Die Sefefiunbe
Aus einem Tagebuch für Henriette
Die Geschichte einer unvergeßlichen Liebe
Es war ein Buch in einem gelblichen Lei- nenband mit Streublumen drauf und auf der fersten Seite stand schon verblaßt in steiler ßchrift: „Tagebuch für Henriette — geboren fern 17. Juli 1869“ und darunter die beiden Worte „von Wolfgang“.
Ich weiß nicht, wer diese Worte geschrieben hat, denn ich habe das Buch gefunden. Es lag ln einer Truhe bei alten, schlafenden Briefen, Sie verstaubt und vergessen auf der Giebel- Kammer meiner Tante Josefine in der Katzen- gasse zu Ulmenried an der Ucker stand.
Niemand konnte mir sagen, von wem die Briefe stammten und wer dieses Tagebuch Wohl geschrieben hat, denn die Truhe war fechon dagewesen, als Tante Josefine noch -Einehen“ hieß, einen braunen Zopf hatte und eum alten Lehrer Schwaber in die Rechen- fetunde ging... Und das ist doch bestimmt Schon sechs mal zehn Jahre her.
; Die gute, alte Tante ist über die Sechzig nd hat schon längst keinen braunen Zopf ehr und ihr Lehrer schläft seit einem hal- ien Jahrhundert in der breiten, stillen Fa- iliengruft an der Marienkirche ... Und im mz stäubt der Hasel über ihn hin und der ;elbe Krokus blüht zu seinen Füßen.
Erntetanz
Ludwig RIdjJer
Gestern habe ich ihn besucht ... und dabei .Viele Grabsteine auf dem Marien-Friedhof 'gelesen, auch die auf den niedergesunkenen,
t feuumrankten Hügeln hinter der kleinen tapelle.
„Unserer ewig unvergeßnen, guten Mutter“, Stand da in ein steinernes Kreuz geschrieben. Aber das Kreuz war schief geworden, ynd der Hügel war eingesunken und grasüberwuchert und keiner hatte ihn gepflegt.
„Unsrer ewig unvergeßnen, guten Mutter — gestorben im Jahre 1898...“ Vor fünfzig Jahren also... Wie leichtfertig sind wir Menschen doch mit dem Versprechen und wie rasch mit dem Vergessen.
Immer wieder waren bei den alten Gräbern Steine mit dem Namen Henriette, aber alles, was sonst noch dazu geschrieben, gab mit dem alten Buch aus der verstaubten Truhe keinen rechten Klang.
Oder sollte die kleine Henriette, von deren großen Veilchenaugen Wolfgang schrieb, wirklich später die „selige Fleischhauers-Witwe Schöngesandt“ geworden sein? Oder des Leineseilers und Wachsziehers Bertram Lichthangers ehelich angetrautes Weib?
Nein, das war Wolfgangs Henriette sicher nicht!
Ganz hinten, bei den letzten Gräberreihen an der Mauer unter den Weißdornbüschen, dort, wo sie die Hügel schon wieder einebnen, um Raum für neue zu haben... lag ein schmales Grab. Ein Rosenstock umrankte einen hellen, freundlichen Stein.
„Henriette — gestorben 1888“ —
... Gestorben 1888. Und in dem Buch, das vielleicht für sie geschrieben ist, steht ihr Geburtstag, der 17. Juli 1869... 19 Jahre also — mußte ich denken... nur 19 Jahre. Und ein altes Volkslied ging mir durch den Sinnt „Mußtest schon sterben, warst noch so jung... so jung!“
Ich bückte mich nieder und nahm behutsam die gelben Blätter auf, die der Herbstwind von den Kastanien in den Efeu wehte.
Da sprach mich jemand an.
Ein Greis mit schwarzem Überrock, mit altmodisch gewundener Kragenschleife stand hinter den Buchsbaumhecken, schaute herüber und fragte lächelnd:
„Wollen Sie mir die Arbeit abnehmen?“
Ein wenig verlegen suchte ich nach dummen Entschuldigungen.
„Lassen Sie nur, sagte der alte Herr gutmütig, und kam den schmalen Weg entlang, „lassen sie nur... ich habe dieses Grab sech,- zig Jahre lang gepflegt... Vielleicht sieht’s meine Henriette nicht einmal ungern, wenn sich ein Jüngerer um sie bemüht. Sie war ja selbst noch so jung 1 “
f „ÖeböFefi äfiffö 1886“ ging 3s mir durch den Sinn; aber ich sprach es nicht aus.
Der Greis legte ein Sträußchen auf den Efeu. Es sah aus wie Lavendel „Henriette...“, sagte er dabei leise. Und es war wie eine behutsame Zärtlichkeit.
Dann gingen wir nebeneinander zum Tor. Wir sprachen aber nichts mehr.
„Leben Sie wohl“, sagte der Alte und reichte mir die Hand, „Sie gehen sicherlich zur Stadt zurück... Ich habe mich gefreut... Übrigens mein Name ist Fellner... ich war früher mal Bürgermeister hier in dieser Stadt...
Er ging.
Am Abend fragte ich Tante Josefine: „Kennst du eigentlich einen Bürgermeister Fellner?“
Sie nickte: „Wolfgang Fellner war vor dem ersten großen Kriege hier Bürgermeister... Übrigens ist er weitläufig mit uns verwandt gewesen... Ich kenne ihn freilich nur dem Namen nach ... Ein richtiger Sonderling soll er gewesen sein ... Stell dir vor, er hat doch noch nicht einmal geheiratet!“
„So... er hat noch nicht einmal geheiratet!“ ■wiederholte ich, nahm das Buch mit den blauen Blumen aus der Kommode und ging damit in meine Kammer hinüber.
Und dort habe ich dann diese Geschichte geschrieben.
Das „CJenie des Herzens"
Der Dichter Hermann Claudius ist am besten gekennzeichnet mit den Worten eine# Zeitgenossen, der ihn ein „Genie des Herzens“ nannte. In seiner Lyrik liegt Schlichtheit und die Leuchtkraft einer reinen Menschlichkeit. Durch die Veröffentlichungen im „Wandsbecker Boten“ ist er den Menschen seiner Zeit eine wohlvertraute Gestalt geworden. Nur vier Jahre hat dieses unscheinbare Blättchen bestanden, dem er durch seine Beiträge ein so hohes Niveau gab, daß es über ganz Deutschland hinaus einen begeisterten Leserkreis fand.
Nachdem der „Wandsbecker Bote“ 1778 sein Erscheinen einstellte, folgte er einem Ruf als Oberlandeskommissarius nach Darmstadt. In dieser ernüchternden Atmosphäre fühlte er sich ermattet und enttäuscht. Er, ging wieder nach Wandsbeck zurück und widmete sich der freien Schriftstellerei. Aber er mußte sich bei aller Anspruchlosigkeit schwer sorgen um das tägliche Brot für Frau und Kinder. Doch fand er, der Pastorensohn, in seiner tiefen Frömmigkeit Halt und Kraft. Seine liebenswerte harmonische Erscheinung und sein Können machten auf den dänischen Kronprinzen tiefen, nachhaltigen Eindruck^ so daß er in den letzten Lebens Jahrzehnten sein Gönner wurde.
Trauben reifen mit gärendem Blute
Noch wehen sie nicht, die bunten Tücher der Frauen und Mädchen durch den Wingert bei fröhlicher Weinlese, das kommt erst im späten Herbst, wenn die Trauben völlig ausgereift. Aber Mitte September vibriert es schon in den Herzen der weinfrohen Rheinländer und Moselaner. Gahz nahe ist der Dienst an ihrer Majestät, der Traube, gerückt, denn dieser Dienst braucht Zeit, ist feine sorgsame Kultur, arbeitsame Wissenschaft, läßt keine Ruhe mehr zum Festefeiern. In diesen Septembertagen ist alles kosmische Wirken und alles menschliche Sinnen, die das Werden der Rebe umschließen, Verheißung und noch nicht Erfüllung. Düngen, Jäten und Hacken, Geduld und Sorgfalt, Wind und Sonne waren in den voraufgegangenen Monaten das Gebet des Weinbauers, daß Gott den Jahrgang segnen möge.
Herbstzeitlosen blüh'n am Wiesenrain
Spaziergang durch den bunten Herbst
Die Tage sind kürzer geworden. Das volle Grün des Sommers hat sich gelb gefärbt. Es ist, als sammeln die geheimen Kräfte der Natur noch einmal alle Farben, die der Sommer im Wald und auf der Wiese gemalt hat, um die letzten warmen Tage zu feiern.
Rosenfarben leuchtet aus dem leise vergilbenden Grase die Herbstzeitlose. Ihren Namen „Zeitlose“ hat sie wohl daher, daß sie sich nicht an die eigentliche Blütezeit hält. In Schwaben wird sie auch „Lausblume“ genannt, weil sie die Läuse vertreiben soll oder „Spinnerin“, da sie nach dem Volksglauben die zur Herbstzeit in der Luft hängenden Spinnfäden, den Altweibersommer, spinnt. Am phantasiereichsten ist wohl die Bezeichnung „Nackte Jungfrau“, weil die Blüte der Herbstzeitlose aus der Erde sproßt, bevor man die Blätter sieht.
Die Herbstzeitlose enthält ein starkes Gift. Vor ihrer Giftwirkung hatten die Griechen schon großen Respekt, denn sie nannten die Herbstzeitlose „Ephemorem“, das heißt, die in einem Tag Tötende. Im Volksmunde heißt es, daß beim frühen Erscheinen der Herbst
zeitlose auf einen schönen, sonnigen Herbst zu rechnen ist.
Unter den Füßen des Wanderers rascheln die noch weichen, eben gefallenen Blätter und ein kühler Wind fährt leise rauschend durch das Laub. Wenn am Morgen die Sonnenstrahlen ins Dickicht fallen, glitzert es hier und da, als seien Millionen Diamanten von einem unsichtbaren Zauberer verstreut. Es sind die ganz dünnen Spinngewebe, auf denen der Tau liegt. Es sind die Wolfspinnen, die um diese Zeit in ihrer Spinnarbeit besonders rege sind. Man sagt, sie spinnen das Winterkleid der Erde.
Herbst... nicht nur in den Farben der Natur spürt man die Vorahnung der kommenden Kältezeit. Allmählich beginnen auch die Tiere sich für den Winter zu rüsten, ihre Wohnungen gegen die Kälte zu schützen und sich mit Wintervorräten einzudecken. Langsam kommt schon die Dämmerung. Es wird empfindlich kühl, die Vögel haben längst aufgehört zu zwitschern, schon werden im blassen, fahlen Himmel die ersten kaltflimmernden Sterne sichtbar.
In den goldenen Septembertagen werden die fröhlichen Weinfeste gefeiert, nicht nur an Rhein und Mosel, sondern auch an der Ahr, in der Pfalz, im Franken- und Badner- land. Es schallt von den Treppen und Mäuer- chen, den Stufungen und Hängen, den kleinen Kapellchen und weißangestrichenen Wetterhäuschen das frohe Lied und weinselige Lachen. Alles wird lebendig, wenn der traditionelle Frühschoppen unter freiem Himmel auf den alten Marktplätzen beginnt Reden und Becherklang den festlichen Tag beginnen.
Was diesen Festen besonderen Glan* gibt, ist die Verzauberung des Weines, wenn er in* Glase funkelt, denn der Wein ist mehr al# das Bemühen um Gedeihen der Reben, mehr, als die chemische Formel und mehr als vergorener Traubensaft. Der Wein ist di« Seele des Landes, in dem er wächst Wer „Drachenblut“ trinkt, weiß, daß er vom Feuerwehr des ewigen Stromes genießt, wer den spritzigen Mosel trinkt, atmet die Lieblichkeit der anmutigen Täler und wer sich vom Geist der unterfränkischen Weine verzaubern läßt, weiß, daß sein Geist den* derben, unsentimentalen Menschenschlag di« Keller ihrer gefangenen Seelen geöffnet hat
Überall, wo edler Wein in Deutschland gedeiht, ist ältester Siedlungsboden über Kult-« und Wohnstätten und Gräbern der Römer, Germanen und Kelten. Die Ampulle trüb- braun gewordener Flüssigkeit, die man im Museum zu Speyer verwahrt, mag die ältest« Kunde geben von dem Wein, der auf altem Kulturboden gewachsen ist und den man den Toten mitgab, wenn man rie zur letzten Ruhe in die Erde legte.
In jedem Lande liegt über dem Rebensaft, der aus seinen Bergen kommt, die historische Patina, der Traum von Süße, Fülle und Duft, der in alten Keltersprüchen Ausdruck findet. Und so will jeder den bunten Zauber der Wingertfeste sehen, will Arbeit und Mühe vergessen und einen Tag dem schönen Augenblick leben, dem lieblichen, zarten, würzigen und rassigen Wein das Preislied singen, will Gott Bacchus das Zepter reichen, damit auch der kommende Jahrgang der neue Freund der Seele werde.
Das Millionärmodell / Von Oscar Wilde
Wenn man nicht reich ist, hat es" keinen Zwack, ein liebenswürdiger Mensch zu sein. Romantik ist das Vorrecht der Wohlhabenden, nicht der Beruf der Arbeitslosen. Die Armen sollten praktisch und prosaisch sein. Es ist besser, ein festes Einkommen zu haben, als bestrickend zu sein.
Dies sind die großen Wahrheiten des modernen Lebens, die Hughie Erskina nie erkannte. Der arme Hughie! In geistiger Beziehung, das muß eingeräumt werden, v/ar er nicht sehr bedeutend. Doch dafür sah er wunderbar aus mit seinem braunen Lockenhaar, seinem klar geschnittenen Profil und seinen grauen Augen. Er war bei Männern ebenso beliebt wie bei Frauen, und er verfügte über alle Fähigkeiten außer der des Geldverdienens. Sein Vater hatte ihm seinen Kavalleriesäbel und eine „Geschichte des Spanischen Krieges der Engländer gegen Napoleon I.“ in fünfzehn Bänden hinterlassen. Den erstgenannten hängte Hughie über seinem Spiegel auf, die letzgenannten stellte er auf ein Bücherbord und lebte von zweihundert Pfund im Jahr, die eine alte Tante ihm aussetzte. Er hatte alles versucht. Schließlich wurde er nichts, ein entzückender, untauglicher junger Mann mit einem vollkommenen Profil und keinem Beruf.
Um das Übel voll zu machen, war er auch noch verliebt. Das Mädchen, das er liebte, war Laura Merton, die Tochter eines pensionierten Obersten. Laura betete Hughie an, und er war bereit, ihre Schuhbänder zu küssen. Es gab kein schöneres Paar in London, und sie besaßen zusammen kein Kupferstück. Der Oberst mochte Hughie sehr gern, doch wc'üe er von einer Verlobung nichts wissen.
!omm zu mir, mein Junge, wenn du zehnte-;’.md Pfund dein eigen nennst, und wir wollen die Sache besprechen“, pflegte er zu sa" n.
F'nes Morgens, als Hughie auf dem Wege na ca Holland Park war, wo die Mertons wohnten, kam es ihm in den Sinn, einen guten Freund, Alan Trevor, r' Msurhcn. Tre- vor war Maler. Äußerlich war er ein sonder
bar grober Bursche mit sommersprossigem Gesicht und rotem, zerzaustem Bart. Doch wenn er den Pinsel zur Hand nahm, war er ein wirklicher Meister, und nach seinen Bildern herrschte starke Nachfrage.
Als Hughie eintrat, war Trevor gerade im Begriff, die letzten Pinselstriche an dem wundervollen, lebensgroßen Bildnis eines Bettlers zu tun. Der Bettler selber stand auf einem Podium in einer Ecke des Ateliers. Es war ein runzeliger, alter Mann mit einem Gesicht wie zerknittertes Pergament und höchst erbarmenswertem Ausdruck. Über seine Schulter war ein völlig zerlumpter und zerfetzter, grober brauner Umhang geworfen, seine plumpen Stiefel waren vielfach geflickt, und mit der einen Hand stützte er sich auf einen derben Stock, während er mit der andern seinen verbeulten Hut für Almosen hin hielt.
„Was für ein prächtiges Modell?“ schrie Trevor mit der ganzen Kraft seiner Stimme. „Das will ich meinen! Einen solchen Bettler trifft man nicht alle Tage. Meiner Treu, was für eine Radierung hätte Rembrandt nach ihm gemacht!“
„Der arme alte Kerl!“ sagte Hughie. „Wie elend er aussieht! Aber für euch Maler ist sein Gesicht sein Vermögen, nicht wahr?“
„Gewiß“, erwiederte Trevor, „du verlangst doch wohl nicht, daß ein Bettler glücklich aussieht, wie?“
„Wieviel bekommt ein Modell für die Sitzung?“ fragte Hughie, nachdem er es sich auf einem Diwan bequem gemacht hatte.
„Einen Schilling für die Stunde.“
„Und wieviel bekommst du für dein Bild, Alan?“
„Oh, für das hier bekomme ich zweitausend!“
„Pfund?“
„Guineen. Maler, Dichter und Ärzte werden immer in Guineen bezahlt.“ „Nun, ich finde, die Modelle so’lten Prozente erhalten,“ rief Hughie lachend. „Sie arbeiten ebenso hart wie du.“
Nach einiger Zeit kam der Diener herein und teilte Trevor mit, daß der Glaser ihn zu sprechen wünsche.
„Geh noch nicht fort, Hughie“, sagte Trevor, während er hinausging, „ich bin gleich wieder da.“
Der alte Bettler benützte die Abwesenheit des Malers, um sich auf der hinter ihm stehenden Holzbank eine Weile auszuruhen. Er sah so verloren und elend aus, daß Hughie sich des Mitleids nicht erwehren konnte und in seinen Taschen kramte, um nachzusehen, wieviel Geld er hatte. Er fand jedoch nichts anderes als einen Sovereign und ein paar Kupfermünzen. ,Der arme alte Kerl’, sagte er zu sich selbst, ,er braucht das Geld mehr als ich...’. Er durchquerte das Atelier und drückte dem Bettler den Sovereign in die Hand.
Der alte Mann stutzte, ein schwaches Lächeln zuckte um seine dünnen Lippen. „Danke, Herr“, sagte er, „danke“. Dann kehrte Trevor zurück, und Hughie verabschiedete sich.
Am Abend dieses Tages begab er sich gegen elf Uhr in den Malerklub, wo er Trevor ganz allein im Rauchzimmer fand.
„Nun, Alan, bist du mit deinem Bild fertig geworden?“ erkundigte er sich.
„Fixundfertig und schon gerahmt, mein Junge!“ antwortete Trevor. „Übrigens hast du eine Eroberung gemacht. Das alte Modell, das du bei mir gesehen hast, ist ganz vernarrt in dich. Ich mußte ihm alles von dir erzählen“.
„Du hast dem alten Bettler all meine Privatangelegenheiten erzählt?“ rief Hughie, der einen roten Kopf bekommen hatte und sehr ärgerlich aussah.
„Mein lieber Junge“, lächelte Trevor, „der alte Bettler, wie du ihn bezeichnest, ist Baron Hausberg, einer der reichsten Männer von Europa. Er könnte morgen ganz London kaufen, ohne sein Konto zu überziehen. Er ist ein guter Freund von mir, kauft alle meine Bilder und dergleichen und gab mir vor einem Monat den Auftrag, ihn als Bettler zu malen.“
„Baron Hausberg!“ rief Hughie. „Großer Gott! Und ich hab ihm einen Sovereign geschenkt!“ Und er sank, ein Bild der Bestürzung, in einen Sessel. — „Für was für einen Trottel muß er mich halten!“ sagte Hughie. —
„Ganz und gar nicht. Er war nach deinem Fortgang in der besten Laune, kicherte vor sich hin und rieb sich die alten runzligen Hände. Ich begriff nicht, warum er so erpicht darauf war, alles über dich zu erfahren; aber jetzt verstehe ich’s. Er wird den Sovereign für dich anlegen, Hughie, dir jedes Halbjahr die Zinsen auszahlen und bei Tischgesellschaften eine herrliche Anekdote zu erzählen haben."
„Ich bin ein unglücklicher Teufel“, brummte Hughie.
Als Hughie am nächsten Morgen beim Frühstück saß, brachte ihm der Diener eine Karte, auf der stand: „Monsieur Gustave Naudin, de la part de M. le Baron Hausbeig.“
.Wahrscheinlich kommt er, um meine Entschuldigung entgegenzunehmen’, sagte Hughie zu sich selbst und befahl dem Diener, den Besucher heraufzuführen.
Ein alter Herr mit Goldbrille und grauem Haar trat ein und sagte mit leicht französischem Tonfall: „Habe ich die Ehre, mit Monsieur Erskine zu sprechen?“
Hughie verbeugte sich.
„Ich komme von Baron Hausberg“, fuhr er fort. „Der Baron...“
„Ich ersuche Sie, mein Herr, ihm meine aufrichtigste Bitte um Entschuldigung zu übermitteln“, stammelte Hughie.
„Der Baron“, sagte der alte Herr mit einem Lächeln, „hat mich beauftragt, Ihnen diesen Brief zu überbringen.“ Und er reichte Hughie einen versiegelten Umschlag.
Darauf stand geschrieben: „Ein Hochzeitsgeschenk für Hugh Erskine und Laura Merton von einem alten Bettler", und darin lag ein Scheck auf zehntausend Pfund.
Bei der Trauung war Alan Trevor Brautführer, und der Baron hielt beim Hochzeitsmahl eine Rede.
„Millionärmodelle sind recht selten“, bemerkte Alan; „aber wahrhaftig, Modellmillionäre sind noch seltener!“