NUMMER 113

MONTAG, 2 3. JULI 1951

Dreimächtekonferenz nächste Woche?

Verhandlungen über deutschen Verteidigungsbeitrag / Ein Kompromißvorschlag

LONDON. In London wird davon gespro­chen, daß die von dem amerikanischen Außen­minister Acheson vorgeschlagene Drei­mächtekonferenz über den deutschen Verteidi­gungsbeitrag bereits in der nächsten Woche in Washington stattfinden soll. Großbritannien ist, wie an unterrichteter Stelle verlautet, zur Annahme der amerikanischen Einladung be­reit. Die Besprechungen sollen aufhöherer Ebene liegen, als die Bonner und die Pariser Verhandlungen.

Frankreich hatte bereits am Freitag seine grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme an einer solchen Konferenz mitgeteilt, wird aber offiziell erst Zusagen, wenn der Bericht der Pleven-Plan-Konferenz geprüft ist.

Den Vertretern der drei Westmächte wird neben diesem Bericht der Pariser Konferenz über eine europäische Armee der von alliier­ten und deutschen militärischen Sachverstän­digen ausgearbeitete sogenanntePetersberg- Plan vorliegen. Die Aufgabe der Dreierkon­ferenz wäre es dann, beide Pläne zu koordi­nieren und sie damit sowohl für die Atlantik­paktstaaten, als auch für Deutschland annehm-

tiggestellt. In einem Kommunique heißt es, daß trotz der Schwierigkeiten bereits wesent­liche Fortschritte erzielt werden konnten. Die Sachverständigen der Konferenz haben sich ebenfalls für ein Treffen der Außen- oder Ver­teidigungsminister jener Staaten ausgespro­chen, die sich an der Aufstellung einer gemein­samen Verteidigungsstreitmacht beteiligen wol­len. Bei diesem Treffen soll ein politisches Ab­kommen geschlossen werden, so schlägt die Pleven-Plan-Konferenz vor, das die Unter­zeichnerstaaten verpflichtet, ihre nationalen Vorrechte aufzugeben und der Eingliederung ihrer Streitkräfte in einen größeren Truppen­verband zuzustimmen.

In Bonn spricht man davon, daß die drei Westmächte die unterschiedlichen deutschen und französischen Standpunkte über den deutschen Verteidigungsbeitrag möglicher­weise dadurch überbrücken werden, daß sie General Eisenhower als Oberkommandieren­

den der Atlantikpaktstreitkräfte die Entschei­dung über die Größe der deutschen Einheiten und einen deutschen Generalstab überlassen. Damit wären die französischen Politiker ihren Wählern gegenüber der Verantwortung für die deutsche Wiederbewaffnung enthoben.

Vorerst kein Saarkorridor

Baden-Badener Verhandlungen gescheitert

MAINZ. Die Verhandlungen der gemischt französischen und deutsch-saarländischen Grenzkommission über die Bildung eines Saar-Korridors müßten endgültig als ge­scheitert angesehen werden, teilte die Lan­desregierung von Rheinland-Pfalz mit.

Französische und saarländische Vertreter hätten sich bei den Besprechungen in Baden- Baden auf den Standpunkt gestellt, daß die Kommission zur Entscheidung der Frage nicht kompetent sei. Durch den geplanten Saar-Kor­ridor sollte zwischen der Pfalz und der Eiffel eine direkte Verbindung für den Verkehr her­gestellt werden, der sich gegenwärtig sehr um­ständlich über Mainz oder Kreuznach abwik- kelt.

Spannungslose portugiesische Wahlen

bar zu machen.

Die Pleven-Plan-Konferenz hat ihren ge­meinsamen Zwischenbericht am Samstag fer-

De Gasperis Bemühungen

Um italienische Kabinettsbildung ROM. Der mit der Neubildung der Regierung beauftragte italienische Ministerpräsident Al- cide de Gasperi hat über das Wochenende die Besprechungen mit den Partei- und Frak­tionsführern fortgesetzt. Die Delegierten der bisher in der Regierung vertretenen republi­kanischen Partei, der u. a. auch der bisherige Außenminister Graf Sforza angehört, er­klärten sich dabei zur Mitarbeit im neuen Ka­binett bereit. Sie wiesen darauf hin, daß durch eine Beteiligung ihrer Partei die Verteidigung Italiens im Rahmen des Atlantikpaktes garan­tiert werde. Die gemäßigten Sozialisten Ita­liens hatten schon am Freitagabend das An­gebot de Gasperis abgelehnt.

Während sich de Gasperi um die Bildung seines siebenten Kabinetts bemüht, untersucht die italienische Presse die Gründe der Regie­rungskrise, die zum Sturz seines sechsten Ka­binetts geführt haben und findet sie in der selbstmörderischen inneren Krise der christ­lich-demokratischen Partei. De Gasperi wird ermahnt, bei der Neubildung des Kabinetts an die Stärkung der staatlichen Autorität und der Parteidisziplin zu denken, denn man erwarte eine dauerhafte Regierung, die wirklich re­giere.

Einige Fortschritte

Harriinan macht Teheran Vorschläge TEHERAN. Zum ersten Male seit Beginn der Besprechungen zwischen dem amerikanischen Sonderbotschafter Harriman und persi­schen Regierungs- und Parlamentsvertretem sprachen die Perser am Samstagabend von einigen Fortschritten.

Der Sonderbotschafter dringt nach Berich­ten aus seiner Umgebung mit Nachdruck auf eine Wiederaufnahme der von Persien abge­brochenen britisch-persischen Ölverhandlun­gen. Er hält eine Kompromißlösung für mög­lich, wenn die beiden Parteien erst einmal wieder an einen Tisch gebracht würden. Nach dem amerikanischen Vorschlag sind Verhand­lungen über eine gemeinsame Verwaltung der britisch-irakischen Ölgesellschaft vorge­sehen, wobei Großbritannien den Grundge­danken der Verstaatlichung anerkennen soll.

Die persische Polizei händigte gestern dem Hauptvertreter der Anglo-Iranischen Ölge­sellschaft in Persien, Richard S e d d o n, die Aufenthaltsbescheinigung wieder aus, die ihm am Freitag entzogen worden war. Die Rück­gabe erfolgte, ebenso wie vor zwei Tagen der Entzug, ohne Erklärung. Sie hätte eine Aus­weisung bedeutet.

Nur ein Kandidat /Salazars sanfte Diktatur

LISSABON. Die portugiesische Bevölkerung hat gestern den Nachfolger des verstorbenen Staatspräsidenten C a r m o n a gewählt. Wahl­berechtigt waren etwa 1,4 Millionen Männer und Frauen in Portugal und den überseeischen Besitzungen. Zur Wahl stand nur ein einziger Kandidat, der General Francisco Higino Cra- veiro Lopes, der ein Anhänger der regie­rungstreuenNationalen Union ist und all­gemein als der Mann des Ministerpräsidenten S a 1 a z a r angesehen wird, der in Portugal einesanfte Diktatur ausübt.

Der einzige ernst zu nehmende Gegenkan­didat einer losen oppositionellen Gruppe, Ad­miral Manuelcarlos Meireles, hatte seine Kandidatur mit der Begründung zurückgezo­gen, daß die Regierung Salazars entgegen ihren Versprechen die Wahlkampagne behin­dert und ihm dadurch die Voraussetzung für die Kandidatur entzogen habe. Meldungen aus Lissabon zufolge soll die Zurückziehung die­ser Kandidatur von einer Offiziersgruppe er­

zwungen worden sein, die die Nominierung Meireles mit unterzeichnet hatte. Beobachter waren poch am Donnerstag der Meinung, daß Meireles in Lissabon 30 Prozent der Stimmen erhalten würde.

Der neue Staatspräsident wird erst am 19. August proklamiert werden, da die Stim­menauszählung gemäß den Bestimmungen erst am kommenden Sonntag beginnen wird.

Nach Beendigung der Auszählung rechnet man mit einer Umbildung der portugiesischen Regierung. Man nimmt an, daß Dr. Salazar eine Reihe von Ministerien neu besetzen und die stärksten politischen Persönlichkeiten sei­nes Regimes in der Regierung vereinigen wird.

Lopes bekannte sich vor der Wahl zu den Verpflichtungen, die Portugal durch seinen Bei­tritt zum Atlantikpakt übernommen habe. Die Verwirklichung des Grundsatzes desbewaff­neten Friedens werde Europa ein halbes Jahr­hundert wirklichen Friedens und Fortschritts bringen.

Kleine Weltdironik

MÜNCHEN. Der Generalsekretär desVolks­bundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Otto Margraf, teilte in München mit, daß spätestens im Oktober eine deutsch-italienische Gräber­expedition nach Lybien entsandt werde. Die Ex­pedition soll die weitverstreuten Grabstätten der Gefallenen des Afrikafeldzuges ermitteln und die sterblichen Überreste in zwei Friedhöfen bei To- bruk und Bengasi beisetzen.

ASCHAU (Bayern). Bundespräsident Professor Dr. Theodor Heuß hat sich bei einem Sturz auf einer Bergwanderung in der Nähe von Aschau, wo er, zurzeit seinen Urlaub verbringt, eine Schulter verrenkt. Der behandelnde Arzt ver- ordnete eine 14tägige absolute Ruhe. Die übli­chen Besprechungen mit dem Stab sollen jedoch trotzdem regelmäßig stattfinden.

BONN. Der amerikanische Landwirtschaftsmi­nister, Charles F. Brannan, ist am Samstag zu einem fünftägigen Besuch der Bundesrepublik in Bonn 'eingetroffen. Ihm zu Ehren gab Bundeser­nährungsminister Niklas einen Empfang, an dem auch Staatssekretär Hallstein teilnahm. Anschlie­ßend begibt sich Brannan zu einer Besichtigungs­reise nach Jugoslawien.

ST. GOARSHAUSEN. Bundestagspräsident Ehlers eröffhete am Sonntag das erste europäi­sche Jugendlager auf der Lorelei, an dem im Laufe von sechs Wochen rund 7500 Jugendliche im Alter von 1825 Jahren aus 12 Nationen teil­nehmen. Ehlers forderte die europäische Jugend auf,mit neuem Mut und mit neuer Tatkraft etwas Neues zu schaffen. Die Zeiten von 1871, 1914 und 1939 gehörten ebenso der Vergangen­heit an, wie 1945

HERFORD. Die Industriegewerkschaft Metall will zum 60. Gedenktag der Gründung des Deut­

schen Metallarbeiterverbandes an ihre Rentner und Invaliden eine einmalige Jubiläumsunter­stützung von 10 bis 30 Mark zahlen. Der Betrag soll zwischen dem 24. und 31. Juli ausgezahlt werden.

KÖLN. Der deutsche Beamtenbund hat am Samstag gegen die Ablehnung, die Vorschußzah­lungen auf die Gehaltsaufbesserung für Bundes­beamte sofort von 15 auf 20 Prozent zu erhöhen, scharfen Protest eingelegt. Die Ablehnung war durch den Haushaltsausschuß des Bundestages erfolgt.

KIEL. Die erste Strafkammer des Landgerichts Kiel hat am Freitag den Bundestagsabgeordne­ten Wolfgang Hedler zu neun Monaten Gefäng­nis verurteilt. Hedler wurde der öffentlichen Be­leidigung in Tateinheit mit öffentlicher Verun­glimpfung des Andenkens Verstorbener und der öffentlichen üblen Nachrede für schuldig befun­den. Das Gericht stellte fest, daß Hedler in zwei Reden sowohl die Widerstandskämpfer als auch die Juden beleidigt habe.

BUDAPEST. Die noch in Freiheit befindlichen römisch-katholischen Bischöfe Ungarns haben nach Mitteilung der ungarischen Nachrichten­agentur am Samstag den Treueid auf die Volks­republik geleistet.

SAO PAULO. Wie DPA aus Sao Paulo erfährt, hat die deutsche Sängerin Erna Sack die brasi­lianische Staatsangehörigkeit angenommen. Die Deutsche Nachtigall wird in nächster Zeit in Brasilien filmen. Sie hat Verträge für verschie­dene Musikfilme abgeschlossen.

WASHINGTON. Die Vereinigten Staaten ha­ben Spanien eine Anleihe in Höhe von 7,5 Millio­nen Dollar (31,5 Millionen DM) zum Ausbau des staatlichen spanischen Eisenbahnnetzes gewährt.

Warnung vor neuer Lohnweile

KIEL. Bundeswirtschaftsminister Professor E r- h a r d warnte vor einerdritten Lohnwelle. Eine neue Lohnwelle werde durch den sich erge­benden Exportrückgang ein Unheil für den deut­schen Arbeiter heraufbeschwören. Erhard kün­digte an, daß er sich am kommenden Dienstag über die Lohnfrage mit dem Vorsitzenden des DGB, Christian Fette, besprechen wolle. Einentragischen Ablauf der Lohn-Preis-Spirale befürchtet das Wirtschaftsministerium von Rhein­land-Pfalz. Einezu erwartende dritte Lohn­welle müßte über den Preis finanziert werden. Das deutsche Industrie-Institut plädiert in einer Erklärung dafür, daß Unternehmer und Ge­werkschaften gemeinsam die schwierige Lohn­preissituation prüfen. Man käme weiter,wenn die Gewerkschaften Mahnungen der Unterneh­merseite nicht als Panikmacherei oder Kampf­ansage bezeichnen, sondern einsehen würden, daß nur eine gemeinsame verantwortungsvolle Prü­fung der schwierigen Situation zur Lösung der Unzuträglichkeiten führen kann, die beseitigt werden müssen.

Treibstoffpreise allgemein gesenkt

BONN. Die Mineralölindustrie hat mit Wir­kung vom vergangenen Samstag den bisher gel­tenden Dieselkraftstoffpreis um 4 Pfg. pro kg und den Benzinpreis um 2 Pfg. pro Liter ge­senkt. Nach Mitteilung des Bundeswirtschafts­ministeriums wurde die Preissenkung durch eine Ermäßigung der Rohölzölle ermöglicht.

WiederBV-ARAL

HAMBURG. In der Bundesrepublik werden zurzeit jährlich 260280 000 t Benzol hergestellt, wovon etwa 120130 000 t in den Kraftstoffsek­tor fließen. Der Benzolverband liefert jetzt wie­der den aus der Vorkriegszeit bekanntenBV- ARAL-Treibstoff. Der Preiszuschlag für BV- ARAL, das in der alten Qualität geliefert wird, beträgt 7 Pfg. pro Liter auf den Zonenpreis. Da­mit ist, wie der Benzolverband mitteilt, wieder die Möglichkeit gegeben, neben der Normalqua- Htät einen Kraftstoff mit höherer Klopffestig­keit zu tanken.

Produktionsrückgang im Juni

BONN. Kohle- und Stahlmangel haben im Juni zu einem dreiprozentigen Rückgang der indu­striellen Erzeugung in der Bundesrepublik ge­führt, erklärt das Bundeswirtschaftsministerium. Für den Rückschlag im Konsumgütersektor sei die Auftragsschrumpfung verantwortlich.Auf­fällig ist, stellt das Ministerium fest,daß auch die Bauindustrie und Baustoffproduktion ent­gegen ihrer saisonüblichen Bewegung um diese Jahreszeit von der rückläufigen Tendenz er­faßt worden sind.

Höchstens zehn DM je Gast und Tag

BONN. In Bonn liegt ein neuer Entwurf über die Behandlung von Bewirtungsspesen vor, nach dem je Gast und Tag Bewirtungsspesen nur noch bis zu 10 DM steuerlich absetzbar sind; die dar­über hinausgehenden Beträge sind voll zu ver­steuern. Die Bewirtungsspesen müssen sehr ge­nau nachgewiesen werden. Die Rechnungen sol­len vom Geschäftsführer der Gaststätte selbst unterzeichnet sein; eine vom Kellner ausgestellte Rechnung genügt nicht. Die Rechnungen sollen Namen und Anschriften der Beteiligten, die gast­gebende Firma, Ort und Datum der Bewirtung und die verzehrten Speisen aufführen. Die Fir­men sollen die Bewirtungsspesen auf einem Son­derkonto verbuchen, damit genaue Kontrolle möglich ist.

14 000 Neubeschäftigte

TÜBINGEN. Von im ersten Halbjahr 1951 neu eingestellten 14 000 Arbeitnehmern entfallen rund 85 Prozent auf Industrie und Handwerk, wäh­rend bei Handel, Verkehr und öffentlichen Dien­sten in weitem Abstand geringere Zugänge ver­zeichnet werden. Der Beschäftigungsstand in der Land- und Forstwirtschaft und bei den häusli­chen Diensten war leicht rückläufig.

Umstellungsgrundschulden

TÜBINGEN. Das Finanzministerium von Würt- temberg-Hohenzollem hat unter dem 12. Juli 1951 eine neue Anordnung für die Behandlung von Anträgen auf Bewilligung des Verzichts auf Umstellungsgrundschulden erlassen, die sich sachlich mit einer ähnlichen Anordnung des Bun­desministers der Finanzen vom 27. Juni 1951 deckt. Einzelheiten können bei den Finanzäm­tern und bei den Verwaltungsstellen für Um­stellungsgrundschulden, bei welchen auch An­tragsvordrucke erhältlich sind, erfragt werden.

CT^EITERES vSpIEL

IM NECKARTAL

Ein fröhlicher Roman oon Else Jang

1] Copyright by Verlag Bechthold

Erstes Kapitel

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Er hatte so vielversprechend ange­fangen, dieser zwanzigste Juni: Mit einer strahlenden Morgensonne und blühendem Lindenduft über dem nett gedeckten Früh­stückstisch auf dem Balkon. Mit einer Ein­ladung zum Abendessen bei Isa und einem Brief der FachzeitschriftPorzellan und Glas, der folgenden Wortlaut hatte:

Herrn Thilo Falck,

Berlin-W., Traunsteiner Straße.

Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, daß Ihr Entwurf unter dem KennwortIsolde bei dem von unserem Blatt veranstalteten WettbewerbDas schönste Teegeschirr mit dem 1. Preis ausgezeichnet worden ist. Der da­für ausgesetzte Betrag von M. 500 geht Ihnen in den nächsten Tagen zu.

Porzellan und Glas Schriftleitung

Der Brief, der mit der ersten Post gekom­men war, wurde von dem glücklichen Empfän­ger im Verlauf einer Viertelstunde sechsmal gelesen.

Herrlich!

Allein, es gab eine Firma in der Zimmer­straße. Es gab ein Büro mit Zeichentischen, Reißbrettern und Linealen, und Thilo Falck, Preisträger eines künstlerischen Wettbewerbs, hatte pünktlich zum Dienst anzutreten. Das

Träumen und Plänemachen, was er wohl alles mit den fünfhundert Mark anfangen könne, mußte auf später verschoben werden.

Was würde Isa, seine kleine Schwester, dazu sagen?

Augen würde sie machen, so groß wie die Teetassen, die er fürPorzellan und Glas entworfen hatte, und einen ihrer drolligen Schreie würde sie ausstoßen.

Im Gedanken daran mußte Thilo lachen.

Isas feine, geschickte Hände formten Tier­plastiken. Sie waren auf allen Ausstellungen zu finden und wurden gut gekauft. Deshalb konnte sie sich eine hübsch eingerichtete Atelierwohnung im Bayerischen Viertel leisten, in der es nur immer etwas aufdringlich nach allerlei Getier roch.

Na, heute abend würde die Menagerie hof­fentlich aus dem Atelier verbannt werden.

Es war anzunehmen, aber sicher war es nicht.

Es konnte dem unberechenbaren Mädel zum Beispiel einfallen, einem ahnungslosen Gast plötzlich während des Essens einen jungen Löwen auf den Schoß zu setzen, ihr Lieblings­kaninchen auf dem Tisch herumspazieren zu lassen, den Käfig der weißen Mäuse zu öffnen und unschuldig zu fragen:Sind sie nicht süß? '

Es war kaum zu glauben, daß Isa heute fünfundzwanzig Jahre alt wurde. Betragen konnte sie sich manchmal wie ein Backfisch, aber ihre Freunde, die sie eine verblüffend begabte, kleine Kröte nannten, hatten sie alle sehr lieb.

Thilo sah auf die Uhr am Handgelenk.

Donnerwetter, es war höchste Zeit, daß er fortkam, sonst fuhr ihm die Elektrische vor der Nase weg.

Der Brief wanderte in die Rocktasche und wurde mit der Hand noch einmal fest gegen das Herz gedrückt.

Fünfhundert Mark!

In den nächsten Tagen würde er sie besitzen

und sich erstaunlich reich fühlen. Selbstver­ständlich bekam Isa nun den Türkismatrix­ring, den sie sich schon seit langem wünschte. In der Mittagspause wollte er ihn kaufen, auch wenn dieser Kauf nicht ohne einen Bittgang um Vorschuß beim Chef zu bewerkstelligen sein würde.

Der Chef, der ihm den Vorschuß ohne wei­teres bewilligt haben würde, war nicht da. An Seiner Stelle saß sein Teilhaber, Herr Arnold Borrmann, im Büro.

Schon faul!

Thilo konnte den vor zwei Monaten in die Firma eingetretenen neuen Vorgesetzten nicht leiden. Nach seiner Meinung verstand Herr Borrmann von Tuten und Blasen nichts und noch viel weniger etwas von künstlerischen Tapeten, die zu entwerfen Thilo Falck die nicht immer mit heller Begeisterung empfundene Pflicht hatte.

Trotzdem fühlte sich Herr Arnold Borr­mann gedrungen, andauernd zu meckern und zu kritisieren, und weil er bei der Firma Hoppe & Borrmann nur die geschäftliche Lei­tung innehatte, war es begreiflich, daß ein Künstler wie Thilo sich eine solche Ein­mischung nicht ohne Widerspruch gefallen ließ.

Auch Herr Borrmann zeigte deutlich Abnei­gungen, sobald er mit Thilo in Berührung kam, und schon das Zusammensein der beiden in einem Zimmer genügte, um die Atmosphäre mit einem leisen Knistern zu laden.

Heute aber kam die Bombe zum Platzen.

Herr Borrmann schlug den erbeteten Vor­schuß rundweg ab. Seine Hängebacken bebten vor Entrüstung.

Die Angestellten der Firma Hoppe & Borr­mann hätten mit ihren Gehältern auszukom­men, basta!

Thilo bekam einen roten Kopf, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Büro, die Tür wütend hinter sich zuknallend. Der ge­reizte Chef riß sie wieder auf und schrie dem

Enteilenden nach, daß er sich ein solches Be­nehmen energisch verbäte, worauf Thilo stehen­blieb und mit steinerner Ruhe zum ersten August kündigte.

Sie können sofort gehen, sofort! brüllte Herr Borrmann.Ich will Sie morgen nicht mehr im Hause sehen.

Thilo verbeugte sich lächelnd und meinte, daß Herr Hoppe bei dieser Sache wohl auch ein Wörtchen mitzureden habe, aber Herr Borrmann ließ sich nicht irremachen.

Überlassen Sie das ruhig mir, Herr Falck.

Und dem Arbeitsamt, sagte Thilo höflich, kehrte dem erzürnten Chef den Rücken und ging pfeifend durch den langen Flur.

Fünf Minuten später, er war gerade beim Pa<ken seiner Siebensachen, ließ ihn Herr Hoppe rufen, der inzwischen zurückgekommen war und von dem Vorfall gehört hatte.

Tut mir furchtbar leid, Herr Falck, sagte er bekümmert und rieb sich andauernd die Hände,es ist mir zu meinem Bedauern nicht gelungen, Herrn Borrmann umzustimmen. Er lehnt es ab, weiter mit Ihnen zu arbeiten.

Schon gut, Herr Hoppe. Thilo nickte verständnisvoll.Ich glaube nur, daß für eine fristlose Entlassung kein ausreichender Grund besteht. Das Arbeitsamt

-Der Chef unterbrach ihn schnell.

Könnten wir diese Angelegenheit nicht güt­lich regeln, Herr Falck, sozusagen unter vier Auren?

Es wäre mir sehr angenehm, erwiderte Thilo liebenswürdig.

Mit einem vorzüglichen Zeugnis und dem voll ausbezahlten Gehalt verließ Thilo das Büro, nahm kurzen Abschied von seinen Arbeits- kameraden und gleich darauf eine Taxe, die ihn zum Juwelier und zu Isa ins Bayerische Viertel brachte.

Das Geburtstagskind stand auf einer Leiter und stieß einen kleinen Überraschungsschrei aus, als es des Bruders ansichtig wurde.

(Fortsetzung folgt)