NUMMER 195

FREITAG. 14. DEZEMBER 198^

Halacz alleiniger Bomben-Attentäter

Rein kriminelle Motive / Fahndung Meisterwerk kriminalistischer Kleinarbeit

BREMEN. Das Rätsel um die Sprengstoff­attentate in Bremen und Eystrup ist nunmehr gelöst. Der Täter, Erich v. Halacz, hat un­ter der erdrüdcenden Last der Beweise ein Geständnis abgelegt. Komplicen hatte v. Ha­lacz nicht. Alle übrigen Verhafteten sind be­reits auf freien Fuß gesetzt worden. Das Mo­tiv wird als ein rein kriminelles angesehen, v. Halacz wollte einige Wochen nach den ge­lungenen Attentaten weitere Personen bedro­hen, um sie dann zu erpressen.

Mit tränenerstickter Stimme versuchte v. Halacz, seine aus Geldgier verübte Tat damit zu entschuldigen, daß er einStiefkind des Lebens ' sei. Er habe zur Gründung eines Schallplattenverleihgeschäftes Geld gebraucht. In einigen Wochen hätte er sich an andere Per­sonen mit der anonymen Aufforderung ge­wandt, an bestimmten Stellen höhere Geld­beträge zu hinterlegen, andernfalls sie das gleiche Schicksal erleiden würden. Auf diese Idee sei er durch amerikanische Zeitungsbe­richte über den Gangster Costello, gekommen.

v. Halacz wird voraussichtlich im Januar wegen Doppelmord, versuchten Mordes, Ver­stoß gegen das Sprengstoffgesetz und Zerstö­rung durch Explosion vor dem Schwurgericht Verden angeklagt. Die zwölftögige Fahndung kann als ein Meisterwerk kriminalistischer Kleinarbeit der SonderkommissionS unter Oberkriminalrat Dr. Walter Z i r p i n s , der bisher nicht in Erscheinung trat, bezeichnet werden.

Nach dem Geständnis des Attentäters faßte er seinen Plan schon vor wenigen Monaten und wählte als erstes Opfer den Chefredak­teur derBremer Nachrichten, Dr. Wolfard, weil er ihn für reich hielt. Audi in den bei­den Fabrikanten, denen er Sprengstoffpakete zusandte, sah er zahlungskräftige Geldleute. Das Material für seine Höllenmaschinen fing er erst vor wenigen Wochen zu sammeln an. Den Sprengstoff erhielt er von einem Spreng­meister in Drakenburg.

Bevor er die Pakete abschickte, die er in Abwesenheit seiner Pflegeeltern verfertigte, erkundigte er sich telefonisch, ob seine Opfer auch zu Hause seien, ging dann zum Bremer Postamt, wo er die beiden Höllenpakete nach Eystrup und Verden aufgab, fuhr nach Ver­den, und sandte von dort aus das dritte Pa­ket nach Bremen ab.

Den ersten Hinweis auf Halacz erhielt die Kommission vom Chefredakteur einer Nien­

burger Zeitung, dem Halacz große Ähnlich­keit mit der im Steckbrief enthaltenen Be­schreibung aufgefallen war. Halacz wurde daraufhin am Freitag vor einer Woche durch die Polizei vernommen, nach zwei Stunden aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Gleichzei­tig beschlagnahmte die Polizei in seiner Woh­nung Schriftstücke, die mit derselben Schreib­maschine geschrieben waren wie die Klebe­adressen. Am Sonntag erfolgte seine endgül­tige Verhaftung.

Der Attentäter ist der uneheliche Sohn einer deutschen Adeligen, die in der Schweiz lebt. Er wurde von seiner Mutter der Familie des Sprengmeisters Käse in Drakenberg in Pflege gegeben. Später erfuhr er, daß sein richtiger Name nicht Käse sei. und erwirkte beim Amtsgericht den Namen v. Halacz führen zu dürfen. Schon als Junge machte er durch

exzentrisches Benehmen von sich reden. Nach einer nicht beendeten Lehre als technischer Zeichner war er arbeitslos und lebte vom Schrotthandel. Schwach, selbstgefällig und von übersteigertem Ehrgeiz, versuchte er mit al­len Mitteln zu Geld und Ansehen zu kommen, bombardierte zahlreiche Zeitungen ständig mit Artikeln und wollte sie in seine Pläne für eine angebliche amerikanische Kulturpro­paganda einspannen. Seine Opfer hat Halacz persönlich nicht gekannt. Als erste wollte er die Hinterbliebenen erpressen.

Nach seinem Geständnis fragte er, ob seine Verurteilung noch vor Weihnachten zu er­warten sei. Er könne während' der Weihnachts­zeit eineUngewißheit nicht vertragen. Am Tag der Explosionen wurde, wie sich erst jetzt herausstellte, Halacz 24 Jahre.

Der Bremer Polizeipräsident erklärte, Ha­lacz sei als der alleinige Täter anzusehen und habe die Attentate aus rein kriminellen Mo­tiven begangen. Es hätten sich keinerlei An­haltspunkte für irgend welche politischen Mo­tive ergeben.

Neuer Abrüstungsvorschlag

Deutschlandfrage tritt etwas zurück

PARIS. Die drei Westmächte haben dem Politischen Auschuß der Vollversammlung der UN in Paris gestern nachmittag eine revidierte Fassung ihres Abrüstungsprgramms vorge­legt. Die Neufassung wendet sich weiterhin gegen die sowjetische Hauptforderung eines sofortigen und bedingungslosen Verbots der Atombombe, berücksichtigt aber sonst mehrere der sowjetischen Einwände. Der amerikani­sche Botschafter .1 e s s u p wird den neuen Vorschlag heute erläutern.

In einer sehr maßvollen Rede hatte der so­wjetische Außenminister Wyschinski am Mittwoch vor dem Politischen Ausschuß noch einmal zu dem Ergebnis der bisherigen Be­ratungen Stellung genommen. Wyschinski meinte, die Tatsache, daß sich die vier Groß­mächte über die Einsetzung einer neuen Ab­rüstungskommission geeinigt hätten, lasse die Möglichkeit offen, daß sie auch andere Streit­fragen bereinigen könnten. Der Hauptunter- schied zwischen den beiden Lagern bestehe in der Auffassung über die Frage der Atomener­giekontrolle.

Im zweiten Politischen Ausschuß haben die Niederlande, der Irak, Griechenland und Ko­lumbien den Antrag auf Einsetzung einer Un­tersuchungskommission für gesamtdeutsche Wahlen befürwortet. Der niederländische Spre­cher schlug vor, die Kommission solle nicht nur die Wahlvoraussetzungen prüfen, sondern zugleich auch ein Wahlverfahren ausarbeiten und einen entsprechenden Vorschlag den vier Besatzungsmächten zuleiten. Die westdeut­schen Vertreter sind inzwischen aus Paris ab­gereist.

Schweden hat den UN vorgeschlagen, die vier Besatzungsmächte in Deutschland zur Ausarbeitung eines Planes für gesamtdeutsche Wahlen im Einverständnis mH der Bundes­regierung und der Regierung der Sowjetzone aufzufordern. Der in Form einer Resolution eingebrachte Vorschlag siebt die Mögiichkeit der Mitarbeit einer neutralen Kommission vor, spricht aber nicht von der Bildung einer UN-Kommission, die die Voraussetzungen für freie Wahlen in allen Besateungszonen und Berlin untersuchen soll.

Kleine Weltdhronik

Deutschebesa^unesmüde

Vierteljahresbericht McCloys

FRANKFURT. Der Mitte dieser Woche ver­öffentlichte achte Vierteljahresbericht des amerikanischen Hohen Kommissariats stellt eineArt von Besatzungsmüdigkeit in der deutschen Bevölkerung fest. Dessen ungeach­tet hätten sich die meisten Deutschen dafür entschieden, ihr Schicksal mit dem des We­stens zu verknüpfen. Besonders hebt der Be­richt die Kritik der SPD und Ihrer führen­den Persönlichkeiten hervor, die zu einer Ver­steifung dös allgemeinen Widerstandes gegen die amerikanische Politik in Deutschland bei­getragen habe.

In dem Bericht, der die Zeit vom 1. Juli bis zum 30. September dieses Jahres umfaßt, wird die Kohlenausfuhr als wertvollster Einzelbei­trag der Bundesrepublik zur europäischen Verteidigung bezeichnet. Lobend äußert sich der Bericht über dieallgemeine große Zurück- halutng der Gewerkschaften gegenüber der Regierungspolitik. Die Bundesregierung müsse nicht nur zu Verhandlungen mit den Gewerk­schaften bereit sein, sondern sich auch ehrlich bemühen, ihren berechtigten Forderungen ent­gegenzukommen.

Umfangreiche Tagesordnung, Bebenhausen. Der Landtag von Württemberg-Hohenzoilern tritt am kommenden Mittwoch zu seiner 114. Sitzung zusammen. Die umfangreiche Tagesordnung sieht Gesetzentwürfe über finanzielle Maßnahmen zur Förderung des Wiederaufbaus und der Wohn- raumbeschaffung, zur Änderung und Ergänzung des Besoldungsrechts, über die unter § 131 des Grundgesetzes fallenden Beamten u. a. m. vor.

Dr. Sauer Vorsitzender des kulturpolitischen Ausschusses. Tübingen. Der Kultminister von Württemberg-Hohenzoilern, Dr. Albert Sauer, ist zum Vorsitzenden des kulturpolitischen Aus­schusses des Bundestags gewählt worden.

Deutsche Vermögenswerte in der Türkei. Bonn.

Zwischen der Bundesrepublik und der Türkei finden zurzeit Verhandlungen über die deutschen Vermögenswerte in der Türkei statt. Zurzeit befindet sich eine zehnköpfige türkische Parla­mentsdelegation zu einem Gegenbesuch in Bonn.

Wüstenfuchs wird nicht gezeigt. Bonn. Ein Sprecher der amerikanischen Hohen Kommission bestätigt am Mittwoch, daß der Rommel-Film Der Wüstenfuchs vorläufig nicht in Deutschland aufgeführt werde.

Raymond ruft zur Weihnachtshilfe anf. Köln.

Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, Dr. Raymond, forderte die Arbeitgeber auf, zum Weihnachts­fest bedürftigen heimatvertriebenen Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs und noch immer festgehaitenen Kriegsgefangenen und Zwangsar­

beitern Weihnachtspakete zu senden. Man solle die üblichen Weihnachts- und Neujahrswünsche zwischen den Geschäftspartnern einschränken und das Geld für Pakete an Bedürftige verwenden.

Bayern behält Prügelstrafe bei. München. Nach leidenschaftlicher dreistündiger Debatte sprach sich der bayerische Landtag mit 95 Stim­men der CSU und Bayempartel gegen die 90 Stimmen der übrigen Parteien für die Beibehal­tung der körperlichen Züchtigung in den Volks­schulen aus. Außerdem will man den Schulan­fang im Herbst belassen.

Bewachung in München verringert, München, Die Sicherung des bayerischen Landtags, der Staatskanzlei und des Innenministeriums durch eine Alarmeinheit der bayerischen Bereitschafts­polizei gegen mutmaßliche Attentäter ist am Donnerstagabend auf insgesamt einen Zug ver­ringert worden.

Hansen für einen .Jungen Mann der letzten Kriegsgeneratlon'. KleL Nach dem Rüdetritt von Generaloberst a. D. Frießner erklärte Ad­miral a. D. Hansen, der neue Vorsitzende des Verbandes deutscher Soldaten (VdS) müsse ein junger Mann der letzten Kriegsgeneration sein. Er selbst werde nicht kandidieren, da er sich nicht für den geeigneten Mann halte.

Warnstreik im Saarland. Saarbrücken. Die Angestellten der öffentlichen Betriebe im Saar­gebiet führten am Donnerstag einen 24stündigen Warnstreik durch, nachdem die Regierung am

Neues Tretien in Far s

Die finanzielle Seite der Europaarmee

STRASSBURG. Die Außenminister der secht am europäischen Verteidigungsplan beteilig, ten Länder haben bei ihren Beratugnen in Straßburg ein positives Teilergebnis erzielt Sie beschlossen, vom 27.30. Dezember in Pa- ris erneut zusammenzutreten, um die Ver. handlungen über die politischen und finan­ziellen Probleme der europäischen Verteidi­gungsgemeinschaft fortzusetzen. An der Pari, ser Konferenz sollen auch die Finanzminister der Plevenplan-Länder teilnehmen.

Ein deutscher Sprecher teilte mit, daß bei den Straßburger Besprechungen hauptsächlich die Bedenken der Benelux-Länder gegen die Bildung starker politischer Spitzenorgane der geplanten europäischen Verteidigungsgemein­schaft beseitigt werden konnten. Die militär- und finanztechnischen Berater der sechs Re­gierungen werden ihre Verhandlungen in Pa­ris fortsetzen, um den Außenministern am 27. Dezember Kompromißvorschläge vor allem in Finanzfragen zu unterbreiten.

Den Außenministern wurde in Straßburf ein SachverständigenDlan vorgelegt, der ein» Europaarmee in Stärke von 43 Divisionen, da­runter 12 deutsche Divisionen, vorsieht. Jed» Division soll etwa 13 000 Mann stark sein.

Der amerikanische Außenminister Ache- s o n erklärte bei seiner Rückkehr aus Europa nach New York, die Zeit der großen Pläne auf dem Papier sei vorüber. Er hoffe, daß bis zur Nordatlantikrats-Konferenz in Lissabon An­fang Februar so weite Fortschritte bei der Schaffung der Europaarmee gemacht seien, daß echte Entscheidungen getroffen werden können.

Verbotene KP-Kundgebung

TÜBINGEN. Eine von der Ortsgruppe Tü­bingen der KPD für den 15. Dezember auf dem Tübinger Marktplatz angesetzte öffent­liche Kundgebung ist. wie amtlich mitgeteilt wird, vom Innenministerium ausschließlidi aus sicherheitspolizeilichen Gründen verboten worden. Das Verbot, so wird betont, steh» nicht im Zusammenhang mit den in einem Teil der Presse und im Rundfunk anläßlich der Brandstiftung in der Nacht vom 8. auf S. Dezember angestellten Vermutungen. In den ausgebrannten Baracken in Tübingen waren, wie wir gemeldet hatten u. a. die Geschäfts­räume desBüros für Heimatdienst des an­tikommunistischenVolksbundes für Frieden und Freiheit, des Jugendaufbauwerkes und der Vereinigung für den Zusammenschluß der südwestdeutschen Länder untergebracht.

In einer am Donnerstag herausgegebenen Erklärung verwahrt sich das KPD-Landesse- kretatriat Württemberg-Hohenzoilern gegen den Vorwurf, daß Kommunisten für die Brand­stiftung verantwortlich seien. Die KPD lehne solche niederträchtige kriminelle Kampf­methoden ab.

Mittwoch die Zahlung von Welhnachtsgratiftika- tionen abgelehnt hatte.

Kobelt Bandespräsident. Bern. Beide Häu­ser der Schweizer Bundesversammlung. Stända- rat und Nationalrat. wählten am Donnerstag­vormittag Verteidigungsminister Dr. Karl Ko­belt zum Bundespräsidenten für das Jahr 1951 und Innenminister Dr Philipp Etter zum Vize­präsidenten Dem neuen Bundesrat gehören am Dr. Max Petitpierre (Äußeres). Prof. Max We­ber (Finanzen), Dr. Philipp Etter (Inneres), Dr. Karl Kehlet (Verteidigung) Rodolphe RutabeU (Wirtschaft). Dr. Markus Feldmann (Justiz und Polizei), Joseph Escher (Post und Eisenbahn).

Gehorsamsverweigerung bei Präventivkrieg, Paris. Der Weihbischof der Erzdiözese Lyon, Msgr. Ancel, schrieb in einer in Lyon erschei­nenden Wochenzeitschrift kein französischer Sol­dat dürfe auf amerikanischer Seite kämpfen, wenn die USA einen Präventivkrieg beginnen sollten. In einem solchen Falle habe der Einzeln« die Pflicht, den soldatischen Gehorsam zu ver­weigern.

Aüftuke in New Orleans

ROMAN VON PETER HILTEN

12] Copyright 1951 by Wllbolm Goldnun Verlag

Ihre Gedanken kamen Langsam in Bewegung und begannen zu mahlen Sie müßte Dixon suchen. Wo? Wo konnte er sein, daß er den Weg zu ihr nicht mehr fand? Polizei?

Donoga hatte Angst vor der Polizei. Sie war fremd, ein Mädchen ohne Papiere, ohne Refe­renzen, ohne Freunde, ohne Angehörige. Sie hatte schon von puritanischen harten Richtern gehört, die in diesem Lande fremde Mädchen zum Baumwollekrempeln in Arbeitshäuser ge­worfen hatten. In Arbeitshäuser zu Dirnen, Giftmischerinnen, Engelmacherinnen und Die­binnen. Endlos tagein, tagaus eine Kurbel drehen, bis das Herz verkümmert ist und die Augen tränenleer werden. Um... um ... um... unter Aufsicht einer verhärteten, Jeder Schön­heit, Jedem Lächeln feindlichen Aufseherin_

Oder verschachert werden, verschachert in diesem frauenarmen Lande, oder ein Gewerbe suchen Ein Gewerbe...

Ihre Lippen öffneten sich. Sie wollte Dixon rufen. Sie wollte ganz leise rufen Dixon?

Wo waren jetzt seine streichelnden Hände, wo ruhte jetzt sein gutes Gesicht Dixon?

Sie brachte keinen Ton hervor.

Es wurde heller.

Im Hafen war die Arbeit erwacht, Dampfer riefen, hinter dem Hause riefen die Züge, das Haus war in weniger al3 einer halben Stunde su tobendem Lärm erwacht. Es schien zu be­ben und zu wanken, es schien zu krachen, zu bersten und zu schreien.

Das Grauen I

*

Ein Beamter füllte einen Zettel aus.

Nummer 1738.

Leiche männlichen Geschlechts. Tod durch Ertrinken. (Vermutlich betrunken und über Kaitreppe Ins Wasser gestürzt.)

Name: unbekannt.

Hautfarbe weiß.

Alter: ca. 28 Jahre.

Haare: dunkel.

Augen: blau.

Größe: fünf Fuß sieben Zoll.

Gewicht: 154 Pounds.

Bemerkungen: Hände nicht an manuelle Arbeit gewöhnt? Mäßig gute Kleider Keine Papiere oder sonstige Identifikationsausweise. Keine Geldmittel.

Diesen Zettel heftete der Beamte vor der Hafenverwaltung an ein schwarzes Brett, an welchem zwischen Listen der angekommenen und ausgelaufenen Schiffe, dem Wasserstand des Mississippi, dem Kurs der verschiedenen Weizensorten und der Baumwolle, der ver­schiedenen Frachtraten nach verschiedenen Häfen der Ostkünste von USA und den Häfen Europas, der letzten Wettermeldung, den Adressenkarten der Heuer-, Schiffs- und Versicherungsagenten, den Listen der ge­suchten Emtearbeiter und den Abfahrtszeiten der mississippiaufwärts verkehrenden Damp­fer noch ähnliche Zettel hingen. Tote, deren Namen unbekannt blieben. Das Geheimnis ruhte über ihnen, Frauen, Männer, Totge­borene.

Nummer 1738 lag im Keller auf einer Bahre. Eine schmierige Decke schloß ihn von der Welt des Gewölbes ab. Laut Gesetz des Staates Louisiana mußte 1738 innerhalb 24 Stunden der Erde zurückgegeben werden.

In vierundzwanzig Stunden.

Ein trauriges kleines Gefährt würde ihn und noch einige andere mitnehmen. In Segeltuch eingenähte Paketa Oft ganz kleine. Eine Fähre würde den schwarzen Wagen auf eine niedrige, flache und ausdruckslose Insel übersetzen, an deren Ende einige weißgekalkte Häuschen in der Sonne stehen. Eines der Häuschen trägt an einem Giebelende ein Kreuz. Nr. 1738 wird

mit seinen ebenfalls unbeweglichen Begleitern ins Gras gelegt werden. Vielleicht ist ein Prie­ster da. Der Priester wird über denen, von denen man weiß, daß sie der allmächtigen katholischen Kirche angehören, einige Worte murmeln. Nr. 1738 wird übergangen werden. Unbekannt ist auch unbekannt vor Gott.

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Pietro war, nachdem er Donoga verlassen hatte, wieder nach dem Hafen gegangen. Er suchte dieEspiritu Santo. Sie war nicht mehr an der Stelle, an der sie noch am Morgen ge­legen hatte. Er entdeckte das Schiff an einem ihm gegenüberliegenden entfernteren Kai. Der Ladebetrieb war schon in vollem Gange. Um das Schiff zu erreichen, mußte Pietro einen Umweg machen.

Der Umweg führte ihn am Gebäude der Hafenverwaltung vorbei. Dort wurde eben an einem schwarzen Brett mit vielen Zetteln ein neuer Zettel angeschlagen. Er war in drei Sprachen vorgedruckt.

Pietro las.

Nr 1738...

Vecchio: ca. 28, Capelli? dark, Occhios: blue.

Pietros Gesicht wurde grau. Er trat ein und fragte nach dem Toten, dem 28jährlgen mit blauen Augen...

Ein Beamter führte Pietro hinunter in das Gewölbe Pietro hielt die Mütze zwischen ge­falteten Händen und folgte.

Vom Fußende einer Bahre war ein wenig Wasser gelaufen. Von dieser Bahre nahm der Beamte das Tuch.

Pietro erkannte Dixon Young.

Dios miol Pietro kniete nieder, der Kopf sank ihm tief auf die Brust, aber der Beamte hatte nicht viel Zeit.

,JCennen Sie Ihn?

Pietro konnte nicht sprechen. Er murmelte nur: Dios mio. Dios mio ..

Gut, der Tote ließ sich nicht identifizieren. Nr. 1738 konnte noch heute zur Bestattung

freigegeben werden. Eine Frage hatte der Be­amte noch: ..Religion?

Si, signore, antwortete Pietro,si.

Der Beamte schrieb auf einen Zettel: rö­misch-katholisch.

Daher kam es, daß am Nachmittag der Geistliche auf der Insel über Dixon Young dea Segen der Kirche sprach: Requiescat in pace. Amen.

Dann ging Pietro zu Donoga.

Donoga blickte auf.

Unter der Türe stand ein Mann. Es war der Mann, der sie. als es noch Nacht war. bis un­ten an die Treppe gebracht hatte Er brach unter der Türe fast in die Knie, er starrte sie an und taumelte mit einem Laut, den kein Mensch beschreiben konnte, einem Laut, der tief aus tiefsten Tiefen kam, dort, wo dal Grauen wuchs, ins Zimmer. Er blieb vor ihr stehen, dann brach er mit über dem Kopf ge­falteten Händen in die Knie und drückte sei­nen Kopf auf die Matratze.

Das Grauen.

Dixon morto...!

Pietro war zurückgekommen.

*

Wenn ein Schmerz die Grenze des Erträg­lichen erreicht hat. sorgt plötzlich die Natur für wohltuende Bewußtlosigkeit, in welcher der Körper neue Kräfte zum Weiterleben sammelt. Dem Seelenschmerz folgt tränenleer» Müdigkeit, die die Seele zum Weiterkämpfen stärkt.

Nach einer Stunde des Wandeins an den Ab­gründen des Lebens, einer Stunde, die so schwer war, daß die Geräusche des Hause» nicht mehr in den Raum zu dringen vermoch­ten und Pietro in erschütterter Tränenlosigkeit Roxys Mexico Bar vergaß, sah Donoga wieder auf.

Ein Schatten verdunkelte den Türausschnitt Mrs. Grimswood.

Mrs. Grimwood war erschienen und ahnt» auf den ersten Blick Zahlungsunfähigkeit.

(Fortsetzung folgv

JACOBS KAFFEE