NUMMER 134

MITTWOCH, 2 9. AUGUST 1951

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Atlantik-Aufrüstung ohne Verzögerung

Eisenhower vor dem Kongreß / Labour-Partei billigt Verteidigungsprogramm

WASHINGTON. General Eisenhower, der atlantische Oberbefehlshaber, hat vor einem Kongreßausschuß der USA jede Verzö­gerung der Aufrüstung Westeuropas als eine große Gefahr für die Vereinigten Staaten be­zeichnet und die Zuversicht geäußert, daß Deutschland und Frankreich in Zukunft eng Zusammenarbeiten werden.

Die Ausführungen des Generals waren im Juli auf einer Geheimsitzung des Senats ge­macht worden, von der erst jetzt Einzelheiten bekanntgegeben wurden, Eisenhower vertrat die Ansicht, die Vereinigten Staaten müßten ihre Produktionskapazität restlos ausnutzen und Europa alle militärische Unterstützung zükommen lassen.Ich bin der festen Über­zeugung, meinte der atlantische Oberbefehls­haber,daß die Russen sich eine andere, leich­tere Stelle als Westeuropa aussuchen werden, Wenn dieses stark genug gemacht wird.

In der neuesten* Ausgabe der Zeitschrift Look schreibt der amerikanische Militär- Schriftsteller G. F. Eliot, die Atlantikpakt­armee in Europa sei mindestens bis zum Früh­jahr 1953 der Gefahr ausgesetzt, überrannt zu werden. Für die Zwischenzeit habe das atlan­tische Oberkommando allerdings einenNot­plan zur Hand. Erst im Jahre 1953 würden 35 Divisionen, das erforderliche Minimum zur Verteidigung Westeuropas, zur Verfügung ste­hen. Die drei Stadien der atlantischen Bereit­schaft seien ihm, Eliot, von einem britischen Offizier mit folgenden Worten charakterisiert worden:1951 beten wir, 1952 hoffen wir, 1953 haben wir es geschafft wenn wir dann noch

Deutsche Guthaben verloren

Unterredung McCIoy Adenauer

BONN. In einer fünfstündigen Unterredung zwischen dem amerikanischen Hohen Kommis­sar McCIoy und Bundeskanzler Adenauer am Montag wurden alle wesentlichen deutsch-alli- ,ierten Fragen erörtert. McCIoy soll, wie ein hoher amerikanischer Beamter mitteilte, dem Bundeskanzler mitgeteilt haben, daß die drei Hohen Kommissare bei dem Außenminister­treffen am 11. September voraussichtlich nur Richtlinien für ihre Deutschlandpolitik erhal­ten werden. Erst zu einem späteren Zeitpunkt, möglicherweise im Oktober oder November, Würde bei einem erneuten Zusammentreffen der Außenminister eine endgültige Entschei­dung über den deutschen Verteidigungsbeitrag gefällt.

Eines der wichtigsten erörterten Probleme war, derselben Quelle zufolge, die Frage der deutschen Auslandsschulden. McCIoy habe dem Kanzler erklärt, die beschlagnahmten deutschen Auslandsguthaben würden nicht, wie man deutscherseits gehofft hatte, zur Tilgung der Auslandsschulden herangezogen. Vielmehr sei beabsichtigt, den Besitz der beschlagnahm­ten deutschen Guthaben durch alliierte Natio­nen als endgültig zu bestätigen.

Funkverfrag unterzeichnet

MAINZ. Der rheinland-pfälzische Minister­präsident Peter Altmeier hat am Dienstag auf einer Pressekonferenz den Abschluß eines Staatsvertrages über den Südwestfunk zwi­schen den drei Ländern der französischen Be­satzungszone bekanntgegeben.

Altmeier teilte mit, daß die Paraphierung und der Abschluß des Vertrages am 27. August von den Länderchefs von Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern und Südbaden in Freiburg vollzogen worden ist. Der unbefri­stete Vertrag bedarf zur Inkraftsetzung noch der Ratifizierung durch die Länderparlamente.

Dem Südwestfunk, Baden-Baden, wird auf Grund des Staatsvertrages das Recht der Selbstverwaltung verliehen. Es heißt im Ver­tragstext, daß die vertragschließenden Länder im Sendegebiet des Südwestfunks keine wei­teren Rundfunkanstalten errichten.

hier sind. Die bedenklichste Schwäche der westeuropäischen Verteidigung ist nach An­sicht Eliots der Mangel an taktischen Luft­streitkräften

Für den weiteren entschlossenen Aufbau der Verteidigung und für die Erhaltung des Frie­dens hat sich die britische Labourparty am Montag in einer programmatischen Erklä­rung ausgesprochen. Die Partei stellt sich da­mit hinter das Dreijahresaufrüstungspro­gramm der britischen Regierung. Dieses Pro­gramm seidas Mindeste, was zur Abschrek- kung einer Agression und zur Verhütung eines dritten Weltkrieges erforderlich ist.

Das Rüstungsprogramm der Labour-Regie- rung, so heißt es in der Erklärung weiter, könne durchgeführt werden, ohne daß die Wirtschaft des Landes übermäßig belastet werde. Aber man lasse es nicht zu, daß jemand aus der bitteren Notwendigkeit, aufzurüsten, Gewinne ziehe. Große, unverdiente Gewinne solcher Art aus Privatunternehmen müßten mit neuen Steuern belegt werden. Ferner wird eine Erweiterung des Preiskontrollsystems an­gekündigt und festgestellt, daß die Lebensmit­tel-Subventionierung, die Mietpreiskontrollen und das Bauprogramm beibehalten werden.

In der Erklärung des Exekutivausschusses der Labourparty sehen politische Beobachter eine Antwort auf die Kritik des linken Par­teiflügels unter Führung des ehemaligen Ge­sundheitsministers B e v a n an der britischen Regierungspolitik.

Abwarten und Zusehen

Unveränderte britische Persienpolitik

LONDON. Maßgebende britische Regierungs­kreise haben jetzt den seit einigen Tagen auf­getauchten Gedanken energisch zurückgewie­sen, die Ölraffinerien von Abadan zu neutra­lisieren und einem Amerikaner zu unterstel­len, um durch diesen Schachzug die abgebro­chenen Ölverhandlungen zwischen Persien und Großbritannien wieder in Gang zu bringen.

Die britische Persienpolitik verfolge nach wie vor das Ziel: Abwarten und zusehen.

Meldungen über einen derartigen amerika­nischen Plan sind in den vergangenen Tagen in der britischen Presse veröffentlicht wor­den. Im Zusammenhang mit dem Besuch und den Unterredungen des amerikanischen Son­derbeauftragten Harriman erhielten diese :

Meldungen besonderes Gewicht, obwohl von J

einem offiziellen amerikanischen Vorschlag <

dieser Art bis jetzt noch nichts bekannt ge- j

worden ist. Aber es ist kein Geheimnis, daß Harriman in seinen Unterredungen mit Pre- \

mierminister A 111 e e und anderen Kabinetts- mitgliedem die Behandlung Persiens durch Großbritannien in einigen Punkten kritisiert hat. Nach englischen Zeitungsmeldungen ist man in Washington der Ansicht, Großbritan­nien bestehe in Persien zu sehr auf seinem Recht und gehe zugeschäftsmännisch vor.

Persien müsse entweder als überzeugter An­hänger zum Westen stoßen, oder aber es werde durch den kompromißlosen Rechts­standpunkt Großbritanniens in die Knie ge­zwungen. Dadurch werde der Weg für den Kommunismus in Persien frei.

Frankreich will mehr Dolfar

Wünsche für Washington

PARIS. Frankreich will bei den kommen­den internationalen Besprechungen in den USA, in erster Linie bei der Dreimächte-Außenmi- nisterkonferenz in Washington, das Problem der amerikanischen Wirtschafts- und Militär­hilfe an die Alliierten der USA grundsätzlich aufrollen Die vier Punkte, in die Außenmini­ster Schuman die französischen Wünsche zu­sammenfassen wird, sind folgende: Gewäh­rung des größtmöglichen Anteiles der vorge­sehenen Kredite an Frankreich, Aufteilung der Militär- und der Wirtschaftshilfe in dem Verhältnis, das den größten Nutzeffekt ge­währleistet, Einreihung der amerikanischen Kohlenlieferung an Frankreich (einschl. des dazu benötigten Frachtraumes) unter die mi­litärischen Lieferungen und amerikanische Un­terstützung für die Fortsetzung des Kampfes in Indochina.

Wie aus unterrichteten Kreisen verlautet, sei an eine Überprüfung oder Abänderung der bestehenden militärischen Pläne nicht gedacht. Frankreich wolle vielmehr den Nachdruck auf eine ausreichende Unterstützung legen, um die zur militärischen und wirtschaftlichen Er­starkung Frankreichs vorgesehenen Pläne auch durchführen zu können.<

Angeklagt wegen Menschenraub

BERLIN. Vor dem Westberliner Landgericht Moabit begann am Montag ein Prozeß gegen vier Angestellte des sowjetisch kontrollierten Berliner Rundfunks, denen gemeinschaft­licher Menschenraub vorgeworfen wird. Sie werden beschuldigt, am 1. September vorigen Jahres einen Flüchtling aus dem Uranberg­baugebiet der Sowjetzone in' den Sowjetsektor verschleppt und dort der Volkspolizei über­geben zu haben. Dem Flüchtling ist es in­zwischen gelungen, sich in Sicherheit zu brin­gen. Irrtümlicherweise gelangte der Flüchtling, der damals Aussagen über die Zustände im Bergbaugebiet von Aue machen wollte, statt in den Rias (Rundfunk im amerikanischen Sektor) in den noch im britischen Sektor lie­genden ostzonalenBerliner Rundfunk. Der Hauptangeklagte des Prozesses, Richard G1 a - dewitz, Chef der AbteilungSowjetunion und Volksdemokratien im Sender Berlin, gab zu, daß er den Flüchtling in seinem Glau­ben, beim Rias zu sein, bestärkt habe.

Sachlich und leidenschaftslos

Bonn will das Problem der Wohnraumbeschlagnahmung lösen

BONN. Das Bundesfinanzministerium hat der alliierten Hohen Kommission ein Memo­randum zugeleitet, das ein langfristiges Pro­gramm zur Freigabe der von den Besatzungs­mächten beschlagnahmten Wohnungen und ge­werblichen Räume enthält. Mit diesem Pro­gramm will, wie aus Bonn verlautet, die Bun­desregierung versuchen,sachlich und leiden­schaftslos das schwierige Problem der Wohn­raumbeschlagnahmung zu lösen. Dabei wird der berechtigte Bedarf der Alliierten aner­kannt. Aus politischen und sdzialen Gründen erachtet die Bundesregierung es für notwen­dig, sofort wenigstens einen Anfang mit der planmäßigen Freigabe des seit etwa sechs Jah­ren beschlagnahmten Wohnraumes (zurzeit 60 000 Objekte) zu machen.

Das Memorandum enthält neben der Auf­zählung, deutscher Maßnahmen zurEntgif­tung der Atmosphäre (so sind beispielsweise vom Bund den Ländern in diesem Jahr 35 Millionen DM für den Bau von Ersatzwoh­nungen zur Verfügung gestellt worden; au­ßerdem haben jene Deutsche, die wegen Un­terbringung alliierter Truppenverstärkungen ihre Wohnungen räumen mußten, vom Bund seit Oktober vorigen Jahres 235 Millionen DM für die Erstellung von Ersatzwohnungen er­halten) eine Reihe von Vorschlägen an die

Kleine Weltchronik

TÜBINGEN. Das Staatsministerium von Würt­temberg-Hohenzollern hat dem Entwurf eines Kommunalbeamtengesetzes zugestimmt, der dem­nächst dem Landtag zur Beschlußfassung zuge­leitet wird. Während das Beamtengesetz von Württemberg-Hohenzollern vom 8. April 1949 in erster Linie auf die Staatsbeamten abgestimmt ist, werden in dem neuen Gesetzentwurf die be­sonderen Verhältnisse des Kommunaldienstes be­rücksichtigt. Das Gesetz enthält ergänzende be­amtenrechtliche Vorschriften zum Beamtengesetz, zur Gemeindeordnung und zur Kreisordnung.

STUTTGART. Der im Nürnberger Kriegsver­brecherprozeß zu 15 Jahren Haft verurteilte ehe­malige Reichsaußenminister Konstantin v. Neu­rath, der seine Strafe im Spandauer Gefängnis verbüßt, wird nicht in ein Krankenhaus über­geführt, wie der amerikanische Hohe Kommissar McCIoy Bundeskanzler Dr. Adenauer schriftlich mitteilte.

FRANKFURT. Der am Montag angelaufene Streik von über 50 000 Metallarbeitern der süd­hessischen Industrie ist am ersten Tag ohne nen­nenswerte Zwischenfälle verlaufen. Der Bezirks­leiter der Industriegewerkschaft Metall in Hes­sen, Hans Eick, erklärte, die Gewerkschaft werde es sich überlegen, ob der Streik nicht zum Wochenende noch verschärft werden müsse. Der Arbeitgeberverband von Hessen erklärte, daß durch den Streik der Metallindustrie auch die Zuckerversorgung gefährdet werde, da in mehre­ren Zuckerfabriken notwendige Reparaturen nicht durchgeführt werden könnten.

BONN. Die Deutsche Heilpraktikerschaft ver­anstaltet am 15. und 16. September in der Bun-

Alliierten. So wird u. a. empfohlen, gemischte deutsch-alliierte Kommissionen zu schaffen, die beschlagnahmte Räume hinsichtlich einer rationelleren Ausnützung als bisher überprü­fen sollen. Nach Ansicht der Bundesregierung ist beschlagnahmter Wohnraum in vielen Fäl­len überhaupt nicht ausgenützt, was bei der allgemeinen Wohnungsnot in Deutschland von der Bevölkerung nicht verstanden werden könne. Ferner vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß alliierte Truppen ihre Familien nicht mitbringen dürfen. Auch wird vorgeschlagen, den deutschen Altbewohnem zu gestatten, in ihren Häusern mit den Alli­ierten zusammenzuwohnen.

Für den sich über mehrere Jahfe erstrek- kenden Gesamtfreigabeplan, der gemeinsam durchgeführt werden müßte, schlägt die Bun­desregierung den Bau von Wohnungen für die Alliierten vor. Unter der Voraussetzung, daß in gleichem Maße beschlagnahmte Wohnungen freigegeben werden, will der Bund den Bau und die Einrichtung solcher Wohnungen finan­zieren. Das Finanzministerium hat Entwürfe von drei Wohnungstypen für Besatzungsange­hörige zu 25 000, 30 000 und 35 000 DM fertig­gestellt. Die bisher von den Alliierten auf Besatzungskosten gebauten Einheiten belaufen sich dagegen auf etwa 50 000 DM.

deshauptstadt einen Fachkongreß, der sich mit der zunehmenden Gefahr der Volks- und chro­nischen Krankheiten beschäftigen wird. Die Me­thoden der Früherkennung, früzeitigen Vorbeu­gung und der anhaltend wirksamen Behandlung stehen zur Debatte.

BONN. In Regierungskreisen hofft man, daß die Wahl des ersten Präsidenten des Bundesver­fassungsgerichts am 4. September durch den Wahlmännerausschuß) des Bundestages vorge­nommen werde, damit die südbadische Verfas­sungsklage noch vor der Abstimmung über die Neuordnung der südwestdeutschen Länder am 16. September behandelt werden kann. Der FDP- Bundestagsabgeorduete Dr. Höpker-Aschoff hat sich bereit erklärt, die Kandidatur zu überneh­men.

DÜSSELDORF. Der vor einem Jahr begrün­deteBund deutscher Kriegsbeschädigter und Kriegshinterbliebener hat der Bundesregierung und dem Parlament eine Denkschrift überreicht, in der wesentliche Verbesserungen des Bundes­versorgungsgesetzes gefordert werden. U. a. ver­langt der Bund, daß die Grundrenten für 30 bis 40prozentig Beschädigte auf 30 und 40 DM monat­lich erhöht werden, daß die Steuerfreibeträge auf mindestens 100 DM zu erhöhen seien und daß Witwenrenten auch für Frauen unter 40 Jahren gezahlt werden müssen.

LONDON. Unter Mitarbeit einer deutschen Firma sind in Irland Versuche angestellt worden, öl aus Torf zu gewinnen. Deutsche Techniker schätzen, daß eine kleine Fabrik 11 Millionen Gallonen Öl aus 450 000 Tonnen Torf destillieren könne.

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IM NECKARTAL

Ein fröhlicher Roman von Else Jang

22] Copyright by Verlag Bechthold

Heute mußte die Entscheidung fallen, und wenn ihn nicht alles getäuscht hatte, so kam Ihm Angelika schon auf halbem Wege ent­gegen. Seit sie von Leipzig zurückgekehrt war, Stand sie wieder ganz unter seinem Einfluß. Ein kluger, kleiner Flirt mit einer hübschen Weberin, der so geschickt gespielt worden war, daß Angelika ihn bemerkte, hatte nicht Unwesentlich dazu beigetragen, ihre Eifersucht zu erregen.

Schreyer zog die Krawatte noch einmal fest und pfiff leise einen zärtlichen Schlager.

Du warst bezaubernd eifersüchtig, schöne

f rau. Habe ich dich erst ganz, dann wirst du ald nach meiner Pfeife tanzen. Von allen

? tücken, die ich in meinem reichbewegten Le­en den Frauen aufgespielt habe, wird dieses tnein Glanzstück sein. Keiner wird es mehr Wagen, den Besitzer eines solchen Werkes, den

S atten einer solchen Frau nicht für einen hrenmann zu halten. Haha, wer sollte auch Unter dem Namen Schreyer einen anderen vermuten.

< Es war ein guter und ehrlich erworbener Name. Ein kinderloser Greis hatte ihn getra­gen und ihn einem jungen Manne geschenkt, 3er es verstanden hatte, sich in sein einsames Herz zu stehlen.

In Karlsbad auf der Brunnenpromenade wa- jen sie sich begegnet, und auf einer Bank ln Sen Anlagen waren sie ins Gespräch gekom- knen. Wie leicht war es gewesen, das Vertrauen

^ s alten Mannes zu gewinnen. Man hatte nur le rührende kleine Geschichte zu erfin­

den brauchen: Von einer armen, trostlos ver­brachten Jugend in einer kinderreichen Fami­lie, in der es zu einer Ausbildung für den Jüngsten nicht mehr gereicht hatte.

Als der Fabrikant Anton Schreyer von Karlsbad abreiste, hatte er den unglücklichen jungen Mann mitgenommen. Wie einen Sohn hatte er ihn in sein Haus und seine Firma eingeführt. Ein Jahr danach hatte er ihn adop­tiert, nach einem weiteren Jahr starb er, ver­erbte ihm seinen Namen und die Fabrik im guten Glauben, daß er beides in den besten Händen zurücklasse. Zwei Jahre später hatte der junge Schreyer die Fabrik verkauft, das Geld verjubelt, und es war ihm nichts ver­blieben als die unter Papa Schreyers Anlei­tung erworbenen kaufmännischen Kenntnisse. Daß nicht nur sie, sondern vor allem sein si­cheres, weltmännisches Auftreten und sein bestechendes Äußere ihm die Stellung bei An gelika Lorentzen verschafft hatten, war ihm von vornherein klar gewesen, und seine wei­teren Pläne hatten sich auf dieser Tatsache aufgebaut. Die unruhige Vergangenheit sollte abgeschlossen sein. Auf dem neuen Namen lag noch kein Makel, und wenn Angelika die Seine wurde, dann war er hier der Herr: Be­sitzer und Leiter des Werkes, Eigentümer auch einmal der schönen alten Burg Raben­eck, wenn es dem alten Drachen da droben nicht einfiel, sie ihrer Enkelin zu vermachen, was beizeiten verhindert werden mußte.

Während Schreyer die breite Fahrstraße zur Burg hinanstieg, die sich in steilen Kurven zur Höhe hinaufzog, kam ihm Angelika ent­gegen.

Sie war blaß und aufgeregt.

Ich habe hinuntertelefoniert, aber du warst schon fort, sagte sie mit flatternder Stimme, hast du Imma gesehen?

Lieber Himmel, was war jetzt schon wieder los?

Schreyers Gesicht rötete sich, und zornig stampfte er mit dem Fuß auf, als er hörte, daß Imma zum zweitenmal davongelaufen sei.

Laß sie doch mein Gott, so laß sie doch endlich laufen, Angelika. Warum regst du dich noch über diese kindische Dummheit auf? Sie wird schon wieder zurückkommen. Was war denn? Habt ihr wieder einmal über mich gesprochen?

Angelika nickte. Tränen standen in ihren Augen, und ihre Hände klammerten sich an den Ärm des Mannes.

Ich ertrage das nicht länger, Richard, das Kind widersetzt Sich mir mit einem Eigen­sinn, den ich nicht zu brechen vermag.

Sie weinte jetzt haltlos, und obwohl Schreyer lieber mit einem empörten Donnerwetter als mit sanften Worten geantwortet hätte, be­zwang er sich und legte seinen Arm um die Schulter der Frau.

Wir wollen einmal alles in Ruhe überle­gen, sagte er,schließlich hast du ja auch noch ein Recht an dein Leben. Deine besten Jahre hast du deinem Kinde geopfert, ich meine, Imma sollte so vernünftig sein und das einsehen. Eines Tages wird sie heiraten, und dann bist du allein.

Wieder nickte Angelika.

Fast mit den gleichen Worten hatte sie zu Imma gesprochen, aber die Widerspenstige hatte erregt ausgerufen:Heirate, wen du willst, nur nicht Schreyer! Glaubst du, daß er dich liebt? Er will ja nur das Werk, und wenn er es hat, wird er dich beiseite schieben und dich fühlen lassen, daß du ihm viel zu alt bist.

Es waren grausame Worte gewesen, sie hat­ten sehr weh getan. Noch immer zitterten sie in Angelika nach, und wie schutzsuchend drängte sie sich fester in den Arm des Mannes.

Liebst du mich wirklich, Richard? fragte sie plötzlich und blieb stehen.

Seine Augen suchten die ihren. Stummer Vorwurf lag in seinem Blick.

Komm, sagte er und zog sie wieder dicht an seine Seite,darauf werde ich dir oben antworten.

Es war Nacht, als Richard Schreyer die Burg verließ und durch den dunklen Wald zum schlafenden Städtchen hinabstieg. Herbstlich rauschte der Wind in den Bäumen, durch de­ren Gipfel ein klarer Sternhimmel funkelte. Fest und rhythmisch erklangen die Schritte des einsamen Wanderers auf der gepflasterten Straße.

Einmal wandte er Sich um.

Das Licht hinter Angelikas Fenster war er­loschen. Schwarz und drohend ragte der Berg­fried über dem Wald, ein Riese, der Jahr­hunderte und vieler Menschen Schicksal über­dauert hatte.

Schreyer lächelte zufrieden.

Er war am Ziel.

Die Frau, um die er lange hatte werben müssen, hatte nachgegeben.

Zweifel und Mißtrauen, die Worte allein nicht zu beschwichtigen vermocht hatten, wa­ren von der Leidenschaft seiner Liebkosungen überwältigt worden. Die Kluge hatte alle Vor­sicht vergessen, und ihr Stolz hatte sich der drängenden und fordernden Gewalt seines Wil­lens ergeben.

Richard Schreyer hatte heute die beste, aber auch die gewagteste Rolle seines Lebens ge­spielt. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt: Entweder du wirst meine Frau, hatte er gesagt und sie fest in seine Arme gezogen, oder ich gehe fort. Ich kann so nicht länger leben in deiner Nähe und doch ohne dich.

Als Schreyer am nächsten Morgen die Werk­stätte betrat, war sein Schritt fest und her­risch. Nur kurze Zeit noch, und alles, was ihn hier umgab, war sein Eigentum.

Er dachte nicht mehr an Gefahr.

Woher sollte sie auch kommen?

Frau von Losch fürchtete er nicht, und Imma war fort. Er fühlte sich stark genug, Angelika zu veranlassen, daß sie die Tochter für längere Zeit von Hause fernhielt.

Den früheren Schulkameraden Thilo Falcäc hatte er vergessen. (Fortsetzung folgt)