NUMMER 112
SAMSTAG, 21. JULI 1951
Gin Ueberrol lungsplan
Die noch immer ungeklärte Frage des Bundeshaushalts 1951/52 Von unserer Bonner Redaktion
BONN. Eine Frankfurter Zeitung meinte in einer Karikatur, Finanzminister Fritz Schäf- fer aus Bayern werde die Zeit der Parlamentsferien wohl zur Lektüre von Steuer-„No- vellen“ verwenden. Vermutlich wird er kaum dazu die Zeit finden. Nachdem der Bundesrat erst einmal abgelehnt hat, daß in diesem Rechnungsjahr der Bund 31,3 Prozent der Ländereinnahmen aus Einkommens- und Körperschaftssteuer beanspruchen kann, steht hinter dem ganzen Haushaltsplan für das laufende Finanzjahr wieder das große Fragezeichen. Während die Mehrzahl der Abgeordneten schon in den Ferien war, tagte noch der Haushaltsausschuß und im Finanzministerium sucht man eine Übereinstimmung zwischen Soll und Haben im Haushalt des Staates.
Genauer gesagt, drei Pläne sind es, um die es in diesem Finanzjahr geht: 1. der ordentliche Haushalt mit Einnahmen und Ausgaben in Höhe von 13,391 Milliarden, der außerordentliche Haushalt mit 1,57 Milliarden auf beiden Seiten und der Nachtragshaushaltsplan, der „alles Neue, samt der Anpassung an die heutige Lage“ enthalten wird, folglich noch in weitester Feme liegt.
Der ordentliche Haushalt hat seine erste Lesung im Bundestag schon hinter sich und wird immittelbar nach den Parlamentsferien
Besa^ungskosten
Alliierte wollen Kredite geben BONN. Die Alliierten haben Bundesflnanz- minister Schäffer ihre Unterstützung zugesagt, geeignete Finanzierungsmöglichkeiten für die nichtgedeckten Besatzungskosten zu finden. Der Bundesflnanzminister hatte in einer Unterredung auf dem Petersberg den alliierten Finanzberatern dargelegt, daß die Bundesrepublik nicht mehr als 5,8 Milliarden DM Besatzungskosten aus den ordentlichen Einnahmen aufbringen könne.
Die Alliierten dagegen verlangen 6,595 Milliarden DM für das laufende Jahr. Dazu kommen noch die Auslaufkosten des Besatzungskostenhaushaltes vom Vorjahr in Höhe von 1,9 Milliarden DM. Die Alliierten haben sich jetzt damit einverstanden erklärt, daß die Kosten, die über den Betrag von 5,8 Milliarden DM hinausgehen, in den durch Kredite gedeckten außerordentlichen Haushalt aufgenommen werden.
Gute Aussichten
Niklas kündigt sinkende Fettpreise an BONN. Die bisherigen Emteaussichten wurden vom Bundesernährungsministerium am Donnerstag als „sehr gut“ bezeichnet. Die Ernte dürfte sogar an die Rekordzahlen des vergangenen Jahres heranreichen, sofern nicht eine ungünstige Witterung noch unerwarteten Schaden anrichtet. Auch die Möglichkeit, den „Anschluß“ an die neue Ernte zu erreichen, sei günstig. Die Bundesreserve an Getreide reiche noch für einen Monat, während in privaten Lagern eine noch mindestens ebenso große Reserve vorhanden sei.
„Jede Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung um zehn Prozent erspart der Bundesrepublik eine Milliarde DM an Devisen“, sagte Bundesemährungsminister Wilhelm Niklas am Donnerstag in einem Vortrag an der Münchener Universität, die ihm zuvor die Würde eines Ehrendoktors der tierärztlichen Fakultät verliehen hatte. Der Minister be- zeichnete den Landarbeitermangel als „Achillesferse“ der deutschen Landwirtschaft. Für Fettrohstoffe kündigte er weitere sinkende Preise an. Es sei gelungen, die Margarineversorgung sicherzustellen und gelte nun, die agrarischen Erträge durch weitere Rationalisierung zu steigern.
zur Diskussion stehen. Vermutlich wird nach dem Bundesrat auch der Haushaltsausschuß Änderungswünsche Vorbringen, obwohl dieser Haushalt im Grunde ein „Überrollungsplan“ ist, in dem die Posten des vorigen Budgets übernommen wurden. Offiziell ist nur durch den Aufbau des diplomatischen Dienstes, der Polizei, den Fortfall der sechsprozentigen Kürzung der Beamtengehälter, durch erhöhte Sozialhilfen und durch Unterstützungen für Berlin die Erhöhung der Endsummen gegenüber dem Vorjahr eingetreten. Geht man aber die Einzelpläne durch, so kommt man zu der Feststellung, daß doch noch andere wesentliche Verschiebungen eingetreten sind und es wird im Bundestag auch über den „Überrollungsplan“ zu erheblichen Auseinandersetzungen kommen, die notwendig sind, die aber auch so viel Zeit kosten werden, daß die Aussichten dafür, daß die Regierung künftig die Haushaltspläne mit Beginn des Finanzjahres vorlegen wird, weiterhin gering sind. Da sind Probleme wie der sehr niedrig bemessene Zuschuß für die Kriegsgräberfürsorge (etwa 2.25 DM je Kriegergrab), die Erhöhung der Kosten für Luftschutzmaßnahmen, oder die Frage einer strafferen Organisation z. B .des Wirtschaftsministeriums — höchste Sparsamkeit der Verwaltung ist ein Gebot, meint Schäffer. Die Deckung des Budgets, zu der die Regierung nach der Verfassung verpflichtet ist, wird beim ordentlichen Haushalt nicht so große Schwierigkeiten machen, sind doch von vomeherein erhebliche Beträge von dem ordentlichen in den außerordentlichen Haushalt verlagert worden. Dazu gehören nicht die Beträge für die 4,1 Millionen Einzelrenten, die alle im Einzelplaln des Bundesarbeitsministe-
MÜNCHEN. Mit Beginn des neuen Schuljahres, ab 1. September 1951, wird in Bayern kein Schulgeld mehr erhoben. Der bayerische Ministerrat faßte einen entsprechenden Beschluß bei der Beratung des Haushaltsplans.
FRANKFURT. Die amerikanische Botschaft in Prag hat in einer Note an das tschechoslowakische Außenministerium gegen die Erschießung eines deutschen Grenzpolizisten am 3. Juli protestiert und sofortige Untersuchung gefordert.
BONN. Über den Entwurf des Bundesver- triebenengesetzes konnte in den bisherigen Verhandlungen des Interministeriellen Ausschusses der Bundesregierung noch keine endgültige Einigung erzielt werden. Die Verhandlungen werden in der kommenden Woche fortgesetzt.
BONN. Der Haushaltausschuß des Bundestags bewilligte bei der Beratung des Etats des Bundesverkehrsministeriums die notwendige Ausgabe für eine kleine Abteilung „Zivile Luftfahrt“, ein Betrag, der vorsorglich für den Fall bereit- gestellt wurde, daß der Bundesrepublik die zivile Lufthoheit zurückgegeben wird.
HAMBURG. Die Hamburger Bürgerschaft verabschiedete nur mit den Stimmen der SPD den Haushalt der Hansastadt für das laufende Rechnungsjahr, der im ordentlichen Haushalt mit 894 450 500 DM, im außerordentlichen Haushalt mit je 14 Millionen DM abschließt.
BERLIN. Amerikanische Militärpolizei zerstreute in Schöneberg eine Menschenmenge, die eine Gruppe sowjetischer Soldaten und Zivilisten mit unfreundlichen Worten bedachte. Die Russen mußten, als sie durch den amerikanischen Sektor fuhren, wegen Reifenschaden haltmachen. Die Menschenmenge forderte die Russen auf, zu verschwinden.
BERLIN. Der mecklenburgische SED-Vor- sitzende Kurt Bürger, ist am Donnerstag vom Landtag in Schwerin einstimmig zum neuen Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg gewählt worden. Sein Vorgänger, Wilhelm Höcker, (SED), ist aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurückgetreten.
GENF. Die Sowjetunion hat sich bereit erklärt, an einer vorbereitenden Konferenz zur Ausarbeitung eines europäischen Getreideabkom-
riums im ordentlichen Haushaltsplan erfaßt sind.
Über das Defizit des Nachtragshaushalts heute schon Spekulationen anzustellen, scheint verfrüht. Das gilt auch von den Wirkungen des Besatzungskostenetats. Wenn sich auch der Finanzminister betrübt darüber zeigt, daß im Bundestag keine Mehrheit für die Aufwandsteuer zustande kommen will, und er bereits ankündigte, im Herbst zur Abgleichung des Haushalts „bedeutend schwerer aufzubringende Steuereinnahmen“ Vorschlägen zu wollen, so hat das Finanzministerium doch in den letzten Tagen durchblicken lassen, daß abgewartet werden soll, bevor nepe Steuervorlagen eingebracht werden. Die Gründe dafür sind 1. daß die letzte Entscheidung der Länder zu der Inanspruchnahme eines Teils ihres Steueraufkommens noch herbeigeführt werden muß und 2. daß vermutlich schon bis zum Wiederzusammentritt des Bundestages über die Einnahmen des Bundes und über die Besatzungskosten eindeutigere Klarheit besteht als gegenwärtig. Auch über den Fragenkomplex Investitionshilfe, Abs-Plan oder Produktionssteuer wird dann eine klarere Haltung des Parlaments zu erwarten sein.
Bis dahin beschränken sich die konkreten Beratungen des Bundestages auf die Erörterung des ordentlichen Haushalts im Haushaltsausschuß und auf die Behandlung von Anträgen des Finanzministeriums auf Vorwegbewilligungen, wie sie für die Zulagen in der knappschaftlichen Rentenversicherung, für Beiträge an die UNESCO, für Verwaltungsausgaben in der Kriegsopferversorgung und anderes mehr schon notwendig würden. Die generelle parlamentarische Entscheidung über das Budget 1951/52 wird noch viele Monate auf sich warten lassen. Das ist politisch bedauerlich, weil das Parlament wieder in die Situation zu kommen droht, schon getätigte Ausgaben nur zu bestätigen. Steuerpolitisch kann es aber von Vorteil sein.
mens teilzunehmen. Die Konferenz war im Mai von dem Generalsekretär der UN-Wirtschaftskommission für Europa, Gunar Myrdal (Schweden), vorgeschlagen worden. Damals hatte jedoch der sowjetische Delegierte den Vorschlag zurückgewiesen. In einem Telegramm deutete jetzt der stellvertretende sowjetische Außenminister Gro- myko die Bereitschaft der Russen an. dennoch an der Konferenz teilzunehmen.
LONDON. Eine hitzige Debatte entwickelte sich am Donnerstag im britischen Unterhaus über die Privatschatulle von Prinzessin Margaret, die am 21. August Ihr 21. Lebensjahr vollendet und dann finanziell auf „eigene Füße“ gestellt werden soll. Sechs sparsame Schotten wollten den vorgesehenen Betrag von jährlich 6000 Pfund (70 000 DM) auf die Hälfte gekürzt sehen. Sie setzten sich jedoch nicht durch.
LUXEMBURG.'Das luxemburgische Parlament hat der neuen Landesregierung, zusammengesetzt aus drei Sozialisten und drei Christlichen Demokraten, mit 40:12 Stimmen das Vertrauen ausgesprochen. Kabinettschef ist nach wie vor Dupong (christlich - demokratisch), Bech blieb Außenminister. Ausgeschieden sind die Liberalen, die bei den Wahlen eine Niederlage erlitten haben.
LISSABON. Der einzige Kandidat der Opposition für die portugiesischen Präsidentschaftswahlen hat seine Kandidatur zurückgezogen, so daß bei den am Sonntag stattfindenden Wahlen nur der von der Regierungsmehrheit gestützte General Gravairos Lopes kandidiert.
SAIGON. Der Oberkommandierende der französischen Truppen in Indochina, General de Lat- tre de Tassigny, wird in Kürze auf Einladung von Generalstabschef Bradley nach Washington reisen, um dort die allgemeine politische und militärische Lage im Femen Osten sowie die Frage des Pazifikpaktes zu besprechen.
TOKIO. Die der Opposition angehörigen japanischen Sozialdemokraten wandten sich am Donnerstag gegen den Friedensvertragsentwurf für Japan. Sie fordern die Beteiligung der Sowjets an der Friedenskonferenz und protestieren gegen den Verlust der japanischen Überseebesitzungen sowie gegen die Verpflichtung, in anderen Ländern verursachte Kriegsschäden zu ersetzen.
Bemerkungen zum Tage
Zum Tode des Kronprinzen Wilhelm
em. Seine Kaiserliche Hoheit war der letzte preußisch-deutsche Kronprinz aus dem ruhmreichen Hause Hohenzollem. Ein gütiges Geschick hatte es ihm verstattet, am Fuße der süddeutschen Stammburg zu seinen Vätern versammelt zu werden. Das Berliner Schloß, in dem er erzogen wurde und bis zum Sturze der Dynastie gelebt hat, ist von der antifeudalen Macht par excellence dem Erdboden gleichgemacht und in einen Aufmarschplatz für Massen verwandelt worden. Ein ewiges Mahn- und Schandzeichen für ein Volk, das vor seiner eigenen Geschichte und Vergangenheit kein Gewissen mehr hat. Das Wissen darüber wird trotz aller Ausrottungsversuche weitergetragen werden.
Kronprinz Wilhelm hat sich stets loyal mit seinem Prätendentenlos abgefunden. Wenn in vielem auch anders geartet als sein Vater, dachte er in glücklicheren Jahren doch nie daran, einmal einen anderen Kurs zu steuern, eine Palastrevolution hervorzurufen.
Er blieb im Schatten des Vaters, auch als dieser in der Sonne stand. Er teilte mit dem Oberhaupt der Familie das Emigrantenlos in Holland und zog sich, als ihm die Weimarer Republik eine Rückkehr nach Deutschland erlaubte, auf seine riesigen Güter in Schlesien und in der Mark Brandenburg zurück und spielte ein wenig die Rolle des „Princa of Wales“ in seiner chevaleresken, dem Sport und der Mode zugetanen Art. Auch in seiner äußeren Erscheinung hat er nie herrscherliche Manieren angenommen, er blieb ein lächelnder Ritter, den eine lange Ahnenschaft geformt und auch ein wenig entformt hatte. In Gegensatz zu seinem Vater scheint er erst in der positiven Beurteilung der vom Nationalsozialismus getragenen Welle des nationalen Rausches getreten zu sein. Er scheint durch Hitler wieder eine günstigere Beurteilung der deutschen Geschichte, sofern sie von den Ho- henzollern gemacht worden ist, erhofft zu haben und ist in seiner Hoffnung freilich bitter enttäuscht worden. Nach der Katastrophe verblieb ihm persönlich nur ein Anteil an der Stammburg, die im Winter nicht geheizt werden kann, und die Zuversicht, daß seine Nachkommen in den bürgerlichen Berufen, die sie erwählten, die letzte Erinnerung an die Dynastie vollends auslöschen. Als bei der Hochzeit seiner Tochter, der Prinzessin Cecilie- Victoria auf Burg Hohenzollern, mit einem Innenarchitekten aus den USA die amerikanischen Reporter ihm ein fröhliches „Hallo Crownprince“ zuriefen, quittierte Seine Kaiserliche Hoheit den Anruf nicht einmal mit einem bitteren Lächeln. Er bewahrte ein liebenswertes Menschentum, als eine Würde um die andere von ihm abfiel im Zusammenbruch des Hauses Hohenzollern. Mögen wir Schwaben, die rund um die Burg wohnen, dem letzten deutschen Kronprinzen, wenn die schwarzweiße Flagge mit dem preußischen Adler auf halbmast in die Lande weht, ein gerechtes Andenken bewahren.
Harriman noch ohne Erfolge
„Verhärtete persische Haltung“
TEHERAN. In Kreisen der USA-Botschaft in Teheran wurde gestern erklärt, die Haltung Persiens habe sich anscheinend „noch weiter verhärtet“. Über den weiteren Verlauf der Mission des Sonderbeauftragten Präsident Trumans, Averell Harriman, ist man skeptisch.
Harriman selbst erklärte am Donnerstagabend, er werde in Persien bleiben, solange er dort nützlich sein könne. Er glaube, daß dies noch immer der Fall sei. Er tat diese Äußerung nach zweistündigen Verhandlungen mit der persischen Ölverstaatlichungskommission. Ein persisches Mitglied erklärte zu diesem Gespräch, die Perser hätten Harriman alles mitgeteilt, wozu sie in der Lage seien. Wenn er, Harriman, nicht irgendeinen Vorschlag zu machen habe, dann sei das das letzte Treffen gewesen.
Kleine Weltchronik
Der verschlossene MUND
Roman von Doris Eicke
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So schnell kam Niels Merck aber nicht davon, die Kameraden umringten ihn glück- wünachend und verlangten nach guter Fliegertradition, daß man die geschenkte Prüfung begieße. Erst am Abend war er freigekommen und hatte mit Hilfe der gefälligen kleinen Renate mit Windeseile gepackt und gerade noch den Nachtzug erreicht. Und so stand er denn nun, eine halbe Stunde nach Mitternacht, vor diesem stillen, alten Bremer Haus, hinter dessen Fenster Andry und Detlev schliefen. Ungeheure Freude und Dankbarkeit erfüllten ihn, ganz anders als damals nach seiner fingierten Rückkehr aus Rußland. Heute kam er in des Wortes wahrster Bedeutung heim, geheilt, erfolgreich in seiner Berufsarbeit und von keiner Lüge länger beschwert, und er würde wieder werden, was er so lange nicht sein durfte: Andrys Mann. Der verschlossene Mund würde sprechen, die gefesselten Hände streicheln dürfen, und ihr kleiner Kreis: Andrea — Niels — Detlev würde sich aufs neue glücklich schließen.
Vorsichtig schloß er seine Wohnung auf, sie sollte ihn nicht hören und in dem Glauben erschrecken, ein Einbrecher bedrohe sie und ihren Detlev. Nachdem er den Mantel abgelegt und den Reisestaub abgewaschen hatte, trat er leise ins Schlafzimmer und machte Licht.
„Andry — Andry!“ sagte er immer wieder und küßte ihren Mund, ihren Hals, ihre nackte Schulter. „Mein liebes, kleines Mädchen!“
Detlev begann zu brummen und strampelte zornig mit den Beinen.
„Mach doch das Licht aus, Mutti, ich kann
ja so nicht schlafen“, murrte er mit geschlossenen Augen. Niels wechselte einen Blick lächelnden Einverständnisses mit Andrea und drehte am Schalter. Beide fühlten das gleiche: In den nächsten Stunden konnten sie Detlev nicht brauchen. Niels nahm Andrea auf den Arm und trug sie in ihr Bett zurück. Bis das Kind wieder eingeschlafen war, verhielten sie sich ganz ruhig, eng aneinandergeschmiegt, hungrig nach Zärtlichkeiten, die sie so lange entbehrt hatten.
„Niels — Niels, was hat Dich auf einmal so verwandelt?“ flüsterte Andrea zwischen zwei Küssen. Seit Monaten habe ich auf diesen Augenblick gewartet und es nicht fassen können, daß Du mich nach dieser langen Trennung nicht ein einziges Mal in die Arme nahmst.“
„Armer Liebling —.“
„Ich schämte mich, Dir zu sagen, wie sehr ich unter Deiner Kälte litt und war auch zu stolz, Dir anzubieten, was Du nicht wolltest. Aber sag mir jetzt einmal um Gottes willen, was ich an mir hatte, das Dich in dieser Weise abstieß.“
„Andry“, sagte Merck erschüttert, „der Grund lag nicht im geringsten bei Dir, aber ich mußte mich von Dir zurückhalten, um Dich nicht in Gefahr zu bringen. Als ich aus Rußland zurückkam, brachte ich die gleiche Krankheit mit, an der Deine Mutter gestorben ist, und vor der Du Dich so gefürchtet hast: Tuberkulose.“
„Niels, Liebster, sag das nicht“, schrie Andrea bis ins Herz getroffen auf.
„Ich bin heute so gut wie gesund, der Prozeß ist geschlossen und im Begriff zu verkalken. Du brauchst keine Ansteckung mehr zu befürchten, Andry, sonst hielte ich Dich nicht in meinen Armen.“
„Aber ich fürchte mich ja gar nicht für mich, ich habe ja nur Angst um Dich! Niels, wenn Dir etwas zustieße —.“
„Ich bin doch außer Gefahr, Liebling, Du kannst beruhigt sein.“
„Und das hast Du alles getragen, ohne daß ich es wußte? Warum um Himmels willen hast Du es mir verschwiegen?“
„Erinnerst Du Dich, Andry, wie Du mir von Deiner Angst, von Deinem Abscheu während der Krankheit Deiner Mutter erzähltest? Darüber kam ich nicht hinweg. — Ich wollte Dir, die Du Dich so lange in Sehnsucht nach mir verzehrt hättest, bei meiner Rückkehr nicht zum Ekel werden. Verstehst Du das?“
Eine lange Weile schwieg Andrea, heftig atmend, und er ließ ihr Zeit. Er begriff, daß sie diese ungeheuerliche Eröffnung zuerst verarbeiten mußte.
Sie streichelte im Dunkel sein geliebtes, vertrautes Gesicht.
„Du hast uns ein heroisches Opfer gebracht und obendrein noch meine Zweifel, meine Erbitterung mittragen müssen. Wie stark Du bist, Niels! Tausendmal habe ich mir den Kopf zermartert, was Dich von mir femhielte, alles nur Menschenmögliche habe ich erwogen, aber auf diese Wahrheit wäre ich nie gekommen. Niels, ich glaube doch, daß ich sie leichter getragen hätte als alle meine folternden Zweifel.“
„Ich habe nicht geahnt, daß Du so schwer darunter littest. Warum hast Du es mir nie gesagt? Warum nur dieser Stolz zwischen Mann und Frau?“
„Ich dachte. Du würdest es nicht verstehen und mich womöglich verachten, Du, der Du Dich allzeit in der Hand hast.“
„So haben wir jeder unseren Grund zum Schweigen gehabt und geglaubt, damit das Rechte zu tun. Wenn es auch falsch gewesen sein mag, so ist doch das Entscheidende, daß wir so fest an seine Richtigkeit glaubten und daß wir so handeln mußten, aus unserem Wesen heraus. Ist nun alles gut, und willst Du wieder ganz mein kleines Mädchen sein?“ „Ich möchte wohl, Niels, aber vorher muß ich Dir etwas sagen. Damals, als ich so plötzlich nach Berlin kam, floh ich zu Dir vor einem anderen Mann —.“
„Also doch?“
„Hättest Du mich da an Dein Herz genommen, Niels, wäre nicht geschehen, was nachher kam. Begreifst Du, was ich meine, und wirst Du mir verzeihen können?“
„Sag mir nichts weiter, Andry!“ sagte Niels endlich und preßte ihren Kopf an seine Schulter. „Ich habe das immer dunkel geahnt. Einmal habe ich Dir geschrieben: ,Was Du auch tust, ist wohlgetan.‘ Ich denke heute nicht anders.“
„Aber Niels, ich muß mein Gewissen entlasten.“
„Nein. Was immer Du getan hast, ist vergessen und vorbei. Da Du es tatest, war es auch notwendig. Von diesem Glauben bin ich tief durchdrungen. Laß die Vergangenheit ruhen, Andry, uns gehört die Gegenwart und — die Zukunft.“
— Ende —
Heiter, beschwingt, anmutig und von fröhlichem Optimismus erfüllt ist unser neuer Roman, mit dessen Veröffentlichung wir am Montag beginnen. Er trägt den Titel:
d~l'aLteve<s J5yiieL Lnt iTLedzcurlaL
und ist von Else J u ng. Der Inhalt dieses Romans ist die ergötzliche Liebesgeschichte von zwei jungen Menschen, die sich auf originelle Weise bei einem Ausflug in die blühende Natur kennenlernen, sich danach wieder aus den Augen verlieren und schließlich nach mancherlei Irrungen und Verwirrungen wieder zusammenfinden. Es ist eine spannende, wechselvolle Geschichte, an der gewiß alle unsere Leser viel Freude haben werden.