N OMMER 167
FREITAG, 2 6. OKTOBER 1«B1
Auseinandersetzung über Kehl
SPD: Wohieb hat seine Zuständigkeit überschritten Drahtbericht unserer Bonner Redaktion
Bundesregierung, bei der Hohen Kommission zu erreichen, daß von dem Verkauf des Ufa- Vermögens, insbesondere der Bavaria-Filmkunst-GmbH, bis zum Erlaß eines deutschen Gesetzes abgesehen wird.
BONN. In seiner Mittwochsitzung hat der Bundestag in einer fast zweistündigen Debatte zu dem Kehler Hafenvertrag Stellung genommen, den Staatspräsident Wohieb mit Zustimmung der Bundesregierung mit dem Straßburger Präfekten abgeschlossen hat. Im Verlauf der Debatte kündigte die SPD an, sie werde Klage beim Verfassungsgericht einreichen, da der Artikel 59 des Grundgesetzes (Zuständigkeit des Bundestags) bei Abschluß des Vertrags nicht beachtet worden sei. Mit außerordentlich großer Mehrheit wurde ein SPD- Antrag gebilligt, nach dem der außenpolitische Ausschuß des Parlaments den Vertrag, der bereits unterzeichnet ist, prüfen soll. Im Verlauf der Debatte erklärte Prof. Karl S c h m i d (SPD), bei der Abfassung des Vertrags, der eine einseitige Beschränkung für Kehl bedeutet, sei „schäbige Konkurrenz am Werk gewesen“ Für die Regierung erklärte Staatssekretär H a 11 s t e i n , Baden habe im Rahmen seiner Zuständigkeit gehandelt, denn der Kehler Hafen sei Staatseigentum und in Hafenfragen seien die Länder zuständig. Einen ähnlichen Standnunkt vertrat der südbadische Abgeordnete Dr. Kopf (CDU), der allerdings betonte, der Makel der Einseitigkeit dieses Vertrags sei nicht zu bezweifeln, aber es sei alles getan worden, um das Beste zu erreichen, und man müsse den Vertrag als eine Vorstufe für bessere Lösungen betrachten.
Deutsch-a'liierfe Verträge
Bonn rechnet mit Außenministerberatungen
BONN. Die Außenminister der Westmächte werden sich voraussichtlich in Paris mit den deutsch-alliierten Vertrags Verhandlungen über die Ablösung des Besatzungsstatuts beschäftigen. Auf deutscher Seite wird damit gerechnet. daß die Verhandlungen zwischen dem Bundeskanzler und den drei alliierten Hohen Kommissaren aktiv vorangetrieben werden, um bis zu den Pariser Gesnrächen zu einem vorläufigen Abschluß zu gelangen.
Die Äußerungen Achesons, die Bundesrepublik solle „einen ehrenwerten und gleichberechtigten Anteil an der europäischen Gemeinschaft erhalten“, wird in deutschen Kreisen dahin gewertet, daß die Amerikaner die Washingtoner Beschlüsse verwirklicht sehen wollen.
Im Zusammenhang mit den Vertragsverhandlungen wird in Bonn «besonders das Abkommen begrüßt, das die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich in Zusammenarbeit mit den Beneluxstaaten über die Auflösung der Internationalen Ruhrbehörde und über die Aufhebung der Industriebeschränkungen getroffen haben. Die zweite Beratung über den Gesetzentwurf über die Einrichtung einer eurooäischen Union für Kohle und Stahl dürfte daher in Kürze auch im Bundestag wieder aufgenommen werden.
Wilder Hafenarbeiter-Streik
Keine Zwischenfälle
HAMBURG. Trotz Ablehnung des Streiks durch eine Urabstimmung sind die unständigen Hafenarbeiter von Hamburg und Bremen in einen wilden Streik getreten, der sich gestern noch verschärft hat. nachdem ein Vermittlungs- Vorschlag des Bremer Bürgermeisters Kaisen am Mittwochabend abgelehnt worden war. Die Zahl der Streikenden hat sich in Hamburg gestern auf 6000 erhöht. Zu Zwischenfällen ist es nicht gekommen. Die Streikenden versuchen nur, die Arbeitswilligen durch Zureden von ihren Arbeitsplätzen fernzuhalten. Die Polizei hat das ganze Hafengebiet hermetisch abgeschlossen. In Bremen haben gestern etwa 100 der insgesamt 1300 unständig beschäftigten Hafenarbeiter die Arbeit wieder aufgenommen. Am Mittwoch haben mehrere Frachter den Hafen ungelöscht verlassen oder sind schon auf hoher See in andere Häfen umgeleitet worden.
Ein CDU/CSU-Antrag, der finanzielle Unterstützung für Kehl verlangt, wurde für erledigt erklärt, da Finanzminister Schäffer die Zusicherung gegeben hat, Baden werde für Kehl aus dem Finanzausgleich der Länder 1950 und 1951 insgesamt zwei Millionen DM erhalten. Ferner soll ein Darlehen von 5 Millionen DM gewährt werden. Im weiteren Verlauf dieser Sitzung wurde die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Prüfung der Personalpolitik des Auswärtigen Amtes gemäß einem Antrag der SPD beschlossen.
Einstimmig ersuchte der Bundestag dann die
Landtagsfrage
PJatow — Dokumentendiebstahl
BONN. Im Zusammenhang mit dem Fall Platow sind nach Mitteilung der Oberstaatsanwaltschaft Bonn bisher gegen insgesamt 26 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden; davon waren zur Tatzeit 19 Beamte und Angestellte von Bundesbehörden. Gegen sie sind außerdem noch dienststrafrechtliche Maßnahmen in Vorbereitung.
In Kürze ist mit der Anklageerhebung gegen die drei unter dem Verdacht des Dokumenten- diebstahls aus dem Bundeskanzleramt verhafteten Personen zu rechnen.
noch ungeklärt
Tübinger Kabinett berät weiter / Die südbadische Klemme
TÜBINGEN. Das Staatsministerium von Württemberg-Hohenzollern erörterte in seiner Mittwochsitzung das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes über die beiden Gesetze zur staatlichen Neugliederung im südwestdeutschen Raum. Wegen des außerordentlichen Umfanges der Urteilsbegründung — sie umfaßt 68 Seiten — konnte das Staatsministerium seine Beratungen über die Rechtsfolgen des Urteils — Württemberg-Hohenzollern ohne Parlament! — noch nicht abschließen. Es wird sie in der nächsten Sitzung im Laufe der kommenden Woche fortsetzen. Die badische Regierung hat, nachdem das Bundesverfassungsgericht das erste Neugliederungsgesetz für nichtig erklärt hat, zunächst zu entscheiden, ob das vom badischen Landtag am 28. Februar verabschiedete verfassungsändernde Landesgesetz über die Verlängerung der Amtsperiode des badischen Landtags ausgeführt oder ob Neuwahlen ausgeschrieben werden sollen. Der badische Landtagspräsident Dr. Person erklärte, er werde seine Geschäfte weiterführen, bis ein neuer Landtag zustande gekommen sei. Sobald er es für möglich halte, werde er den vom Landtag gewählten „Ausschuß
der Volksvertretung“ einberufen. Dieser Ausschuß hat die Rechte der Volksvertretung gegenüber der Landesregierung zu wahren. SPD und FDP haben bereits die Einberufung dieses Ausschusses beantragt.
Die Arbeitsgemeinschaft für die Vereinigung von Baden und Württemberg weist in einer Erklärung zu dem Karlsruher Urteil darauf hin, daß es jetzt keine Möglichkeit mehr für Wohieb gebe, die Entscheidung des Volkes äufzuhalten. „Unsere Forderung nach der Vereinigung von Baden, Württemberg und Ho- henzoilem im Südweststaat hat einen gewaltigen Auftrieb erfahren. Daneben verblaßt der altbadische Gedanke mehr und mehr. Der Erfolg liegt vor uns.
„Jetzt erst recht“, heißt es in einer Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der Badener zum Urteil des Bundesverfasungsgerichtshofes. Das badische Volk könne dieses Urteil, das die vier Abstimmungsbezirke bestätigt habe, nicht verstehen. Die Badener bedauerten, daß sich das Bundesverfassungsgericht nicht zu einer föderalistisch konsequenteren und demokratischeren Auslegung des Grundgesetzes entschlossen habe.
Kleine Weltdironik
TÜBINGEN. Als Vertreter des Landes Württemberg-Hohenzollern werden Kultminister Dr. Sauer und Staatsrat Vowinkel an einer gemeinsamen Sitzung des Kulturausschusses und des Finanzausschusses des Bundesrats teilnehmen, welche sich am Montag in Düsseldorf mit den Problemen der Max-Planck-Gesellschaft und ihrer Institute befassen wird.
STUTTGART. Der Betriebsratsvorsitzende der Robert-Bosch-Werke und kommunistische Stadtrat, Eugen Eberle, wurde vom Vorstand der Industriegewerkschaft Metall seiner Ämter enthoben, weil er sich weigerte, die von allen kommunistischen Gewerkschaftsmitgliedern geforderte Loyalitätserklärung zu unterzeichnen.
BADEN-BADEN. Der Rundfunk- und der ^Jer- waltungsrat des Südwestfunks haben die Regierungschefs von Rheinland-Pfalz, Baden und Württemberg-Hohenzollern in einer gemeinsamen Entschließung gebeten, zu den weiteren Besprechungen über den Südwestfunk-Staatsvertrag Vertreter der Organe des SWF hinzuzuziehen. Gleichzeitig wurde eine sechsköpfige Kommission beider Gremien bestimmt, die neue Richtlinien für die Verhandlungen ausarbeiten soll.
GÖTTINGEN. Der Präsident der Max-Planck- Gesellschaft, Nobelpreisträger Prof. Hahn, wurde am Mittwochabend vor seiner Wohnung in Göttingen von einem Unbekannten überfallen. Hahn wurde dabei leicht verletzt.
BONN. Im Auftrag der Bundesregierung hat das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen ein Weißbuch veröffentlicht, in dem die Bemühungen der Bundesrepublik um Wiederherstellung der deutschen Einheit durch gesamtdeutsche Wahlen dargestellt werden. — Unter der Überschrift „Evangelische Kirchen zwischen Ost und West“ setzte sich der Bischof von Berlin, D. Dibelius, in der Wochenzeitung „Christ und Welt“ für Ost-
West-Gespräche ein. Verhandlungsangebote, die von einer Seite gemacht würden, sollten nicht von der anderen Seite mit Verachtung zurückgewiesen werden. Man solle einander anhören.
LISSABON. Die ehemalige Königin Amelia von Portugal ist am Donnerstag in Versailles im Alter von 87 Jahren gestorben. Sie war die Gattin von König Carlos I., der am 1. Februar 1908 in Lissabon erschossen wurde. Die Verstorbene stammte aus dem Hause Bourbon-Orleans und war eine Enkelin des französischen Bürgerkönigs Louis Philipp.
ROM. Uber der von einer schweren Sturmkatastrophe heimgesuchten süditalienischen Landschaft gehen immer noch pausenlos Regenfälle nieder. Orkanartige Windstöße richteten in den letzten Tagen weitere Schäden an. Die Zahl der Todesopfer hat sich inzwischen auf 71 erhöht. Vom Ätna fließt seit vier Tagen ein zäher Lavastrom zu Tale. In Norditalien sind zahlreiche Flüsse über die Ufer getreten.
ZAGREB (Jugoslawien). Kirchenpräsident Niemöller wurde am Mittwoch in den 18köpflgen Vorstand der Zagreber Friedenskonferenz gewählt.
STOCKHOLM. Prinz Oscar Carl Wilhelm von Schweden, der Bruder des im vorigen Jahre verstorbenen Königs Gustav V., ist am Mittwoch im Alter von 90 Jahren in Stockholm gestorben.
MOSKAU. Der neuernannte britische Botschafter in Moskau, Sir Alvary Gascoigne, wurde Mitte der Woche vom sowjetischen Außenminister Wyschinski empfangen. Er wird dieser Tage dem sowjetischen Staatspräsidenten Schwernik sein Beglaubigungsschreiben überreichen.
NEW YORK. Der 6. Jahrestag der Gründung der UN wurde am Mittwoch in allen Mitgliedstaaten gefeiert. Am 24. Oktober 1945 trat die UN-Charta in Kraft.
Arbeit iür Karlsruhe
Verfassungsklage gegen KFD und. SRP
BONN. Bundesinnenminister Dr. Robert Lehr kündigte gestern vor Pressevertretern in Bonn an, daß beim Bundesverfassungsgericht in Kürze eine Klage wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen der SRP und der KPD erhoben werde. Die Vorarbeiten des Bundesinnenministeriums seien inzwischen abgeschlossen. Das von seinem Ministerium zusammengestellte Material werde dem Bundesverfassungsgericht eine umfangreiche Beweisaufnahme ermöglichen.
Im Zusammenhang mit der in letzter Zeit gegen den Bundesgrenzschutz erhobenen Kritik erklärte der Innenminister, diese Formation käme für einen Einsatz in Streikfällen überhaupt nicht in Betracht. Der Bundesinnenminister könne überhaupt bei einem Streik keine andere Rolle spielen, als daß er sich, soweit dies möglich sei, hin und wieder als Vermittler anbiete. Auch abgesehen vom Bundesgrenzschutz sei ein Einsatz von Bundespolizei nur nach Artikel 91 des Grundgesetzes möglich. Dazu sei aber Voraussetzung, daß „eine drohende Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik oder ihrer demokratischen Grundordnung“ bestehe
Interzonenhandel
Nur bei freiem Verkehr
BONN. Die allierten Hohen Kommissare und Bundeswirtschaftsminister Erhard stellten in ihrer Besprechung auf dem Petersberg übereinstimmend fest, daß die Beseitigung der Verkehrsbeschränkungen zwischen Westberlin und der Bundesrepublik die Vorbedingung für die Durchführung des Interzonenhandelsabkommens sei. Die gleiche Ansicht soll den Ostzonenvertretern bei ihren Düsseldorfer Verhandlungen mit der westdeutschen Stahlindustrie nahegebracht worden sein. Die Düsseldorfer Abmachungen über die Stahllieferungen nach der Ostzone seien durch den deutschalliierten Beschluß, an der Beseitigung der Verkehrseinschränkungen als Bedingung festzuhalten, nicht in Mitleidenschaft gezogen.
Die schwedische Regierung hat die Ausgabe von Ausfuhrlizenzen für Eisenerze nach Westdeutschland gesperrt, bis die Bundesregierung klargestellt hat, wie sie ihren Verpflichtungen zur Lieferung von Kohle nachkommen will. Von schwedischer Seite wird befürchtet, daß die deutschen Kohlenlieferungen um 400 0001 hinter den Verträgen Zurückbleiben werden. Die Schweden ihrerseits müsen noch 900 0001 Erz liefern.
Wiedergutmachung
Neue französische Verordnung in Vorbereitung
BONN. Die französische Hohe Kommission erläßt in Kürze eine Verordnung über die Abänderung der in der französischen Zone bisher gültigen Wiedergutmachungsgesetze. Die neue Verordnung wird nach Bildung von Nachfolgeorganisationen — die Möglichkeit dazu besteht schon in der britischen und amerikanischen Zone — gestatten, Ansprüche auf die Güter zu erheben, deren rechtmäßige Eigentümer (Verfolgte des Nationalsozialismus) bei ihrem Tode keine Erben hinterlassen haben. Der in jedem Land der Bundesrepublik zur Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus eingerichtete gemeinsame Fonds wird von dieser Verordnung nicht berührt.
Nach einem in London veröffentlichten Weißbuch zur Aufnahme von Restitutionsbestimmungen in den Verträgen, die das Besatzungsstatut in Deutschland ablösen sollen, wird den Hohen Kommisaren in den zurzeit mit der deutschen Bundesrepublik geführten Verhandlungen empfohlen, die Bundesregierung habe die Restitutionsgesetze der Besatzungsbehörden und die seitherigen Entscheidungen der Restitutionsgerichte durchzuführen und außerdem einer Überwachung dieser Gerichte durch alliierte Stellen weiterhin zuzustimmen. Die Bundesregierung soll auch die Restitutionsansprüche gegen das ehemalige Reich übemeh- '■ men.
Ein heiterer Roman von Franz Goßt:
„Nachsaison"
Copyright by Schwäb. Verlagsgesellschalt, Tübingen
19 ]
Die Schauspielerin hatte Martin eben mit alles erduldender Liebe in ihr Herz geschlossen. Für Martin hegte sie eine schlichte und unbeirrbare Treue, die dieser wirklich nicht verdiente. Sie scheute sich auch nicht, diese Bevorzugung öffentlich zu zeigen.
Eine Gelegenheit dazu bot sich wie bestellt und ins Haus geliefert. Zu verdanken war es der Kramer-Berta und dem Buben des Feich- terbauem, die sich nach zweijähriger Überlegung entschlossen hatten, von nun an Tag und Nacht gemeinsam durchs Leben zu gehen. Die Hochzeit fand mit einer zünftigen Tanzunterhaltung ihren Höhepunkt. Wer im Dorf etwas gelten wollte, mußte dabei sein, teilweise dem Krämer zuliebe, teilweise weil der Feichterbauer einer der „Größeren“ war, dem man also die Ehre antun mußte. Das junge Volk freute sich ohnehin über die Abwechslung. Der einzige zum Tanzen geeignete Saal war im „Hirschen“ und so ergab es sich von selbst, daß auch Herr Myera und die Schauspielerin Lilo zur Teilnahme eingeladen waren. Beide kamen, ln kurzem Abstand nacheinander, als hereits die Wände unter dem Schleifen und Hopsen zitterten, das zum „Rumtata — hmtata“ der mehr kräftig als Schön blasenden Auswahlmannschaft der Dorfmusik vollführt wurde. Zuerst war Herr Myera da. Gemessenen Schrittes zwängte er sich durch den Rummel, grüßte huldvoll dahin und dorthin und seine suchenden Augen entdeckten endlich weit hinten im Saal seinen als solchen ins treuherzige blaue Auge gefaßten Schwiegervater.
Dienstfertig zog der Obermoser vom Nachbartisch einen Stuhl heran, wobei es ihm
durchaus nichts ausmachte, daß er nur vorübergehend frei war, weil sein — im wahrsten Sinne des Wortes — Besitzer gerade tanzte. Was bedeutet ein hinterrüdes entzogener Stuhl gegen die neuen Minen, die noch immer in der Schwebe waren?
„Heute wird das Fräulein Lisi doch nicht in der Küche stecken?“ erkundigte sich Herr Myera sofort ängstlich. „Da würde der Abend für mich viel an Reiz verlieren.“
„Wo denken Sie denn hin“, sagte lachend der Obermoser, „wenn eine Tanzerei ist, muß sich die Wirtin schon um eine ältere Aushilfe umtun. Da hält’s keine Junge hinter dem Herd aus. Die Lisi tanzt halt grad.“ Das tat sie auch, und zwar mit solcher Hingebung, "daß die Röcke flogen. Den nötigen Schwung dazu gab ihr der Martin. Die unbekümmerte Daseinsfreude, die sich in ihren Gesichtern spiegelte, erlosch mit einem Schlag, als sie nach beendetem Tanz zum Tisch kamen und den Amerikaner so feierlich dahocken sahen, als ob er an seiner eigenen Leichenfeier teilnähme. Seine Anwesenheit war die Ursache, daß ein weiterer Tischnachbar um seinen Stuhl kam. Es gab zwar einen kleinen Wirbel, als die zwei Tänzer sich so rücksichtslos beraubt sahen, aber die Aufregung legte sich bald wieder. Der Martin machte sich jedenfalls kein Gewissen daraus. Er war gewillt, den ganzen Abend nicht von Lisls Seite zu weichen, mochte der Amerikaner zerplatzen und der Vater sich zehn Kilo vom Leib schwitzen bei der vielen Arbeit, die so ein Abend brachte. Und mit der gleichen Unbekümmertheit übersah er die mürrischen Falten im Gesicht des Obermosers. Martin hatte jedoch die Rechnung ohne Lilo gemacht. Da er mit dem Rücken gegen den Saal saß, ahnte er nichts vom Verhängnis, das auf ihn zuschwebte, obwohl der halbe Saal darauf aufmerksam wurde. Lilo hatte sich wirklich schön gemacht für diesen Abend. Ihr Gesicht bestand fast nur aus einem brennenden Mund und die Augen blickten aus schwarzen Rändern lebens
hungrig in die Welt. Das Kleid stand der sorgfältigen Bemalung in nichts nach.
Es fehlte nicht im mindesten an der stets neugierigen Öffentlichkeit, als Lilo zielsicher auf Martin zustrebte. Leicht legte sich die Hand auf seine Schulter, aber er fuhr trotzdem erschreckt zusammen. Ohne Lilo gesehen zu haben, wußte er, wer hinter ihm stand. Am liebsten wäre er blitzschnell unter den Tisch gerutscht und auf der anderen Seite spurlos verschwunden. Aber was möchte man nicht alles im Leben!
Da flötete ihn Lilo auch schon an: „Ach, Herr Martin, da sind Sie ja! Ich habe mir fast die Augen nach Ihnen ausgeschaut. Nicht wahr, Sie nehmen sich doch meiner ein bißchen an, bitte, bitte!“
Die letzten Worte, hingehaucht, daß sie einen Kannibalen milde gestimmt hätten, gingen fast unter im schon einsetzenden Quieken und Tuten der Musik, das in einen flotten Walzer hinüberleitete.
„Fein", schmetterte sie ihm ins Ohr, „nun können wir gleich tanzen.“ Mit sanfter Gewalt zog sie ihn vom Stuhl hoch und an sich heran, was Herr Myera natürlich sofort ausnützte, um Lisi aufzufordem. Wenn man die Mienen Martins und Lisls bei diesem Walzer betrachtete, mußte man unbedingt zur Einsicht kommen, daß Tanzen nicht immer ein reines Vergnügen darstellt.
Alles auf der Welt geht vorüber, auch ein Walzer, der einem endlos vorkommt, und Martin freute sich schon darauf, hernach die anhängliche Fremde abschütteln zu können und auf seinen Wachtposten zurückzukehren. Er kannte aber entschieden die Macht einer herzinnigen Zuneigung noch nicht zur Genüge, sonst hätte er sicherlich solch hinterlistigen Gedanken weniger freien Lauf gelassen. Denn kaum war der Tanz zu Ende, als Lilo sich bei :hrn einliflngte und ihn nach einem kleinen Eric tisch zerrte: ..Setzen wir uns ein bißchen daher. Und Sie sind wohl so nett und erzählen rr'r etwas über all die
Leute, die heute gekommen sind. Ich finde das furchtbar interessant.“
„Ich weiß nicht, was dabei so interessant wäre“, ging er in Abwehr. Aber vergeblich, die Schauspielerin ließ nicht locker.
„Sie müssen bedenken, ich habe nie ein solches ländliches Hochzeitsfest mitgemacht und da will ich die seltene Gelegenheit bis zur Neige auskosten.“
Innerlich knirschend vor Wut mußte sich Martin in die seinen Wünschen entgegengesetzte Seite des Saales abführen lassen. Zu allem Unglück schaltete die Musik jetzt noch eine Gulaschpause ein, denn die Blaserei machte Hunger, und so bestand nicht die geringste Aussicht, bald loszukbmmen.
Herr Myera wußte nicht nur bei günstigen Minenverkäufen den richtigen Augenblick zu nützen, sondern auch in anderen Lebenslagen, und so bemerkte er fröhlich: „Na, der junge Kralinger scheint uns untreu geworden zu sein. Dem hat’s wohl der bunte Vogel angetan.“ — Als gefälliger Mann bot er auch sofort den seines Zweckes beraubten Stuhl Martins einem verhutzelten Bäuerlein an, das sich an einem der benachbarten Tische nach einer Sitzgelegenheit umsah.
„Ist’s ein bißchen weniger eng am Tisch . fügte er noch hinzu und plauderte unbefangen weiter. Während der Obermoser und der Spengler-Schorsch mit seiner Frau, die am gleichen Tisch saßen, ganz Ohr waren, hörte di Lisi nur zerstreut hin, da sie genug damit zu tun hatte, den Hals zu recken und das Paa in der Ecke zu beobachten. Was sie sah, nicht darnach, um ihr Herz mit Festesfreua zu erfüllen.
Diese ausgelassene Fremde zupfte an ihr® Martin herum, daß es eine Schande war. un er Heß es sich ohne weiteres gefallen un schnurrte wahrscheinlich dazu wie ein P 0Cl K zufriedener Kater. Männer sind nun emiu so, daß sie sich gleich geschmeichelt fühle , wenn man ihnen um den Bart streicht.
(Fortsetzung roigw