HEIMATBLATT EUR STADT UND LAND

CALWER ZEITUNG

SAMSTAG, 15. NOVEMBER 1952

ÜBERPARTEILICHE TAGESZEITUNG

8. JAHRGANG / NR. 226

Der Kanzler bringt die Koalition in der Terminfrage hinter sich

Gegen Höpker-Aschoffs Verschiebungswünsche / Letztes Wort beim Ältestenrat

Drahtbericht unserer Bonner Redaktion

BONN. Ein endgültiger Termin für die «weite und dritte Lesung der Ratifibationsge- setze wurde auch gestern nach zahlreichen Be­sprechungen der Fraktionen und der Regie­rung noch nicht festgelegt. Das Bundeskabi­nett gab aber nach seiner Sitzung den Be­schluß bekannt, gegenüber den Fraktionen der Koalition und den Ausschüssen des Bundes­tags auf dem 26. bis 28. November zu be­stehen.

Bundeskanzler Dr. Adenauer hat sich auf der Kabinettsitzung, an der auch Vertreter der Koalitionsparteien teilnahmen, nochmals nachdrücklich für diesen Termin ausgespro­chen und zum Ausdruck gebracht, daß auch das Schreiben des Präsidenten des Verfas­sungsgerichts der bekanntlich um eine kurz­

fristige Verschiebung gebeten hatte, seine Haltung nicht verändert habe.

Die Fraktionsführer der Koalitionsparteien haben sich nach dem Drängen des Bundes­kanzlers am Freitag im Prinzip ebenfalls für diese Termine ausgesprochen und damit dem Ersuchen des Bundesverfassungsgerichts nicht entsprochen. Dies hat in politischen Kreisen der Bundeshauptstadt erhebliches Aufsehen erregt. Die Haltung des Bundeskanzlers und deren Bestätigung durch die Regierungspar­teien wird teilweise so beurteilt, daß die Re­gierung hinsichtlich des verfassungsgericht­lichen Gutachtens skeptisch sei.

Die Entscheidung liegt nun beim Ältesten­rat und beim Präsidenten des Bundestags

Vorfinanzierung des Lastenausgleichs

Das politische Firmament

BUNDESTAG

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Adenauer:Ich befürchte, meine Herren, man kann noch nichts sehen

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Jährlich 150 Millionen DM über Paragraph 7f /Schutz deutscher Kulturgüter Drahtbericht unserer Bonner Redaktion

Sie bleiben unvergessen

Von Anton Hamme>

BONN. Die Bundesregierung verabschiedete gestern einen Gesetzentwurf über steuerliche Maßnahmen zur Vorfinanzierung des Lasten­ausgleichs. Der Entwurf, der nun dem Parla­ment zugeht, sieht u. a. eine Neufassung des Paragraphen 7 f des Einkommensteuergeset­zes vor, durch die jährlich 150 Millionen DM für die Vorfinanzierung durch die Steuer­pflichtigen aufgebracht werden sollen.

Für die Posten des Präsidenten und Vize­präsidenten des Lastenausgleichsamtes schlug 4as Kabinett Ministerialdirigent Dr. Kühne vom Bundesfinanzministerium und Dr. Con­rad vom Hauptamt für Soforthilfe vor.

Schließlich billigte die Bundesregierung noch Inen Gesetzentwurfzum Schutz deutscher Kulturgüter vor der Abwanderung aus dem Bundesgebiet Nach dem Entwurf sollen wertvolle Kultur-, Archiv- und Bibliotheks­güter von in den Ländern neu zu bildenden

Ausschüssen auf sogenannte Landesverzeich­nissenational-wertvoller Kulturgüter" ge­setzt werden. Ein entsprechender Bundesaus­schuß und ein Bundesverzeichnis sind vorge­sehen. Nach den Strafbestimmungen des Pa­ragraphen 18 kann mit Gefängnis oder Geld­strafe bestraft werden, wer Kulturgüter ex­portiert, die auf den genannten Listen stehen

SPD appelliert an Saarländer

BONN. Der SPD-Vorsitzende Ollanhauer richtete an die Saarbevölkerung den Appell, bei der Landtagswahl am 30. November un­gültige Stimmzettel abzugeben oder der Wahl femzubleiben. Ollenhauer erklärte ln einem Aufruf, jeder ungültige Stimmzettel sei ein Auftrag an die Bundesrepublik und ein Ap­pel an die freie Welt, Freiheit und Recht für die Saar wieder herzustellen.

Wir brauchen uns heute nicht den Kopf dar­über zu zerbrechen, wofür unsere Soldaten letztlich gestorben sind. Wenn der Sinn des menschlichen Lebens und der Geschichte im­mer gleich so offen lägen, wie wir es wün­schen, würde er vielleicht von vornherein ver­fehlt. Die Historiker versuchen sich daher auch nie gern an der Schilderung der jüng­sten Vergangenheit, nicht aus politischer Furcht, sondern weil ihnen ihr Fach jeden Tag beweist, daß man zu einem klaren Urteil über geschichtliche Dinge zeitlichen Abstand braucht

Wie leicht wäre es heute, im Gedenken an die Gefallenen der beiden Weltkriege, und zwar bei den Siegern wie bei den Besiegten achselzuckend zu sagen: Sie sind umsonst ge­storben, ihr Tod hat nichts besser gemacht, an die Stelle der alten sind nur neue Probleme getreten. Wie leicht wäre es heute auch schon wieder, allen Gefallenen einfach den Status des Helden zuzuerkennen und den Volks­trauertag wie im Dritten Reich als Heldenge­denktag zu begehen. Patentanschauungen sol­cher Art sind ebenso billig wie gedankenlos Vielleicht kennt man den Sinn der blutigen ersten Jahrhunderthälfte um das Jahr 2000 besser, vielleicht ist bis dahin aber auch die ganze bisherige Weltgeschichte nicht mehr ak­tuell. Das alles entzieht sich heute unserer Kenntnis, und es ist ebenso zwecklos, uns mit rückwärtiger Prophetie wie mit Prognosen herumzuschlagen.

Was uns drängt, einmal im Jahr in beson­derer Weise derer zu gedenken, die an unse­rer Seite gefallen sind, ist keine politische Überlegung, sondern das Gefühl bluts- und schicksalsmäßiger Verbundenheit über allen möglichen Sinn des Weltgeschehens hinaus Die 7 Millionen Deutsche, die der letzte Krieg mit Erde bedeckt hat, gehören zu uns als Gat­ten, Väter und Mütter, Brüder und Schwe­stern, Söhne und Töchter. Sie sind noch in allen denkbaren menschlichen Beziehungen unter uns lebendig.

Vor 13 Jahren fielen die Ersten. Manchem ging der Schrecken des Krieges erst auf, als er die Kreuze auf der letzten Zeitungsseite sah Vielleicht war ein Freund, ein Bekannter darunter. Dann fuhr es ihm ans Herz: Das könntest auch Du sein! Der Krieg fraß weiter wie ein Brand und zog alles Brennbare in seinen Bereich Eines Tages stand man selber

draußen unwillig über die Trennung von der Familie, über die Unterbrechung der beruf­lichen Arbeit, über den ganzen verdammten Krieg und das ganze verdammte Geschwätz, das über diesen Krieg von oben verbreitet wurde. Aber auch ein wenig neugierig, wie es nun wirklich und wahrhaftig sein würde an der Front, wie es eigentlich ist, wenn Men­schen im Ernst aufeinander losgehen müssen.

Es war nüchtern, nüchterner als ein Arbeits­tag und meist viel langweiliger. Schlimmer als die Lebensgefahr deuchten einen oft die Strapazen. Dann aber langten die Granaten wieder zu, und man wünschte sich auf einem Marsch durch Sand und Sumpf, mit Blasen an den Füßen und dem Affen auf dem Buckel, keuchend, schwitzend, aber mit frei erhobe­nem Kopf. Und dann traf es hier, traf es dort. In dem Loch, in das man sich zuerst legen wollte, lag nachher einer tot. Der Wurfgra­nate war es gleich, wer darin lag. Zufall, Vor­sehung, Schicksal? Wer war man selbst, daß man verschont blieb? Wer sind wir alle, daß wir verschont blieben?

Fast jeder zehnte Deutsche ist im letzten Krieg und Nachkrieg umgekommen. An der Front, daheim, auf der Flucht, in einem fer­nen Lager. Je länger der Krieg dauerte, desto weiter schwang der Tod die Sense, und gegen Schluß gab es Tage, wie in Dresden, wo 100 000 auf einmal fielen. Fast über den ganzen Kon­tinent sind unsere Toten zerstreut., von den glühenden Sandwüsten Nordafrikas bis zu den Eisfeldern der Arktis und vom Atlantik bis zur Wolga, ja bis zum Pazifik, denn die To­tenäcker der Kriegsgefangenenlager in Sibi­rien müssen wir auch dazu rechnen. Kaum eine Familie, die nicht irgendwo in diesem ungeheuren Raum ein Liebes unter der Erde weiß

Wenn wir uns auch nicht anmaßen dürfen, den Sinn eines so ungeheuerlichen Massen­sterbens zu kennen, so spüren wir doch die ernste Mahnung, die von ihm ausgeht. Sie ist unüberhörbar: Kämpft dafür, daß der Mensch als Mensch auf Erden weiterieben kann! In diesem Vermächtnis ist alles eingeschlossen: Frieden und Freiheit, nationale Selbstbehaup­tung und politischer Fortschritt, soziale Si­cherheit für den einzelnen und allgemeine Wohlfahrt.

Keine Partei und kernt gesellschaftliche Schicht kann dieses Vermächtnis für sich in. Beschlag nehmen, denn unsere Toten stam­men aus allen deutschen Ländern und Schich­ten, aus allen Weltanschauungen und Konfes­sionen, und sie sprechen darum zu uns allen gleichermaßen. Kein Tag kann unser Volk da­her so vorbehaltlos zusammenführen wie der Volkstrauertag In gemeinsamer Trauer und Ehrfurcht neigen wir uns vor den Opfern zweier Weltkatastrophen, hoffend, daß ihr schuldlos vergossenes Blut eingehe in den Kreislauf einer besseren Welt

Wahlen in Südtiro ?

Im Zeichenregionaler Selbstverwaltung

ROM. Südtirol wählt morgen seinen neuen Regionallandtag. Der Wahlkampf ist bisher sehr ruhig verlaufen, und politische Beobach­ter erwarten keine größeren politischen Mncht- verschiebungen bei den Wahlen.

Die regionale Selbstverwaltung der beiden Provinzen Trient und Bozen, die auf eine Ab­machung der Pariser Konferenz von 1946 zu­rückgeht, ist in den letzten Jahren so tief in das Bewußtsein der Bevölkerung eingegangen, daß alle Parteien ihre Wahlparolen auf sie ab"e- stellt haben

Für die italienischen Parteien wird das Wahl­ergebnis hauptsächlich ein Stimmungsmesser für die Parlamentswahlen im nächsten Früh­jahr sein

Durchführung der Wiedergutmachung

Goldmann bespricht mit Adenauer schon Einzelfragen / Offizieller Optimismus Drahtbericht unserer Bonner Redaktion

BONN. Der Leiter der Delegation der jüdi- Khen Weltorganisationen während der deutsch- taraeiischen Wiedergutmachungsverhandlungen,

Nahum Goldmann, wurde gestern nach­mittag von Bundeskanzler Dr. A d e n a ue r mpfangen. Die zur Durchführung des Wie­dergutmachungsabkommens notwendigen Maß-

Volkstrauertag

Gedenkrede des Bundespräsidenten

BONN. Zum erstenmal nach 1945 wird am Sonntag im gesamten Bundesgebiet der Volks­trauertag zum Gedenken an die Toten des er­sten nnd zweiten Weltkrieges einheitlih be­fangen werden.

Im Mittelpunkt der in ganz Westdeutschland vorgesehenen Trauerkundgebungen steht eine Gedenkrede des Bundespräsidenten auf einer vom Volksbund für Kriegsgräberfürsorge ver­anstalteten Feierstunde im Plenarsaal des Bun­destages

Für alle staatlichen Gebäude ist Trauerbe- naggung angeordnet worden. Ebenso sind öf­fentliche Tanzlustbarkeiten im Hinblick auf den Ernst und die Würde des Tages nicht ge- tattet.

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M. BONN. Anläßlich des Volkstrauertages am morgigen Sonntag erließen Bundespräsident Prof. Heuß, Bundestagspräsident Dr. Ehlers, Bun-

£ rof - Reuter, und als Vertreter der Kirchen Kardinal Frings und Bischof D. Dr. D i b e - lns folgenden Aufruf:

»Am 16. November gedenken die Deutschen in oar ganzen Welt der Toten zweier Weltkriege an y®r Front und ln der Heimat. Für uns Überlebende t ®s ein Tag ernster Besinnung im Wissen um Dpfer, das zur Gemeinsamkeit und Hilfsbereit- ?~ a i, bindet. Der Volkstrauertag 1952 erinnert uns fremvf die Gräber in der Heimat und in

t T Erde zu Pflegen und zu betreuen. Dieser D oi tu dient seit über 30 Jahren der Volksbund o j e Kriegsgräberfürsorge. Sein Werk aus P.Pden und Beiträgen getragen tatkräftig zu sollte für jeden Deutschen selbstver- zelna se ' n Dieses persönliche Opfer des Ein- vat«S k der Arbeit des Volksbundes seine

witn»ü isdle Bedeutung. Wir wollen hoffen und sern'p* n ' daß mit allen Ländern in denen un- Fiircrf °' en ru ben. bald ein Abkommen über die werrfo e , * ör uns ere Soldatengräber getroffen reiche P 3 « nn ' damit der Volksbund seine segens- Dieso tatißkeit überall wieder aufnehmen kann. ^-rV,, »* dient dem Frieden ln der seelischen ßer Hinterbliebenen und der Verstän- L'ins der Völker'

nahmen standen im Mittelpunkt des Ge­sprächs, in dessen Verlauf Adenauer erneut betonte, daß die Bundesregierung zu der von ihr unter das Abkommen gesetzten Unter­schrift stehen werde.

Weiter erörterten Adenauer und Goldmann die Errichtung einer israelischen Delegation in Bonn, die die Aufgabe haben wird, bei der Regelung der Einzelfragen der Durchführung des Wiedergutmachungsabkommens (Waren­listen, Lieferungszeiten usw.) mitzuwirken.

Zu dem noch nicht veröffentlichten, ahei der Bundesregierung inzwischen bekannten Beschluß der Arabischen Liga, der für den Fall der Ratifizierung de« deutsch-israelischen Vertrags den Wirtscha**sboykott gegen die Bundesrepublik androhen soll, wird die Re­gierung am Sonntag Stellung nehmen, wenn der arabische Beschluß veröffentlicht ist.

In Regierungskreisen wurde jedoch schon gestern die Hoffnung betont, daß es trotz des arabischen Beschlusses bis zur Ratifizierung des Wiedergutmachunfsabkommens gelingen werde, die zwischen Bonn und den arabischen Staaten bestehenden Spannungen zu besei­tigen.

Deutsch-französischer Zwischenfall

Französische Gendarmen erzwingen Durchfahrt für Bus mit künftigen Legionären

MAINZ. An der deutsch-französischen Grenze bei Schweigen in der Pfalz ist es am Donnerstagabend zn einem ernsten Zwischen­fall gekommen, als ein mit 19 gerade ange- worbenen deutschen Fremdenlegionären be­setzter französischer Militäromnibusmit Ge­walt" den Grenzübertritt nach dem Elsaß er­zwang.

Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Dr. Alois Zimmer, der diese Mitteilung gestern vor der Presse in Mainz machte, erklärte dazu, die deutschen Grenzpolizisten haben wei­sungsgemäß von dem französischen Begleit­personal die Zusicherung gefordert, daß es sich nicht um deutsche Staatsangehörige handle. Als die den Transport begleitenden französischen Gendarmen diese Erklärung verweigerten, hätten die deutschen Grenz­polizisten versucht, den Bus am Passieren der Grenze zu hindern. Das Begleitkommando habe den Übergang abermit Gewalt er­zwungen. Minister Zimmer teilte nicht mit, ob dabei von Schußwaffen Gebrauch gemacht wurde

Die Haltung der deutschen Grenzpolizisten ist nach Ansicht zuständiger Kreise in Mainz völlig gerechtfertigt, da jeder Deutsche im Be­sitze eines vollgültigen Passes sein muß, wenn er die Landesgrenze passiert.

Das rheinland-pfälzische Innenministerium hat sofort nach Bekanntwerden des Zwischen­falles eine eingehende Untersuchung eingelei­tet, deren Ergebnis zur Stunde noch nicht vor­liegt. Innenminister Zimmer sicherte aber zu, daß alle erforderlichen Maßnahmen getroffen würden, um solche Zuständeein für allemal zu beseitigen".

Die sozialdemokratische Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz hat in einem Dringlichkeits­antrag die Landesregierung ersucht, auf schnellstem Wege im Zusammenwirken mit den zuständigen Bundesstellen eine Unter­suchung über den Zwischenfall einzuleiten und dem Landtag Bericht zu erstatten. In dem An­trag werden Sofortmaßnahmen gefordert, um die Verbringung angeworbener deutscher Fremdenlegionäre über die Grenzen zu un­terbinden.