NUMMER 189
M O N T AG, 3. DEZEMBER 1951
SPD greift Mietpreisreform an
Die neuen Bestimmungen / Abwälzungsmöglichkeiten / Beamtengesetz-Entwurf
BONN. Die SPD hat die am 1. Dezember in Kraft getretenen Verordnungen über die Mietpreise scharf angegriffen. In einer Stellungnahme wird von ihr u. a. festgestellt, daß von diesen Verordnungen die niedrigen Einkommensbezieher einmal mehr am härtesten betroffen seien. Die Rentner und Fürsorgeempfänger, die zumeist Inhaber von Altbauwohnungen sind, werden sich zusammen mit der Unzahl der Vertriebenen und Ausgebombten für dieses „Weihnachtsgeschenk aus Bonn“ bedanken, stellt die SPD fest.
In der Meldung unserer Samstagausgabe (Nr. 88) war durch einen Hörfehler eine Unklarheit entstanden, die wir angesichts der Wichtigkeit der Mietpreisverordnungen ausführlich korrigieren. Die drei Verordnungen betreffen: 1. Erhebung von Untermietzuschlägen, 2. Abwälzung von Mehrbelastungen des Hauseigentümers auf die Mieter und 3. die Freigabe der Geschäftsraummieten von den Preis Vorschriften.
Untermietzuschläge sind seit dem 1. Dezember möglich, wenn ein Mieter Teile der gemieteten Wohnung untervermietet hat. Dann kann ein Mietzuschlag von 20 Prozent der Lehrraummiete des untervermieteten Wohn- raums gefordert werden. Der Untermietzuschlag darf jedoch 5 Prozent der Lehrraummiete nicht überschreiten, wenn der Untermieter mit seiner Familie in den untervermieteten Räumen seinen selbständigen Haushalt führt. In beiden Fällen hat der Hauptmieter das Recht, den Untermletzuschlag auf die Untermieter abzuwälzen. Bei der Untervermietung einer ganzen Wohnung als einer räumlich und wirtschaftlich selbständigen Einheit ist die Erhebung eines Zuschlages jedoch unzulässig.
Die Hausbesitzer haben seit dem 1. Dezember das Recht, außerhalb der eigentlichen Miete Grundsteuer- und Gebührenmehrbelastungen sowie Mehrbelastungen bei Schom- steinfegergebühren, die seit dem 1. April 1945 eingetreten sind, auf die Mieter abzuwälzen. Eine Abwälzung der vollen Grundsteuer oder der vollen Gebühren ist unzulässig. In diesen Zusammenhang fällt die Verordnung, nach der eine Herabsetzung der Mieten unter den Stand vom 17. Oktober 1936 durch die Preisbehörden unzulässig ist. Ist ein Wohnraum in der Zeit vom 9. Mai 1945 bis zum 20. Juli 1948 bezugsfertig geworden, so darf die Miete nicht auf einen geringeren Betrag als auf 110 Prozent der Miete für vergleichbaren Wohnraum nach dem Stand vom 17. Oktober 1936 herabgesetzt werden. Eine Heraufsetzung der Stichtagmiete vom 17. Oktober 1936 durch die Preisbehörde ist unzulässig, wenn sie hinter der ortsüblichen Miete für den Wohnraum gleicher Art und Ausstattung nach dem Stand vom 17. Oktober 1936 zurückbleibt. Diese Verordnung gibt dem Hausbesitzer aber nur das
Wahlkampf auf Hochtouren
Südweststaat-Versammlungen im ganzen Land
TÜBINGEN. Die Propaganda der südwürt- tembergischen Parteien für den Südweststaat, der mit Ausnahme der KPD von allen bejaht wird, wird in der kommenden Woche, der letzten vor der Abstimmung, voll anlaufen. Heute spricht Innenminister R e n n e r in Tuttlingen, am 8. in Schwenningen. Arbeitsminister W i r- s c h i n g Spricht am 6. in Ehingen, Prof. Dr. Erbe am 5. in Oberndorf und 7. in Wildbad. Bundestagsabgeordneter Kiesinger in Rottweil und Rottenburg. Der Ministerpräsident von Württemberg-Baden, Dr. Reinhold Maier, wird am 6. Dezember in Tübingen zum gleichen Thema sprechen.
In Sigmaringen stellte der Vorsitzende des hohenzollerischen Landesausschusses, Landtagsabgeordneter Franz Gog, in einer Erklärung zur Südweststaatfrage fest, Hohen- zollem werde seine volle Befriedigung nur finden, wenn es in das geeinte Land der Schwaben und Alemannen zurückkehren könne und bekenne sich deshalb mit einem uneingeschränkten Ja zum Südweststaat.
Recht, über seinen Anspruch auf Mieterhöhung, Untermietzuschläge oder Umlagen mit seinen Mietern zu verhandeln und eine freie Vereinbarung zu treffen Im Falle einer Weigerung eines Mieters, eine preisrechtlich zulässige Mieterhöhung anzuerkennen, kann nur auf Aufhebung des Mietverhältnisses bei dem zuständigen Amtsgericht nach den Vorschriften des Mieterschutzgesetzes geklagt werden.
Die preislich“ ^re'^abe der Geschäftsraummiete kann nach der Verordnung im allgemeinen erst am 1. April 1952 wirksam werden, wenn laufende Miet- oder Pachtverträge bestehen. Es ist unmöglich, vor dem 1. April Änderungen der Miethöhe durch Kündigung zu erzwingen. Um dennoch mögliche Härten
zu vermeiden, wird die Bundesregierung ergänzend ein Gesetz über die Gewährung richterlicher Vertragshilfe einbringen, durch das unter gewissen Voraussetzungen eine Verlängerung der laufenden Miet- und Pachtverhältnisse ermöglicht werden soll. Ferner wird bekannt, daß die mit diesen Verordnungen gegebene kleine Mietpreisreform im Frühjahr oder Sommer 1952 durch eine weitgehendere Reform ergänzt bzw. abgelöst werden soll.
Der Entwurf zu dem neuen Beamtengesetz ist dem Bundestag am Samstag von der Bundesregierung zugeleitet worden. Das Gesetz regelt endgültig das Rechtsverhältnis der Bundesbeamten und ersetzt die Übergangsbestimmungen (Bundesoersonalgesetz), die bisher in Anlehnung an das alte deutsche Beamtengesetz gegolten haben. An grundsätzlichen Änderungen gegen früher enthält der Entwurf u. a. die völlige Gleichberechtigung der männlichen und weiblichen Beamten.
„List und Eyth als Vorbilder“
Heuß weist dem „Institut für Auslandsbeziehungen“ den Weg
STUTTGART. (Eigener Bericht.) Mit einer Kundgebung im Großen Haus am Sonntag trat das „Institut für Auslandsbeziehungen“, das vor etwa einem Jahr als Rechtsnachfolger des 1917 gegründeten Deutschen Auslandsinstituts seine Arbeit begonnen hat, ans Licht der Öffentlichkeit. Welche Bedeutung dem neuen Institut beigemessen wird, erhellt schon daraus, daß es der Bundespräsident selbst war, der ihm die Taufrede hielt. Professor Heuß, der durch seine wissenschaftliche Arbeit besonders legitimiert ist, über das Auslandsdeutschtum zu sprechen, umriß in seiner Festansprache das vielschichtige, in allen politischen und kulturellen Lebensbereichen verwurzelte Problem des Deutschtums in den fremden Ländern und wies dem neuen Institut die allgemeinen Richtlinien seiner Arbeit.
Der Neubeginn sei schwer, aber notwendig: „Man darf die Vergangenheit nicht als Last von sich werfen wollen, sondern muß sie als wohlverteilten Ballast mit in die Zukunft nehmen.“ Es sei eine politische Aufgabe von eminenter Wichtigkeit, daß Deutsche die Fremde und das Ausland Deutschland kennenlerne.
Dem Institut riet er, eine Art Elementarschule für den Verkehr mit dem Ausland zu sein und Jenen Takt für unsere Auslandsgespräche zu entwickeln, an dem es die Vergangenheit so vielfach habe fehlen lassen. Der
Bundespräsident warnte vor dem Versuch neuer deutscher Abenteurer im Ausland, sich selbst als das wahre Deutschland hinzustellen. Als Wappenhalter empfahl er dem neuen Institut zwei Schwaben, die das Ausland in langen Jahren kennengelernt haben und dann in die Heimat zurückgekehrt sind: Fried- richList, den bahnbrechenden Wirtschaftstheoretiker, und Max Eyth, den vielleicht wichtigsten Mann der deutschen Agrargeschichte.
Prof. Dr. W. Erbe, Tübingen, konnte als Vorsitzender des Institutsvorstands einleitend neben dem Bundespräsidenten Ministerpräsident Dr. Maier und Landtagspräsident Keil, Stuttgart, begrüßen. In einem Überblick über die neuen Aufgaben seines Instituts wies er dem Ausländsdeutschen, der solange nur Objekt für die deutsche Politik war, die Rolle eines Mittlers zwischen der Heimat und dem Ausland zu und bat für sein Institut um tätige Mithilfe.
Am Samstagabend würdigte der Bundespräsident auf einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern in Württemberg-Baden die „erstaunliche Entwicklungsfreudigkeit und Leistungskraft der deutschen Industrie“, warnte aber zugleich vor der Gefahr der Selbstüberschätzung, wie sie schon zutage getreten sei.
Kleine Weltchronik
KPD-Fackelzug in Nürnberg und Fürth. Nürnberg. — Mit einem Fackelzug durch die Städte Nürnberg und Fürth beendete die KPD den Wahlkampf für die am Sonntag stattgefundene Bundestagsnachwahl in diesem Gebiet. Die Teilnehmerzahl bei den Faekelzügen wird auf etwa 1300 geschätzt. Sie waren aus ganz Bayern mit Omnibussen herangefahren worden.
Modernste Molkerei Westeuropas. Frankfurt. — Eine städtische Molkerei, die als die schönste und modernste in Westeuropa bezeichnet wird, wurde von der Stadt Frankfurt am Samstag in Betrieb genommen. Die Molkerei ist mit Hilfe von Marshallplangeldem gebaut worden. Die Kosten betrugen etwa 5 Millionen DM.
Kirchenkonferenz der evangelischen Glied- kirchen. Berlin, — Am Donnerstag tritt in Berlin die Kirchenkonferenz der deutschen evangelischen Gliedkirchen zusammen, um über Fragen Entschlüsse zu fassen, die mit einer deutschen Wiederaufrüstung im Zusammenhang stehen. Unter anderem soll der Schutz der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen behandelt werden.
Mittelstand als „dritter Sozialpartner“. Köln. — Der deutsche Beamtenbund hat die Beteiligung der deutschen Beamtenschaft am Lohn-Preis-Aus- schuß der Bundesregierung, am geplanten Bundeswirtschaftsrat sowie an allen gemeinsamen Gesprächen der Bundesregierung mit den Sozialpartnern gefordert. Das Mitspracherecht des deutschen Mittelstandes als „drittem Sozialpartner“ dürfe nicht mehr länger ignoriert werden.
Stürme fordern fünf Todesopfer. Kopenhagen, — Die schweren Stürme, die am Samstag und in der Nacht zum Sonntag über ganz Dänemark wüteten, haben fünf Todesopfer gefordert. Zahl
reiche Menschen wurden verletzt. Besonders schweren Schaden richtete der Sturm an der Westküste Jütlands an, wo sich das Meer tief in das Land einfraß und große Stücke der Küste mit sich riß.
Ostseestürme in Orkanstärke. Stockholm. — Mit einer Windgeschwindigkeit von 28,3 Sekundenmeter erreichten die seit Tagen über der Ostsee wütenden schweren Stürme in der Nacht zum Sonntag ^nahezu Orkanstärke. Das Sturmzentrum lag bei den Inseln Öland und Gotland. Alle Schiffe konnten rechtzeitig Schutz suchen.
Zur Beendigung des Indochinakrieges. Paris. — Frankreich und die assoziierten indochinesischen Staaten Vietnam, Laos und Kambodscha ziehen gegenwärtig die Einberufung einer internationalen Konferenz zur Beendigung des Krieges in Indochina ln Erwägung. Wenn die Waffenstili- standsverhandlungen in Korea erfolgreich verlaufen, ist beabsichtigt, eine entsprechende Konferenz mit dem Ziel der Einstellung jeder ausländischen Intervention in Südostasien- einzuberufen.
Syrischer Staatspräsident zurückgetreten. Damaskus. — Der syrische Staatspräsident Haschim el Atassi ist gestern zurückgetreten. Generalstabschef Oberst Schischakli, der in der vergangenen Woche durch einen Militärputsch die Regierung zum Rücktritt gezwungen hatte, teilte mit, daß er die Befugnisse des Staatspräsidenten übernommen habe.
Fortschritte der amerikanischen Atomwaffenforschung. Nevada. — Die amerikanische Atomwaffenforschung habe allein in den letzten 12 Monaten Fortschritte gemacht, die der ganzen früheren Arbeit der Jahre 1945 bis. 1950 auf diesem Gebiet gleichkämen, sagte der Leiter des amerikanischen Atomwaffentests, Dr. Graves.
ln Pan Mun Jon nichts Neues
Kommunisten wollen Flugplätze ausbauen
MUNSAN Die alliierte Waffenstillstandsdelegation hat gestern den Kommunisten die Abtretung bestimmter von UN-Truppen besetzter Inseln in Nordkorea gegen Zugeständnisse in anderen Fragen angeboten. Eine Antwort wird auf der heutigen Sitzung erwartet. Admiral J o y erklärte nach den beiden Sonntagssitzungen, beide Seiten hätten die Karten auf den Tisch gelegt. Verschiedener Ansicht sei man noch in folgenden Punkten: Uber die alliierte Forderung, daß während eines Waffenstillstands die Streitkräfte nicht verstärkt werden dürften; über den alliierten Vorschlag, die Einhaltung der Waffenstillstandsbedingungen durch gemischte Ausschüsse hinter den Fronten überprüfen zu lassen; über den Besitz der Inseln; über die alliierte Forderung nach einem Verbot des Baues oder der Ausbesserung von Flugplätzen.
Die Kommunisten hatten darauf bestanden, auch während des Waffenstillstandes ungehindert an ihren Flugplätzen bauen zu dürfen, während den Alliierten eine Ergänzung Ihrer Nachschubgüter und eine Ablösung oder Verschiebung ihrer Truppen untersagt sein soll.
625 000 DM Gewinne ausgelost
FRANKFURT. — Bei der 2. Ziehung der Prämienschatzanweisungen („Baby-Bonds“) wurden am Samstag in Bad Homburg wieder 270 Gewinne über insgesamt 625 000 DM ausgelost. Die Hauptgewinne über je 50 000 DM fielen in den Reihen A—E jeweils in der Gruppe 892 auf die Nummer 790. Fünf Gewinne von je 25 000 DM kamen in den fünf Reihen in der Gruppe 750 auf die Nummer 046. Gewinne zu 10 000 DM entfielen in den fünf Reihen auf Gruppe 183 Nummer 066 und auf Gruppe 655 Nummer 763. (Angaben ohne Gewähr). Ferner wurden 50 Gewinne zu je 1000 DM und 200 Gewinne zu je 500 DM ausgelost. Die Gewinne der 2. Ziehung werden ab 2. Januar nächsten Jahres ausgezahlt. Die Bonds sollen möglichst bis zum 20. Dezember bei den Banken vorgelegt werden. Eine zweite Tranche dieser Baby-Bonds wird nach Mitteilung der Bundesschuldenverwaltung entgegen der Ankündigung nicht aufgelegt.
Uber 10 Millionen t Steinkohle
ESSEN. — Die Steinkohlenzechen im Bundesgebiet förderten im November bei 24 Arbeitstagen 10,31 Millionen Tonnen gegenüber 10,49 Millionen Tonnen im Oktober bei 27 Arbeitstagen. Der tägliche Förderdurchschnitt aus Normalschichten betrug 399 700 Tonnen.
Rekord-Produktionsstan d
TÜBINGEN. — Die Industrie Württemberg- Hohenzollerns verzeichnete nach den Unterlagen des Statistischen Landesamtes im Oktober mit einem Index von 136,9 ihren bis jetzt höchsten Produktionsstand.
Erzeugerpreise gestiegen
WIESBADEN. — Die Indexziffer der Erzeugerpreise industrieller Produkte hat sich im Oktober 1951 gegen dem Vormonat um 1,5 Prozent erhöht, und zwar von 221 auf 224 (1938 - 100).
Firmen und Unternehmungen
BONN. — Satzungen der IG-Farben-Nachfolge- gesellschaften. Die Satzungen für die drei großen IG-Farben-Nachfolgegesellschaften sind von den zuständigen alliierten Stellen endgültig fertiggestellt worden. Zu Berichten, daß die Zustimmung der Bundesregierung noch nicht vorliege, wird festgestellt, daß die Satzungen von den Alliierten beschlossen werden und der Zustimmung der Bundesregierung nicht bedürfen,
BONN. — Keine Grundlage für Kurssteigerung von Reichsbankanteilen. Für die überraschende Steigerung des Kurses der Reichsbank-Anteile. der innerhalb von wenigen Monaten von 40 vorübergehend auf über 70 gestiegen sei, fehle „jede sichere Grundlage“, teilt das Bundesfinanzministerium mit.
BONN. — Durchschnittskurse um vier Punkte erhöht. Der Durchschnittskurs von 462 an den Börsen des Bundesgebietes notierten Aktien hat sich nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes von 114,93 am 15. November auf 118.62 am 23. November erhöht; am meisten zogen die Grundstoffindustrien an.
FRANKFURT. — Volksbanken stellten meist 10:1 um. Bis Ende Oktober wurden die Umstellungs- rechnungen von 320 der insgesamt 664 Volksbanken in der Bundesrepublik bestätigt. Das Umstellungsverhältnis beträgt mit wenigen Ausnahmen 10:1. Nach Mitteilung des Deutschen Genossenschaftsverbandes ist die Durchführung der Umstellung regional sehr verschieden.
in New Orleans
ROMAN VON PETER HILTEN
6] Copyright 1951 by Wilhelm Goldman Verleg
Roxys Mexico-Bar! Ihre Spiegel und soliden Glaswaren, ihre Milchglaslampen und ihre riesigen Messingspucknäpfe aus poliertem Messingguß waren Dinge, mit denen Roxy New Orleans einen für die Zeit neuen Begriff von hoher Eleganz bescherte. Hinter dem Barraum gab es nicht minder elegante Spielzimmer mit Tischen für Faro, Roulette, Poker und dem heute fast vergessenen, aber auf nicht minder hoher sittlicher Stufe stehenden Keeno. Es war bekannt, daß bei Roxy ehrlich gespielt wurde. Die Bar war durch eine schwingende Glasdoppeltüre mit dem Absynth-House, dem feinsten Dancing und Theater der Stadt, verbunden. Gäste hatten freien Zutritt.
Es fehlte an der Wand hinter dem langen Bartisch nur noch das übliche doppellebensgroße Bild einer weiblichen Nacktheit, das damals, und zum Teil auch noch heute, ln keiner anständigen Bar fehlen durfte. Solch ein Bild war bestellt.
Es hatte schon eine Geschichte, bevor es geliefert wurde.
*
Mitte August 1885 war an einem Nachmittag während einer stillen verschlafenen Stunde in Roxys Bar ein junger Mann erschienen und hatte zwei nicht allzugroße Ölbilder angeboten.
Die Bilder stellten jedes ein bis zur Hüfte entkleidetes junges Mädchen von seltener Schönheit dar. Die meisterhafte Tönung der etwas dunklen Haut, die in jenem unbeschreiblich zarten, den Mädchen Melanesiens eigenen
violetten Hauch samtene Wärme und wiederum auch Kühle ahnen ließ, ihr blauschwarzes Haar, Ihre ernsten Augen, ihr fein geschwungener Mund, der ganze Ausdruck des schönen Wesens, das in dem einen Bild eine zartfin- gerige schmale Hand in der Bewegung, als halte sie vor der Kehle ein Kleidungsstück zusammen und im andern Bild ihre ganze straffe Schönheit mit einem ungerufenen Schrei darbot, verrieten einen Maler von reifem Können und gleichzeitig ein Modell von beispielloser Schönheit.
Mr. Roxy starrte lange auf beide Bilder. Sie waren für das Geschäft zu keusch, und als Privatmann hatte Mr. Roxy keinen Bedarf an Bildern nackter oder halbnackter Schönheiten, er würde sich eher für ein Pferdebild interessiert haben.
Es kam trotzdem ein Geschäft zustande.
Roxy brauchte für seine Bar ein Bild. Er beschrieb dem jungen Maler ohne Umstände und übermäßigen Gebrauch von zarten Worten ein Bild, wie er es sich für die Bar vorstellte, es mußte ein lockendes Bild sein, ein Bild für starke Männer, es mußte ein Weib vorstellen . . . Roxy wurde sachlich und zeigte auf die beiden Bilder, die der Maler auf dem Fußboden an die Bar gelehnt hatte. . . . und keine kranken Katzen wie diese beiden Dinger da.
Ob er ein solches Bild malen könne, „ein echtes Kunstwerk natürlich, und prima, mit erstklassiger Ölfarbe“, fügte Mr. Roxy hinzu.
Wie groß das Bild denn sein müßte, fragte der Maler.
Ach so. die Größe. Nun, es sollte schon ein großes Bild sein. Raum zum Aufhängen war ja da. Wie groß es für 50 Dollar ausfalle.
Im Gesicht des jungen Malers zuckte es. Er sah müde und krank aus ... 50 Dollar! Das lasse sich nicht so ohne weiteres sagen, antwortete er nach einer Weile des Bedenkens. Er müsse Farbe und Leinwand kaufen. Wie es
mit dem Rahmen stünde, das Bild brauche doch auch einen Rahmen, er sei erst seit gestern in New Orleans und kenne sich noch nicht aus, wo er einen Rahmen bekommen könne.
Erst jetzt nahm sich Roxy die Mühe, den jungen Mann etwas genauer zu betrachten. Er sah hungrig aus, und sein Anzug war schäbig. Roxy hatte es sich in seinem Beruf als Barkeeper zur Regel gemacht, niemals jemanden nach seinem Namen, Woher und Wohin zu fragen und ganz einfach nach den gewonnenen Eindrücken und der Leistung zu entscheiden. Dieser junge Mensch da konnte malen. Geschmack hatte er nicht viel, man mußte ihm an die Hand gehen. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal einen Platz, an dem er arbeiten konnte. Nun, Roxy wollte helfen. Er ließ dem jungen Mann ein Glas Portwein vorsetzen und ermunterte ihn, das Glas sogleich auszutrinken. Der junge Mann trank, mußte furchtbar husten, und als er sich wieder erholt hatte, standen zwei grelle rote Flecke auf seinen Wangen.
Inzwischen hatte auch Roxy einen entscheidenden Eindruck von dem jungen Mann gewonnen. Er war ehrlich. Wenn man ihm zehn Dollars Vorschuß gab, ihm die Leinwand und den Rahmen lieferte, so stand zu erwarten, daß man ein ganz anständiges Bild erhielt. Halt, natürlich auch noch die Farben. Mit diesen Gedanken kam sich Mr. Roxy bereits als großer Mäzen, ja, fast so gut wie der Maler selbst vor.
Es wurde vereinbart, daß der junge Mann morgen früh kommen und hinten im Hofe zu malen beginnen könne. Mr. Roxy gab ihm zehn Dollar Vorschuß und behielt die beiden Bilder als Pfand. Gentlemenagreement.
Der junge Mann ging. Sein Name war Dixon Young.
Das Bild wurde fertig. Es fiel zur Zufriedenheit aus.
Auf grünem Rasen lag ein überlebensgroßes, Unendlich üppiges Mädchen, das mit niedergeschlagenen Augen ihr Kinn in die Hand stützte und eine aufreizende Hüfte herausfordernd himmelwärts wölbte. Es war ein unerhörtes Mädchen. Mr. Roxy betrachtete es lange. Es schien ihm nur, daß der Kopf der gleiche sei wie auf jenen beiden Bildern, die ihm der junge Mann vor etwa acht Tagen angeboten und als Sicherheit dagelassen hatte. Sie war schön. Ihre Nacktheit war unverschämt. Der Ton der Haut von einer durchsichtigen fülligen Blässe. Es war ein Weib, dessen Körper sich endlos und unersättlich sehnte — nur der Kopf war nicht gut. Er gefiel Mr. Roxy nicht so recht. Er war edel.
Mr. Roxy war immerhin so zufrieden, daß er dem jungen Mann auch noch die beiden anderen Bilder für zehn Dollar abkaufte. Er tat dies, trotzdem er keinen Gebrauch dafür hatte. Sie lagen auf dem Boden eines selten benützten Schrankes und wurden vergessen.
Roxys Bar hatte endlich das lange vermißte Bild. Er brachte Glück und legte Zeugnis davon ab, daß in den Seelen rauher Männer auch für Schönheit und echte Kunst noch ein Platz frei sei. Das Bild bekam auch einen Namen. Er wurde Roxys Belle genannt und viel bewundert.
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Es ließ sich nach über fünfzig Jahren nicht mehr feststellen, wo Dixon Young, dessen Name mit der Jahreszahl 1885 schüchtern und bescheiden, als schäme sich der Künstler seines Werkes, in der linken unteren Ecke von ,,R°" xys Belle“ stand, und sein Modell sich gefunden hatten.
Die weiten, trägen, väterlichen, Fruchtbarkeit spendenden Fluten des Mississippi hatten das Paar an Bord eines Show-Boats von St. Paul nach New Orleans getragen. Dort war es Ende Juli 1885 angekommen.
Show Boat Days! (Fortsetzung folgt)