NUMMER 125

MONTAG, 13. AUGUST1951

Kohle-Zwangsexport unverändert

6,2 Mill. t. Kohlenexport wie im dritten Quartal / IG Bergbau fordert Revision

DÜSSELDORF. Nach zweitägigen Verhand­lungen hat der Rat der Internationalen Ruhr­behörde am vergangenen Samstag erneut ge­gen die Stimmen der deutschen Delegation die deutsche Kohlenexportquete für das vierte Quartal 1951 auf 6,2 Millionen t festgelegt. Die Bundesregierung hatte 5,2 Millionen t ange- boten, von mehreren ausländischen Dele­gationen war ein Export von rund 6,5 Millio­nen t gefordert worden.

Der stellvertretende deutsche Delegierte, Dr. Potthoff, erklärte den Beschluß der Ruhr­behörde als enttäuschend. Die Höhe der von der Ruhrbehörde gegen die deutschen Stim­men beschlossenen Kohlenexportmenge von 6,2 Millionen t für das .vierte Quartal wird auch in Bonner Regierungskreisen lebhaft be­dauert. Es wird erwartet, daß in der kommen­den Woche noch im einzelnen geprüft wird, ob und welche Schritte die Bundesregierung ge­gen diese Entscheidung unternehmen soll.

Der deutsche Delegierte in der Ruhrbehör­de, Vizekanzler Franz Blücher, stellte ge­stern abend fest, daß die Bestimmungen für die Ruhrbehörde geändert werden müßten. Er begründete seinen Entschluß, als deutscher

Sozialistisdier Jugendtag

Durchbruch zu neuen Formen

HAMBURG. Gestern ging der achteSo­zialistische Jugendtag, der unter dem Leit­spruchFriede und Freiheit durch Sozialis­mus stand, in Hamburg zu Ende. Der Vor­sitzende der deutschenFalken, Erich Lindstädt, begrüßte am Samstag die etwa 15 000 Jungen und Mädchen der sozialistischen deutschen Jugendorganisationen, sowie die Delegationen der sozialistischen Jugendin­ternationale aus ganz Europa und Übersee. Auch Vertreter aus den Ostblockstaaten und der Ostzone waren auf dem Jugendtag an­wesend.

Nach einem mehrere Kilometer langen Fak- kelzug durch die Innenstadt Hamburgs be­grüßte auf dem Rathausplatz Bürgermeister Max Brauer die Jugendlichen und forderte sie auf, an der Befreiung des Menschen über­all in der Welt mitzuarbeiten. Die junge Ge­neration müsse sich die Begriffe Freiheit, Sicherheit und sozialer Fortschritt zu eigen machen, dann gelte für sie der Satz:Und setzest Du nicht das Leben ein, nie wird Dir das Leben gewonnen sein. Brauer schloß die bisher größte Hamburger Jugendkund­gebung nach dem Kriege mit den Worten, die Aufgabe der Gegenwart sei nicht die Re­stauration, sondern der Durchbruch zu neuen sozialen Formen.

Gemeinsame Flottenmanöver

Kampf um die Straße von Sizilien

LA VALETTA. Das Mittelmeer ist von heute bis Mittwoch der Schauplatz eines der größten gemeinsamen Flottenmanöver der Ver­einigten Staaten, Großbritanniens, Frank­reichs und Italiens. Unter dem Befehl des Kommandeurs der 6. amerikanischen Flotte, Vizeadmiral Matthias B. Gardner, wird ein Geleitzug gesichert von amerikanischen Kreuzern, Zerstörern, Minensuchern, Unter­seebooten und Flugzeugträgern sowie einigen britischen Fregatten versuchen, die Straße von Sizilien zu durchstoßen. Der Feind, unter Befehl des britischen Admirals John Edel­sten, wird Unterseeboote, Überwassereinhei- ten der britischen Mittelmeerflotte, sowie fran­zösische und italienische Küstenverbände ein- setzen, um die Straße zu sperren. Darüber hinaus unterstehen dem Verteidiger die auf Sizilien stationierten Luftstreitkräfte und die britischen Bomber- und Jägerverbände auf Zypern und in der Kanalzone. Die Leitung des Manövers hat der Befehlshaber Südeu­ropa des atlantischen Verteidigungsbereiches, Admiral Robert B. C a r n e y.

Vertreter aus der Ruhrbehörde auszuscheiden, den er am Freitag dem Bundeskanzler mit­geteilt hatte, damit, daß bei dem gegenwär­tigen Statut dieser Behörde der deutsche Vertreter stets einer geschlossenen Front der anderen Delegierten gegenüberstehe. Un­ter diesen Umständen sei von einer wirk­lichen Mitarbeit keine Rede.

Indem er die psychologischen Auswirkungen auf die Arbeitsleistung der deutschen Berg­arbeiter unterstrich, forderte der Vorstand der Industriegewerkschaft Bergbau die internatio­nale Ruhrbehörde auf, ihren Beschluß über die Beibehaltung der Kohlenexporte für das dritte Quartal für 1951 zu revidieren. Der Vor­stand der IG. Bergbau, so heißt es in einer

Verlautbarung, habe von dem Beschluß der Ruhrbehörde mit Bestürzung und Empörung Kenntnis genommen.

Der Beschluß der Ruhrbehörde, die deut­sche Kohlenexportquote von 6,2 Millionen t aufrechtzuerhalten, ist schädlich und unerträg­lich, sagte gestern der SPD-Vorsitzende Dr. Schumacher in einem Interview mit dem nordwestdeutschen Rundfunk. Man verstehe auf alliierter Seite nicht, daß es kein Zeichen europäischer Gemeinschaftsgesinnung sei, wenn die kleinen Leute in Deutschland frie­ren, und zwar allein frieren. In den Haushal­ten anderer Länder,die von der Wegnahme der deutschen Kohle leben, betrage die Haus­brandversorgung 35 bis 40 Ztr. Die Haltung der Ruhrbehörde bedeute den Zusammenbruch einer ganzen Politik. Die Bundesregierung müsse als Konsequenz ihrePeriode des pri­mitiven und leichtfertigen Optimismus be­enden.

Vorrang der Besafeungskosten

Alliierte erwarten neue Steuermaßnahmen / Kürzung der Sozialaufwendungen

BONN. Alliierte Kreise erklärten am Sams­tag erneut, daß die Besatzungskosten als ein Beitrag zur europäischen Verteidigung ange­sehen werden müßten. Es wurde betont, daß bei der Verteilung des Steueraufkommens der Bundesrepublik die Besatzungskosten den Vor­rang vor allen anderen deutschen Verwen­dungszwecken haben. Bundesfinanzminister Schäffer war bei seinen Besprechungen auf dem Petersberg mitgeteilt worden, daß Deutschland die Besatzungskosten in. voller Höhe von 6,6 Milliarden DM bezahlen müsse. Auch der Vorschlag Schäffers, 1,6 Milliarden DM der Besatzungskosten in den außerordent­lichen Haushalt zu übernehmen und durch ausländische Kredite zu decken, sei von den Alliierten abgelehnt und dem Bundesfinanz­minister deutlich zu verstehen gegeben wor­den, daß die Alliierten neue Steuermaßnahmen erwarteten, um die volle Höhe der Besatzungs­kosten direkt aufzubringen.

Es wurde auch darauf hingewiesen, daß die Erhöhung der Besatzungskosten nur durch die von Bundeskanzler Adenauer gewünschte Trup­

penverstärkung in der Bundesrepublik be­dingt sei.

Schäffer hatte eingehende Aussprachen mit den Finanzexperten der drei Koalitionspar­teien. Er hat dabei erklärt, daß aus dem or­dentlichen Haushalt nur bis etwa 5,3 Milliar­den gedeckt werden könnten. Auf deutscher Seite sei der Eindruck entstanden, daß die Alliierten keinesfalls geneigt seien, den deut­schen Vorschlägen näherzutreten; daher er­scheine ein erneuter Versuch, eine Senkung der Besatzungskosten zu erreichen, zwecklos.

Schäffer hat bereits in der Öffentlichkeit wiederholt erklärt, daß die Steuerkraft der Bundesrepublik voll ausgelastet sei. Durch eine neue Steuererhöhung seien keine wesentlichen Geldquellen mehr zu erschließen. Jede Maß­nahme, die inflationistische Tendenzen zur Folge haben könnte, wie Erhöhung der Noten­ausgabe, müsse grundsätzlich abgelehnt wer­den. In Bonner politischen Kreisen sei so der Eindruck entstanden, daß die Besatzungskosten nur durch eine erhebliche Kürzung der großen sozialen Lasten gedeckt werden könnten.

Kleine Weltdhronik

TÜBINGEN. Das Staatsministerium für Würt- temberg-Hohenzollern hat beschlossen, dem Landtag einen Gesetzentwurf zuzuleiten, wo­nach alle im Verfahren zur politischen Säube­rung erfolgten Beschränkungen des Rechts zu wählen und an Abstimmungen teilzunehmen, aufgehoben werden. Der Gesetzentwurf soll dem Landtag unverzüglich zur Beschlußfassung zuge­leitet werden. Im Bereich Württemberg-Hohen- zollerns wurde bisher das aktive Wahlrecht sieben Hauptschuldigen, 69 Belasteten, und 334 Minderbelasteten abgesprochen.

TÜBINGEN. Heute jährt sich zum dritten Male der Tag, an welchem Dr. Gebhard Müller im Jahre 1948 vom Landtag in Bebenhausen zum Staatspräsidenten von Württemberg-Hohen- zollern gewählt wurde.

NEUSTADT/WEINSTR. Mit einem Übergrei­fen der zurzeit im Saargebiet herrschenden Kin­derlähmungsepidemie auf die Pfalz wird gerech­net. Der Regierungspräsident der Pfalz in Neu­stadt-teilte am Samstag mit, daß in Zweibrücken bereits ein Fall von spinaler Kinderlähmung festgestellt wurde. Um ein Übergreifen zu ver­hindern, wurde in Mainz beschlossen, in Grenz­nähe keine sportlichen und sonstigen Massen­veranstaltungen stattfinden zu lassen.

FRANKFURT. Das Arbeitsgericht Frankfurt erließ am Freitag auf Antrag des land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbandes Hes­sen eine einstweilige Verfügung, mit der der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirt­schaft zur Vermeidung einer noch festzusetzen­den Strafe aufgegeben wird; ihren in Hessen begonnenen Landarbeiterstreik unverzüglich ab­zubrechen und alle Kampfmaßnahmen zu unter­lassen.

WOLFSKEHLEN. Mit einem neuen Erdgasaus­bruch in Wolfskehlen ist nach menschlichem Er­

messen jetzt nicht mehr zu rechnen. Die Bohr­stelle ist am Freitag und Samstag mit einer Zementmischung ausgefüllt worden. Die Trüm­mer des zusammengestürzten Bohrturmes wer­den bis heute abend beseitigt sein. Dann soll nach einer Mitteilung der technischen Leitung eine neue Bohrung durch den Zementkern ange­setzt werden.

FÜRSTENFELDBRUCK. Der Oberkommandie­rende der Atlantikpaktstreitkräfte, General Dwight D. Eisenhover, traf am Samstag von seinem Hauptquartier in Paris kommend zu einem neuntägigen Besuch der Bundesrepublik auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck ein. Der General fuhr sofort nach Garmisch-Partenkirchen weiter.

ORLEANS. Der am Samstag zum Staatssekre­tär für die technische Ausbildung in der neuen französischen Regierung ernannte Abgeordnete Pierre Chevallier ist gestern in Orleans durch fünf Revolverschüsse getötet worden. Nach einer Erklärung des französischen Innenministe­riums soll es sich um eine Ehetragödie handeln.

ROM. Frankreich soll den Vereinigten Staaten und Großbritannien vorgeschlagen haben, die italienische Forderung nach einer Revision sei­nes Friedensvertrages den Vereinten Nationen zu unterbreiten, verlautete aus Rom. Der fran­zösische Vorschlag soll in Washington und Lon­don günstig aufgenommen worden sein.

LAS VEGAS. Die USA-Atomenergiekommis- sion wird in der kommenden Woche mit einer Atomenergieversuchsreihe beginnen, die an Dauer alle vorherigen Versuche übertreffen und einige Monate lang währen soll. Mit den neuen Versuchen sollen vor allem metereologische Daten bei atomaren Explosionen ermittelt werden. Jugoslawien soll sich an einer Revision des Frie­densvertrages für Italien beteiligen wollen, wenn vorher die Triest-Frage geklärt würde.

Eine Millionendemonstration

Ulbricht droht

BERLIN. In dem wohl größten Propaganda­aufmarsch aller Zeiten zogen am gestrigen Sonntag mehr als eine Million Kinder und Ju­gendliche über acht Stunden lang in Ostberlin an den Machthabern der Sowjetzone vorbei, um demdeutschen Imperialismus und den Kriegstreibern dieAntwort der jungen Friedenskämpfer Deutschlands zu erteilen. Der sogenannteFriedensmarsch bildete den Höhepunkt der seit einer Woche im Berliner Ostsektor stattfindenden kommunistischen Weltjugendfestspiele. Die Parade in dem in Marx-Engels-Platz umbenannten Lustgar­ten stand im Zeichen der Haßpropaganda ge­gen den Westen, dessen führende Politiker auf zahlreichen Transparenten als blutbesudelte Schlächter dargestellt wurden. Fanatische Ami go home-Rufe wechselten unaufhörlich mit Hochrufen auf Stalin, Pieck und an­dere kommunistischen Führer.

Auf einerMassenpressekonferenz erklärte der stellvertretende Ministerpräsident der So­wjetzone, Walter Ulbricht, ein gesamtdeut­sches Gespräch sei nicht mehr nötig, da fried­liebende Menschen in Westdeutschland die Führung der politischen Geschicke in ihre Hände nehmen würden. DieFriedenskämp­fer in der Bundesrepublik wüßten schon, wie der von der Sowjetzonenregierung propagierte aktive Widerstand geführt werden müsse.

Problematische Tariferhöhung

TÜBINGEN. Nach dem Stand der Verhand­lungen ist damit zu rechnen, daß am 1. Oktober durch Rechtsverordnung des Bundes eine Reihe von Tarifen bei der Bundesbahn in Kraft treten werden. Der Bundesrat wird zu dieser Frage abschließend Anfang September Stellung neh­men. In den Vorberatungen wurde bisher Einig­keit darüber erzielt, daß die Expreßguttarife um 20 Prozent, die Stückguttarife der Klassen I, II und III um 30, 25 und 20 Prozent erhöht wer­den. Für die Gütertarife der Wagenladungsklas­sen hat die ständige Tarifkommission eine linea­re Erhöhung um 12,5 Prozent mit Bruch der Entfernungsstaffel bei 400 km vorgeschlagen, wogegen der wissenschaftliche Beirat des Bun­desverkehrsministeriums empfohlen hat, eine gestaffelte Erhöhung zwischen 15 und 25 Prozent einzuführen. Diesem Vorschlag hat sich der Bei­rat der deutschen Bundesbahn mehrheitlich an­geschlossen und außerdem eine Erhöhung der Tarife im Personenverkehr (mit Ausnahme der Fahrpreise im Berufsverkehr) um 15 Prozent, sowie die Aufstockung der Tarife für den Schü­lerverkehr bis zur Höhe der bisherigen Tarife für den Berufsverkehr beschlossen.

Da die Tariferhöhungen ohne Stellungnahme des Bundestages durch Rechtsverordnung des Bundes erlassen werden, kommt der Entschei­dung des Bundesrates besondere Bedeutung zu. Die Spitzenorganisationen der deutschen Wirt­schaft haben in Schreiben an die Bundesminister für Wirtschaft und Ernährung schwerwiegende Bedenken gegen die von der deutschen Bundes­bahn vorgeschlagenen Gütertariferhöhungen gel­tend gemacht. Die differenzierte Erhöhung der Wagenladungsfrächten liefe den Bestrebungen der Sozialpartner zuwider, die Preise zu stabi­lisieren oder wenn möglich zu senken.

Uneinheitlicher Sommerschlußverkauf

TÜBINGEN. Zum Sommerschlußverkauf in Württemberg-Hohenzollern erklären die großen Firmen des Textil-Einzelhandels einheitlich, daß ihre Erwartungen weit übertroffen worden seien. Vom Inhaber eines großen Hauses wurde ver­sichert, daß in den vielen Jahrzehnten seit Be­stehen der Firma ein Verkauf wie 1951 zum Sommerschluß noch nie verzeichnet worden sei. Die Räumung der Lager könne als ideal bezeich­net werden. Auch aus Freiburg wird gemel­det, daß im diesjährigen Sommerschlußverkauf in Südbaden mengen- und wertmäßig zum Teil wesentlich mehr umgesetzt wurde als im ver­gangenen Jahr, wobei Konfektionswaren den stärksten Anteil gehabt hätten, von denen etwa 30 bis 40 Prozent mehr als im vergangenen Jahr verkauft worden seien. Aus München meldet das IFO-Institut dagegen in seinem neuesten Schnelldienst, daß die Mehrheit der Einzelhandelsfirmen im Bundesgebiet beim Sommerschlußverkauf 1951 dem Vorjahresumsatz nur mehr oder weniger knapp erreicht habe. Der Einzelhandel habe sich aber von seinen überhöh­ten Lagern teilweise befreien können.

EITE RES^5pIEL

IM NECKARTAL

Ein fi öhlicher Roman von Else Jang

18] Copyright by Verlag Bechthold

Hatte er der bereits alternden Frau, die er mußte es zugestehen noch immer an­ziehend war, deshalb den Hof gemacht, damit er jetzt beiseite geschoben wurde, weil die Angst der Mutter um ihr Kind letzten Endes doch stärker war als das Glück der liebenden Frau?

Schreyer legte die Füllfeder fort und zün­dete sich eine Zigarette an. Er, als der ein­zige im Betrieb, durfte es sich erlauben, bei der Arbeit zu rauchen. Angelika hatte stets mit einem nachsichtigen Lächeln darüber hin­weggesehen. Bei den Angestellten galt er als der Bevorzugte, und Schreyer wußte sehr wohl von dem Gerücht, das ihn zum zukünftigen Herrn und Gebieter der Kunsthandwerstät- ten und seiner Besitzerin machte. Es hatte Seinem Ehrgeiz und seiner Eitelkeit geschmei­chelt, und gleichmütig nahm er die zuneh­mende Unbeliebtheit in Kauf, die ihm die äl­teren Betriebsangehörigen deutlich zeigten. Die jungen Mädchen dagegen schwärmten ihn tm. Jeder Gang durch die Abteilungen Hand- Weberei, Buchbinderei, Goldschmiede und Holzschnitzerei bewiesen es ihm aufs neue.

Richard Schreyer blies einen blauen Rauch­ring in die Luft und lächelte.

Es war nicht schwer, mit Frauen umzu­gehen. Er hatte noch jede von ihnen gewon­nen, nach der ihn verlangte. Auch Angelika Lorentzen, die stolzeste und eigenwilligste, die ihm bisher begegnete, war nahe daran ge­wesen, ihm zu erliegen, hätte ihm Imma nicht

einen so unerwarteten Strich durch die Rech­nung gemacht.

Verstimmt warf er den Zigarettenrest in die Aschenschale und drückte ihn aus.

Wo das lauenhafte Ding nur gesteckt haben mochte?

O ja, sie kannte ihre Mutter, und was sie gewollt hatte, war ihr nun auch gelungen. Angelika war ihm entglitten.

Sie dachte nur noch an ihr Kind. Kaum sah sie ihn an, wenn sie mit ihm sprach. In die­sen wenigen Tagen war sie erschreckend ge­altert, und auch die Nachricht, daß Imma ge­funden worden sei und zurückkomme, hatte ihr die frühere Frische und Spannkraft noch nicht wiedergegeben.

Schreyer seufzte und nahm die unterbro­chene Arbeit von neuem auf.

Zwei Reklamationen waren eingelaufen, die Angelikas zerstreutes Wesen verschuldet hatte. Sie war vor einer halben Stunde bei ihm ge­wesen und hatte ihm die Briefe auf den Tisch gelegt.

Sie bringen die Angelegenheit wohl wieder in Ordnung, nicht wahr?

Kein Wort sonst. Kein Blick vertrauten Ein­verständnisses. Nur kurze, geschäftliche Sach­lichkeit.

Verärgert las er die beiden Schreiben durch, nahm den Hörer vom Apparat und fragte in allen Abteilungen nach Fräulein Klentze, der Sekretärin, die ihm und Angelika gemeinsam zur Verfügung stand.

Aus dem Lager der Handweberei meldete Sich Angelikas Stimme.

Fräulein Klentze ist bei mir, ich kann sie jetzt nicht entbehren.

Wütend schmiß Schreyer den Hörer in die Gabel.

Dann mußte eben Fräulein Rothe einsprin- gen.

Schreyer stand auf und öffnete die Tür zum Karteizimmer. Hier bearbeiteten zwei Mäd­chen den täglich einlaufenden Stoß der Auf­träge. V

Fräulein Rothe, bitte, wollte er rufen, aber mitten im Satz blieb er stecken.

Auf der Schreibtischplatte saß Imma und sah ihn spöttisch an. Schreyer raffte sich zu­sammen und entschloß sich zu einer Verbeu­gung.

Gottlob, daß Sie wieder da sind! sagte er.

Imma hörte die Scheinheiligkeit aus seinen Worten sehr deutlich heraus.

Ich kann mir kaum vorstellen, daß Sie den lieben Gott dafür loben, antwortete sie mit aufreizendem Hohn.Sie hätten es doch be­stimmt lieber gesehen, wenn ich unterwegs verdorben und gestorben wäre.

Die Mädchen begannen zu kichern, und Schreyer wurde nervös.

Er beeilte sich, zu versichern, daß er in der Tat von Herzen froh sei. Die Frau Mama habe sich ernste Sorgen um ihre Tochter ge­macht, und er freue sich, ihr endlich die frohe Botschaft von der Rückkehr ihres verloren­geglaubten Kindes bringen zu können.

Imma sprang von ihrem erhöhten Sitz hin­unter.

Bemühen Sie sich nicht, Herr Schreyer, die Überbringung dieser frohen Botschaft besorge ich selbst, sagte sie schroff und lief aus dem Zimmer.

Schreyer kam sich vor wie ein gemaßregel- ter Schuljunge.

In seinem Ärger vergaß er, daß er die Rothe zum Diktat hatte holen wollen, und der stark Beschäftigten fiel es nicht ein, ihn daran zu erinnern.

Donnerwetter, sagte sie, als er hinausge­gangen war und die Tür so krachend ins Schloß geworfen hatte, daß die Wände zitter­ten,der muß aber eine schöne Wut im Bauch haben.

Und ob! Ihre Arbeitskameradin Trude Beck, die vor dem geöffneten Karteischrank stand, lachte.Er spürt doch ganz genau, daß es Imma ist, die ihm die gute Suppe ver­salzen will.

Versalzen nat, liebe Trude! Erna Rothe

unterstrich diese Behauptung mit einem kräf­tigen Schlag ihrer Hand auf die Schreibtisch­platte.Das sieht doch ein Blinder, daß Muschi den schönen Richard merklich kaltge­stellt hat.

Wenn sie unter sich waren, nannten die Angestellten die Betriebsinhaberin nur mit dem Kosenamen, den Imma ihrer Mutter ge­geben hatte, wie auch Frau Thilde von Losch auf Rabeneck nicht anders hieß als Groß­mama.

Daß es so war, daran trug Imma die Schuld, die nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf seit einem Jahr zur Betriebs­gemeinschaft der Kunsthandwerkstätten ge­hörte. Sie arbeitete am Webstuhl in der Hand­weberei und war eine sehr geschickte Muste­rin.

Die Angestellten aller Abteilungen mochten sie gern, und als sie eines Tages am Web­stuhl' fehlte, hatte jeder einzelne nach ihr ge­fragt^ bis es allmählich durchgesickert war, daß Imma nach einem Streit mit ihrer Mut­ter heimlich die Burg Rabeneck verlassen hatte. Diese Flucht wäre ihr wahrscheinlich nicht so unbemerkt geglückt, wenn sich Groß­mama nicht gerade auf einer Verwandtenreise befunden hätte, und Großmamas Energie war es auch zu verdanken, daß die Ausreißerin wieder heimgekehrt war.

*

Mit Thilo war nichts mehr anzufangen.

Isa und Kersten hatten vergeblich versucht, den verdrossenen und ein wenig sentimental angehauchten jungen Mann aufzuheitem, der den Silbergrauen nicht mehr leiden konnte, weil Imma nicht mehr neben ihm saß.

Den Besuch in den Neckartaler Kunsthand­werkstätten hatte er von einem Tag auf den andern verschoben, weniger aus Mangel an Tatkraft als aus dem Gefühl des Widerstre­bens, seine zukünftige Stellung der Fürsprache eines jungen Mädchens verdanken zu sollen.

(Fortsetzung folgt)