NUMMER 168
SAMSTAG, 2 7. OKTOBER 1951
Oie politische Föderation Europas
Forderung Schumans vor dem Europarat / Gesamtdeutsche Wahlen
PARIS. Der französische Außenminister Robert Schuuan kündigte in Paris an, daß er auf der nächsten Sitzung des Europarates Ende November in Straßburg die sofortige politische Föderation Europas fordern werde. Schuman wies vor allem auf die Notwendigkeit einer supranationalen Behörde zur Koordinierung der bereits bestehenden Abkommen und Pläne über die europäische Stahl, und Kohlenunion und die europäische Armee hin. Er betonte, daß ihm für seinen Gedanken bereits die Unterstützung der amerikanischen und der britischen Regierung zugesagt worden sei.
Der französische Außenminister sprach sich optimistisch über die geplante Europaarmee aus. Das schwierigste Problem sei hier die deutsche Teilnahme, da noch nicht geklärt sei, wie Westdeutschland die Besatzungskosten tragen und gleichzeitig eine Verteidigungstruppe für die Europaarmee aufstellen könne.
Schuman hob dann hervor, daß er bei seinem Plan zur bundesstaatlichen Einigung Eu-
Atomeinrichtungen an Bord
Die US-Flotte im Mittelmeer
WASHINGTON. Der US-Marineminister Dan K i m b a 11 erklärte nach seiner Reise durch Europa, den Nahen Osten und Nordafrika, die Westmächte müßten den Suezkanal unbedingt offenhalten; die Durchführung läge aber bei Großbritannien. Die 6. amerikanische Flotte im Mittelmeer bestände gegenwärtig aus 70 Schiffen und sei darauf eingerichtet, Atomwaffen mit sich zu führen. Da die USA im Mittelmeer über keine Flottenstützpunkte verfügten, werde gegenwärtig nach einem Übereinkommen mit Frankreich der Atlantikhafen von Port Lyautey (Französisch-Marokko) ausgebaut, über Flottenbasen in Spanien werde direkt mit der spanischen Regierung verhandelt.
Alliierte sparen Personal ein
Besatzungskosten entlastet
BONN. Die britische Hohe Kommission gab Maßnahmen zur Einsparung von Besatzungskosten bekannt. Ab 1. Dezember sollen ihre Zivilbeamten keine kostenlosen Dienste und Leistungen mehr erhalten, sondern ihren Unterhalt voll aus eigener Tasche bestreiten. Die Zahl der deutschen Angestellten und Arbeiter im Dienste der britischen Behörden, die von 128 000 im Jahre 1947 bereits auf 24 500 gesenkt worden ist, soll bis Frühjahr 1952 auf 10 000 herabgesetzt werden. Die Zahl der britischen Beamten in Deutschland soll bis Mörz 1952 um 1000 verringert werden. Die amerikanische Hohe Kommission gab bekannt, ab 1. Dezember würden die Hausangestellten amerikanischer Familien nicht mehr aus Besatzungs- kostengeldem bezahlt werden. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums begrüßte die Einsparung der britischen und amerikanischen Besatzungbehörden und wies darauf hin, daß die Bundesregierung seit langem alle drei Besatzungsmächte um solche Maßnahmen gebeten habe.
Wahlen in der Schweiz
GENF. Am Sonntag wählt die Schweizer Bevölkerung für vier Jahre ihre neue Volksvertretung. Die 196 Sitze des Nationalrates sowie die Mehrzahl der 44 Sitze des Ständerates — jeder der 19 Vollkantone hat zwei und die sechs Halbkantone je einen Vertreter zu entsenden — werden nach dem Verhältniswahlrecht ermittelt. Die Frauen werden morgen zu Hause bleiben, in der Schweiz haben sie weder das aktive noch passive Wahlrecht. Im Wahlkampf ging es besonders um die Finanzierung der Verteidigungsvorbereitungen der Schweiz. Die Sozialdemokraten befürworten eine Vermögensabgabe, die bürgerlichen Parteien lehnen diese ab. Im bisherigen Nationalrat hatten die radikalen Demokraten 52 Sitze, die Sozialdemokraten 48, die Katholisch-Konservativen 44, die Bauernpartei 21 und einige Splittergruppen zwischen fünf und neun Sitze.
ropas Großbritannien ausdrücklich mit em- schließe. Die Föderation Europas dürfe unter keinen Umständen ein Abrücken von der Konzeption der „atlantischen Völkergemeinschaft und vom Atlantikpakt bedeuten.
Die französische Regierung werde gemeinsam mit den beiden angelsächsischen Mächten der im November beginnenden UN-Vollver- sammlung vorschlagen, daß die Durchführung allgemeiner, gleicher und geheimer Wahlen in Deutschland auf die Tagesordnung der sechsten
Vollversammlung gesetzt werde. Zwischen den drei Mächten, die bereits bindende Zusicherungen in dieser Frage abgegeben hätten, werde über die Einbringung des Vorschlages bei der UN zurzeit noch verhandelt. Der Zeitpunkt sei aber von dem vorhergehenden Zustandekommen einer Vereinbarung der Sowjetunion unabhängig.
Die Behandlung der Marokko-Frage durch die UN-Vollversammlung lehne Frankreich nach wie vor ab, da es sich um eine innerfranzösische Angelegenheit handle. Frankreichs Außenpolitik bleibe unverändert die gleiche. Es bestehe für Paris kein Grund zum übergroßen Optimismus, aber noch weniger zur Resignation.
Steigen die USA in Korea aus?
Eine militärpolitische Kritik an der Bedeutung der Landstreitkräfte
CC. BARCELONA. Am 14. September erklärte Generalleutnant Albert C. Wedemeyer in einem Interview der US News und World Report: „In Korea befinden wir uns in einer scheußlichen Lage. Wenn wir unsere Landarmee von dort zurückziehen könnten, würde ich dies auf das stärkste befürworten.“
Damit fing es an. Der bekannte Chinaspezialist, heute Vizepräsident der AVCO, Mfg. Corp, der 1936 bis 1937 in Berlin an der Kriegsschule Oststrategie studierte und mit Generalfeldmarschall von Brauchitsch bis Herbst 1941 engen Kontakt unterhielt, in einer Denkschrift vom August 1941 dem Weißen Hause eine Militäraliianz ' mit Hitler gegen Moskau empfahl, berät auch heute, nach seiner Pensionierung, den Pentagon in Chinafragen. Er macht aus seiner Überzeugung kein Hehl, daß ein Krieg gegen den asiatischen Kontinent die USA ins Treibsandverderben führen würde, aber den Rüdezug aus Korea hatte er bisher noch nicht befürwortet.
Dann fand kurz vor der Reise General O. Bradleys nach Japan eine wichtige Sitzung der Joint Chiefs of Staff des Pentagons statt. Admiral Fletscher, General Collins und Vanden- berg beschlossen, dem Verteidigungsminister Lovett zu empfehlen; „Die Entsendung von Landstreitkräften nach Korea war ein Fehler vom militärischen Standpunkt aus. Wenn die politische Lage es erlaubt, wäre der Abzug
Maß-
dieser Kräfte aus Korea eine richtige nähme.“
Lovett beriet sich mit den JSD (Joint secre- taries of Defence), den drei Unterstaatssekretären für Verteidigung. Es scheint so, daß Pace (Armee) zuerst sich gegen den Rat der JCS stellte, aber dann, als die Verlustziffer- meldungen aus Korea wieder die 2000-Wo- chenrate überstiegen, und vermutlich schon vorher die Meinung Eisenhowers eingeholt wurde, gab auch Pace nach und man einigte sich auf eine Formel, in der es heißt: „aus rein militärischen Erwägungen heraus empfiehlt sich eine Räumung Koreas durch die Landstreitkräfte, doch behalten gesamtpolitische Erfordernisse die Priorität.“
Äußerst bemerkenswert, daß die Generäle den Präsidenten wegen seines Entscheids vom Juni 1950 angreifen, aber allmählich hat sich die Überzeugung breit gemacht, daß den Kommunisten an nichts weiter gelegen ist, als erhebliche amerikanische Streitkräfte an einem strategisch so ungünstig wie möglich gelegenen Punkt dauernd zu binden und Washington zu zwingen, zu ihrem Schutze auch in Japan große Land-, Luft- und Seeformationen zu unterhalten. Wedemeyers Ansicht, daß ein Land- und Luftvorstoß in die Mandschurei die Lage nicht verbessern, sondern nur verschlimmern würde, wird trotz Zweckoptimismus des Hauptquartiers jetzt geteilt.
Kleine Weltchronik
BONN. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes beanspruchen die Besatzungsmächte in den Ländern des Bundesgebiets und in Westberlin insgesamt 75 662 Wohnungen in 41 649 Gebäuden.
FRANKFURT. Die Frankfurter Innenstadt ist neuerdings für den Lkw-Durchgangsverkehr gesperrt. Alle Lastwagen, die Frankfurt im Fernverkehr passieren, müssen künftig die besonders gekennzeichnete Umgehungsstraße benutzen.
OLDENBURG. Bei Baggerarbeiten auf einer Wiese bei Addrup wurden Teile eines im Jahre 1944 abgeschossenen deutschen Jägers Me 109 freigelegt und dabei in sieben Meter Tiefe die Leiche des Fliegers gefunden.
BREMEN. Die Bremer Hafenarbeiter, die nunmehr ihren wilden Streik abgebrochen haben, erhalten den Lohnausfall für die vier Streiktage ersetzt und darüber hinaus das am Mittwoch zugesagte Kartoffelgeld in Höhe von 30 DM für Verheiratete und 20 DM für Ledige.
PARIS. Nach Angaben des Generalsekretärs der UN, Trygve Lie, um f aßt die Tagesordnung für die am 6. November in Paris beginnende sechste Vollversammlung der UN bereits 58 Punkte, wovon die wichtigsten die Bemühungen um ein kollektives Sicherheitssystem zum Schutz gegen bewaffnete Aggression, Begrenzung der Produktion von Atom- und herkömmlichen Waffen, zur Schaffung eines internationalen Kon- trollsystem in Korea, Libyen, Eritrea, Palästina, China und Marokko, ferner aktuelle Fragen wie die Kontrolle gesamtdeutscher Wahlen, Probleme des Suezkanals und des Sudans seien.
PARIS. Die Zigarettenpreise klettern in Frankreich weiter in die Höhe. Künftig wird ein Päckchen der volkstümlichen staatlichen Regie-Zigaretten „Gauloise“ statt 65 80 Francs kosten.
PARIS. Die französische Regierung sei nicht gewillt, mit der Sowjetunion über die Wiederbewaffnung Deutschlands zu debattieren, erklärte ein Sprecher des französischen Außenministe
riums zu einer sowjetischen Note vom 19. Oktober, in der erneut behauptet wurde, Frankreich verletze durch seine Unterstützung der Wiederbewaffnung Deutschlands den französisch-sowjetischen Beistandspakt.
PARIS. Das französische Außenministerium dementierte erneut Meldungen, daß Großbritannien der französischen Regierung einen neuen Versuch zur Regelung des Saarproblems nahegelegt habe. Man habe zurzeit genug mit anderen Dingen zu tun, die wichtiger seien als das Saarstatut.
PRAG. Bei seinem „Freundschaftsbesuch“ in der Tschechoslowakei «.-erklärte der Staatspräsident der Ostzone, Pieck, auf einem Empfang, den der tschechoslowakische Staatspräsident Gottwald auf dem Hradschin gab, zwischen den beiden Ländern gebe es keine strittigen und offenen Fragen mehr.
TOKIO. Das japanische Parlament stimmte am Freitag der Ratifizierung des Friedensvertrags mit Japan zu.
NEW YORK. Israel hat alle Juden aufgefordert, seine Rückerstattungsforderung gegenüber Deutschland in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar (6,3 Milliarden DM) rückhaltlos zu unterstützen. Auf der Eröffnungssitzung jüdischer Organisationen, die eine Koordinierung der Rückerstattungsansprüche an Deutschland zum Ziele hatten, hob der israelische Botschafter in den USA, Eban, hervor, Israel habe mehr als eine halbe Million Juden aus Staaten, die unter der Kontrolle des NS-Regimes gestanden hätten, aufgenommen.
BUENOS AIRES. Dr. v. Maltzan vom Bundeswirtschaftsministerium, wurde am Donnerstag vom argentinischen Staatspräsidenten Peron zu einer Besprechung über die argentinisch-deutschen Handelsbeziehungen empfangen.
PASADENA (Kalifornien). Amerikanische Industrielle haben mit belgischen und italienischen Firmen Verträge über die Herstellung von Raketen für die amerikanische Marine abgeschlossen.
Staatsger ditshof aktionsfähig
„Ich komme durch oder ich falle“
FREIBURG. Der badische Staatsgerichtshof teilte mit, daß er im Gegensatz zu anderslautenden Meldungen in der Presse und im Landtag aktionsfähig sei. Abgeordnete der SPD und der FDP hatten erklärt, der Staatsgerichtshof sei nicht aktionsfähig, weil sich sein Präsident im Zusammenhang mit der Wahlrechtsklage der FDP und SPD gegen das mit CDU-Mehr- heit verabschiedete badische Landtagswahlgesetz für befangen erklärt habe.
„Ich werde nicht nachgeben. Entweder ich komme durch oder ich falle“, sagte der südbadische Staatspräsident Leo Wohieb am Donnerstag im Münchener Presseclub. „Aber ich falle nicht ohne Nachwirkungen. Seien Sie überzeugt, wir bleiben. Unterschätzen Sie unsere Schwarzwälder Dickköpfe nicht.“ Ihm leuchte die Logik des Urteilsspruches nicht ganz ein. Wenn morgen ein Nordweststaat gewünscht werde, so brauchten Bremen und Hamburg gar nicht abzustimmen, sie seien bereits erledigt.
Kehl gegen Hafenvertrag
Zu viel Rechte für Freiburg
KEHL. Der Bürgermeister von Kehl, Dr. Marcello, sprach sich gegen den zwischen dem Land Baden und der Straßburger Hafenverwaltung abgeschlossenen Kehler Hafenvertrag aus, da er dem badischen Staat als Grundstückseigentümer des Hafengebiets die alleinige Autorität über den Hafen gebe. Die Stadt befürchte, daß die Entwicklung Kehls durch eine staatlich gelenkte Grundstüdespolitik gestört werden könnte. Der Hafenvertrag sei überdies auch juristisch anfechtbar. Nachdem die französische Regierung seit 1945 Verfügungsgewalt über den Straßburger Hafen habe, könne nicht die Hafenverwaltung, sondern nur der französische Staat Vertragspartner sein.
Auf die lange Bank
Südwestfunb-Vertrag wird nicht ratifiziert
MAINZ. Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht in der Südweststaatfrage ist die Ratifizierung des Südwestfunk- Staatsvertrags vorläufig unmöglich geworden, da es weder in Württemberg-Hohenzollern noch in Südbaden einen ordentlich gewählten neuen Landtag gibt. Bisher hat nur der Landtag von Rheinland-Pfalz den Staatsvertrag ratifiziert.
Zu dieser neuen Situation wird von Regie- rungsvertretem in Mainz erklärt, daß Rheinland-Pfalz ein Scheitern des Staatsvertrags „nicht mit Schmerzen zur Kenntnis nehmen“ würde. Zunächst müsse einmal die Entwicklung in der Südweststaatfrage abgewartet werden, zumal augenblicklich keinerlei Möglichkeiten bestünden, in erneute Verhandlungen über den Staatsvertrag einzutreten.
Kohle ab 1. November teurer
BONN. Das Gesetz zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau tritt am 1. November in Kraft. Danach wird zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues auf die Dauer von drei Jahren ein Zuschlag von zwei DM je t Steinkohle und eine DM je t Braunkohlenbrikett erhoben. Damit verteuert sich ab 1. November der Zentner Steinkohle um 10 und der Zentner Braunkohlebrikett um 5 Pfennig.
Appell an die Stromverbraucher
BONN. Ergänzend zu den für das Bundesgebiet erlassenen Stromeinschränkungsmaßnahmen appelliert das Bundeswirtschaftsministerium nachdrücklich an die Disziplin der Stromverbraucher. Nur dann könnten größere und die Gesamtwirtschaft schwerstens gefährende Stromabschaltungen vermieden werden. Im Winter 1951/52 werde die alljährlich auf tretende Anspannung der Stromversorgungslage in der kalten Jahreszeit besonders deutlich in Erscheinung treten. Zur Deckung des laufenden Energiebedarfs fehlen den Kohlenkraftwerken im laufenden Quartal 300 0001 Kohle. Wenn eine geregelte Stromversorgung in den Wintermonaten gewährleistet werden soll, müßte der Lagerbestand für mindestens drei Wochen — etwa 850 0001 Kohle — gesichert sein.
Ein heiterer Roman non i' ranz Gößl:
„Nachsaison"
Copyright by Schwäb. Verlagsgesellschaft, Tübingen
20 ]
Martin müßte doch wegkommen von der unausstehlichen Person. Sie konnte nicht ahnen, daß inzwischen seine Gedanken herumfuhren wie eine Maus in der Falle, um einen Durchschlupf zu finden.
Endlich machte er eine Entdeckung, die ihm Rettung bringen mußte. Der Briefträger-Lois schien auch am Abend von seinem Beruf nicht loszukommen. Er war nirgends seßhaft und geisterte ruhelos bald da, bald dort herum. Mit einem verzweifelten Entschluß sprang Martin auf: „Entschuldigen Sie einen Augenblick, ich muß den Briefträger etwas fragen.“ Er war so schnell weg, daß Lilo nicht Zeit gehabt hätte, auch nur die kleinste Einwendung anzubringen. Der Briefträger war gerade wieder auf der Wanderschaft zu einem anderen Tisch, als ihm der junge Kralinger ln den Weg trat: „Du Lois, du mußt mir helfen!“
„Was, beißt dich denn?“ fragte dieser.
„Du mußt dich zur Schauspielerin setzen und sie nicht mehr loslassen!“
„Sonst nichts mehr? Erstens ist sie nicht nach meinem Geschmack und zweitens ist meine Alte um die Wege. Hast du eine Ahnung, was die mir für ein Theater machen tät!“
„Du mußt, Lois! Ich kann doch den ganzen Abend nicht mit der Raffel vertun und dem Amerikaner freies Feld lassen."
„Nachher übernehm ich lieber den Amerikaner“, schlug der Briefträger vor.
„Nichts da. die Zawadil mußt mir vom Hals schaffen!“
..Schick deinen Vater“, riet der Briefträger
„Lois“, beschwor er den Briefträger flehend, „horch zu! Wenn du die Zawadil auf dich nimmst, zahl ich dir alles, was du in ihrer Gesellschaft verzehrst. Bist weg von ihr, kannst in deinen eigenen Beutel greifen.“
Dieses Angebot war zu verführerisch, als daß ihm der stets durstige Briefträger widerstehen konnte. Man mußte sich die paar Tropfen, die man trank, wirklich sauer genug verdienen. Entweder man konnte sich die Füße krumm hatschen, oder man war gezwungen, seine Gefühle notzuzüchtigen wie in diesem Fall. Doch wann trug sich wieder eine Gelegenheit an, so nach Herzenslust zu essen und zu trinken? Aber billig sollte es dem Martin nicht kommen! Das schwor sich der Lois.
„Gut, weil du’s bist, Martin, und weil’s mich stieren tät, wenn du bei der Lisi durchfallen müßtest. So was Nettes muß im Dorf bleiben. Wären andere genug da, bei denen man froh wäre, wenn sie der Amerikaner mitnähm. Aber da bist gut sicher.“ — Dabei schielte er in die Richtung, in der er seine Frau wußte.
Der junge Kralinger atmete befreit auf und entwarf rasch den weiteren Plan: „Du zigeunerst erst ein paar Minuten herum und kommst dann zufällig an unseren Tisch und schaffst gleich ordentlich an. Ich finde nachher schon eine Ausrede, mich zu verzapfen.“
Der Lisi war es nicht entgangen, wie ihr Martin sich aus der verderblichen Umgebung der Fremden losgerissen hatte, und sie war bereits auf dem besten Wege, versöhnt zu sein, als diese edle Gefühlsregung gleich wieder einen solchen Stoß versetzt erhielt, daß sie armselig zusammenklappte. Ging der Erzhalunke nicht wieder zurück zu der aufgetakelten Bohnenstange! Er sollte es noch einmal wagen, ihr, der Lisi, etwas vorzumachen! Zünden würde sie ihm, zünden, daß er meinte, ein ganzer Funkensonntag tanze vor seinen Augen. Die Gedanken eines gekränkten Mädchens gehen oft absonderliche Wege. Aus diesem Grund kam Herr Myera an diesem Abend zu den ersten freundlichen Worten. Es war daher
sehr häßlich von ihm, daß er trotzdem es nicht unterlassen konnte, abfällige Bemerkungen über Lilo zu machen.
„Ich verstehe nicht“, begann er zu meckern, „was der junge Kralinger an der Zawadil findet. Mir jedenfalls geht sie auf die Nerven, daß es nicht mehr schön ist. Noch ein zweites solches Gespenst im Haus und ich bliebe keine Nacht mehr hier. Wo sie erscheint, ist Unruhe und. Lärm. Das mag etwas sein für junge Leute, die jahraus, jahrein ein beschauliches Leben führen, wie der junge Kralinger, um sie ein bißchen aufzupulvern, aber für mich, wie gesagt, ist es nichts. Ich habe sogar schon daran gedacht, irgendwo ein Privatzimmer zu suchen, um wieder ungestört der, Erholung leben zu können. Aber das wird schwer zu machen sein.“ „Wir haben ein Fremdenzimmer", schnellte die Spenglerin heraus. „Wenn Sie zu uns kommen möchten..."
„Ich könnte auch Platz machen“, war der Obermoser gleich bei der Hand, bevor die Spenglerin ausgeredet hatte, um den Amerikaner vor einer übereilten Zusage zu bewahren. Leichter konnte Geld nicht verdient werden, mit Ausnahme der Minen.
Diesen bequemen Verdienst hatte aber auch der Spengler erfaßt und so leistete er seiner Frau mit einer Einmütigkeit Schutzhilfe, die beispielhaft war.
„Wir sind aber darauf eingerichtet“, trumpfte er auf, „wir haben schon öfter Fremde gehabt. Und der Ander“, fügte er scheinheilig hinzu, „tät’s wohl nur, um Ihnen einen Gefallen zu erweisen, obwohl’s ihm eine Masse Umstände machen tät.“
Der Obermoser ließ sich durch die Flötentöne nicht einlullen und holte zu einem empfindlichen Gegenhieb aus: „Beim Spengler werden Sie halt auch nicht die erhoffte Ruhe finden. Was nützt Ihnen das schönste Zimmer, wenn unter Ihnen den ganzen Tag mit dem Blech herumgescheppert wird? So was muß man gewöhnt sein.“
„Und der Misthaufen vor dem Haus ersetzt Ihnen nicht die gesunde Waldluft“, geriet der Spengler in die Stromschnellen seines bissigen Fahrwassers.
„Und dazu geht da draußen alleweil ein scharfer Wind, der einem fast die Seele aus dem Leib bläst“, hastete die Spenglerin hinterher, um ja im Rennen zu bleiben.
„In meinem Haus ist noch kein Mensch erstunken“, verteidigte der Obermoser den fetten Brocken, „und ob einer gut ausrastet, wenn die ganzen Nächte die Kinder plärren, ist eine weitere Frage.“
Ganz unerwartet erhielt der Spengler Unterstützung von der Seite des Gegners. Die Lisi hatte mit Unruhe die seltsame Abwandlung ihres Vaters verfolgt und so freundlich war sie trotz der Flatterhaftigkeit Martins nicht zum Amerikaner eingestellt, daß sie ihn den ganzen Tag an der Rockfalte hängen haben möchte. Sie versuchte, den Vater von seinem neuesten Unsinn abzubringen: „Aber Vater, wo möchtest du denn den Herrn Myera unterbringen? Er stellt schließlich doch seine Ansprüche.“
„Kümmere du dich nicht drum?“ fertigt® der Alte sie barsch ab. „Wenn ich sag, da“ Platz ist, dann ist Platz! Und was sich für einen Gast gehört, das weiß ich lang besser als du, du unreifer Grünschnabel.“ Der Streit um den Fremden wäre sicherlich in weitere Bosheiten ausgeartet, wenn nicht Herr Myera in seiner weltgewandten Art der Auseinandersetzung ein Ende gemacht hätte.
„Aber meine Herren“, begütigte er die auf" wallenden Gemüter, „es war nur so ein Ein- fall von mir. Schließlich ist der Wirt so zuvorkommend, daß ich ihn nicht gerne vor d® Kopf stoßen möchte. Ich kann daher kaum vo hier wegziehen.“
„Sie sind mit dem Kralinger ja nicht verheiratet“, hetzte die Spenglerin, die schon Q Zuschuß für ihre Wirtschaftskasse entschwinden sah. (Fort setz-ins -