Verwirklichung des Ahlener Programms
Ministerpräsident Arnold fordert soziale Wirtschaftspolitik in Karlsruhe
Arnold warnte davor, an die Verwirklichung des Aalener Programms erst dann zu gehen, wenn die sozialen Spannungen ins Unerträgliche gestiegen wären, da es dann für „überlegte Maßnahmen zu spät“ sein könnte.
KARLSRUHE. Auf dem Bundesparteitag der CDU in Karlsruhe wurde wiederholt die Verwirklichung des Ahlener Programms, das die Grundsätze der Machtverteilung, der Mitbestimmung und der Gewinnverteilung festlegt, gefordert. Im Hauptreferat erklärte der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold, breite Schichten der Bevölkerung wollten nicht glauben, daß mit den Wirtschaftsmethoden von heute die Gegenwartsprobleme noch gemeistert werden könnten. Die gegenwärtige Konjunktur werde mit großer Skepsis verfolgt und die Hoffnung für trügerisch angesehen, man könne durch außenpolitische Erfolge die innere labile Lage beseitigen. Die soziale Festigung im Innern sei die Voraussetzung für eine erfolgreiche Außenpolitik.
Die im Ahlener Programm erfolgte Absage an die Anonymität der Verantwortung beim Großkapital und die Absage an den bürokra- tisierten Staatskapitalismus schalteten die Möglichkeit aus. die Verluste zu sozialisieren, etwaige Gewinne aber zu kapitalisieren. Das Programm empfehle andere und bessere Methoden als „Subventionswirtschaft und Staatskapitalismus.“
Das Hauptgewicht sei auf privates Eigentumsrecht, Initiative und Verantwortung gelegt worden. Dem Privatbesitzer könne man die Verantwortung nicht auferlegen, sofern die Initiative nicht bei ihm, sondern bei einem von ihm so gut wie unabhängigen Manager liege, woraus sich eine anonyme Unverantwortlichkeit ergebe. Die Großbetriebe seien eine Gefahrenquelle, der man sich nicht durch Hinweis auf das Privateigentum verschließen könne. So wenig es ein Dogma gebe, das zur Verstaatlichung auffordere, so wenig gebe es eines, das eine vernünftige Vergesellschaftung von Industrien, bei denen das Privateigentum nur noch nominell in Erscheinung trete, verdamme.
Die Ahlener Grundsätze erschienen ihm besonders geeignet, das soziale Gefüge zu festigen durch eine gerechte Besitzverteilung. Der Begriff der „Vergesellschaftung“ monopolartiger Grundstoffindustrien erhalte einen neuen Sinn, wenn der Arbeiterschaft auf Grund eigener Leistungen ein Anteil Zuwachse. Bei diesen Industrien sei mit einem Gewinn so bald nicht zu rechnen, woran auch eine Verstaatlichung nichts ändern könne. Vielmehr sei eine freiwillige Beihilfe der verarbeitenden Industrien von mindestens drei Milliarden DM notwendig und darüber hinaus würden noch weitere Investitionen erforderlich, für die es einen Kapitalmarkt noch nicht gebe.
Am t. Januar
Kehler Hafen wird frei FREIBURG. Der Kehler Hafen wird am 1. Januar 1952 für die deutsche Schiffahrt freigegeben. Nach einem Ende letzter Woche Unterzeichneten Abkommen zwischen dem Lande Baden und der Hafenverwaltung von Straßburg, wird das Gebiet des Kehler Hafens dann einer deutsch-französischen Verwaltung unterstellt. Das Abkommen bleibt bis zum Inkrafttreten einer Friedensregelung zwischen Deutschland und Frankreich in Kraft. Es kann jedoch auf Antrag eines Vertragspartners und in beiderseitigem Einverständnis bereits früher an sich neu ergebende Verhältnisse angepaßt werden.
Der südbadische Staatspräsident Leo Wohieb erklärte, durch ein Zusatzprotokoll über die rechtliche Auslegung verschiedener Punkte des Hafenvertrages seien die Befürchtungen zerstreut worden, daß die französische Gruppe auf die der deutschen Gruppe ausdrücklich vorbehaltenen Gebiete einen maßgeblichen Einfluß gewinnen könnte. Die Behauptung, daß mit dem Vertrag alle Rechte einseitig in französische Hände gelegt würden, falle damit ln sich zusammen.
Die Bedenken wegen drohender Machtverschiebungen auf Grund des Erwerbs von Beteiligungen an den Grundstoffindustrien durch kapitalkräftige Unternehmer würden schwinden, wenn auch die Arbeitnehmer mit einem bestimmten Satz daran teilnehmen könnten. Lohnerhöhungen, die sich nur auf den Konsumsektor auswirkten, schadeten der Wirtschaft. Würde aber eine neue Berechnung des gerechten Lohnes in der Form durchgeführt, daß eine höhere Belohnung für Investitionen Verwendung fände, so könnte dies sogar wirtschaftlich wünschenswert sein. Dies müßte so erfolgen, daß ein Teil der entnommenen Gewinne durch sie den wichtigen Investitionsvorhaben zuflösse.
In der Frage des Mitbestimmungsrechts äußerte Arnold, es werde zu Unrecht dagegen Sturm gelaufen. Man habe den Eindruck, daß geradezu der Mißerfolg der neuen Idee der Partnerschaft gewünscht werde. Soziale Partnerschaft erstrebe nicht schematische Gleichheit, sondern gehe vom Gedanken der gegenseitigen Ergänzung aus. Gegen die oft ausgesprochenen Gefahr einer Kollektivverantwortlichkeit, die die Unternehmerinitiative ungebührlich einenge, sei einzuwenden, daß dort, wo das Mitbestimmungsrecht bereits eingeführt wurde, solche Tendenzen n ; cht aufgetreten seien. Man müsse endlich aus dem Stadium des Diskutierens herauskommen, und zu Beratungen übergehen, welche Aufgabe der Bundeswirtschaftsrat erfüllen könne.
-a. Der Parteitag der CDU in Karlsruhe hat mit einem Vertrauensvotum für die Politik der Bundesregierung und insbesondere für den Bundeskanzler seinen Abschluß gefunden. „Die Wiedervereinigung Deutschands in Freiheit in einem geeinten Europa“ als Auftrag verpflichtet die Bundesregierung, ihre Anstrengungen in dieser Richtung fortzusetzen, ja zu intensivieren. Daneben stand, nicht weniger gewichtig, das Thema: Wie kann der soziale Frieden im Innern gesichert werden. Hier wurden Forderungen laut, die einen Geist der sozialen Verpflichtung von Unternehmer und Arbeitnehmer herausstellten. Nicht verschwiegen wurde, daß noch viel zu tun sei. Ministerpräsident Arnolds Warnung, man möge sich ernsthaft mit der Verwirklichung des Ahlener Programms befassen, ehe es für „überlegte Maßnahmen“ zu spät sein würde, und seine Mahnung, in der Frage der Mitbestimmung eine positive Haltung einzunehmen, wird hoffentlich nicht sofort wieder vergessen. Eine reiche Ausschußarbeit formulierte die Ziele der Parteiarbeit der CDU aus dem Geiste der Verantwortung heraus, der der Partei, auf die die Bundesregierung sich zuallererst stützt, wohl ansteht. Die gesunde Mischung von konservativen und fortschrittlichen Gedanken ist geeignet, das Vertrauen in den staatserhaltenden Willen der CDU zu stärken und die Gerüchte um eine Krise zu zerstreuen.
Kleine Weltdironik
STUTTGART. Das wiirtt.-badische Innenministerium wies in einem Erlaß darauf hin, daß der Gruß gegenüber dem Bundeskanzler, Mitgliedern der Bundesregierung und der Landesregierung „selbstverständliche Ehrenpflicht jedes unifor- m.erten Polizeibeamten“ sei. Im Verkehr mit der 1 ><-''ö *tiung und untereinznöer hatten die Folizcubearr.ten in allen Fällen, in denen ein Gruß üblich sei, durch Anlegen der rechten Hand an die Kopfbedeckung zu grüßen.
FREIBURG. Der Landesleiter der Industriegewerkschaft Chemie. Papier, Keramik in Südbaden, Max Faulha'oer, ist vom Hauptvorstand der Gewerkschaften seines Amtes enthoben -wor- den. Er soll innerhalb der Gewerkschaften kommunistische Propaganda betrieben haben.
BONN. In einer Stellungnahme zu den Verlautbarungen führender Persönlichkeiten des Verbendes deutscher Soldaten beschloß der Vorstand des Verbandes der Heimkehrer, Kriegsgefangenen- und Vermißten-Angehörigen, eine Verbindung mit dem Dachverband des VdS. abzulehnen und nur örtlich ln sozialpolitischen und Kriegsgefangenen-Angelegenheiten eine Zusammenarbeit mit anderen Soldatenverbänden einzugehen, wenn sich die Gesprächspartner zu der grundsätzlich staatsbejahenden demokratischen Mallung des Verjaities der Heimkehrer bekennen würden.
BONN. Der ehemalige Reichskanzler Dr. Brüning hat sich bereit erklärt, den Lehrstuhl für politische Wissenschaften an der Universität Köln zu übernehmen. Er wird sein Amt voraussichtlich am 1. November antreten. Bis jetzt war Brüning Professor an der Harvard-Universität in Cambridge (USA).
BONN. Bundesflnanzminister Schäffer wies Berichte zurück, in denen von einem „Vergnügungs-Notopfer“ gesprochen wurde, das dem Bund im Jahr zwei Milliarden DM zuführen solle. Diese Berichte seien Phantastereien.
DÜSSELDORF. Der ehemalige SS-Panzergeneral Kurt Meyer — als „Panzer-Meyer“ bekannt — ist nach seiner Überführung von Kanada in das Gefängnis Werl eingeliefert worden. Meyer hat eine lebenslängliche Zuchthausstrafe wegen Kriegsverbrechen abzubüßen. Ein Ersuchen der Bundesregierung, Meyer zu begnadigen, hat die kanadische Regierung abgelehnt.
DUISBURG. Der im Alter von 77 Jahren verstorbene ehemalige Reichsinnenminister und langjährige Oberbürgermeister von Duisburg, einstmals Anwärter auf den Reichspräsidentenposten, Dr Karl Jarres, wird heute in Duisburg beigesetzt.
BERLIN. Die Mitglieder des Bundestagsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten eröff- neten am Montagmittag ihre Beratungen im Schöneberger Rathaus Es ist das erstemal, daß der Ausschuß in Berlin tagt.
BRÜSSEL. Der belgische Bergbau lehnt den Schumanplan in seiner augenblicklichen Gestalt mit der Begründung ab, die Bundesrepublik würde dadurch der Hauptkohlelieferant Belgiens werden und eine völlige Vorherrschaft auf diesem Gebiet eringen.
WIEN Zwei Tanks des Erdölfeldes von Zistersdorf in der sowjetischen Besatzungszone Österreichs sind am Montagabend explodiert. 30 Feuerlöschzüge aus Niederösterreich wurden eingesetzt, um weitere sieben Tanks vor den Flammen zu bewahren.
ROM. Bei der Unwetterkatastrophe in Süditalien, Sizilien und Sardinien sind nach bisherigen Ermittlungen mehr als 100 Personen ums Leben gekommen. Riesige Schlammseen, ein grauenvolles Gewirr eingestürzter Häuser und Brüchen, Deichbrüche und nachgebende Hausfundamente kennzeichnen die betroffenen Gebiete. Besonders Kalabrien, die ärmste Provinz Italiens, ist schwer heimgesucht worden.
SAIGON. Der Stabschef des amerikanischen Heeres, General Collins, traf zu einem dreitägigen Besuch in Indochina ein.
TAIPEH. Die Insel Formosa wurde am Montag von einen; starken Erdbeb \i heimgesuchr, das beträchtliche Schaden verursachte. Nachrichtenverbindungen, Straßen- und Eisenbahnlinien sind an vielen Stellen unterbrochen, Hunderte ,: on Gebäuden eingestürzt. Mindestens 32 Personen wurden getötet und mehr als 100 verletzt. Insgesamt wurden sieben Erdstöße registriert.
NEW YORK. Der New Yorker Hafen wurde am Dienstag durch den wilden Streik der Dockarbeiter fast völlig lahmgelegt. Der Hafen ist durch Schiffe aller Art, die auf Abfertigung warten, verstopft. Der Streik dauert schon eine Woche an, hat aber erst jetzt bedrohlichen Umfang angenommen.
WASHINGTON. Im Dezember dieses Jahres wird die Zahl der Todesopfer bei Autounfällen in den USA eine Million erreicht haben. In den acht Kriegen und Bürgerkriegen, die die USA seit 1775 durchmachten, hat die Zahl der Gefallenen, Korea eingeschlossen, die Millionengrenze erst um einige tausend überstiegen.
CARACAS. Bei wiederholten Aufstands- und Attentatsversuchen in Venezuela wurden in den letzten zehn Tagen neun Personen getötet, 16 verwundet und hundert verhaftet. Die revolutionären Bewegungen werden der verbotenen Partei der demokratischen Aktion zugeschrieben.
Vorsichtige Wahlprognosen
Morgen Wahlen in Großbritannien LONDON. Der Kampf um die drei Prozent noch unentschiedenen Wähler, die den Ausgang der morgen stattfindenden englischen Wahlen voraussichtlich entscheiden werden, entbrannte in den letzten Tagen in voller Heftigkeit. Beide Parteien sagten zwar ihren Sieg voraus, waren jedoch sehr zurückhaltend mit Prognosen über die Sitzzahl, was denjenigen Kreisen immer mehr recht zu geben scheint, die auf einen knappen Ausgang tippen.
Von der Konservativen Parteileitung wird mit einer Mehrheit von „mindestens 35 Sitzen“ gerechnet gegenüber 100 bis 150 vor 14 Tagen. Die Labour Partei ließ durch einen Snrecher erklären, sie werde mit 30 Sitzen Mehrheit in das neue Unterhaus einziehen.
Die Labour-Regierung will vor den Wahlen keine außenpolitische Entscheidung mehr treffen, um zu vermeiden, daß bei einem Wechsel der Regierung der Nachfolger an Entscheidungen gebunden ist, die er unter Umständen nicht billigt. Davon werden in erster Linie die persische Erdölfrage und die Ägyptenkrise betroffen.
Kumm er muß contra Dehler
Auch Kritik an Fette STUTTGART. Der erste Vorsitzende der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Adolf Kummernuß, wandte sich auf der Delegiertenversammlung des Bezirks Württemberg-Baden der ÖTV scharf gegen Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler. Die Äußerungen Dr. Dehlers stellten das „Unverschämteste“ dar, was jemals seit 1945 gegen die Deutsche Gewerkschaftsbewegung vorgebracht worden sei. Zwar habe Dehler seine Rede nicht gehalten, aber das Manuskript habe Vorgelegen. Die Bemerkung, die Gewerkschaftsbürokratie sei das „bösartigste Geschwür am Volkskörper“ sei eine Diffamierung von sechs Millionen deutscher Arbeiter, die die Gewerkschaftsbürokratie vertrete. Als gefährliche Faktoren für den Bestand der Demokratie bezeichnete Kummernuß neben den restaurierten alten Wirtschaftskräften eine gewisse nationalsozialistische Ministerialbürokratie, die schlagenden studentischen Verbindungen, sowie die Soldatenbünde.
Dem ersten Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Christian Fette, müsse der Vorwurf gemacht werden, daß er die Vertreter der Soldatenbünde überhaupt empfangen habe. Die Remilitarisierung sei Sache der Parteien und nicht der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften würden künftig die Abgeordneten in den Parlamenten des Bundes, der Länder, der Kreise und der Gemeinden aufs schärfste beobachten und ihre Einstellung zur Sache der Gewerkschaften prüfen.
Stuttgart klagt
Gegen Gesetz über den Finanzausgleich STUTTGART. Die württembergisch-badische Landesregierung hat beim Bundesverfassungsgericht beantragt, das Gesetz über den Finanzausgleich der Länder als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und daher nichtig zu erklären. Ferner solle das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen, nach der die Leistungen Württemberg-Badens im Rahmen dieses Gesetzes bis zur endgültigen Entscheidung gestundet werden.
In der Begründung des Antrags wird ausgeführt, daß Württemberg-Baden bereits bei dem Finanzausgleich 1949 gegenüber anderen Ländern in unverhältnismäßig hohem Maße herangezogen worden sei. Das gleiche sei trotz wiederholter Proteste 1950 der Fall gewesen, so daß die Finanzkraft des Landes entgegen dem Sinn des Grundgesetzes ernstlich geschwächt sei. Es wurde darauf hingewiesen, daß der tiefere Grund für den unangemessenen Ausgleich „in der falschen Gliederung des Bundesgebietes liege“, durch die nicht nur steuerschwache, sondern geradezu „lebensunfähige Länder“ künstlich am Leben erhalten würden.
Ein heiterer Roman oon Franz Gößl ;
„Nachsaison"
Copyright by Schwäb. Verlagsgesellschaft, Tübingen
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„Hm, das grad nicht, aber in deinen Sack geht es einmal “
„Ich verzieht drauf! Was ich brauch, schaffen doch die zwei da her“, schimpfte der Martin und hielt dem Briefträger zwei Hände vor die Nase, denen man es allerdings ohne weiteres glauben konnte, daß sie mehr zum Arbeiten geeignet waren als zum Zimmeran- weisen. Dieser Anblick brachte ihn in einem eigentümlichen Zusammenhang wieder auf den Zweck seiner stürmischen Fahrt. Vielleicht wußte der Lois etwas über den Verbleib des Amerikaners. Auf seine diesbezügliche Frage lachte der Briefträger: „Wenn die Augen nicht besser aufmachst, wirst belämmert sein. Alleweil mit Verstand, Martin! Der sitzt bei euch in der Gaststube und liest ein Romanbüchl.“
„O ich Esel!“ schlug sich Martin vor den Kopf, „und ich renn mir die Füß’ aus.“
„Siehst, jetzt redest schon wieder vernünftig“, lobte der Lois. Der Martin hatte gle ! ch einen anderen Humor, da er wuße, daß der Amerikaner nicht in der Nähe seiner Lisi war.
Nachdem der alte Kralinger, innerlich über seinen ungeratenen Sohn fluchend, aber nach außen den verklärten Schein seines ganzen wirtlichen Wohlwollens ausstrahlend, die Koffer und Schachteln auf das Zimmer der zarten Dame geschleppt hatte, schob er ihr, die schon mit Einräumen begann, den Meldezettel hin, damit sie bekenne, wer sie sei und woher sie komme. Flott und den Wirt aus den Auger winkeln anblitzend, schmiß sie d : e Eintragungen hin. Als wollte er einen Hunderter stehlen, zog er das Blatt wieder fort: L ; Io Zawadil, Schauspielerin aus Wien, stand zügig
da. Rechnete man dazu von ihrem Geburtsdatum bis zur Gegenwart hinauf, kam man auf ein Alter von 24 Jahren. Wenn diese Schauspielerin in solcher Jugendfrische schon tragende Rollen hatte, dann war es leicht auszurechnen, welche Höhe sie noch erklimmen würde. Verheiratet war sie nicht.
Am Abend lag ein zweites Gedeck auf dem Ofentisch. Herr Myera schien darüber nicht erfreut zu sein, denn seine Frage nach dem Sinn dieses neuen Aufwandes klang abweisend. Und als die Schauspielerin erschien, ließ er die Vorstellung mit zurückhaltender Höflichkeit über sich ergehen.
Das Frauenzimmer sprühte vor Leben und aus den Augen sah man förmlich die Funken der Daseinslust spritzen. Sie zog auch sofort den ganzen Gästekreis in ihren Bann und der Stern des Südens, der bisher so hell am Stammtisch gestrahlt hatte, erblaßte sichtlich Sowohl der Spengler als auch der Tischler und nicht zuletzt der Wirt hingen nvt ihren Augen am herzförmig geschminkten Mund des Mädchens aus fernen Welten wie die Wespen an reifen Birnen. Nur der Obermoser ließ sich nicht einfangen; er hielt sich nach wie vor an den Amerikaner. Denn in diesem war sein künftiger Reichtum verankert. Auch Herr Myera selbst ging nicht aus sich heraus: man sah, sein geläutertes Wesen, das das Leben trotz so zarter Hände bemerkenswert fest anpackte, wollte mit dem flattrigen der neuen Tischgenossin nichs zu tun haben. Der Kralinger, der nicht se ungebunden wie seine Gäste leben konnte, riß sich einige Male mit Gewalt vom Zauber der quickr’gen Person los, um den Amerikaner nicht ganz vereinsamen zu lassen. Als aber Fräulein Lilo erzählte, daß sie ursprünglich Tänzerin gewesen sei und recht anschaulich davon plauderte, da wurde er Herrn Myera endgültig untreu. Auch die andern rückten so eng an Lilo heran, daß um d'e zwei Minenbesitzer ein leerer Raum entstand.
Das war der gegebene Augenblick für den Amerikaner, um dem Obermoser zuzuraunen; „Stellen Sie sich vor, jetzt hat man mir schon wieder Minen angeboten, für die ich mir rechtzeitig das Vorkaufsrecht gesichert habe.“
„Ist das ein Glück!“ Etwas anderes brachte der Obermoser nicht heraus. „Kann jeder haben“._ warf Herr Myera das Wort leicht hin wie einem Hund den abgenagten Knochen, „nur zufassen muß man können.“
Und richtig fuhr der Obermoser darauf los: „Können Sie, Herr Myera...? Da der erste Kauf so glänzend gelungen war, wie er ja selbst aus dem Telegramm ersehen hatte, wäre es unverzeihlich gewesen, nicht zuzugreifen.
Der Amerikaner schien nicht recht herhören zu wollen. — „Es sind die besten seit langer Zeit, Sie verstehen ...“
Der Obermoser verstand. Es fand seinen Niederschlag in den vorwurfsvollen Worten: „So geht’s unsereinem. Wenn man zugreifen möchte, ist nichts da.“
„So dürfen Sie das nicht auffassen. Aber hier neben der quakenden Ente kann man so etwas ja nicht verhandeln. Ich suche Sie dieser Tage einmal auf. Es hat keine Eile diesmal, denn die Minen sind mir sicher.“
War Herr Myera im großen und ganzen ein stiller und ruhiger Gast, wie es den sanft wärmenden Strahlen der Herbstsonne entsprach, so glich die Schauspielerin eher einem hitzeflirrenden Sommertag, am dem es überall summte, lockte und zwitscherte. Sie war nicht imstande, auch nur zehn Schritte über den Gang zu gehen, ohne ein Liedlein zu trällern oder gar zu pfeifen, ganz gleich, ob es bei Tag oder Nacht war. Das war für einen Menschen, der seine Nerven in Ordnung bringen wollte, begreiflicherweise nicht angenehm und oft zuckte Herr Myera fahrig zusammen, wenn unvermutet der „Liebe Augustin“ oder „Püpp- chen, der Augenstern“, aus den gespitzten Lippen Li los auf ihn zusprang. Man konnte da
her auch nicht verlangen, daß er bei den gemeinsamen Mahlzeiten sie angirrte. Wo noch dazu ja sein Herz für Lisi wärmer schlug als ein gutgeheizter Ofen. Daraus machte er dem Obermoser gegenüber kein Geheimnis. Der saß übrigens auf Nadeln, denn von den neuen Minen war nie mehr die Rede Auch Fräulein Lilo hatte es bald aufgegeben, dem Amerikaner ihre Fangstricke zuzuwerfen, da er nicht darnach griff. Ihre Unterhaltung plätscherte sachte dahin und versik- kerte nur zu oft ganz in den Genüssen, die die Wirtin auftischte. Daß sie in ihrem Eifer nicht erlahmte, dafür sorgte der Kralinger. Soviel er nur konnte, tänzelte er um Lilo und erkundigte sich dauernd nach ihren Wünschen. Für den Wirtssohn war trotz des tiefen Sonnenstandes eine heiße Zeit angebrochen. Es gelang ihm nicht ein einziges Mal, ungeschoren an Lilo vorbeizukommen. Bald wollte sie wissen, wie die oder jene Bergspitze heiße, und wenn er auch jedesmal eine andere Bezeichnung dafür erfand, so wurde sie doch nicht müde, immer wieder darnach zu fragen, dann zeigte sie brennendes Interesse für einen Vorgang im Dorfe, ein anderes Mal wieder mußte
sie unbedingt erfahren, wie man sich in dieser Einsamkeit die langen Winterabende vertreibe. Kurz und gut, der Martin hatte es ihr einfach angetan und es mußte höchst betrüblich fj“ sie sein, daß er so ganz und gar nicht herwärts schaute. Er blieb kalt wie ein Eisblockun“ wenn ihre Lippen noch so leuchtend lockten, er ging achtlos daran vorüber. Und nicht nur das, er bemühte sich öfters nicht einmal es zu verbergen, daß er innerlich kochte vor Unge“ duld loszukommen. Das war besonders der Fall, wenn er hinter dem Amerikaner herhetzen wollte, um ihn ja nicht der Lisi zu nan kommen zu lassen. Und gerade dann fan “. s * kein Ende mit ihrem langweiligen „Herr _Ma " tin“ hin und „Herr Martin“ her, daß er sie a liebsten mit einem kräftigen Satz stehen 8 lassen hätte. Die Schauspielerin kränkte o. nicht im mindesten. (Fortsetzung £°isv