freie Anstellung regeln, sondern auch ihre Besoldung festlegen und zwar unter Berück­sichtigung der Aufgaben der Justiz im Staat. Diese Aufgaben sind aber derart, daß die Ju­stiz bei aller Berücksichtigung mensch­licher Grenzen nur gute Kräfte brauchen kann. Auch das kleinste Amtsgericht muß mit einer vollwertigen Persönlichkeit besetzt sein. Und wer einen Mitbürger anklagen will, muß selbst seinen Mann im Leben stellen können.

Die Wirklichkeit zeigt aber, daß seit einigen Jahren nicht nur gerade der gute Nachwuchs der Justiz fembleibt, sondern darüber hinaus die Tüchtigsten aus ihr fliehen. Die Erklä­rung hierfür ist einfach. Wer eine 8jährige Juristische Vollausbildung hinter sich hat, i*t nicht auf die Anstellung in der staatlichen Justiz angewiesen. Er wird heute, da die Schichten, die die geistigen Berufe stellen, um ihre Vermögen gekommen sind, dahin gehen, wo ihm am meisten geboten wird. Geboten in materieller, aber auch in ideeller Hinsicht.

In Württemberg-Hohenzollern

hat sich in den letzten Jahren von 4 Promo­tionen überhaupt kein Assessor, der das zweite Examen mitgut bestand, zur Justiz gemel­det, und in Bayern waren es 1938 noch über 50, 1952 aber nur noch 10 Prozent. Auf Einzelhei­ten weiter einzugehen, würde zu weit füh­ren, es genügt zu sagen, daß ein Richterverein kürzlich die Regierung darauf hingewiesen hat, die Justiz drohe zumSchrottsammler der Akademiker zu werden.

Die Folgen dieser Entwicklung liegen auf der Hand, schon in wenigen Jahren wird die Justizverwaltung nicht mehr in der Lage sein, selbst die gehobenen Stellen mit guten Kräf­ten zu besetzen. Den Schaden trägt das Volk.

Was wollen also die deutschen Richter? Sicherlich wollen sie keine standesegoistische Bevorzugung vor anderen. Sie sind schon zu­frieden, wenn sie praktisch den Laufbahnen gleichgestellt werden, die allen denjenigen im Staate offen stehen, die eine abgeschlossene Juristische Vorbildung haben. Sie wollen sich auch nicht der allgemeinen deutschen Not ent­ziehen. Aber sie wollen die ihnen im Volks­ganzen obliegenden Pflichten erfüllen können. Deshalb fordern sie, daß die im Grundgesetz verlangten Landesrichtergesetze »ofort er­lassen, und daß in ihnen die Rechtsverhält­nisse der Richter und Staatsanwälte so ge­regelt werden, daß Ihr Stand überhaupt noch eine Anziehungskraft für wirkliche Per­sönlichkeiten hat.

Eine wohlgeordnete Justiz kann man nie zu teuer bezahlen, sagte vor 80 Jahren der bekannte Abg. Windhorst im Reichstag. Man könnte dazusetzen:Eine schlechtgeordnete Justiz bezahlt der Staat noch viel teurer, nämlich mit dem Zusammenbruch des Rechts­vertrauens im Volk.

Psychoanalyse soll ihre Grenzen achten

Eine Stellungnahme des Papstes / Der Vorrang der Religion

wn. Die Psychologie der Tiefe, wie sie sich seit dem ersten Weltkrieg unter dem großen Dreigestim Freud, Adler, Jung ent­wickelt hat, Ist heute weit über ihren ur­sprünglich ärztlich-klinischen Ansatz hinaus­gewachsen. Mit ihrem Einbruch in das Un­bewußte, in die archaischen Schichten der Tiefenseele, in die Welt der kollektiven Ur­bilder, kurz in das, was Goethe das Reich der Mütter nannte, hat sie dem Bild vom Menschen neue Wesenszüge eingezeichnet. In ihrem Bestreben, alles Menschliche zu er-

Was mag es sein, über das sich diese fünf jungen Erdenbürger unterhalten? Die sonnenbeschienene Staffel mit dem Geländer Ist als Ort eines klei­nenwichtigen " Schwätzchens nicht Übel ausge­wählt. Vielleicht wird beraten, was man an so einem schönen Frühlingstag für ein Spiel an­fangen soll. Foto: dpa

fassen und nach Möglichkeit zu deuten, sah sie an den Fragestellungen über Gott sowie über den Sinn von Gut und Böse nicht vorbei. Diese Fragestellungen werden seit altersher zwar von der Theologie, und seit etwa fünf­hundert Jahren auch durch die mit ihr kon­kurrierende Philosophie verwaltet; aber in zunehmendem Maße beschäftigt sich auch die Psychoanalyse mit diesen und anderen reli­giösen Phänomen, betrachtet sie doch das kollektive Unbewußte gewissermaßen als den seelischen Wurzelboden jeglichen Menschen­tums.

War die Psychoanalyse ursprünglich von Freud als bloße Methode zur Aufdeckung ver­borgener, aber wirksamer seelischer Sachver­halte entdeckt worden, so wurde sie bald zu einer Lehre, die das Funktionieren unserer Seelenkräfte auf die Wirksamkeit bestimm­ter Grundprinzipien (sexuelle Triebe zu­nächst) zurückzuführen suchte. Die durch Ad­ler und Jung weitergeführte Psychoanalyse hat inhaltlich mit der Freudschen Psycho­analyse nur mehr allgemein den seelisch kran­ken Menschen als Materialobjekt gemeinsam. Sie wurde, um es mit wenigen Worten zu sagen, zu einer Seelenheilkunde. Hier begin­nen die Schwierigkeiten, die nicht allein mo­raltheologischer Natur sind.

Papst Plus XII. hat nun in ablehnender Weise vor den Delegierten des katholischen Kongresses für Psychotherapie und Psycho­logie zu den Behandlungsmethoden der Psycho­analytiker Stellung genommen. Er sagte, daß die Geheimnisse der menschlichen Seele der Beichte Vorbehalten bleiben müssen. Das be­deutet, daß nur der Beichtvater im göttlichen Auftrag von der Schuld lossprechen kann. Der Papst warnte vor der Überschätzung der sexu­ellen Triebe, die den Menschen erniedrigen und auf die Stufe des unvernünftigen Tieres stellen würde; vor allem aber vor gewissen Behandlungsmethoden, die vorgeben, ln Ideal­konkurrenz mit Kirchlichem zu treten.

Ohne Zweifel ist es das Verdienst der Psychoanalyse, Methoden gefunden zu haben, die erlauben, den verborgenen Grundlagen seelischer und leib-seelischer Störungen auf die Spur zu kommen. Die seelischen Krank­heiten entstehen ja zumeist infolge unver- arbeitbgrer schwerer Erfahrungen. Da die geistige Kraft oft nicht ausreicht, mit den

13F 86Sabre"-Düsenjäger wurden in Land- stuhl stationiert: Für das 86. amerika­nische Jagdbombengeschwader sind auf dem Flugplatz Landstuhl in der Pfalz 13 Düsenjäger vom TypF 86 Sabre" eingetroffen. Unser Bild zeigt einen der Jäger, der kurz nach seiner Lan­dung in Landstuhl von den dort stationierten Soldaten eingehend begutachtet wird. Die Sabre- Düsenjäger erreichen eine Spitzengeschwindig­keit von 1050 km/std. und sind die modernsten und schnellsten Jagdmaschinen der USA.

Keystone-Bild

Erlebnissen fertig zu werden, werden Ersatz­lösungen gesucht, die man gewöhnlich Fehl­haltungen nennt. Wird der Mensch nun falsch behandelt, dann trifft genau das ein, was nicht nur von der Kirche, sondern auch von der daseinsanalytischen Richtung in der Psycho­therapie heute mehr und mehr erkannt wor­den ist: Die Gefahr der Bildung neuer Neu­rosen, die noch tiefer liegen als die wegana- lisierten, weil sie den Personenkern im Men­schen treffen und krank machen. Die Aus­führungen des Papstes verdammen nicht die Methoden der Psychoanalyse.,Sie verurteilen den der Psychoanalyse (wenigstens der bei Freud) zugrundeliegenden Materialismus, welche le­diglich den Trieb als Wesenseigentümlichkeit des Menschen gelten läßt und alles Geistige aus ihm herzuleiten sucht, auch das sittliche und religiöse Leben des Menschen. Wenn die Psychoanalyse den wandlungswilligen Men­schen dahin zu führen vermag, die falschen Lebenslösungen zu erkennen und ihm behilf­lich zu sein, sie rückgängig zu machen, dann ist dies ein Anliegen der seelischen Heil­behandlung. Auf die Ebene des Religiösen ge­bracht, nennt man eine solche Wandlung Be­kehrung.

Es ist früher schon oft von kirchlicher Seite betont worden, daß die gesamte Psychothera­pie von den Seelsorgern sehr ernst genom­men werden muß. Und es mehren sich die

Der Schaden war schnell geheilt. Wie sahen die wilden Rangen aus 1 Aber Dr.Thomp- song Schwan-Pulver half, machte die Bunt­wäsche frisch und klar, und die Weißwäsche schwanweiß. Das rote Paket kostet nur 40 Pf. und gibt trotzdemWäsche ohne Schleier.

Fälle, daß Seelsorger und Psychotherapeuten sich zur Zusammenarbeit im Interesse des seelisch kranken Menschen gefunden haben. Die Seelsorger sehen die Wichtigkeit der psychoanalytischen Methoden ein, und die Aus­führungen des Papstes wollen, so scheint uns, auf die Tatsache hinweisen, daß die helfende Gnade Gottes erforderlich ist, wenn eine Hei­lung gelingen soll Denn es ist oft beobachtet worden, daß die aufrichtige Hinwendung des Menschen zu Gott im Kern der seelischen Wandlung steht, die man Heilung zu nennen pflegt.

Von welcher Bedeutung dann aber die reli­giöse Haltung des Arztes ist, der die Heil­behandlung durchführt, dürfte auf der Hand liegen. Wenn die Äußerung des Papstes die Wirkung einer Besinnung der Psychoanalyti­ker auf die kirchliche Lehre vom geistlichen Leben hätte, wäre sie nützlich gewesen. Sie gäbe dann Anlaß zu Überlegungen, die heute mehr denn je aktuell sind. Wobei zu beden­ken ist, daß die Kirchenväter und viele Hei­lige Meister der Seelenführung, bis in die sub­limen Höhen der Mystik hinauf, waren.

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Verkühle Dich füglich!

Unferdieser Devise hackte sich ein Wiener Frei- /nh

badeverein jeden Tag im Winter das Eis der '

Donau auf,um ein prickelndesVöllbad nehmen zu können. Man lachte die Leute aus und mancherverkühlte" sich schon, wenn er nur daran dachte, ins eiskalte Wasser springen zu Z ]£ J müssen. Aber die Vereinsmitglieder blieben bei ihrer Methode frisch und kamen alle zu hohen Jahren. Das Leben will eben fröhlich angepackt sein, dann lächelt es auch aus einem guten \ « Gesicht zurück. Und solange das Leben lächelt, hat es auc h eine Zigarette im Mundwinkel.

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IM VOLL-FORMAT