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FREITAG, 2 6. OKTOBER 1«B1

Auseinandersetzung über Kehl

SPD: Wohieb hat seine Zuständigkeit überschritten Drahtbericht unserer Bonner Redaktion

Bundesregierung, bei der Hohen Kommission zu erreichen, daß von dem Verkauf des Ufa- Vermögens, insbesondere der Bavaria-Film­kunst-GmbH, bis zum Erlaß eines deutschen Gesetzes abgesehen wird.

BONN. In seiner Mittwochsitzung hat der Bundestag in einer fast zweistündigen Debatte zu dem Kehler Hafenvertrag Stellung genom­men, den Staatspräsident Wohieb mit Zu­stimmung der Bundesregierung mit dem Straß­burger Präfekten abgeschlossen hat. Im Ver­lauf der Debatte kündigte die SPD an, sie werde Klage beim Verfassungsgericht einreichen, da der Artikel 59 des Grundgesetzes (Zuständig­keit des Bundestags) bei Abschluß des Ver­trags nicht beachtet worden sei. Mit außer­ordentlich großer Mehrheit wurde ein SPD- Antrag gebilligt, nach dem der außenpolitische Ausschuß des Parlaments den Vertrag, der be­reits unterzeichnet ist, prüfen soll. Im Verlauf der Debatte erklärte Prof. Karl S c h m i d (SPD), bei der Abfassung des Vertrags, der eine einseitige Beschränkung für Kehl bedeu­tet, seischäbige Konkurrenz am Werk gewe­sen Für die Regierung erklärte Staatssekre­tär H a 11 s t e i n , Baden habe im Rahmen sei­ner Zuständigkeit gehandelt, denn der Kehler Hafen sei Staatseigentum und in Hafenfragen seien die Länder zuständig. Einen ähnlichen Standnunkt vertrat der südbadische Abgeord­nete Dr. Kopf (CDU), der allerdings betonte, der Makel der Einseitigkeit dieses Vertrags sei nicht zu bezweifeln, aber es sei alles getan wor­den, um das Beste zu erreichen, und man müsse den Vertrag als eine Vorstufe für bessere Lö­sungen betrachten.

Deutsch-a'liierfe Verträge

Bonn rechnet mit Außenministerberatungen

BONN. Die Außenminister der Westmächte werden sich voraussichtlich in Paris mit den deutsch-alliierten Vertrags Verhandlungen über die Ablösung des Besatzungsstatuts beschäf­tigen. Auf deutscher Seite wird damit gerech­net. daß die Verhandlungen zwischen dem Bun­deskanzler und den drei alliierten Hohen Kom­missaren aktiv vorangetrieben werden, um bis zu den Pariser Gesnrächen zu einem vorläufi­gen Abschluß zu gelangen.

Die Äußerungen Achesons, die Bundes­republik solleeinen ehrenwerten und gleich­berechtigten Anteil an der europäischen Ge­meinschaft erhalten, wird in deutschen Krei­sen dahin gewertet, daß die Amerikaner die Washingtoner Beschlüsse verwirklicht sehen wollen.

Im Zusammenhang mit den Vertragsver­handlungen wird in Bonn «besonders das Ab­kommen begrüßt, das die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich in Zusammen­arbeit mit den Beneluxstaaten über die Auf­lösung der Internationalen Ruhrbehörde und über die Aufhebung der Industriebeschrän­kungen getroffen haben. Die zweite Beratung über den Gesetzentwurf über die Einrichtung einer eurooäischen Union für Kohle und Stahl dürfte daher in Kürze auch im Bundestag wie­der aufgenommen werden.

Wilder Hafenarbeiter-Streik

Keine Zwischenfälle

HAMBURG. Trotz Ablehnung des Streiks durch eine Urabstimmung sind die unständigen Hafenarbeiter von Hamburg und Bremen in einen wilden Streik getreten, der sich gestern noch verschärft hat. nachdem ein Vermittlungs- Vorschlag des Bremer Bürgermeisters Kaisen am Mittwochabend abgelehnt worden war. Die Zahl der Streikenden hat sich in Hamburg ge­stern auf 6000 erhöht. Zu Zwischenfällen ist es nicht gekommen. Die Streikenden versuchen nur, die Arbeitswilligen durch Zureden von ihren Arbeitsplätzen fernzuhalten. Die Polizei hat das ganze Hafengebiet hermetisch abge­schlossen. In Bremen haben gestern etwa 100 der insgesamt 1300 unständig beschäftigten Hafenarbeiter die Arbeit wieder aufgenom­men. Am Mittwoch haben mehrere Frachter den Hafen ungelöscht verlassen oder sind schon auf hoher See in andere Häfen umgeleitet worden.

Ein CDU/CSU-Antrag, der finanzielle Unter­stützung für Kehl verlangt, wurde für erledigt erklärt, da Finanzminister Schäffer die Zusiche­rung gegeben hat, Baden werde für Kehl aus dem Finanzausgleich der Länder 1950 und 1951 insgesamt zwei Millionen DM erhalten. Fer­ner soll ein Darlehen von 5 Millionen DM ge­währt werden. Im weiteren Verlauf dieser Sit­zung wurde die Einsetzung eines Untersu­chungsausschusses zur Prüfung der Personal­politik des Auswärtigen Amtes gemäß einem Antrag der SPD beschlossen.

Einstimmig ersuchte der Bundestag dann die

Landtagsfrage

PJatow Dokumentendiebstahl

BONN. Im Zusammenhang mit dem Fall Platow sind nach Mitteilung der Oberstaats­anwaltschaft Bonn bisher gegen insgesamt 26 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden; davon waren zur Tatzeit 19 Beamte und Angestellte von Bundesbehörden. Gegen sie sind außerdem noch dienststrafrechtliche Maßnahmen in Vorbereitung.

In Kürze ist mit der Anklageerhebung gegen die drei unter dem Verdacht des Dokumenten- diebstahls aus dem Bundeskanzleramt verhaf­teten Personen zu rechnen.

noch ungeklärt

Tübinger Kabinett berät weiter / Die südbadische Klemme

TÜBINGEN. Das Staatsministerium von Württemberg-Hohenzollern erörterte in seiner Mittwochsitzung das Urteil des Bundesverfas­sungsgerichtes über die beiden Gesetze zur staatlichen Neugliederung im südwestdeut­schen Raum. Wegen des außerordentlichen Um­fanges der Urteilsbegründung sie umfaßt 68 Seiten konnte das Staatsministerium seine Beratungen über die Rechtsfolgen des Urteils Württemberg-Hohenzollern ohne Parlament! noch nicht abschließen. Es wird sie in der nächsten Sitzung im Laufe der kom­menden Woche fortsetzen. Die badische Regie­rung hat, nachdem das Bundesverfassungsge­richt das erste Neugliederungsgesetz für nich­tig erklärt hat, zunächst zu entscheiden, ob das vom badischen Landtag am 28. Februar verabschiedete verfassungsändernde Landes­gesetz über die Verlängerung der Amtspe­riode des badischen Landtags ausgeführt oder ob Neuwahlen ausgeschrieben werden sollen. Der badische Landtagspräsident Dr. Person erklärte, er werde seine Geschäfte weiterfüh­ren, bis ein neuer Landtag zustande gekom­men sei. Sobald er es für möglich halte, werde er den vom Landtag gewähltenAusschuß

der Volksvertretung einberufen. Dieser Aus­schuß hat die Rechte der Volksvertretung gegenüber der Landesregierung zu wahren. SPD und FDP haben bereits die Einberufung dieses Ausschusses beantragt.

Die Arbeitsgemeinschaft für die Vereini­gung von Baden und Württemberg weist in einer Erklärung zu dem Karlsruher Urteil dar­auf hin, daß es jetzt keine Möglichkeit mehr für Wohieb gebe, die Entscheidung des Vol­kes äufzuhalten.Unsere Forderung nach der Vereinigung von Baden, Württemberg und Ho- henzoilem im Südweststaat hat einen gewal­tigen Auftrieb erfahren. Daneben verblaßt der altbadische Gedanke mehr und mehr. Der Er­folg liegt vor uns.

Jetzt erst recht, heißt es in einer Erklä­rung der Arbeitsgemeinschaft der Badener zum Urteil des Bundesverfasungsgerichtshofes. Das badische Volk könne dieses Urteil, das die vier Abstimmungsbezirke bestätigt habe, nicht verstehen. Die Badener bedauerten, daß sich das Bundesverfassungsgericht nicht zu einer föderalistisch konsequenteren und demo­kratischeren Auslegung des Grundgesetzes ent­schlossen habe.

Kleine Weltdironik

TÜBINGEN. Als Vertreter des Landes Würt­temberg-Hohenzollern werden Kultminister Dr. Sauer und Staatsrat Vowinkel an einer gemein­samen Sitzung des Kulturausschusses und des Finanzausschusses des Bundesrats teilnehmen, welche sich am Montag in Düsseldorf mit den Problemen der Max-Planck-Gesellschaft und ihrer Institute befassen wird.

STUTTGART. Der Betriebsratsvorsitzende der Robert-Bosch-Werke und kommunistische Stadt­rat, Eugen Eberle, wurde vom Vorstand der Indu­striegewerkschaft Metall seiner Ämter enthoben, weil er sich weigerte, die von allen kommu­nistischen Gewerkschaftsmitgliedern geforderte Loyalitätserklärung zu unterzeichnen.

BADEN-BADEN. Der Rundfunk- und der ^Jer- waltungsrat des Südwestfunks haben die Regie­rungschefs von Rheinland-Pfalz, Baden und Württemberg-Hohenzollern in einer gemein­samen Entschließung gebeten, zu den weiteren Besprechungen über den Südwestfunk-Staatsver­trag Vertreter der Organe des SWF hinzuzu­ziehen. Gleichzeitig wurde eine sechsköpfige Kommission beider Gremien bestimmt, die neue Richtlinien für die Verhandlungen ausarbeiten soll.

GÖTTINGEN. Der Präsident der Max-Planck- Gesellschaft, Nobelpreisträger Prof. Hahn, wurde am Mittwochabend vor seiner Wohnung in Göt­tingen von einem Unbekannten überfallen. Hahn wurde dabei leicht verletzt.

BONN. Im Auftrag der Bundesregierung hat das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen ein Weißbuch veröffentlicht, in dem die Bemühungen der Bundesrepublik um Wiederherstellung der deutschen Einheit durch gesamtdeutsche Wahlen dargestellt werden. Unter der Überschrift Evangelische Kirchen zwischen Ost und West setzte sich der Bischof von Berlin, D. Dibelius, in der WochenzeitungChrist und Welt für Ost-

West-Gespräche ein. Verhandlungsangebote, die von einer Seite gemacht würden, sollten nicht von der anderen Seite mit Verachtung zurück­gewiesen werden. Man solle einander anhören.

LISSABON. Die ehemalige Königin Amelia von Portugal ist am Donnerstag in Versailles im Al­ter von 87 Jahren gestorben. Sie war die Gattin von König Carlos I., der am 1. Februar 1908 in Lissabon erschossen wurde. Die Verstorbene stammte aus dem Hause Bourbon-Orleans und war eine Enkelin des französischen Bürgerkönigs Louis Philipp.

ROM. Uber der von einer schweren Sturm­katastrophe heimgesuchten süditalienischen Land­schaft gehen immer noch pausenlos Regenfälle nieder. Orkanartige Windstöße richteten in den letzten Tagen weitere Schäden an. Die Zahl der Todesopfer hat sich inzwischen auf 71 er­höht. Vom Ätna fließt seit vier Tagen ein zäher Lavastrom zu Tale. In Norditalien sind zahl­reiche Flüsse über die Ufer getreten.

ZAGREB (Jugoslawien). Kirchenpräsident Nie­möller wurde am Mittwoch in den 18köpflgen Vorstand der Zagreber Friedenskonferenz ge­wählt.

STOCKHOLM. Prinz Oscar Carl Wilhelm von Schweden, der Bruder des im vorigen Jahre ver­storbenen Königs Gustav V., ist am Mittwoch im Alter von 90 Jahren in Stockholm gestorben.

MOSKAU. Der neuernannte britische Botschaf­ter in Moskau, Sir Alvary Gascoigne, wurde Mitte der Woche vom sowjetischen Außenmini­ster Wyschinski empfangen. Er wird dieser Tage dem sowjetischen Staatspräsidenten Schwernik sein Beglaubigungsschreiben überreichen.

NEW YORK. Der 6. Jahrestag der Gründung der UN wurde am Mittwoch in allen Mitglied­staaten gefeiert. Am 24. Oktober 1945 trat die UN-Charta in Kraft.

Arbeit iür Karlsruhe

Verfassungsklage gegen KFD und. SRP

BONN. Bundesinnenminister Dr. Robert Lehr kündigte gestern vor Pressevertretern in Bonn an, daß beim Bundesverfassungsge­richt in Kürze eine Klage wegen verfassungs­feindlicher Bestrebungen der SRP und der KPD erhoben werde. Die Vorarbeiten des Bundesinnenministeriums seien inzwischen abgeschlossen. Das von seinem Ministerium zusammengestellte Material werde dem Bun­desverfassungsgericht eine umfangreiche Be­weisaufnahme ermöglichen.

Im Zusammenhang mit der in letzter Zeit gegen den Bundesgrenzschutz erhobenen Kri­tik erklärte der Innenminister, diese Forma­tion käme für einen Einsatz in Streikfällen überhaupt nicht in Betracht. Der Bundes­innenminister könne überhaupt bei einem Streik keine andere Rolle spielen, als daß er sich, soweit dies möglich sei, hin und wieder als Vermittler anbiete. Auch abgesehen vom Bundesgrenzschutz sei ein Einsatz von Bun­despolizei nur nach Artikel 91 des Grundge­setzes möglich. Dazu sei aber Voraussetzung, daßeine drohende Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik oder ihrer demokratischen Grundordnung bestehe

Interzonenhandel

Nur bei freiem Verkehr

BONN. Die allierten Hohen Kommissare und Bundeswirtschaftsminister Erhard stellten in ihrer Besprechung auf dem Petersberg überein­stimmend fest, daß die Beseitigung der Ver­kehrsbeschränkungen zwischen Westberlin und der Bundesrepublik die Vorbedingung für die Durchführung des Interzonenhandelsabkom­mens sei. Die gleiche Ansicht soll den Ost­zonenvertretern bei ihren Düsseldorfer Ver­handlungen mit der westdeutschen Stahlindu­strie nahegebracht worden sein. Die Düsseldor­fer Abmachungen über die Stahllieferungen nach der Ostzone seien durch den deutsch­alliierten Beschluß, an der Beseitigung der Verkehrseinschränkungen als Bedingung fest­zuhalten, nicht in Mitleidenschaft gezogen.

Die schwedische Regierung hat die Ausgabe von Ausfuhrlizenzen für Eisenerze nach West­deutschland gesperrt, bis die Bundesregierung klargestellt hat, wie sie ihren Verpflichtungen zur Lieferung von Kohle nachkommen will. Von schwedischer Seite wird befürchtet, daß die deutschen Kohlenlieferungen um 400 0001 hinter den Verträgen Zurückbleiben werden. Die Schweden ihrerseits müsen noch 900 0001 Erz liefern.

Wiedergutmachung

Neue französische Verordnung in Vorbereitung

BONN. Die französische Hohe Kommission erläßt in Kürze eine Verordnung über die Ab­änderung der in der französischen Zone bisher gültigen Wiedergutmachungsgesetze. Die neue Verordnung wird nach Bildung von Nachfolge­organisationen die Möglichkeit dazu besteht schon in der britischen und amerikanischen Zone gestatten, Ansprüche auf die Güter zu erheben, deren rechtmäßige Eigentümer (Ver­folgte des Nationalsozialismus) bei ihrem Tode keine Erben hinterlassen haben. Der in jedem Land der Bundesrepublik zur Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus eingerich­tete gemeinsame Fonds wird von dieser Ver­ordnung nicht berührt.

Nach einem in London veröffentlichten Weiß­buch zur Aufnahme von Restitutionsbestim­mungen in den Verträgen, die das Besatzungs­statut in Deutschland ablösen sollen, wird den Hohen Kommisaren in den zurzeit mit der deutschen Bundesrepublik geführten Verhand­lungen empfohlen, die Bundesregierung habe die Restitutionsgesetze der Besatzungsbehör­den und die seitherigen Entscheidungen der Restitutionsgerichte durchzuführen und außer­dem einer Überwachung dieser Gerichte durch alliierte Stellen weiterhin zuzustimmen. Die Bundesregierung soll auch die Restitutionsan­sprüche gegen das ehemalige Reich übemeh- ' men.

Ein heiterer Roman von Franz Goßt:

Nachsaison"

Copyright by Schwäb. Verlagsgesellschalt, Tübingen

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Die Schauspielerin hatte Martin eben mit alles erduldender Liebe in ihr Herz geschlos­sen. Für Martin hegte sie eine schlichte und unbeirrbare Treue, die dieser wirklich nicht verdiente. Sie scheute sich auch nicht, diese Bevorzugung öffentlich zu zeigen.

Eine Gelegenheit dazu bot sich wie bestellt und ins Haus geliefert. Zu verdanken war es der Kramer-Berta und dem Buben des Feich- terbauem, die sich nach zweijähriger Über­legung entschlossen hatten, von nun an Tag und Nacht gemeinsam durchs Leben zu gehen. Die Hochzeit fand mit einer zünftigen Tanz­unterhaltung ihren Höhepunkt. Wer im Dorf etwas gelten wollte, mußte dabei sein, teil­weise dem Krämer zuliebe, teilweise weil der Feichterbauer einer derGrößeren war, dem man also die Ehre antun mußte. Das junge Volk freute sich ohnehin über die Abwechs­lung. Der einzige zum Tanzen geeignete Saal war imHirschen und so ergab es sich von selbst, daß auch Herr Myera und die Schau­spielerin Lilo zur Teilnahme eingeladen wa­ren. Beide kamen, ln kurzem Abstand nach­einander, als hereits die Wände unter dem Schleifen und Hopsen zitterten, das zum Rumtata hmtata der mehr kräftig als Schön blasenden Auswahlmannschaft der Dorf­musik vollführt wurde. Zuerst war Herr Myera da. Gemessenen Schrittes zwängte er sich durch den Rummel, grüßte huldvoll dahin und dorthin und seine suchenden Augen entdeck­ten endlich weit hinten im Saal seinen als sol­chen ins treuherzige blaue Auge gefaßten Schwiegervater.

Dienstfertig zog der Obermoser vom Nach­bartisch einen Stuhl heran, wobei es ihm

durchaus nichts ausmachte, daß er nur vor­übergehend frei war, weil sein im wahr­sten Sinne des Wortes Besitzer gerade tanz­te. Was bedeutet ein hinterrüdes entzogener Stuhl gegen die neuen Minen, die noch immer in der Schwebe waren?

Heute wird das Fräulein Lisi doch nicht in der Küche stecken? erkundigte sich Herr Myera sofort ängstlich.Da würde der Abend für mich viel an Reiz verlieren.

Wo denken Sie denn hin, sagte lachend der Obermoser,wenn eine Tanzerei ist, muß sich die Wirtin schon um eine ältere Aushilfe umtun. Da hälts keine Junge hinter dem Herd aus. Die Lisi tanzt halt grad. Das tat sie auch, und zwar mit solcher Hingebung, "daß die Röcke flogen. Den nötigen Schwung dazu gab ihr der Martin. Die unbekümmerte Da­seinsfreude, die sich in ihren Gesichtern spie­gelte, erlosch mit einem Schlag, als sie nach beendetem Tanz zum Tisch kamen und den Amerikaner so feierlich dahocken sahen, als ob er an seiner eigenen Leichenfeier teil­nähme. Seine Anwesenheit war die Ursache, daß ein weiterer Tischnachbar um seinen Stuhl kam. Es gab zwar einen kleinen Wir­bel, als die zwei Tänzer sich so rücksichtslos beraubt sahen, aber die Aufregung legte sich bald wieder. Der Martin machte sich jeden­falls kein Gewissen daraus. Er war gewillt, den ganzen Abend nicht von Lisls Seite zu weichen, mochte der Amerikaner zerplatzen und der Vater sich zehn Kilo vom Leib schwit­zen bei der vielen Arbeit, die so ein Abend brachte. Und mit der gleichen Unbekümmert­heit übersah er die mürrischen Falten im Ge­sicht des Obermosers. Martin hatte jedoch die Rechnung ohne Lilo gemacht. Da er mit dem Rücken gegen den Saal saß, ahnte er nichts vom Verhängnis, das auf ihn zuschwebte, ob­wohl der halbe Saal darauf aufmerksam wurde. Lilo hatte sich wirklich schön gemacht für diesen Abend. Ihr Gesicht bestand fast nur aus einem brennenden Mund und die Au­gen blickten aus schwarzen Rändern lebens­

hungrig in die Welt. Das Kleid stand der sorg­fältigen Bemalung in nichts nach.

Es fehlte nicht im mindesten an der stets neugierigen Öffentlichkeit, als Lilo zielsicher auf Martin zustrebte. Leicht legte sich die Hand auf seine Schulter, aber er fuhr trotz­dem erschreckt zusammen. Ohne Lilo gesehen zu haben, wußte er, wer hinter ihm stand. Am liebsten wäre er blitzschnell unter den Tisch gerutscht und auf der anderen Seite spurlos verschwunden. Aber was möchte man nicht alles im Leben!

Da flötete ihn Lilo auch schon an:Ach, Herr Martin, da sind Sie ja! Ich habe mir fast die Augen nach Ihnen ausgeschaut. Nicht wahr, Sie nehmen sich doch meiner ein bißchen an, bitte, bitte!

Die letzten Worte, hingehaucht, daß sie einen Kannibalen milde gestimmt hätten, gingen fast unter im schon einsetzenden Quieken und Tuten der Musik, das in einen flotten Wal­zer hinüberleitete.

Fein", schmetterte sie ihm ins Ohr,nun können wir gleich tanzen. Mit sanfter Ge­walt zog sie ihn vom Stuhl hoch und an sich heran, was Herr Myera natürlich sofort aus­nützte, um Lisi aufzufordem. Wenn man die Mienen Martins und Lisls bei diesem Walzer betrachtete, mußte man unbedingt zur Ein­sicht kommen, daß Tanzen nicht immer ein reines Vergnügen darstellt.

Alles auf der Welt geht vorüber, auch ein Walzer, der einem endlos vorkommt, und Mar­tin freute sich schon darauf, hernach die an­hängliche Fremde abschütteln zu können und auf seinen Wachtposten zurückzukehren. Er kannte aber entschieden die Macht einer herzinnigen Zuneigung noch nicht zur Ge­nüge, sonst hätte er sicherlich solch hinter­listigen Gedanken weniger freien Lauf gelas­sen. Denn kaum war der Tanz zu Ende, als Lilo sich bei :hrn einliflngte und ihn nach einem kleinen Eric tisch zerrte: ..Setzen wir uns ein bißchen daher. Und Sie sind wohl so nett und erzählen rr'r etwas über all die

Leute, die heute gekommen sind. Ich finde das furchtbar interessant.

Ich weiß nicht, was dabei so interessant wäre, ging er in Abwehr. Aber vergeblich, die Schauspielerin ließ nicht locker.

Sie müssen bedenken, ich habe nie ein sol­ches ländliches Hochzeitsfest mitgemacht und da will ich die seltene Gelegenheit bis zur Neige auskosten.

Innerlich knirschend vor Wut mußte sich Martin in die seinen Wünschen entgegenge­setzte Seite des Saales abführen lassen. Zu allem Unglück schaltete die Musik jetzt noch eine Gulaschpause ein, denn die Blaserei machte Hunger, und so bestand nicht die ge­ringste Aussicht, bald loszukbmmen.

Herr Myera wußte nicht nur bei günstigen Minenverkäufen den richtigen Augenblick zu nützen, sondern auch in anderen Lebensla­gen, und so bemerkte er fröhlich:Na, der junge Kralinger scheint uns untreu geworden zu sein. Dem hats wohl der bunte Vogel an­getan. Als gefälliger Mann bot er auch sofort den seines Zweckes beraubten Stuhl Martins einem verhutzelten Bäuerlein an, das sich an einem der benachbarten Tische nach einer Sitzgelegenheit umsah.

Ists ein bißchen weniger eng am Tisch . fügte er noch hinzu und plauderte unbefangen weiter. Während der Obermoser und der Spengler-Schorsch mit seiner Frau, die am glei­chen Tisch saßen, ganz Ohr waren, hörte di Lisi nur zerstreut hin, da sie genug damit zu tun hatte, den Hals zu recken und das Paa in der Ecke zu beobachten. Was sie sah, nicht darnach, um ihr Herz mit Festesfreua zu erfüllen.

Diese ausgelassene Fremde zupfte an ihr® Martin herum, daß es eine Schande war. un er Heß es sich ohne weiteres gefallen un schnurrte wahrscheinlich dazu wie ein P 0Cl K zufriedener Kater. Männer sind nun emiu so, daß sie sich gleich geschmeichelt fühle , wenn man ihnen um den Bart streicht.

(Fortsetzung roigw