STADT UND LAND

HEIMATBLATT EUR

ÜBERPARTEILICHE TAGESZEITUNG

HON TAG, 26. NOVEMBER 1951

7. JAHRGANG / NR. 185

Atlantikpakt-Konferenz hinter verschlossenen Türen

Westdeutscher Verteidigungsbeitrag doch auf der Tagesordnung

ROM. Die zwölf Außenminister der Atlan- tlfcpaktstaaten haben sich am Samstag in einer ISnger als zwei Stunden dauernden Sitzung mit internationalen Fragen aller Art befaßt. Vor den zwölf Außenministern, den etwa 90 übrigen Delegierten und den nur zur Eröff­nungsansprache zugelassenen rund 120 Pres­severtretern forderte de Cfasperieinen kon­struktiven Frieden keinen Frieden der Faulheit und Gleichgültigkeit, keinen Schutz­frieden für soziale Vorrechte und Rangord­nungen, sondern einen tätigen und kraftvol­len Frieden zum Segen und zur Zufriedenheit aller Klassen der Völker.

Obwohl die eigentliche Konferenz hinter verschlossenen Türen stattfindet und nicht einmal bekanntgegeben worden war, welche Außenminister das Wort ergriffen hatten weil daraus Schlüsse hätten gezogen werden können, welche Themen besprochen wurden ist bekanntgeworden, daß in der länger als zwei Stunden dauernden Geheimsitzung nach­einander der USA-Außenminister Acheson über die Aussichten zum Abschluß eines Waf­fenstillstands in Korea, der französische Au­ßenminister Schuman über die Bekämp­fung der Rebellen in Indochina und der bri­tische Außenminister Eden über die Lage im Nahen Osten gesprochen haben.

In der Nachmittagssitzung wurde die vor­bereitete Tagesordnung genehmigt. Sie umfaßt nach Aussagen eines Sprechers folgende Hauptpunkte: Berichte des Militärausschusses, des Zivilausschusses, Bericht des Ausschusses der Außenm inisterstellvertreter, des Verteidi­gungs-Produktionsausschusses und des Fi­nanz- und Wirtschaftskomitees. Weitere Punkte der Tagesordnung sind eine Erklärung E i - «enhowers. der gestern zusammen mit dem Leiter des Amtes für gegenseitige Sicher­

heit, Harriman, in Rom eingetroffen ist, die deutsche Beteiligung an der westeuropä­ischen Verteidigung (entgegen früheren Ver­lautbarungen; d Red.), wozu der französische Außenminister Schumann einen Bericht vor­legen wird, und die Festlegung von Ort und Zeit der nächsten Zusammenkunft des Atlan­tikrates.

Bei der Beratung des deutschen Verteidi­gungsbeitrags rechnet man mit einer längeren Diskussion. Eine Vertagung dieses Punktes sei deswegen nicht ausgeschlossen.

Auch die Frage der Rüstungsaufträge dürfte in Rom entschieden werden, erklärte der Spre­cher weiter, wenn dervorläufige Ausschuß" des Rates den entsprechenden Bericht vorge­legt hat. Am Mittwochabend soll nach An­sicht des Präsidenten der Atlantikratstagung die letzte Vollsitzung stattfinden. Die Presse werde alle Informationen erhalten, die mit der militärischen Sicherheit vereinbar seien. Nach Schluß der Diskussion gab der Präsident, der kanadische Außenminister Pearson, den Rücktritt des Leiters des atlantischen Rü­stungsproduktionsamtes, William R. H e r o d , bekannt; ein Nachfolger ist noch nicht er­nannt worden.

Vertrauensvotum für Mossadeq

TEHERAN. Ministerpräsident Mossadeq erstattete dem Schah in einer sechsstündigen Unterredung unter vier Augen Bericht über seine Verhandlungen in Washington und sei­nen Besuch in Kairo. Er bestand auf soforti­ger Durchführung der Wahlen. Gestern be­richtete Mossadeq dem Parlament über seine Reise und legte sein Programm dar. Nach Ver­lesung des Berichts ersuchte Mossadeq um ein Vertrauensvotum, das er nach dreieinhalb­stündiger stürmischer Debatte erhielt.

Abänderungsvorsdiläge Wysdiinskis

Abrüstungsplan vom sowjetischen Außenminister zurückgewiesen

PARIS. Der sowjetische Außenminister Wyschinski wies am Samstag im politi­schen Ausschuß der UN-Voilversammlung die Abrüstungsvorschläge der drei Westmächte in Ihrer gegenwärtigen Form zurück und erklärte, er werde eine Reihe von Abänderungsvor­schlägen einbringen, die zu einer Einigung zwischen West und Ost führen könnten.

Die sowjetische Delegation sei der Auffas­sung, daß die von den Westmächten einge- brachte Resolution in ihrer gegenwärtigen Form nicht dem angekündigten Zweck diene, sondern vielmehr dazu führen würde, eine wirkliche Abrüstung zu umgehen. Er hoffe,

Minen-fcxplcmon in Dänemark

18 Tote 80 Schwerverletzte

KOPENHAGEN. 18 Todesopfer, 20 lebens­gefährlich und 60 Schwerverletzte forderte in der Nacht vom Freitag zum Samstag die Ex­plosion von 10 schweren Seeminen im däni­schen Marinestützpunkt auf der Ineei Hol­men bei Kopenhagen. Der Sachschaden wird suf 100 Millionen Kronen (etwa 60 Millionen DM) geschätzt. Aus bisher noch unbekannter Ursache war in einem Benzinlager des Stütz­punkts ein Brand ausgebrochen, der auf ein Minenlager Übergriff.

Der Brand dürfte vermutlich durch einen überhitzten Ofen entstanden sein. Die meisten Todesopfer waren Angehörige der Feuerwehr eines Marinelöschzuges, der den Entstehungs­brand löschen wollte. Völlig atomisiert wurde ein Werkstattgebäude, wo jetzt ein Krater von 30 Meter Durchmesser und 10 Meter Tiefe sich befindet.

Eine Kaserne von 700 bis 800 Marinesolda­ten wurde schwer beschädigt, wobei viele Matrosen Verletzungen erlitten. In Kopen­hagen, Malmö, Lund und anderen Orten Süd­schwedens wurde durch die Explosion zahl­reiche Fensterscheiben zertrümmert und Men­gen aus den Betten geworfen.

Gedächtnis' eiern

FRANKFURT. Bei regnerisch trübem Wetter gedachte am Sonntag die Bevölkerung in allen Teilen Deutschlands Ihrer Toten. Gleichzeitig vnirde der Totensonntag in einigen Gebieten der Bundesrepublik und Westberlins als Ge­denktag für die Opfer beider Kriege und des Totalitarismus begangen. Überall wurden an d«i Ehrenmälern der Gefallenen Gedächtnis­feiern veranstaltet.

In Westberlin zogen 300 ehemalige Häftlinge sowjetzonaler Konzentrationslager in einem Schweigemarsch zu dem Gedenkstein der ,,Op- des Stalinismus, um ihre toten Kamera­den zu gedenken.

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daß seine Abänderungsvorschläge, dieunbe­streitbar den Weg zu einer Einigung über so bedeutende Fragen wie die Abrüstung, das Verbot der Atomwaffen und die Elinrichtung eines internationalen KontrollSystems freima­chen, angenommen würden.

Unter Bezugnahme auf die Atlantikpakt­konferenz in Rom führte Wyschinski aus, das Einbringen von Abrüstungsvorschlägen ver­folge nur den Zweck eigene Aggressionspläne zu verschleiern, zumal die Westmächte sich gleichzeitig bemühten, bestehende Aggres­sionsblocks zu stärken und neue wie das Mittel-Ost-Kommando aufzubauen. Ab­schließend legte er zwölf Abänderungsanträge zum westlichen Abrüstungsplan vor, die vor­sehen; Herabsetzung der Rüstung und der Streitkräfte Großbritanniens, der USA, Chi­nas, Frankreichs, und der Sowjetunion um ein Drittel innerhalb eines Jahres; absolutes Ver­bot der Atombomben durch die UN-Vollver- sammlung; scharfe internationale Kontrolle zur .Überwachung dieses Verbots; Abschluß einer Konvention, die von einer Abrüstungs­kommission bis Februar 1952 entworfen wer­den und das Verbot atomarer Waffen für militärische Zwecke vorsehen soll; Bildung einer Kommission für Atomenergie und her­kömmliche Rüstungen; Einberufung einer Weltabrüstungskonferenz bis spätestens 1. Juni 1952 u. a. m.

Britische UN-Delegierte bezeichnen die Wy- schinskirede als entmutigend und amerika­nische als enttäuschend.

Der zweite Transport von Lebensmitteln, Medikamenten und Bekleidung aus der Bundesrepublik ist gestern vormittag vom Tübinger Marktplatz aus in das oberitalienische Katastrophengebiet gestartet. Die Kolonne der neun Transporter, die rund sieben Tonnen Liebesgaben im Werte von über 20 000 DM als erste Hilfeleistung nach Italien befördert, wurde von Staatspräsident Dr. M ü l- ler und vom Kanzler des italienischen Konsulats in Stuttgart verabschiedet. Alle die wertvollen Spenden sind von den Lesern der Heimatzeitungen der Schwäbischen Verlagsgesellschaft, die sich dem Aufruf desSchwäbischen Tagblatts" angeschlossen hatten, und von zahlreichen Industrie­firmen des Landes aufgebracht worden. Diese der privaten Initiative entsprungene Hilfsaktion ist nicht nur ein Zeichen der Opferfreudigkeit unserer Bevölkerung, sondern auch ein Beweis da­für, daß Mitgefühl und Mitleid an den Grenzen nicht haltmachen. Heute mittag wird die Last­wagenkolonne in Padua eintreffen. Sie wird u. a. vom geschäftsführenden Präsidenten des Roten Kreuzes in Württemberg-Hohenzollem, Dr. Horst, von Reg-Dir. Donndorf von der Staats­kanzlei, vom Reporter des Südwestfunks, Dr. H. P. Brückel, und von Mitgliedern unserer Redak­tion begleitet. Links: Staatspräsident Dr. Gebhard Müller verabschiedet die Kolonne; rechts; die startbereiten Fahrzeuge Aufnahme: Göhner

Wintersession in Straßburg

hf. Heute beginnt die Wintersession der Be- alles tun müssen, um zu verhindern, daß die ratenden iz aKamminng des Eiirnna-Rat.es in Teillösungen e inzelner Unionen auf wirt- Straßburg. Die Hoffnungen auf konstruktive Ergebnisse sind bei den Delegierten der Ver­sammlung gering, in der Öffentlichkeit sind nicht einmal diese Hoffnungen vorhanden. Es hat keinen Sinn, diese jetzt gegenüber Straß­burg bestehende Haltung zu leugnen und treffliche Reden oder fordernde Resolutionen für eine Politik der Integration des Konti­nents zu halten. Die Tatsache, daß manche der in Straßburg ausgesprochenen Bekenntnisse gemeinsame Auffassungen der Staaten über Recht und darüber, was sozial ist, ausdrük- 1' ändert wenig. Nicht die Wünsche der V /ertretungen der Nationen oder der Be- Tc . - .aen Versammlung in Straßburg bestim­men die europäische Politik, sondern die Re­gierungen und die zwischen diesen bestehen­den Machtverhältnisse. Das ist eine der Ur­sachen für die Kreislaufbewegungen, von de­nen bisher die Straßburger Arbeit gekenn­zeichnet wurde. Soll sich etwas ändern, dann müssen alle europäischen Nationalparlamente gleichzeitig ihre Regierungen verpflichten, in Straßburg, und nur in Straßburg, Ausgangs­punkt und Grundlage einer europäischen In­tegration zu sehen.

Auch die nach Straßburg delegierten Parla­mentarier scheinen dieses Dilemma zu spüren.

Aber sie irren, wenn sie glauben, es ließe sich überwinden, indem man die Politik der Re­gierungen zur unverbindlichen Diskussion stellt Von Straßburg aus sind die Regierun­gen nicht festzulegen, sondern nur durch Be­schlüsse der nationalen Parlamente. Schuman- Plan, Europa-Armee und der vage Plan einer europäischen Behörde für die Außenpolitik sind mehrseitige Kennzeichen derselben Poli­tik. Wie weit sie die Integration Europas wirklich beschleunigen, ist um so zweifelhaf­ter, als viele politische Aktionen und Haltun­gen in Europa zu registrieren sind, die, ge­linde gesagt, dem Ziel einer Vereinigung des Kontinents geradezu zuwiderlaufen. Nein, es steht nicht gut um die Sache der Vereinigung.

Was ist zu tun? Zunächst wird Straßburg

Großalarm im Po-Delta

Am Oberlauf geht das Wasser zurück / Viele Spenden aus der Bundesrepublik

ROVIGO Der schwergeprüften Bevölkerung von Oberitalien stehen neue schwere Gefah­ren bevor. Die Fluten des Po, die durch aus­gedehnte Regenfälle in der Lombardei Zufluß erhalten haben, haben das Po-Delta erreicht. Tausende von Italienern im Gebiet zwischen Ferrara, Rovigo und der Adria erwarten mit Sorge den neuen Schicksalsschlag. Seit der letzten Woche sind dort 8000 Menschen ein­geschlossen. Am Wochenende waren bereits weitere sieben Dörfer der neuen Flutwelle zum Opfer gefallen.

Wie viele Menschen bereits durch das Hoch­wasser umgekommen sind, ist nicht bekannt. Zahlreiche Opfer der Überschwemmungen wurden mit den Fluten des Po in die Adria ge­spült. Trotz der überaus großen Gefahr wei­gern sich Tausende von Einwohnern, die Dä­cher und oberen Stockwerke ihrer vom Was­ser eingeschlossenen Häuser zu verlassen, ob­wohl sie jetzt wegen des Mangels an Trink­

wasser und der Überschwemmung der sani­tären Anlagen auch noch durch Thyphus und andere Epidemien bedroht sind. Außerdem besteht ständig die Gefahr, daß ihre seit Ta­gen vom Wasser umspülten Heimstätten ein- stürzen.

Am Obeilauf des Po fällt das Wasser. Über­all bleibt meterhoch Schlamm und Unrat zu­rück. Aus anderen Teilen der Überschwem­mungsgebiete wird ebenfalls ein Zurückgehen der Fluten gemeldet.

Stündlich gehen weiterhin die Spenden aus aller Welt für die Opfer der Überschwem­mungsnot ein. Aus der Bundesrepublik sind umfangreiche Spenden unterwegs.

Das amerikanische Amt für die gemeinsame Sicherheit hat der italienischen Regierung eine Million Dollar für den Kauf von Medikamen­ten und anderen Bedarfsgütern für die Opfer der Überschwemmungskatastrophe zur Ver­fügung gestellt.

schaftlichem und militärischem Gemet mehl zu einer Vielzahl nebeneinander wirkender europäischer Gremien führen, sondern Hohe Behörden und Beratende Versammlungen vor­bereitet werden, die für die eine und die an­dere Union zuständig sind.

Beratende Versammlung und Ministerrat müßte allmählich aus eigener Initiative mit dem Handeln beginnen. Wir gehören gewiß nicht zu den Leuten, die meinen, Europa könne heute und morgen vollendet werden. Wir glauben nicht einmal, daß es von heute auf übermorgen möglich ist. Der praktische An­fang, der über Resolutionen hinausgeht, müßte jetzt gemacht werden. Sei es dadurch, daß Straßburg seine Gremien zu den Gremien macht, die in den genannten Unions-Plänen vorgesehen sind und damit. zu einer prak­tischen Aufgaoenstellung kommt, oder es durch Erarbeitung der tatsächlichen Voraus­setzungen für eine verfassungsgebende euro­päische Versammlung, deren Verfassungsent­wurf dann aber wirklich zu einer Alternative desJa oder Nein für die Nationen führen müßte, sich hervortut.

Um zu verhindern, daß Straßburg eine Stadt abseits der Hauptstraße der Politik wird, muß sich die Beratende Versammlung vor allem von den militärischen ITragen lösen. Ihre Er­örterung hätte nur dann einen Sinn, wenn Ministerrat und Beratende Versammlung schon Entscheidungsrechte besäßen. Da diese aber bei den Regierungen und den Parlamenten der einzelnen Staaten liegen, ist es verlorene Zeit, auch noch in Straßburg über den deutschen Verteidigungsbeitrag und ähnliches zu strei­ten. Man sollte sich überhaupt von den Fragen fernhalten, deren Lösung in andere Kompe­tenzen fällt.

Safzgitter protestiert

20 000 Arbeiter streiken

SALZGITTER. Bei geschlossenen Geschäften und unter dem Heulen der Fabriksirenen ver­sammelten sich am Samstagvormittag etwa 6000 Arbeiter der Betriebe im Gebiet der Reichswerke zu einer Protestkundgebung des deutschen Gewerkschaftsbundes gegen das Verbot des alliierten Sicherheitsamtes, das Stahl- und Walzwerk Salzgitter wieder auf­zubauen. Bei der vorangegangenen Protest­kundgebung in Watenstedt, die der Rat der Stadt veranstaltete, erklärten Sprecher des DGB, daß die Entscheidung des Sicherheits­amtes eine scharfe Reaktion der Arbeiterschaft zur Folge haben würde Eine Stunde vor Be­ginn der Protestversammlung hatten etwa 20 000 Arbeiter derReichswerke einen drei­stündigen Proteststreik begonnen.

Der Vorsitzende des DGB, Christian Fette, warnt in einer Rede vor dem Überseeklub in Hamburg die westlichen Nationen davor mit durch Konkurrenzgründe bestimmten Plä­nen europäische Lösungen starten zu wollen. Die ablehnenden Entscheidungen der Alliierten in der Frage des Wiederaufbaus der Thyssen- Hütte, der Reichswerke Salzgitter und der Werft Blohm & Voß hätten gezeigt, wie weit Deutschland noch von einer wirtschaftlichen Gleichberechtigung entfernt sei, die aber die Voraussetzung der Zustimmung der Gewerk­schaften zum Schuman-Plan sei.