JIITTWOCH, 3. OKTOBER 1951
WIRTSCHAFT
NUMMER 154
Kaufkraftverfall oder irreführende Statistik?
Eine Studie über die Entwicklung von Preisen und Löhnen / Die wahren Ursachen des Nachfragerückganges
„Man versucht, einseitig auf Arbeiter und Angestellte die Lasten einer verfehlten Wirtschaftspolitik durch niedrige Löhne und Gehälter abzuwälzen und erhöht dadurch die Spannungen, die von der Unternehmerschaft keinesfalls übersehen werden sollten“, heißt es in der Wochenzeitung „Welt der Arbeit“ vom 24. 8. 1951. Die Preis- und Lohnentwicklung im Bundesgebiet und in Württemberg-Hohenzollern, die an dieser Stelle in zwei Aufsätzen in Nr. '140 vom 12. 0. 1951 und in Nr. 147 vom 21. 9. '1951 untersucht Wurden, deckt jedoch keine einseitige Belastung der Arbeiter auf, läßt vielmehr über das Verantwortungsbewußtsein von Regierung und Wirtschaft keinen Zweifel. Während die Lebenshaltungskosten seit der Währungsreform bis Mitte 1951 um rund 10 Prozent im Bundesgebiet gestiegen sind, in Württemberg-Hohenzollern geringfügig über den Bundesdurchschnitt, stiegen die Löhne in der Industrie im Bundesgebiet im gleichen Zeitraum bis zu 45 Prozent und mehr, in Württemberg-Hohenzollern zum Ausgleich für die stärkere Erhöhung der Lebenshaltungskosten sogar noch etwas mehr als im Bundesgebiet.
Die beiden graphischen Darstellungen veranschaulichen in eindrucksvoller Weise das Ge-
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Hochbetrieb geherrscht hat, wie es diejenigen Kaufleute erwartet hatten, die an eine Verewigung der Übernachfrage geglaubt hatten.
Neuerdings läuft bereits die leichte konjunkturelle Abschwächung aus. Es wird wieder mehr gekauft — aus saisonalen Gründen und weil vorher, wie es die steigenden Spareinnahmen an- zeigen — gespart worden ist.
Sechs Millionen Arme — keine Erwerbspersonen
Es ist allerdings richtig, daß 19 Mill. Erwerbspersonen, die sämtlich in den Einkommensstufen unter 400 DM pro Monat liegen und die etwa 85 Prozent aller Erwerbspersonen auf sich vereinigen, mit 60 Prozent des Gesamteinkommens durchaus nicht einen ihrer Personenzahl entsprechenden Anteil am Volkseinkommen repräsentieren, sondern tatsächlich erheblich weniger. Aber woran liegt das? Zunächst einmal daran, daß hierunter alle diejenigen Personen fallen, die eigentlich überhaupt keine „Erwerbspersonen“ im strengen Sinne sind, nämlich die Einkommensgruppe mit 0—100 DM monatlichem Einkommen. Das sind allein über 6 Mill. Menschen oder über 27 Prozent aller Erwerbspersonen, nämlich die Rentner, die Fürsorgeempfänger usw., also jene Menschen, für welche die wirklichen Erwerbspersonen arbeiten und — auf dem Wege über die öffentlichen Kassen — materiell sorgen müssen. In einer realistischen Einkommensstatistik hat dies Gruppe an sich überhaupt keinen beweiskräftigen Platz. Betrachtet man aber die beiden nächsten Gruppen, nämlich diejenigen mit 101—250 DM und 251—400 DM Monatseinkommen, so steht hier einem Prozentsatz der Erwerbspersonen von zusammen rund 59 Prozent ein Anteil am Gesamteinkommen von 52 Prozent gegenüber. Hier sind die Anteile an der Gesamtzahl der Einkommensbezieher und die Anteile am Gesamteinkommen schon weitgehend zur Deckung gebracht.
Das sollte überzeugen. Man kann ja nicht alle
Einkommensunterschiede verschwinden lassen. Auch sollte nicht vergessen werden, daß die höheren Einkommen mit rund 40 Prozent am Gesamteinkommen, das auf etwa 16 Prozent der Erwerbspersonen entfällt, zu einem sehr erheblichen Teil diesen nominellen Einkommensempfängern überhaupt nicht zufließt, sondern auf dem Wege über die Einkommenssteuerprogres-
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1 949 1950 1951
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sion an den Staat geht, mit anderen Worten an jene unterste Einkommensklasse, die praktisch von Arbeit und Einkommen des anderen lebt. Und warum verschweigt man überdies noch, daß diese ganz individuelle Statistik der Erwerbspersonen und der Einkommen insofern auf dem Papier steht, als sie den Familienstand nicht berücksichtigt? Es gibt heute praktisch nur sehr wenige Familien, in denen nur ein einziger Einkommensbezieher vorhanden ist. Eine Statistik des Familieneinkommens würde vollständig anders aus- sehen und erst recht die Theorie von Kaufkraftverfall und allgemeiner Verelendung ad absurdum führen. Dr. Ho.
Wirtschaftsspiegel Holzpreise freigegeben
(Hain
sagte: Die Kurve der Bruttowochenlöhne folgten der seit Juni 1950 ansteigenden Linie der Lebenshaltungskosten fast ohne Abstand; sie konnte sie im Juni 1951 sogar überschneiden. Die Kurven der Reallöhne schließlich, das Verhältnis von Bruttolöhnen zu Lebenshaltungskosten ausdrük- kend, haben ansteigende Tendenz.
Steigende Einnahmen aus Lohnsteuern
Die effektive Kaufkraft der großen Mehrheit des Volkes sei wesentlich unter das normale Niveau herabgesunken — so konnte man weiter aus Kreisen des Einzelhandels hören, die offenbar über den Sommerschlußverkauf dieses Jahr ein wenig enttäuscht gewesen sind. Auch diese Schlußfolgerung ist wenig hieb- und stichfest, wenn man die Lohnsteuerstatistik zu Hilfe nimmt. So belief sich im März 1951 das Lohnsteueraufkommen auf 157,8 Mill. DM, im April auf 173 Mill. DM, im Mai auf 195,7 Mill. DM; der monatliche Durchschnitt des Jahres 1950 hatte 141,1 Mill. DM betragen. Diese Entwicklung spricht nicht für einen Rückgang der Kaufkraft. Ein solcher Rückgang würde ja völlig unerklärlich sein angesichts der Tatsache, daß Ende Juni 14,72 Mill. Beschäftigte in der deutschen Wirtschaft gezählt wurden, fast eine halbe Million mehr als im März und gut l‘/z Mill. mehr als im Zeitpunkt der Geldreform von 1948.
Die Ursachen des Umsatzrückganges
Es fällt bei vorliegendem Beweismaterial schwer, einen Verelendungsnachweis der deutschen Bevölkerung zu führen. Der in den letzten Monaten festgestellte Umsatzrückgang im Einzelhandel ist nicht auf einen Kaufkraftschwund, vielmehr auf ganz andere Ursachen zurückzuführen:
In einer großen Anzahl von Branchen hatte das Publikum zweifellos im Herbst vorigen Jahres und dann nochmals in den Monaten Januar und Februar aus politischen Befürchtungen heraus sich stark eingedeckt. Der Rückschlag konnte nicht ausbleiben; er hat nur u. a. dazu geführt, daß beim Sommerschlußverkauf kein solcher
BONN. Die Holzpreise in der Bundesrepublik sind mit sofortiger Wirkung freigegeben worden, teilte ein amtlicher Sprecher am Montag in Bonn mit. Der Bundesernährungs- und der Bundeswirtschaftsminister haben in einer gemeinsamen Verfügung die bisher bestehenden Richt- und Normpreise für Rohholz aufgehoben. Gleichzeitig wurden die entsprechenden Preisbindungen in der Sägeindustrie bei der Verarbeitung von Nadelschnittholz aufgehoben.
Die Freigabe, die nach Anhören von Vertretern der zuständigen Spitzenorganisationen verfügt wurde, könnte ein Anziehen der Holzpreise zur Folge haben, das sich auf alle holzverarbeitenden Industrien auswirken und insbesondere den Wohnungsbau treffen dürfte. Durch eine Verteuerung des Grubenholzes würde auch der Bergbau betroffen.
FRANKFURT. — Auf und ab der Wollpreise. Bemerkenswerte Preissteigerungen für Wolle ergaben sich am Montag auf den Wollauktionen von Melbourne und Napler (Neuseeland). In Melbourne zogen die Notierungen gegenüber den Erlösen vom 26. September um 15 bis 20 Prozent an; in Napier betrugen die Preissteigerungen gegenüber den Erlösen auf der Londoner Auktion etwa 15 Prozent. Von den Preissteigerungen wurden sämtliche Sorten erfaßt.
BONN. — Industrie für allgemeine Kohlenpreisanhebung. Vertreter des Bundesverbandes der deutschen Industrie sowie des Deutschen Industrie- und Handelstages machten dieser Tage bei Besprechungen im Bundeswirtschaftsministerium schwerste Bedenken gegen die Kohlenpreisspaltung geltend und forderten im Interesse der Aufrechterhaltung eines stabilen Preisgefüges den Übergang zu einer allgemeinen Kohlenpreisanhebung, von der auch die Hausbrandkohle betroffen werden soll.
WÜRZBURG. — Anpassung der Altmieten. Der Präsident des Zentralverbandes der Hausund Grundbesitzer, Dr. Handschuhmacher, sagte am Sonntag in Würzburg, es sei absurd, eine Angleichung der Neubaumieten an die Altmieten zu fordern, statt umgekehrt, denn Baukostensteigerungen und höhere Bauarbeiterlöhne ließen sich nicht rückgängig machen. Mit Mietbeihilfen
für die bedürftigen Mieter fahre der Fiskus besser, als bei einem Verzicht auf den Kostenausgleich, der einen immer stärkeren Steuerausfall beim Hausbesitz zur Folge haben müsse. Die Sanierung der Wohnungswirtschaft müsse in jedem Falle kommen; je länger man damit warte, desto größer würden die Anforderungen an den Fiskus.
TÜBINGEN. — 45 neue Tarifverträge. Das Arbeitsministerium von Württemberg-Hohenzollern hat im September 45 Tarifverträge registriert Die Zahl der seit Kriegsende dem Tübinger Arbeitsministerium eingereichten Tarifverträge beläuft, sich damit auf 619.
ESSEN. — Kohlenförderungs-Rückgang Im September. Die Steinkohlenförderung im Bundesgebiet ist von 10,06 Millionen t im August auf 9,34 Millionen t im September zurückgegangen; auch der arbeitstägliche Förderdurchschnitt sank, und zwar auf 373 700 t im Berichtsmonat gegenüber 374 800 t im Vormonat. In den beiden letzten Septemberwochen setzte sich jedoch eine steigende Tendenz der Förderung durch, die jahreszeitlich bedingt ist.
BONN. — Deutsch-britisches Handelsabkommen. Ein neues deutsch-britisches Handelsabkommen für die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 1951 wurde in Bonn unterzeichnet. Großbritannien hat Einfuhrverpflichtungen gegenüber der Bundesrepublik im kontingentierten Sektor wiederum in Höhe von 12 Monatskontingenten übernommen; infolge Erhöhung einer Reihe von Kontingenten ist außerdem das Volumen seiner Einfuhr um ein Drittel größer als im zweiten Halbjahr 1950. Die deutschen Einfuhren aus Großbritannien belaufen sich im Vertragszeitraum nur auf sechs Monatskontingente.
TÜBINGEN. — Industrieproduktion schwach rückläufig. In Württemberg-Hohenzollern hat der Rückgang der Industrieproduktion, der mit dem Juni einsetzte, auch im August angehalten. Die Gesamtindexziffer hat sich gegenüber dem Vormonat zwar kaum verändert, jedoch ging die Produktion pro Arbeitstag von 118 auf 113,3 zurück. Trotzdem liegt der augenblickliche Produktionsstand noch um 19 Prozent höher als Im August des Vorjahres.
Krisenzeichen
FRANKFURT. Nach bisher vorliegenden Meldungen der 11 deutschen Automobilwerke ist die Pkw-Produktion im September erstmalig seit Juli 1950 unter die 20 000-Grenze zurückgegangen. Die Erzeugung hatte im Juli d. J. mit 23 920 Einheiten einen Höchststand erreicht, war dann im August auf 21 560 gefallen und sank also nun im September unter 20 000. Die Ziffern (Vormonat in Klammem): Opel 2069 (5231); Borgward 422 (612); Volkswagen 8000 (8800) bei einer Gesamterzeugung von 9082 Fahrzeugen. Daimler-Benz konnte von 2904 im August auf 3004 im September erhöhen, Ford ebenfalls von 895 auf 2144. Die Auto-Union stellte in beiden Monaten 1370 Pkw her. Abgesehen von den Opel- Werken, wo der hessische Metallarbeiterstreik an der geringen Septemberproduktion die Schuld trägt, und bei Ford, wo die niedrige Augustproduktion auf Betriebsferien zurückzuführen ist, wird für den Produktionsrückgang hauptsächlich die schwierige Material- und Kohlenbeschaffung, und dazu die drohende Mehrbesteuerung des Kraftverkehrs verantwortlich gemacht. Gleichzeitig zeichnet sieh aber auch ein Rückgang der Zulassungen von Personenkraftwagen ab, die mit 15 009 Fahrzeugen bereits im August um 4,9 Prozent niedriger gelegen haben.
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jk. Das sind schon deutliche Krisenzeichen. Die Produktion der Kraftfahrzeugindustrie erfährt dabei von mehreren Seiten einschränkende Wirkungen. Im Ausland stößt das deutsche Angebot, wie Beobachtungen ergeben haben, bereits auf einen gesättigten Markt. Die Inlandsnachfrage zeigt ebenfalls deutlich rückläufige Tendenz, weil angesichts der wachsenden steuerlichen Belastungen der Käuferkreis für Personenkraftwagen mehr und mehr schrumpft. Hinzu kommen die wachsenden Materialschwierigkeiten (insbesondere Blechmangel), die unzureichende Kohlenversorgung und demnächst wohl auch die Stromkürzungen. Das Gefährliche bei dieser Entwicklung ist die Verminderung der Serie, die ja den Preis des fertigen Fahrzeugs maßgebend mitbestimmt. Steigende Preise würden naturgemäß nicht nur die Inlandsnachfrage noch weiter einengen, sondern den Wettbewerb auf den Exportmärkten, der angesichts der eindeutig festgestellten Marktsättigung sowieso an Schärfe zunehmen muß, weiter außerordentlich erschweren. Wobei im Augenblick noch gar nicht feststeht, wie lange die deutsche Automobilindustrie überhaupt noch in der Lage sein wird, bei schwindendem Inlandsabsatz wettbewerbsfähige Exportpreise, die ja regelmäßig beträchtlich unter den Inlandspreisen liegen müssen, zu halten. Unter solchen Umständen ist zu befürchten, daß die neuen Steuerpläne des Bundesfinanzministers wenig geeignet sind, ein Loch im Bundeshaushalt zu stopfen, sondern eher, ein neues zu öffnen.
Erhöhung der Pflichfgrenze?
gpk. Es schien zunächst so, als ob der Antrag der SPD, die Versicherungspflichtgrenze auf einen Jahresarbeitsverdienst von 7200 Mark heraufzusetzen, auf Eis gelegt werden sollte, nachdem die Vereinigung der Ortskrankenkassenverbände dem Anträge in einer Eingabe mit der Begründung widersprach, die Ortskrankenkassen hätten von der Erhöhung keinen Vorteil. Inzwischen hat aber die Vereinigung der Ortskrankenkassenverbände selbst die Erhöhung gefordert. Die Beratungen darüber sind sofort nach Beendigung der Parlamentsferien im Ausschuß für Sozialpolitik des Bundestages aufgenommen worden.
Gegen die Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze haben die Organisationen der Ärzte, Zahnärzte und Dentisten, der Apotheker, der privaten Krankenversicherer und der freien Berufe Stellung genommen. Unter den Gewerkschaften und den Verbänden der Sozialversicherungsträger, die die Erhöhung der Versieherungsgrenze für unumgänglich halten, besteht noch keine einheitliche Meinung über das Ausmaß der Erhöhung.
Nach den bisherigen Erörterungen kann angenommen werden, daß der Jahresarbeitsverdienst zur Begrenzung der Versicherungspflicht zwar nicht auf 7200, wahrscheinlich aber auf 6000 Mark festgesetzt werden wird. Die Verhandlungen im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages darüber werden bald abgeschlossen sein, dann hat das Plenum des Bundestages zu beschließen.
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