MITTWOCH, 18. JULI 1951
NCMMERUO
Abschied von Karl Marx — wohin?
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Vom materialistischen Marxismus und demokratischen Sozialismus
kw. Die Wiederbegründung der II. Internationale auf der Versammlung der Sozialdemokratischen Parteien aus 34 Ländern in Frankfurt kennzeichnete eine Wandlung von größter Tragweite in der Entwicklung des sozialistischen Gedankens. Die „Ziele und Aufgaben des demokratischen Sozialismus“ betitelte Charta der neuen sozialistischen Internationale, die nach schwierigen Kompromißverhandlungen einmütig gebilligt wurde, stellt den Abschied von der Lehre Karl Marx’, des historischen Materialismus und des Klassenkampfes, die rund ein Jahrhundert lang das geistige und politische Rüstzeug der Sozialdemokratischen Parteien gewesen ist, dar. Zwar »tand die im Jahre 1923 in Hamburg wiederbegründete II. Internationale, die im ersten Weltkrieg untergegangen ist, bereits im Zeichen einer scharfen Kampfansage gegen die III., bolschewistische Internationale, die im Zug der russischen Revolution von 1917 entstand. Aber die Grundlage des Zusammenschlusses bildete, wie in der Entwicklung des 19. Jahrhunderts, neben dem Ziel, „das kapitalistische System durch ein sozialistisches zu ersetzen“, der „Klassenkampf als Mittel zur Ämanzipation der arbeitenden Klasse“.
Davon ist in der neuen Charta nichts mehr xu verspüren. Nicht, daß die Frontstellung gegen den Kapitalismus aufgegeben wäre. Am Programm der Sozialisierung wird zwar, wenigstens in beschränktem Umfange, festgehalten, mit dem marxistischen Dogma der zwangsläufigen „Expropriation der Expropriateure“ hat diese reformistische Haltung jedoch nichts mehr zu tun, die sogar anerkennt, daß die „Übel des Kapitalismus“ vielerorts im Schwin- . den begriffen seien, und die ihr Ziel auf dem Boden der Demokratie und nicht durch den Sturz des Staates erreichen will. In dieser Abkehr von Karl Marx zeigt sich eine veränderte Frontstellung der sozialdemokratischen Parteien, die sich aus der Entwicklung der letzten Jahrzehnte ergab, in der in den meisten Ländern die Sozialisten zu Teilhabern der Regierungskoalitionen geworden sind und in der «ie eine positive Einstellung zum demokrati- •chen Staat haben.
Es wäre falsch, wollte man darin nur einen taktischen Wandel sehen. Dieser Wandel geht tiefer. Die Grundauffassungen des Marxismus werden verneint, indem die Charta postuliert (Punkt 13): „Der Sozialismus wird sich nicht xwangsweise ergeben“ — eine Auffassung übrigens, von der auch der bolschewistische Marxismus längst abgekommen ist —, und (Punkt 11): „Der demokratische Sozialismus lat eine internationale Bewegung, die keineswegs eine starre Gleichförmigkeit der Auffassungen verlangt. Gleichviel ob Sozialisten ihre Überzeugung aus den Ergebnissen marxi- «tischer oder anders begründeter Analyse oder aus Religiösem oder Humanitärem ableiten, alle erstreben ein gemeinsames Ziel.“ Hier ist mit einem Federstrich die ganze marxistische Ideologie, der seit dem Kommunistischen Manifest Millionen gläubig gefolgt sind, über Bord geworfen. Demgegenüber erscheint der bolschewistische Marxismus, der sich zu Unrecht auf Karl Marx berufe, als Instrument eines neuen Imperialismus, der überall, wo er zur Macht komme, die Freiheit vernichte.
Die Marschrichtung der II. Internationale ist also klar, Eine andere Frage freilich ist die, ob sie ihr Ziel wirksamer als früher zu ver
wirklichen vermag. Vorerst ist wenig mehr als eine Charta da, ein Stück Papier. Wenn auch in Frankfurt Einmütigkeit über die Grundlagen und Ziele der neuen Vereinigung erzielt wurde, so zeigt doch die verschiedenartige Stellung der einzelnen sozialdemokratischen Parteien, zu den großen, gerade durch den Bolschewismus aufgeworfenen Problemen, wie heterogen das Gebilde der II. Internationale ist. Man braucht sich nur die teilweise entgegengesetzten Auffassungen, zum Beispiel über die Frage der europäischen Einheit, der gemeinsamen Verteidigung Europas, über den Schumanplan zu vergegenwärtigen, um das zu erkennen. Papieme Erklärungen besagen, gerade in einer Zeit, wo es um lebenswichtige Entscheidungen geht, noch nichts, man mag sich heute auch daran erinnern, daß die II. Internationale schon einmal, vor 40 Jahren bei Ausbruch des ersten Weltkrieges, ein großes Debakel erlebte, als es sich zeigte, daß ihre internationale Idee keine Wirksamkeit hatte, den Krieg zu verhindern.
Kann man heute zuversichtlich sein? Die Gefahr, in der die nichtbolschewistische Welt sich befindet, erfordert ein weit größeres Maß an Zusammenarbeit als bisher, eine Zusammenarbeit über alle Verschiedenheiten der Auffassungen hinweg.
Die II. Internationale hat zwar vom materialistischen Marxismus Abschied genommen, aber damit ist die Wirksamkeit dieser Lehre
noch nicht außer Kraft gesetzt. Eine große deutsche Zeitung hat, offensichtlich in allzu optimistischer Weise, zum Frankfurter Kongreß geschrieben, langsam aber unaufhaltsam zerbröckle die „kaiserliche Stellung“, die Karl Marx einst hatte. Marx bewege die kämpferischen Idealisten und die Masse nicht mehr. Langsam lege sich der Staub auf seine Gedanken, er sei in die Rumpelkammer gestellt worden. Das stimmt leider nicht einmal für den Westen, geschweige denn für den Osten. Es ist leichfertig, die Wirklichkeit so zu verkennen angesichts der Tatsache, daß heute fast die halbe Welt unter dem Einfluß des bolschewistischen Marxismus steht und zwar keineswegs nur machtmäßig, sondern unter dem Einfluß der Wirkungen, die von der marxistischen Ideologie ausgehen. Und es wäre töricht, wollte man diese Tatsache, daß eben die Ideen von Karl Marx nicht tot sind, sondern daß seine Lehre heute im Bereich der weltpolitischen Entwicklung eine bitter ernst zu nehmende Realität darstellt, verkennen.
Daher müssen aus den Erkenntnissen der Charta des demokratischen Sozialismus die praktischen Folgerungen gezogen werden. Diese Folgerungen können nur sein, daß die sozialdemokratischen Parteien der verschiedenen Länder sich in der praktischen Zusammenarbeit zusammenfinden, ohne Rücksicht auf nationale, wirtschaftliche und ideologische Doktrinen. Erst wenn im Bereich der praktischen Politik die Zusammenarbeit aller Kräfte, deren Freiheit bedroht ist, lebendig sein wird, werden die Grundsätze des demokratischen Sozialismus Aussicht auf Verwirklichung haben.
Mitbestimmungsrecht in Mailand gutgeheißen
IBFG beschließt, den Arbeitern der ärmeren Länder finanziell zu helfen
Von unserem Mailänder Korrespondenten Carlo G. Mundt
MAILAND. Das in der Bundesrepublik eingeführte Mitbestimmungsrecht wurde in einer
Resolution des Internationalen Bundes Freier klären, erkennt man die Verschiedenheit der
Gewerkschaften auf dessen zweitem Weltkom greß begrüßt. Die deutsche Delegation hatte einen Antrag auf Untersuchungen in allen 66
Mitgliedstaaten gestellt, durch die festgestellt der Eingliederung in den Industrieprozeß ste-
werden soll, wieweit dieses Recht schon durchgekämpft, umkämpft ist. In Wirklichkeit ha' hen die Deutschen es verstanden, die Aufmerk- dürfen, samkeit der Welt auf dieses Problem zu lenken, das von einigen Ländern überhaupt noch nicht erfaßt worden ist. Die Franzosen sprechen aus diesem Grunde stets von „Mitverwaltung“, die etwas ganz anderes ist. Der Vorsitzende des DGB, Fette, erklärte vor deutschen Pressevertretern noch einmal ausdrücklich, daß das Mitbestimmungsrecht in den deutschen Betrieben „nicht bis zum Äußersten getrieben“ werden sollte. Die freie Initiative des Unternehmers werde nicht angetastet, nur verlange man von ihm, daß er bei wichtigen Entscheidungen seine Mitarbeiter in der Arbeitnehmerschaft anrufe.
Die Stoßkraft der Gewerkschaften hat wesentlich zugenommen, und das nicht nur in Deutschland. Fette lobte die Tatsache, daß
Staates gegenüberstand, in dem nur verlangt wurde, „die Armut zum Feind Nr. 1“ zu er-
Lage. Das Schwergewicht der Arbeit des IBFG wird sich immer mehr nach Südamerika, Afrika, Asien verlagern, weil dort Millionen vor
hen, und in keinem Fall in die Hände der kommunistisch-nationalistischen Allianz fallen
Bonn macht Ferien
Bundeskabinett im Urlaub BONN. In den Bonner Ministerien werden in diesen Tagen die Urlaubskoffer gepackt, nachdem der Bundestag mit den Parlamentsferien den Anfang gemacht hat. Bundeskanzler Adenauer verließ am Dienstagmorgen
Im Europa-Semi-Finale um den Davis-Pokal in München siegte das deutsche Paar Gottfried von Gramm/Rolf Göpfert gegen das italienische Meisterdoppel Gianni Cucelli/Marcello del Bello, das als das zweitbeste europäische Paar gilt. Diesseits des Netzes v. Gramm (rechts) und Göpfert, jenseits Cucelli (links) und del Bello.
Bonn im Wagen und begab sich mit seiner Tochter und einem kleinen Arbeitsstab nach dem Bürgenstock in die Schweiz.
Bundesernährungsminister Niklas bleibt als einziger Minister auch in seinem Urlaub im Fach: er sorgt auf seinem Hof in Oberbayern praktisch für die Ernährung der Bevölkerung. Ende der Woche werden Finanzminister Schäffer und Minister Kaiser in Urlaub gehen. Schäffer wird seine Sorgen um den Bundeshaushalt in den oberbayerischen Bergen zu vergessen suchen, Arbeitsminister Storch fährt in der kommenden Woche in den Schwarzwald. In Süddeutschland weilt auch Innenminister Lehr.
Bundeswirtschaftsminister Erhard, der in der vergangenen Woche aus Amerika zurückgekehrt ist, hat noch keine Urlaubspläne. Flüchtlingsminister Lukaschek wird sich in Bad Gastein erholen und später an einer internationalen Tagung von Lungenheilstätten in Davos teilnehmen. Vizekanzler Blücher vertritt den Bundeskanzler in Bonn und kann vorerst nicht an Urlaub denken.
Der Vorsitzende der SPD, Dr. Schumacher, verlebt einen dreiwöchigen Erholungsaufenthalt in St. Wolfgang im Salzkammergut.
Stalins Tochter verheiratet
Feierlichkeiten sollen 900 000 Dollar gekostet haben
ten eine Einheit erreicht wurde, obwohl die einzelnen Länder, in denen bisher 52,6 Millionen Arbeiter erfaßt sind, unter wesentlich verschiedenen Bedingungen leben. Es stellte sich sehr bald heraus, daß die sogen, exkolonialen Völker unter dem Mangel an Brot, Freiheit und jeglicher Demokratie zu leiden haben. Die Gewerkschaftsarbeit in Asien leidet u. a. unter der Tatsache, daß man infolge Demokratie-Mangel zurzeit in Schwierigkeiten ist, Regionalbüros zu errichten. Man beschloß, daß die finanziell besser gestellten Gewerkschaften den Organisationen der ärmeren Länder helfen sollen. Das finanzielle Opfer leistet also auch der Arbeiter des Ruhrgebietes, denn „in Indien herrschen heute Zustände, wie sie niemals nach dem Kriege in Europa zu finden waren“, um nur das Wort eines indischen ""~ *“ "• Vertreters zu zitieren. Wenn man hört, daß
Adenauer: „Ich komme Ihnen keinen Schritt dem deutschen Antrag über das Mitbestim- «ntgegen — ich bestehe auf meinen Forderungen!“ mungsrecht der eines mittelamerikanischen
LONDON. Stalins Lieblingstochter Swet- lana soll nach zweiwöchigen rauschenden
_ _ _ Festlichkeiten in Moskau mit Michael Kaga-
hier in Maüand"in allen wesentlichen Punk- nowitsch, einem Sohn des Politbüro-Mitglie
des Lazar Kaganowitschj am 3. Juli verheiratet worden sein, berichten Londoner und italienische Zeitungen. Stalin habe sich ursprünglich der Hochzeit widersetzt, da er einen bedeutenden Staatsmann oder einen führenden Offizier als Schwiegersohn vorgezogen hätte. Doch schließlich habe er klein beigegeben. Die 27jährige Swetlana war schon einmal verheiratet. Im Jahre 1945 wurde in Moskau bekanntgegeben, daß sie ein Kind geboren habe. Aus den Zeitungsmeldungen ging nicht hervor, was aus ihrem ersten Mann geworden ist.
Die Sowjets behaupten, die zweiwöchigen Hochzeitsfeiem „hätten jede Nachkriegshochzeit im Westen an Glanz übertroffen“ Roter Krimwein, süßer armenischer Pfirsiseh-Brannt- wein und Wodka seien Tag und Nacht für die Tausende von Gästen aus den höchsten Kreisen der Partei im Kreml geflossen. Swetlana habe ein Silberlame-Kleid mit kostbaren vielfarbigen kaukasischen Edelsteinen und
Goldperlen getragen, dessen Schleppe fast 20 Meter lang gewesen sei und das 280 000 Dollar gekostet habe.
Eigens aus Georgien und anderen kaukasischen Republiken geholte Orchester hätten jeweils bis Tagesanbruch den Gästen aufgespielt, ühd die Ballerinen aus dem Bolschoi- Theater hätten unermüdlich in den hellen Sommernächten getanzt. Die Erfrischungen und Speisen wurden auf zaristischem goldenen Gedeck serviert.
Zum ersten Male seit vielen Monaten seien sämtliche 15 Politbüromitglieder in Moskau versammelt gewesen — ein mitten im russischen Sommer einmaliger Vorgang. Diplomaten aus den östlichen und westlichen Ländern seien nicht eingeladen gewesen, da die „Hochzeit offiziell als Privatangelegenheit angesehen wird“.
Die Moskauer Hochzeitsfeierlichkeiten hätten rund 900 000 Dollar gekostet, doch sei nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Gästen — 160 — bei der Zeremonie selbst dabeigewesen. Das Brautpaar soll sich jetzt auf einer Hochzeitsreise durch Rumänien, Bulgarien, Ungarn und die Tschechoslowakei befinden.
Später Ruhm Arnold Sdiönbergs
Internationale Musik in Darmstadt und Frankfurt
Die diesjährigen Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt begannen mit einer großen Enttäuschung: Arnold Schönberg, der als Komponist, Theoretiker und Pädagoge hochverehrte Begründer der Zwölftonmusik, hatte »eine Zusage, ein Kompositionsseminar in Darm- ■tadt zu leiten, aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen. Dennoch blieb er der Held dieser Tagung, vor allem, weil die Welturaufführung der Hauptszene seiner neuen Oper „Moses und Aaron“ unter de r hervorragenden Leitung von Hermann Scherchen das größte musikalische Ereignis war. Nachdem die nur konzertmäßig aufgeführte Szene „Der Kampf um das goldene Kalb“ zweimal hintereinander gespielt worden war, stand das Publikum noch ungefähr zwanzig Minuten unaufhörlich klatschend im Saal.
Schönberg, der nie Konzessionen um des Erfolges willen gemacht hat und auch durch Aufführungen seiner Werke, die in früheren Jahren oft mit Saalkämpfen und im Polizeirevier endeten, nie von dem als richtig erkannten Weg ab- Sebracht werden konnte, hat nun endlich auch den Widerhall breiterer Hörerschichten gefunden. Schade, daß er der Aufführung nicht beiwohnen konnte! Neun Tage danach, am 13. Juli, ist er in Los Angeles, beinahe 77 Jahre alt, gestorben.
Seine Wirkung und sein Einfluß sind heute ®och nicht abzugrenzen, aber man kann doch •«hon deutlich bemerken, daß die ganze junge Generation, von deren Vertretern dreiundzwanzig durch Aufführungen von Kammermusik und Orchesterwerken geehrt wurden, sich viel mehr *n seinem Stil und dem seiner genialen Schüler üftd Freunde Alban Berg und Anton von Wehem schule als etwa an dem Neoklassizismus “trawinskys und Hindemiths.
Bei vielen Kompositionen sowohl der jungen Generation als auch der vierzig meist älteren Komponisten, deren Werke anläßlich des mit den Darmstädter Kursen in Zusammenhang stehenden Musikfestes in Frankfurt zur Aufführung gelangen, hatte man den Eindruck, daß die Komponisten nur die Zwölftonmusik und die raffinierte OrrhpstHP-'’rvi onn Schönberg übernommen ha’-.an, n chl aber seine genialen Einfälle
und seine formale Gestaltungskraft Rühmliche Ausnahmen bildeten unter anderem „Das Hohe Lied“ von Stanislaus Skrowaczewski, die Kantate „Ulysses“ von Matays Seiber nach Worten von James Joyoe und vor allem „Der Gefangene“ von Luigi Dallapiccola, drei Werke, die in den Hörern keinen Augenblick den unbehaglichen Eindruck entstehen ließen, die Komponisten wüßten eigentlich nicht, was sie zu sagen hätten. Zwei französische Werke, von denen man viel erwartet hatte, enttäuschten sehr: die nur als Experiment interessanten, im Grunde inhaltlosen und kitschigen „Cinq Rechants“ von Olivler Messiaen und das Bläserquintett von Jean F r a n $ a i x, ein oberflächliches Unterhaltungsstück, das auf einer Tagung, auf der ernste moderne Musik gepflegt werden sollte, gänzlich unangebracht war.
Neben den Konzerten waren es Instrumental- und Kompositionskurse, Vorträge und Diskussionen, die eine große Anzahl an Neuer Musik Interessierter in diesen Wochen nach Darmstadt und Frankfurt zogen. Den Klavierkurs leitete der englische Pianist Peter Stadien, dessen schöner voller Ton ihn besonders gut befähigt, Schönberg zu interpretieren, den Violinkurs der mittlerweile auch in Deutschland berühmt gewordene Tlbor V a r g a, der, obgleich noch nicht dreißig Jahre alt, einer der ganz wenigen Geiger ist, die sowohl Bach, Mozart und Beethoven als auch Schönberg, Bartök und Berg spielen können.
Unter den vielen Vorträgen, die von Musikern und Theoretikern aus fünf Erdteilen in zum Teil äußerst stockendem Deutsch gehalten wurden, seien die des heute in Frankfurt lebenden Soziologen, Philosophen und Musikers Theodor W. Adorno besonders hervorgehoben. Es sei nicht verschwiegen, daß auch geschmack- und sinnlose Experimente in Darmstadt vorgeführt wurden, so z. B. Werke von Pierre Schaeffer und Pierre Henry, sogenannte „konkrete Musik“, Geräuschmontagen aus Instrumentalmusik, menschlichen und tierischen Stämmen. Autozusammenstößen, Sirenen und anderem. Die Titel der Stücke „Das wohltemperierte Mikrophon" und „Symphonie Erotika“ sprechen für sich! Aber trotz solcher bald wieder vergessener Auswüchse sind die Darmstädter Ferienkurse für jeden Teilnehmer ein künstlerisches Erlebnis gewesen
R.-A B
„Götz“ auf der Götzenburg
Festspiele in Jagsthausen
Wer nur das industrielle Württemberg des Nek- kar- und Filstales und des Albvorlandes kennt, den vom Fremdenverkehr überschwemmten Schwarzwald oder den Süden bis zum Bodensee hinunter, der findet im württembergischen Norden, im Kochertal und im idyllischen Tal der Jagst zwischen Möckmühl und Schöntal eine Landschaft, ln der die Zeit stillgestanden zu sein scheint. Der Verkehr hat diese vom Bimmeln eines gemächlich prustenden Schmalspurbähnleins ab und an durchzogene sanfte Hügellandschaft vergessen. Hier liegt in einer Windung des Flüßchens, nicht weit vom Dorfe Berlichtngen, das Schloß Jagsthausen, auf dem der Reichsritter Götz von Berlichingen sein „Leben in Freiheit" führte. Seit vergangenen Samstag und bis zum 20. August finden wieder die Götz-Festspiele statt. Der Burgherr, Wolf Götz von Berlichingen, hat seinen gepflegten Herrensitz zum Nutzen des notleidenden Jagsttales und des Jagsthausener Fremdenverkehrsvereins und seiner romantischen Burggaststätte als Naturkulisse hergegeben.
In der gegenüber dem Vorjahr elastischeren Inszenierung des Intendanten Hans Meißner, mit Hermann Schömberg als Götz und Lotte Brackebusch als Elisabeth und den Nachfahren der Götzschen Bauern als Komparserie, wirkt das Stück in der historischen Umgebung ungeheuer lebendig. Die Aktualitäten des Dramas aus der Wendezeit vom Mittelalter zur Moderne, der Kampf des Individualisten Götz gegen das übermächtige Kollektiv ohne Treu und Glauben sind betont. Eine ausgezeichnete Beleuchtung nützt alle räumlichen Effekte, die der Burghof, die gotischen Fenster, die Räume und der Nachthimmel bieten. So wird der Goethesche Götz, den eine Saalbühne kaum ohne Streichungen bringen kann, in Jagsthausen zu einem von den Zuschauern, unter ihnen Landeskommissar General Gross und Kultminister Schenkel, herzlich anerkannten Erfolg. hr.
Der Verband der deutschen Kritiker hat am Montag in Berlin über die Preisverteilung für das Jahr 1950/51 Beschluß gefaßt. Den Literaturpreis erhielt Martin Kessel, von dem die Kritiker feststellten, daß seine „dichterisch ordnende
Kraft zu den bedeutendsten Aussagen zu rechnen“ sei. Der Musikpreis fällt an Elisabeth G r ü m m e r, für die Interpredation der Gräfin in „Figaros Hochzeit“, des Oktavian im „Rosenkavalier“ und der Sopranpartien in den Requiems von Mozart und Verdi. In der Abteilung Bildende Kunst wird der Preis an Karl Schmidt-Rottluff vergeben. Den Theaterpreis erhält Maria Becker als „stärkste Kraft im Stil der neuesten Sachlichkeit“. Der Tanzpreis geht an Dore H o y 1 e r. Den Filmpreis erhält Peter T e w a s für seinen Kulturfilm „Herbstgedanken“.
Willy D r ö m e r, Inhaber der 1946 lizenzierten Drömerschen Verlagsanstalt, München, feiert das fünfjährige Bestehen seines Unternehmens. Er mußte nach den nahezu totalen Kriegsverlusten aus dem Nichts aufbauen, wobei er sich allerdings die Erfahrungen seines 1989 verstorbenen Vaters, des Initiators der bekannten Knaur-Bücher und Inhabers des Th. Knaur Nachf. Verlages, der in diesem Jahre sein 50jähriges Jubiläum begeht, zunutze machen konnte. Schon Weihnachten 1948 belieferte Drömer den Markt, dann setzte er mit den Großauflagen seiner preiswerten Knaur-Bücher wieder ein. Die Produktion des Verlages, die ständig stieg, beträgt bisher schon wieder 1,5 Millionen Bücher.
Für den Bücherfreund
Alfred und Lotte Brauchte: Große Liebe
zu kleinen Pferden. Karl F. Haug Verlag,
Saulgau (Württ.). 163 s.
„Kinder und Pferde sind doch das Herzstück unseres Glückes“, so heißt es im Vorwort der „Großen Liebe zu kleinen Pferden!“ Das Buch ist sowohl für diejenigen, die sich für die ersteren entscheiden, aber noch mehr für jene, die die letzteren bevorzugen, geschrieben, ohne peinlichen Überschwang mit einer erfrischenden Natürlichkeit. Zwei, um im Jargon zu bleiben, vollblütige Menschen mit guter Kau-, Knie- und Herzaktion — wer letztere termlni technici nicht versteht, wird durch das Buch belehrt — berichten über ihre Erfahrungen mit kleinen Pferden. Mögen die Bosmiaken, Haflinger, Huzulen, Pan- jes, Togo-, Burma-Ponys und wie sie alle noch heißen, das Herz der Leser gewinnen. wk.