NUMMER 176

SAMSTAG, 10. NOVEMBER 1951

Weiterhin ohne Einigung

Achte Konferenz Adenauer-Hohe Kommission / Europa-Armee noch umstritten

taf. BONN. Audi auf der achten Konferenz über die Verwirklichung der Washingtoner Be­schlüsse konnte an» Donnerstag zwischen Bun­deskanzler Dr. Adenauer und den Hohen Kommissaren keine grundlegende Einigung erzielt werden. Offiziell wird zwar festgestellt, daß eine Reihe vonzusätzlichen Fragen zur Entscheidung an die Regierungen der West­mächte geleitet wurde, und daß über andere Punkte gewisse Fortschritte erzielt wurden, doch besteht in Bonn kein Zweifel, daß die bestehenden Schwierigkeiten groß sind.

Vor allem in der Formulierung der bei den Alliierten verbleibenden Vollmachten scheinen die Meinungen noch weiter auseinanderzuge­hen. Da diese Vorbehalte jedoch in dem grundlegenden deutsch-alliierten Generalver­trag festgelegt werden sollen, wird es ver­mutlich neuer Instruktionen der Regierungen der Westmächte an die Hohen Kommissare be-

Belastung und Hemmnis

Erneut Rücktritt Frießners gefordert

BONN. Der Bund ehemaliger Versorgungs­berechtigter Wehrmachtsangehöriger (BVW) hat in einem Schreiben den kommissarischen Vorsitzenden des Verbandes deutscher Solda­ten (VdS), Generaloberst a. D. Frießner, ersucht, zurückzutreten. Durch die Tätigkeit Frießners sei das in jahrelanger Kleinarbeit von Admiral Hansen für das deutsche Solda­tentum seit 1945 wiedergewonnene Terrain verlorengegangen. Die Wahrnehmung der Ge­schäfte des VdS-Vorsitzenden durch Frießner sei nach außen eine Belastung und nach innen ein Hemmnis.

Hierzu wird vom VdS erklärt, Frießner sei auf der letzten Präsidiumsitzung Mitte Okto­ber in Königswinter einstimmig aufgefordert worden, den Vorsitz bis zur Wahl des neuen Präsidiums Anfang Januar beizubehalten. Die Wahl sollte ursprünglich am 17. November stattfinden, wurde jedoch auf Wunsch der Lan­desverbände verschoben.

Radar nur auf hoher See

BREMERHAVEN. Der Schiffszusammenstoß in der Wesermündung, bei dem der argentini­sche DampferMaipu unterging, ist insofern schwer verständlich, als beide Schiffe mit Ra­dar ausgestattet waren. Jedes Kind weiß heute, was ein Radargerät ist, und wie ein Schiff mit Hilfe dieser Erfindung auch ohne Licht gefahrenlos navigieren k.nn. Wenn sich das mit Radar ausgerüstete Schiff außerhalb der Küstennähe befindet, stimmt das, in Land­nähe und vor allem in breiten Flußmündun­gen nützt jedoch das Radargerät wenig. Hier gibt es, ähnlich wie auf dem Lande,Fahr­straßen, die durch eine Unzahl von Tonnen und Bojen zu beiden Seiten gekennzeichnet sind. Ferner ragen Felsen, Leuchttürme und Wrocirs aus dem Wasser. Wenn nun ein Schiff wie dieMaipu bei dickem jNeoei sicn um Hilfe des Radargerätes zurechtfinden will, er­scheinen alle diese Punkte sowie die Schiffe des in Küstennähe recht lebhaften Verkehrs auf dem Radarschirm (den man sich wie eine Art Fernsehschirm vorstellen kann) verzerrt als Vielzahl von Gegenständen, so daß daraus die Schiffsführung praktisch keine Schlüsse ziehen kann, ein anderes Schiff in ihrer unmittelbiren fc-'he ist. Es bleiben der Navi­gation in diesem Falle also nur die jahrhun­dertealten akustischen Nebelsignale, um sich zu orientieren. So kam es, daß dieMaipu, als sie den amerikanischen TransporterHer- sey aus derWaschküche heraustreten sah, keine Zeit mehr hatte, die verhängnisvolle Kollision durch Abdrehen zu verhindern.

Wahlkampf fordert Todesopfer

BUENOS AIRES. Der Wahlkampf für die am Sonntag stattfindenden argentinischen allge­meinen Wahlen hat am Donnerstagabend sechs Todesopfer und sechs Verletzte gefordert.

dürfen, bevor dieser Vertrag, dessen Fertig­stellung von Bundeskanzler Adenauer schon mehrmals angekündigt wurde, paraphiert werden kann. Die nächste Konferenz wird am kommenden Dienstag stattfinden. Ihre Aus­sichten werden recht pessimistisch beurteilt.

In diesem Zusammenhang ist in Bonn keine Bestätigung für Agenturmeldungen zu be­kommen, die von einer Einigung auf der Pa­riser Konferenz über die europäische Armee berichteten. Nach Informationen, die aus Pa­

ris kommend in Bonn vorliegen, ist vielmehr auch die Konferenz über den Plevenplan noch zu keinem konkreten Ergebnis gekommen, so­wohl was den Status der deutschen Verbände als auch, was ihre Stärke betrifft. Fest scheint soviel zu stehen, daß Frankreich den An­spruch erhebt, neben den Kontingenten in der europäischen Armee und in den Kolonialtrup­pen auch im Mutterland ein nationales Kon­tingent von 610 Divisionen zu unterhalten.

Von von Außenminister Schuman angekün­digte Außenministerkonferenz, zu der auch Bundeskanzler Dr. Adenauer eingeladen wer­den soll, wird erst dann möglich sein, wenn die' Konferenz über den Plevenplan zu einer Einigung gekommen ist.

Der verprügelte Kritiker

wn. Da haben in Coburg zwei Opernsänger unlängst den Feuilleton-Redakteur und Mu­sikkritiker derNeuen Presse, der die ge­sanglichen Leistungen des einen von ihnen in der Premiere vonFigaros Hochzeit abfällig kritisiert hatte, nachts überfallen, verprügelt und zugleich gedroht, ihn totzuschlagen. Ei­gentlich eine für heldische Mimen unheldische Geschichte, wenn man das Kräfteverhältnis be­denkt. Zudem lassen die beiden Schauspieler jegliche künstlerische und charakterliche Er­ziehung vermissen. Sie wissen anscheinend nicht, daß KritikScheidung bedeutet, Schei­dung des Guten vom weniger Guten. Der Kri­tiker muß zu unterscheiden, zu beurteilen und zu prüfen wissen. Er verteidigt die gerechten Ansprüche, welche die Öffentlichkeit an den schöpferischen oder reproduzierenden Künstler stellt, wohl wissend, daß nicht der Person, son­dern einzig der Sache seine oft nicht leichte Arbeit gilt. Kritik darf nicht voreilig oder rechthaberisch, sie muß gerecht und klug sein. Wir meinen, echte Kritik ist mehr denn je für jegliche auch geistige Entwicklung erfor­derlich. Wußte Goebbels, weshalb er sei­nerzeit die Kritik verbot und sie durch dieKunstbetrachtung ersetzte, die eine le­bendige Auseinandersetzung mit den Werten der Kultur möglich machte und lediglich dem nivellierenden Mittelmäßigen diente. Wir wol­len weiter urteilen als Kritiker und nicht als Kritikaster. Die Coburger Affäre kann nur an- spomen. Übrigens veröffentlichte die Stadtver­waltung eine Erklärung, worin gesagt ist,die Intendanz verurteile die Tat, weil die Freiheit der Kritik nicht angetastet werden dürfe.

Gerstenma'er für Beratungen

Aber keine politischen Abenteuer

BONN. Bundestagsabgeordneter Dr. Ger­stenmaier (CDU) erklärte am Donnerstag in Bonn, er sei nach wie vor der Meinung, daß man sich zu gesamtdeutschen Beratungen an einen Tisch setzen müsse. Dabei dürften je­doch keine politischen Abenteuer eingegangen werden. Es dürfe also keine Störung oder Ver­hinderung der deutsch-alliierten Verhandlun­gen vor Ablösung des Besatzungsstatuts ein- treten. Er lege Wert auf diese Feststellung, da seine Äußerungen nach der Zusammenkunft von Vertretern der Bundesregierung und der Evangelischen Kirchen in Königswinter zum Teil mißverstanden worden seien

Verbesserte Zahiungsbi anz

BONN. Die Besserung der Zahlungsbilanz Westdeutschlands innerhalb der europäischen Zahlungsunion (EZU) hat es der Bundesregie­rung ermöglicht, den von der EZU im Dezem­ber 1950 eingeräumten Sonderkredit von 120 Millionen Dollar im Mai vorzeitig zurückzu­zahlen, teilte das Bundesministerium für den Marshallplan mit.

Inzwischen hat sich das Rechnungsdefizit der Bundesrepublik in der EZU, das sich im Höhepunkt der Krise auf 547,1 Millionen Dol­lar belief, bis zum 20. Oktober 1951 um 408,2 auf 48,9 Millionen Dollar vermindert. Dem sei es zuzuschreiben, daß der europäische Wirt- schaftrsat (OEEC) empfohlen habe, die Libe­ralisierung wieder aufzunehmen

Der von der Bundesregierung geplante Pro­zentsatz der von der Freiliste erfaßten Wa­ren werde im Durchschnitt 50 Prozent nicht wesentlich überschreiten; die Inkraftsetzung dieser Liberalisierungsmaßnahmen sei jedoch mit Rücksicht auf eine Reihe vontechnischen Gründen bis 1. Januar 1952 hinausgeschoben worden, womit die OEEC sich einverstanden erklärt habe.

Am 22. Februar 1951 war die Bundesregie­rung auf Grund eines sprunghaften Anwach­sens des Defizits gegenüber der EZU und der Gefahr einer völligen Erschöpfung des vor­her gewährten Sonderkredits gezwungen, alle bis dahin ergriffenen Liberalisierungsmaßnah- bis auf weiteres zu suspendieren.

Vizekanzler Blücher stellte fest, die bri­tischen Sparmaßnahmen würden den deut­schen Außenhandel schmerzlich beinträchtigen.

Umstellung der USA auf Verteidigung

Bradley: Amerika hat beste Bomberflotte / Churcbill-Besuch Truman unbekannt

CHIKAKO. Der Voristzende des gemeinsa­men Generalstabes der amerkanischen Streit­kräfte, General Omar Bradley, kündigte in einem Vortrag vor dem amerikanischen Erdöl­institut in Chikago eine grundlegende Umstel­lung der amerikanischen Verteidigungsstrate­gie auf die Atomkriegführung an. Die erste Voraussetzung hierfür sei eine bedeutende Verstärkung der Luftstreikräfte,da die Macht des Atoms am besten auf dem Luftweg auf die Schlachtfelder und in das Herz von Feind­staaten mit großer Landmasse getragen werde. Bradley sprach vonAtombomben je­der Größe, deutete aber an, daß sich Atomge­schütze und ferngesteuerte Atomraketen noch im Entwicklungs- oder Versuchsstadium befin­den und daher in die strategische Reform nicht einbezogen seien.

Wengleich den strategischen und taktischen Einheiten der Luftstreitkräfte in den neuen Plänen eine Vorrangstellung eingeräumt sei, so dürfe doch die Ausrüstung der Fliegerkorps der Seestreitkräfte nicht dahinter Zurückblei­ben. Was die Bombenflugzeuge der Luft- und Seestreitkräfte angehe, so verfügten die USA über die beste Bomberflotte der Welt. Sie

Kleine Weltchrontk

Adenauer am 3. Dezember nach London? Bonn.

Britische Stellen haben der Bundesregierung als Termin für den Englandbesuch des Bundes­kanzlers den 3. Dezember vorgeschlagen.

Kiesinger lehnt ab. Bonn. Der CDU/CSU- Bundestagsabgeordnete Kurt Kiesinger hat es am Freitag abgelehnt, das Amt des Bundes­pressechefs zu übernehmen. Er teilte dem CDU- Parteivorstand mit, daß er sich weiterhin der parteipolitischen Arbeit der CDU widmen wolle.

Protest gegen Flugplatzprojekt. Baden-Baden.

Gegen die Pläne zum Bau eines Düsenjäger­flugplatzes in Baden-Oos hat der Oberbürger­meister von Baden-Baden, Dr. Ernst Schlapper, in einem Schreiben an die Dienststelle des Si­cherheitsberaters Theodor Blank in Bonn pro­testiert. Durch die Anlage des Platzes werde die

EjcLfciiagi untllagc der- Stadt vomiohtot.

Neue deutsche Gesandte. Bonn. Bundesprä­sident Prof. Heuß hat den SPD-Bundestagsabge- Ordneten Prof. Gustav Herbig zum deutschen Gesandten in Montevideo und den Leiter des In­stituts für politische Wissenschaften in Frankfurt, Prof. Ernst Wilhelm Meyer, zum deutschen Ge­sandten in Neu Delhi ernannt. Die beiden Ge­sandten werden ihre Posten in Uruguay und Indien demnächst antreten.

Pakete in die Ostzone. Frankfurt. Das Bun­desministerium für das Post- und Fernmelde­wesen weist darauf hin, daß die Postämter im Bundesgebiet Pakete und Päckchen nach der Sowjetzone und dem Berliner Sowjetsektor nur mit einem Inhaltsverzeichnis annehmen dürfen.

Patton-BrScke wird abgerissen. Köln. Die Kölner Stadtverwaltung hat mitgeteilt, daß heute mit dem Abbruch der Patton-Brücke, einer im Jahre 1945/46 errichteten provisorischen Holz- Eisen-Brücke über den Rhein, begonnen werde. Die Patton-Brüdce war bis zum Jahre 1948 die einzige Verbindung zwischen dem links- und rechtsrheinischen Köln. Heute hat Köln wieder drei Straßenbrücken und eine Eisenbahnbrücke mit Fußsteg.

würden ihren Vorsprung durch ständige Ver­besserungen zu halten versuchen.

Den Entschluß, die amerikanische Verteidi­gungsstrategie von Grund auf umzustellen, hät­ten die USA nach monatelangem sorgfältigem Studium des eigenen Kriegspotentials gefaßt. Der Entscheidung lägen die letzten Informatio­nen des Geheimdienstes über die wahrschein­liche Offensivstrategie des Gegners gegen­über den USA zugrunde. Dabei sei man sich über die dringende Notwendigkeit starker Landstreitkräfte völlig im klaren. Bradley wies in diesem Zusammenhang auf die amerikani­sche Armee in Deutschland hin, die als ein Symbol der Entschlossenheit der USA angese­hen werden könne, jeder Aggression in Europa entgegenzutreten.

Präsident Truman bestritt am Donnerstag mit Nachdruck, daß er einen Besuch des briti­schen Premierministers Churchill erwarte. In jüngster Zeit waren Vermutungen in dieser Richtung aufgetaucht. Truman hält sich zurzeit in seinem traditionellen Urlaubsort Key West auf, wo er die Anfang Januar fälligen Kongreß­botschaften ausarbeiten will.

FDJ-Schulung in der Sowjetzone. Bonn. Seit den Ostberliner kommunistischen Weltjugend­festspielen im August sollen rund 3000 Funktio­näre der im Bundesgebiet verbotenen FDJ in die Sowjetzone gebracht und dort in Propaganda und Waffenlehre ausgebildet worden sein, teilten Sprecher des Bundes deutscher Jugend (BDJ) mit.

Bremer Koalitionsgespräche erfolgreich. Bre­men. Die Verhandlungen zur Bildung der Bre­mer Senatskoalition, die bisher nur zwischen den alten Koalitionspartnern SPD und FDP geführt wurden, sind jetzt gemeinsam mit der CDU fort­gesetzt worden. Der Bürgerschaftspräsident gab bekannt, daß erhebliche Fortschritte auf dem Wege zu einer großen Koalition (SPD, CDU, FDP) erzielt worden seien.

Lokführer hatte Zweifel. München. Der Lok- funrer Ues Arbellei zuges, der am Donnerstag im Bahnhof Walpertskirchen auf einen Güterzug auffuhr, erklärte gegenüber der Kriminalpolizei, daß er schon am Hauptsignal Zweifel gehabt habe, ob die Weiche richtig gestellt war. Die Schuld des Fahrdienstleiters wird von der Po­lizei als einwandfrei erwiesen angesehen. Er habe selbst zugegeben, die verhängnisvolle Weiche nicht gestellt zu haben. Das Unglück forderte 16 Tote und 15 Schwerverletzte.

Buttenwieser reist ab. Frankfurt. Der stell­vertretende amerikanische Hohe Kommissar, Benjamin Buttenwieser, wird zum 30. November in die Vereinigten Staaten zurückkehren, um dort wieder seiner Bankiertätigkeit nachzugehen.

Tauziehen um Atlantikratskonferenz. Paris. Frankreich will unter allen Umständen eine Ver­schiebung der Atlantikratskonferenz, die am 24. November in Rom stattfinden soll, auf Anfang des nächsten Jahres durchsetzen. Die USA be­steht jedoch auf dem 24. November. Von briti­scher Seite ist vorgeschlagen, die Konferenz in zwei Teilen abzuhalten und der Tagung in Rom eine zweite im Januar, evtl, in Kopenhagen, fol­gen zu lassen.

Ein heiterer Roman non I' ranz Goßt.

Nachsaison"

Copyright by Schwäb. Verlagsgesellschaft, Tübingen

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Der Stammtisch war ebenfalls geteilter Mei­nung. Herr Myera war der erste, der aufbrach. Der Obermoser schloß sich ihm an, Fremde mit Minen waren ihm schon recht, aber solche Windbeutel sagten ihm nicht zu. Auch der Tischler ärgerte sich. Den Krawall konnte ja niemand mehr aushalten! Das war kein Gast­haus mehr, sondern eine Narrenbude. Er zahlte und verzog sich. Die Schauspielerin war ihrer Anlage nach zuerst Feuer und Flamme für den Betrieb gewesen, dann befielen sie aber Kopfschmerzen, die sie zwangen, vor­zeitig der Lust zu entsagen und ihr Zimmer aufzusuchen.

Sie sollte aber nicht die ersehnte Ruhe fin­den. Ihr Zimmer lag neben dem Doppelzim­mer der Wandervögel Einer von ihnen, viel­leicht noch etwas angeschlagen von gestern, hatte sich wohl zuviel zugemutet. Man sah es kaum, so schnell ging es unvermittelt war ihm schlecht geworden, er lallte nur mehr und auch das Selterswasser, das ihm seine Kameraden hilfsbereit ins Gesicht spritz­ten, half nichts mehr.

Es blieb nichts anderes übrig, als ihn zu Bett zu bringen. Da ihm seine Freunde treu zur Seite standen und ihn nicht seinem Elend überlassen wollten, fand das fröhliche Singen einen jähen Abschluß. Es waltete irgendein Verhängnis über den Unterhaltungen beim Hirschenwirt. Je farbiger es zuerst hergeht, um so öder wirkt dann die Leere, wenn der Mittelpunkt des Treibens ausfällt. Bald gähnte der eine, bald der andere und der Kralinger war froh, als sich ein paar seiner Gäste wenig­stens noch zum Kartenspielen zusammensetz­

ten. Die anderen verließen rasch nacheinander die Stube.

Im Zimmer neben Lilo war das nackte Grausen eingekehrt. Der arme Kerl, den es so unvermittelt gepackt hatte, ächzte und stöhnte Es wurde nur unterbrochen vom guten Zu­reden seines Mitbewohners. Arg mußte es ,ihn erwischt haben, denn an die zwei Stunden ver­gingen, bis das Gestöhne allmählich in leises Jammern überging und endlich ganz erstarb. Verzweifelt warf sich die Schauspielerin von einer Seite auf die andere und jedesmal, wenn sie glaubte, nun doch einschlafen zu können, wurde sie totsicher durch einen neuen Schmer- zensanfall des so zersausten Wandervogels aufgeschreckt. Nach dem Abebben der Schmer­zen mußte sich der Kranke jedoch rasch er­holt haben, denn wie sie geplant hatten, bra­chen die drei Wandervögel schon vor Tagesan­bruch auf und marschierten zügig durch das Tal hinaus. Ihre Rechnung hatten sie noch am Abend beglichen.

*

Am nächsten Morgen bot die Hirschenstube das sonntäglich gewohnte Bild. Gemütlich plaudernd saß man hinter seinem Glas und ließ sichs wohl sein. Der Obermoser saß eben­falls an seinem Platz am Ofentisch und warf nur hie und da ein Wort in die Unterhaltung ein. Mit seinen Gedanken war er bei der Mit­gift der Lisi. Wenn um elf Uhr die Kasse auf­ging, wollte er das Geld holen. Der Spengler hatte einige Tische weiter entfernt mit einem Bergbauern etwas abzumachen und fehlte da­her in der Runde.

Weiß der Kuckuck, hatte er ein Glas zuviel erwischt oder ritt ihm der Teufel, plötzlich wurde er stänkerisch aufgelegt und rief dem Obermoser über die Köpfe der andern hinweg zu:He, Ander, paßts dem Amerikaner bei dir?

Der Obermoser fuhr aus seinen Berechnun­gen auf und fragte gedankenlos zurück:W T a- rum sollts ihm denn nicht passen?

Man hört nur, der arme Mensch solls Juk- ken gekriegt haben, seit er bei dir ist.

Der Obermoser zog die Augenbrauen zu­sammen. Wo hinaus wollte der Spengler? Daß er ihn schief anlassen wollte, roch man auf hundert Schritt. So etwas ließ er sich nicht bieten! Mit dem lumpigen Spengler nahm er den Kampf noch auf!

Was meinst damit? fragte er darum scharf.

Es sollen ja so schrecklich viele Flöhe in seinem Bett sein, wurde der Spengler deut­licher, fest entschlossen, den alten Klemmer bloßzustellen. Er hatte nichts von seiner Rache, wenn sie wirkungsvoll verpuffte, wie es bis jetzt den Anschein hatte.

Dem Obermoser schwante etwas. Es fiel ihm ein, daß zwischen der Lisi und Trine ge­rade in den letzten Tagen von Flöhen die Rede gewesen war; er hatte nicht genau hin­gehorcht, entsann sich aber, wie die Trine unwirsch gezankt hatte:Das versteh ich nicht. Ich hab keine gehabt. Wird sie wohl der Amerikaner mitgebracht haben. Der Spengler mußte mehr von der Sache wissen. Aber wieso?

Der Obermoser trachtete deshalb, den Geg­ner aus seinem Hinterhalt herauszulocken.

Du Ehrabschneider, du neidiger! leitete er den Angriff ein,willst mein Haus schlecht machen, weil der Herr Myera nicht in dein stinkendes Loch gekrochen ist.

Obermoser, halt dein Maul in Zaum! Ich weiß, was ich sag, kam der Spengler, mehr als gut war, in Hitze,dutzendweise sprin­gen die Flöh in deinem Fremdenzimmer wie höhnisch er dieses Wort zerdehnte! herum.

Du Lügenbeutel, du erbärmlicher", reizte ihn der Obermoser weiter,wenn dir nichts Besseres einfällt, kannst dich auf dem Schind­anger begraben lassen.

Seids doch gscheit! wollte ein Besonne­ner vermitteln,es steht doch gar nicht da­für, wegen einem Fremden eine Feindschaft aufkommen zu lassen.

Der Vorschlag zur Güte kam zu spät. Der Spengler ließ sich nicht mehr halten und bel­ferte:Was ich weiß, sag ich noch alleweil und geb dirs schriftlich, wenn du magst.

Einen Dreck weißt, schrie der Obermoser zurück,woher sollten denn die Flöh kom­men, wenn du nicht zu meinem Haus gehörst.

Das sagst nicht noch einmal! drohte der Spengler, der innerlich kochte Er konnte doch nicht verraten, wie die Flöhe in das Bett des Amerikaners gekommen waren, und er spürte, wie er daher auf dem besten Weg war, zu unterliegen.

Noch zehnmal, wenns dich darnach ver­langt. gab der Obermoser zurück.

Das ist auch das einzige, an dem du keine Not hast, du armseliger Klamperer!

Den Klamperer nimmst zurück! geiferte der Spengler, tief in seiner Berufsehre ge­kränkt,auf der Stelle nimmsts zurück oder es geschieht was.

Wenn nichts anderes bist, stocherte der Obermoser in die empfindliche Stelle hinein.

Der Spengler, der im Zorn rasch Wein in sich hineingeschüttet hatte, mehr als er ver­trug, war seiner nicht mehr mächtig und in seiner Wut packte er einen Knödel, der bei seinem Nachbarn friedlich in brauner Soße schwamm, und schleuderte ihn nach dem Ober­moser. Gut hatte er gezielt, denn das Ge­schoß landete mit einem schallenden Klatsch auf der Stirn des Obermoser und zerbarst.

Das Durcheinander, das daraufhin entstand, wich mit einem Schlag lähmendem Entsetzen, denn plötzlich wurde die Tür aufgerissen und der Kassenwart der Raiffeisenkasse stürzte schreckensbleich herein. Die dumpfen Gemü­ter weckte ein Schrei:In der Kasse ist ein­gebrochen worden! Das ganze Geld ist fort!

Entgeistert richteten sich die Blicke auf den Unglücksboten, der, noch benommen von der niederschmetternden Entdeckung und ange­strengt vom ungewohnten Dauerlauf zumHir­schen", keuchend nach Luft rang.

(Fortsetzung folgt)