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HEIMATBLATT STADT UND LAND
SAMSTAG, 27. OKTOBER 1951
ÜBERPARTEILICHE TAGESZEITUNG
7. JAHRGANG / NR. 168
Wahlsieg der Konservativen in England
Mandatsverluste der Labours in Großstädten und Industriegebieten entscheidend / Hohe Wahlbeteiligung
LONDON. Der Sieg der Konservativen bei den britischen Parlamentswahlen stand am Freitagnachmittag bereits so gut wie fest. Damit wird nach sechsjähriger Labour-Herrschaft wieder ein konservatives Kabinett mit Winston Churchill an der Spitze Großbritannien regieren. Bei Redaktionsschluß verfügte die Konservative Partei über eine Mehrheit von .39 Sitzen gegenüber der Labour-Partei. Bis zum Endergebnis, das erst heute zu erwarten ist, dürfte der Abstand sich noch vergrößern.
Nach den Ergebnissen aus 569 der insgesamt 625 Wahlkreise entfielen auf die Konservativen 302, auf die Labour-Partei 263, auf die Liberalen 3 und auf die irische Labour-Partei 1 Sitz. Die Wahlbeteiligung lag zwischen 80 und 85 Prozent. Die Konservativen rechnen mit einer arbeitsfähigen Majorität. Ein Sprecher der Konservativen erklärte, Churchill werde nach Vorlage des Endergebnisses sofort zu König Georg VI. gehen, um den Auftrag zur Regierungsbildung entgegenzunehmen. Das Parlament wird erstmals am 31. Oktober zusammentreten.
Bereits am Freitagmorgen konnte aus dem bis dahin vorliegenden Zwischenergebnis nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit mit einem Konservativen Wahlsieg gerechnet werden. Zu diesem Zeitpunkt ergab sich für 323 von 625 Wahlkreisen folgende Sitzverteilung: Labour 175, Konservative 145, Liberale 2, irische Labour 1. Bei diesen Wahlkreisen handelte es sich vornehmlich um die Großstädte und Industriegebiete, die als Hochburgen der Sozia-
Gegen „Herrschaltsanspruch“
FDP zum Konflikt mit Gewerkschaften
BONN. Gegen einen Herrschaftsanspruch der Gewerkschaften im Staat wandte sich der zweite Vorsitzende der FDP, Dr. Hermann Schäfer, am Freitag in Bonn. Die Entwicklung in dem Konflikt mit den Gewerkschaften sei zwar bedauerlich, aber es sei auch kein Unglück, wenn ein Verband erkläre, daß er sich weigere, Gespräche mit der Regierung fortzuführen.
listen anzusehen sind. Die restlichen Wahlkreise liegen auf dem flachen Land, das sich bereits bei den letzten Wahlen im Februar 1950 klar für die Partei Churchills entschieden hatte. Ausgehend von 1950 hätte sich zu diesem Zeitpunkt folgendes Endresultat ergeben müssen: 304 Mandate für die Labour-Partei und 308 für die Konservativen,
Winston Churchill und der frühere konservative Außenminister Eden wurden in ihren Wahlkreisen mit großer Mehrheit wiedergewählt, ebenso die führenden Konservativen Lyttleton, Butler und Mac M i 1 - 1 a n , die alle drei in einem künftigen Konservativen Kabinett eine große Rolle spielen werden. Auch der Führer der Liberalen, Clement D a v i e s , setzte sich durch.
Von den prominenten Labours wurden nahezu alle wiedergewählt. Besonders hohe Stimmzahlen erreichte der linke Flügel der Labour- Partei mit dem ehemaligen Gesundheitsminister B e v a n und dem ehemaligen Handelsminister Wilson an der Spitze. In Nordengland erlangte der Sohn des früheren liberalen Ministerpräsidenten Lloyd George, Gwiiym Lloyd George, ein Mandat, der als Anwärter auf den freigewordenen Posten des Sprechers des britischen Parlaments gilt.
Die britische Öffentlichkeit verfolgte die Auszählung der Stimmen mit größter Spannung. Hunderttausende fanden sich in den einzelnen Städten vor den Zeitungsredaktionen ein, die die einlaufenden Ergo' nässe durch Leuchtschrift bekannt gaben*- Millionen saßen an ihren Rundfunk- und Fernsehempfängern. Winston Churchill erwartete das Ender-
England verstärkt seine Truppen
Mit ‘Luftbrücke zum Suezkanal / Ägyptischer Boykott greift um sich
KAIRO. Seit Freitag starten in kurzen Abständen von englischen Flugplätzen RAF- Transportflugzeuge mit Soldaten der 19. Infanteriebrigade, die zur Verstärkung der englischen Streitkräfte nach der Suezkanalzone verlegt wird. Die Überführung der Brigade stellt das größte Luftbrückenunternehmen dar, das die RAF bisher in Friedenszeiten durchgeführt hat. Jede Maschine befördert 42 Mann.
Die Lage in der Kanalzone hat sich durch den Immer mehr um sich greifenden Boykott der britischen Truppen durch Ägypten weiter verschärft und einen sehr kritischen Punkt erreicht. Die eingeborenen Arbeitskräfte bei den
Um die Demarkationslinie
HKL oder 38. Breitengrad
TOKIO. Die Unterhändler der UN-Truppen und der kommunistischen Streitkräfte traten gestern zu ihrer zweiten Ausschußsitzung für die Festlegung der Waifenstillstandslinie zusammen. Die Sitzung dauerte 90 Minuten. Den kommunistischen Ausschußmitgliedern waren am Donnerstag die Vorschläge der Vereinten Nationen für die Absteckung der Demarkationslinie zugegangen. Sie soll nach den Vorschlägen der UN-Delegation ungefähr längs der bisherigen Hauptkampflinie verlaufen. Die Stadt Käsong läge nach diesem Entwurf auf der Seite der UN-Truppen. Die Waffenstillstandslinie selbst soll in einer neutralisierten Zone von vier km Tiefe liegen. In den Verhandlungen des Waffenstillstandsausschusses am Freitag haben die kommunistischen Unterhändler vorgeschlagen, daß sich die Streitkräfte der Vereinten Nationen an der ganzen Front um 24 km zurückzieben sollen.
Damit geht das kommunistische Oberkommando etwas von seiner bisherigen Forderung a b, die Demarkationslinie voll auf den 38. Breitengrad zu verlegen. Ein alliierter Sprecher erklärte aber nach der Sitzung, daß der kommunistische Gegenvorschlag nicht annehmbar sei, da die alliierten Streitkräfte danach Wichtigstes und hartumkämpftes Gelände wie uas „Eiserne* Dreieck“ und das ostkoreanische «Herzeleid-Gebirge“ räumen müßten.
Europa-Union
Flan einer verfassungsgebenden Versammlung
FRANKFURT. Im Mittelpunkt des im November in Frankfurt stattflndenden Jahres
Engländern legen nach und nach die Arbeit völlig nieder. Tausende sind bereits mit ihren Famüien und ihrer Habe aus der Kanalzone fortgezogen und haben sich anderswo in Ägypten niedergelassen. Die ägyptischen Schlepper und Signalstationen längs des Kanals haben ihre Arbeit nicht mehr aufgenommen. Die englische Flotte regelt den Verkehr auf der Wasserstraße und gibt die Durchfahrtpermits für die Schiffe aus.
Das State Departement in Washington dementierte inzwischen alle Berichte, nach denen die Vereinigten Staaten sich um eine Vermittlung im anglo-ägyptischen Konflikt bemühen sollen. Der Pressereferent des Außenministeriums, Michael McDermott, betonte, daß der US-Botschafter in Kairo, Jefferson C a f f e r y, bei seiner Unterredung mit König Faruk am Mittwoch lediglich die „allgemeine Lage“ besprochen habe.
In London wird dagegen erklärt, daß von einer grundsätzlichen Verschlechterung der Lage im Sueikanalgebiet nicht die Rede sein könne, da die Lage fest in der Hand der britischen Truppen sei. Es sei auch kaum mit Anforderungen auf Entsendungen von Arbeitskräften für die britischen Truppen zu rechnen. Vorher gingen Gerüchte um. Großbritannien werde Arbeitskräfte aus anderen Gebieten in die Suezzone verbringen, um die ägyptischen Arbeiter zu ersetzen.
gebnis in seiner Wohnung beim Hyde-Park, während Premierminister A111 e e in seinem eigenen Wahlkreis der Auszählung der Stimmen beiwohnte und sich anschließend in das Hauptquartier der Labour-Partei begab, um den Ausgang der Wahlen abzuwarten. König Georg war am Ausgang der Wahl so interessiert, daß er in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag erstmals seit seiner Operation länger aufblieb, um die eingehenden Wahlresultate abhören zu können.
Großbritanniens voraussichtlicher neuer Premierminister Winston Churchill erklärte am Freitag, als ihm seine Wiederwahl in Woodford bekanntgegeben wurde, er sei der Meinung, daß jetzt die Zeit gekommen sei, für eine Pause in den Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Sie wird es uns ermöglichen, besser das zu verstehen, was bei unseren Gegnern gut ist, und mit ihren Fehlern nicht allzu scharf ins Gericht zu gehen.
Ein führendes Mitglied der Konservativen Partei erklärte am Freitagnachmittag in London, die Konservativen würden eine Mehrheit zwischen 17 und 20 Sitzen erreichen.
Winston Churchill, nachdem er seine Stimme abgegeben hat, inmitten der Menge, die ihm begeistert zujubelt. Der Kriegs Premier, der „Big old man“, scheint seinen Sieg, der wenige Stunden später entschieden sein sollte, schon in der Luft zu spüren. Daher das breite Lächeln...
Kriegspremier des Friedens
Von Di. Helmut Kieczu
Die britischen Wahlen haben, um es vorwegzunehmen, keinerlei Überraschung gebracht. Kriegspremier Winston Churchill wird wieder an der Spitze des Kabinetts stehen. So hat der Mann, dem die einen vorwerfen, er sei zusammen mit Roosevelt verantwortlich für die gegenwärtige politische Weltsituation — Hitler ist in diesem Zusammenhang nur eine zweitrangige „Größe“ —, und von dem die andern erwarten, daß er Großbritanniens Position inmitten der Trümmer des einstigen Empires wieder festigen werde, es noch einmal geschafft. Die Labours agitierten in den letzten Tagen vor diesen Wahlen beinahe so, wie vor 1933 die demokratischen und sozialistischen Parteien in Deutschland gegen Hitler. Hieß es damals, wer Hitler wählt, wählt den Krieg — was dann auch zutraf —, so verteilten die Labours Flugblätter, darauf ein Trommelrevolver mit einem Finger im Abzug zu sehen war. Diese Propagandathese scheint mit Wahlreden Churchills und seines wahrscheinlichen Außenministers Eden, in denen der Labourregierung sowohl in Persien als auch in Ägypten Mangel an klarer Linie und festem Auftreten vorgeworfen wurde, in Einklang zu stehen.
Müßig, heute noch darüber naehzudenken, welche Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden. Entscheidend ist vielmehr, wie weitere vermieden werden können, und daher ist der Feststellung Churchills, er erstrebe nur noch einen Erfolg, an der Schaffung des Weltfriedens mitzuwirken, größere Bedeutung beizumessen. Einst sagte er, um den Teufel auszutreiben, werde er sich sogar mit dem Beelzebub verbünden. Das war im zweiten Weltkrieg. Heute mögen die Fronten sauberer sein, das Risiko eines Weltkrieges ist darum nicht geringer geworden. Daß diese Einsicht Allgemeingut ist, ergibt sich schon daraus, daß Labours wie Konservative den Frieden zur Hauptthese ihres Wahlkampfes erhoben und insbesondere Churchill in den letzten zwei Jahren immer wieder von Verhandlungen auf höchster Ebene sprach, wobei wir nicht übersehen, daß er mit seiner schon Geschichte gewordenen Rede von Fulton der erste in der Nachkriegzeit war, der
Lebensmittel-Einfuhrprogramm
Bundestag beschließt Teuerungszuschläge für Unterhaltshilfeempfänger
BONN. Nach einer längeren Debatte über SPD-Anträge zur Versorgung der Bevölkerung mit billigen Lebensmitteln teilte Vizekanzler Franz B 1 ü c h e r in der Donnerstagsitzung des Bundestages mit, daß die Bundesregierung ein langfristiges Einfuhrprogramm aufgestellt habe, in dem die Dispositionen über die Einfuhr von Lebensmitteln und Rohstoffen für die gewerbliche Wirtschaft für die nächsten neun Monate festgelegt seien. Dieses langfristige Programm sei möglich, nachdem die Politik der Liberalisierung von April bis Oktober den Status der Bundesrepublik in der europäischen Zahlungsunion um 417 Millionen Dollar verbessert habe.
Einstimmig nahm das Plenum einen FDP- Antrag an, der die Bundesregierung um beschleunigte Vorlage eines Bundespostgesetzes
- ... _____ _ bittet. Zuvor hatte Bundespostminister Hans
Kongreß der deutschen Europa-Union wird Sehuberth angekündigt, daß dem Kabinett e >n Plan über die Bildung einer europäischen «och in dieser Woche der Entwurf eines Bun- verfassungsgebenden Versammlung stehen, despostverwaltungsgesetzes vorgelegt werden tollte der Generalsekretär der „Europa-Union soll. Die beiden kommunistischen Bundestags- Deutschland“, Otto Blessing, auf einer Pres- abgeordneten Oskar Müller und Gertrud «ekonferenz am Freitag mit. Strohbach, werden sich demnächst vor
dem Richter verantworten müssen, weil sie versiegelte kommunistische Gebäude aufgebrochen haben. Die Strafverfahren wurden vom Bundestag genehmigt.
Das Plenum entschied anschließend, daß die Empfänger von Unterhaltshilfe aus Soforthilfemitteln rückwirkend vom 1. Oktober an Teuerungszuschläge erhalten. Die Sätze, die in dem in allen drei Lesungen verabschiedeten Soforthilfeanpassungsgesetz festgelegt sind, sehen für den Anspruchsberechtigten monatlich 15 DM, für die Ehefrau und jedes Kind 7.50 DM und für den Vollwaisen 10 DM vor. Darüber hinaus ermöglicht das Gesetz Stundungen für die am 20. November fällige Rate der allgemeinen Soforthilfeabgabe.
Der Bundeshaushalt für das Rechnungsjahr 1951, der sogenante „Überrollungsetat“, wurde vom Haus gegen SPD und KPD bei Enthaltung des Zentrums, des FHE und der Bayern-Partei endgültig angenommen. Der Etat schließt mit rund 15 Milliarden DM ab. Ein Nachtragshaushalt in Höhe von etwa 5 Milliarden DM ist noch nicht behandelt worden.
zur Wiederaufrüstung des Westens, zu Wachsamkeit und Mißtrauen gegenüber der Sowjetunion riet. Der erbittertste Gegner des Bolschewismus scheint, wie es heute aussieht, recht behalten zu haben. Und das Ergebnis: auf beiden Seiten liegen die Finger im Abzug. Was blieb auch anders übrig angesichts der fortgesetzten sowjetischen Bedrohung.
Churchill bestimmt nicht darüber, wann der erste Schuß fällt. Er wird zudem, nun alt geworden, keine Politik des Draufgängertums mehr riskieren. Das gilt für die große Weitpolitik, wo ohnehin die letzte Entscheidung nicht bei ihm liegt, wie für Abklärungen innerhalb des Commonwealth. Wie die Labours wird er, soll nicht alles zusammenbrechen und die Position des Westens eine entscheidende Schwächung erfahren, verhandeln und immer wieder verhandeln müssen. Das Zeitalter der Kolonialstaaten ist eben zu Ende gegangen. Daran ändern die stärksten Bataillone und die dicksten Panzerkreuzer nichts mehr. Das Pech der Labours war es, daß in ihre Nachkriegsregierung zur Beseitigung der direkten Kriegsfolgen als weitere Belastung die Liquidierung eines Teüs des einst so stolzen Weltreiches kam. Ging es mit Indien noch verhältnismäßig glatt ab, so trafen die Schläge in Mittel- und Nahost um so schmerzhafter. Mit Churchill übernimmt nun weit eher ein Verantwortlicher für die Sünden der Vergangenheit, und sei es nur als Repräsentant seiner Partei, die undankbare Aufgabe, als dies von den Labours behauptet werden könnte.
Spricht also alles dafür, daß der Kriegspremier nur geringfügig den bisherigen außenpolitischen Kurs Großbritanniens zu ändern versuchen wird, so hat er doch eben der persischen Ölkrise und der Auseinandersetzung, insbesondere mit Ägypten, mit seinen Wahlsieg zu verdanken, da innenpolitisch nur der Stop weiterer Sozialisierungsmaßnahmen im Programm der Konservativen für den Ausgang der Wahlen von Bedeutung sein konnte.
Die Entscheidung für die Konservativen leiten wir primär vom gesunden politischen Denken der Briten ab, die, nachdem die Liberalen diesmal in der Hauptsache nur Wähler für die beiden großen Parteien lieferten, sich eben nur zwischen Zweien zu entscheiden hatten, in dem Bewußtsein, daß diese Entscheidung in keinem Falle einen radikalen Umsturz bedeuten würde.
Den Labours fällt nun die Aufgabe der verantwortungsbewußten Opposition zu. Der linke Flügel um Bevan, den Mann, in dem man gerne einen künftigen Premier sieht, hat die Wahlschlacht bestanden. Das wird dazu beitragen, daß die Konservativen es mit einer Opposition zu tun haben werden, die ihnen an Härte, verglichen zu dem Kampf, den sie in den letzten Monaten gegen Attlee führten, nicht nachstehen wird. Beruhigend mag dabei für die britische Bevölkerung sein, daß auch die schärfste Opposition nie den Staat als Ganzes über den eigenen Interessen vergessen wird, was seit je die Stärke Englands im Innern wie nach außen ausgemacht hat. Der Wohlfahrtsstaat, die Politik der Vollbeschäftigung, die schon vollzogene Sozialisierung, all das bleibt, und daran werden auch die Konservativen nicht zu rütteln versuchen. Nicht in einer Restauration, in der Fortführung des Bisherigen liegt die Aufgabe der neuen Regierung, wobei Methoden und Mittel variierbar sind, die Zielsetzung aber die gleiche bleibt: Frieden und soziale Sicherheit.