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FREITAG, 6. JULI 1951

Grenzpolizei auf 20G00 Mann erweitern?

SPD kritisiert den Aufbau des Bundesgrenzschutzes / Zu viel ehemalige Offiziere

BONN. Bundesinnenminister Robert Lehr kündigte am Mittwoch an, daß die Bundes­regierung wahrscheinlich nach den Parlaments­ferien die Verdoppelung der Bundesgrenz­schutzpolizei auf insgesamt 20 000 Mann beim Bundestag beantragen werde. Lehr wies auf den Beschluß der Washingtoner Außenmini­ster-Konferenz hin. der der Bundesrepublik zusätzliche Polizeiformationen von 30 000 Mann zugebilligt habe, Diese Formationen sollten in Kasernen untergebracht, einheitlich unifor­miert und besser als die Ordnungspolizei be­waffnet werden.

Von den 30 000 Mann seien den Ländern 10 000, dem Bundesgrenzschutz ebenfalls 10 000 und auch der Bundesbereitschaftspolizei 10 000 Mann zugewiesen worden. Für die Schaffung einer Bundesbereitschaftspolizei sei eine Än­derung der Verfassung mit einer Zweidrittel­mehrheit im Bundestag erforderlich. Da das Zustandekommen dieser Mehrheit skeptisch beurteilt werden müsse, aber andererseits auf den Einsatz dieser 10 000 Mann nicht verzich­tet werden könne, werde die Bundesregierung die Verstärkung des Grenzschutzes um weitere 10 000 Mann fordern.

Im übrigen wies Lehr die Vorwürfe des SPD- Bundestagsabgeordneten Menzel zurück, daß eineheimliche Remilitarisierung betrieben werde. Es handle sich lediglich um Maßnahmen der inneren Sicherheit. Auf der Konferenz der Länderminister am Dienstag in Bonn sei in vol­ler Einmütigkeit die Notwendigkeit einer ver­stärkten Abwehr des politischen Radikalismus von rechts und links beschlossen worden.

Der SPD-Abgeordnete Dr. Walter Menzel

hatte am Mittwoch der Bundesregierung den Vorwurf gemacht, das gegenwärtige Verfahren beim Aufbau des Bundesgrenzschutzes weiche von den Zielen, die der Bundestag verfolgt habe, ab. Anstatt die Beamten des Länder­grenzschutzes in den Bundesgrenzschutz von 10 000 Mann zu übernehmen, wolle das Bundes­innenministerium jetzt 10 000 Mann neu auf­stellen und den Ländern ihren 4 500 Mann star­ken Grenzschutz belassen. Es bestehe der Ein­drude, daß im Bundesgrenzschutz der Kern ei­

ner Remilitarisierung gelegt werden solle. Die Personalpolitik beim Aufbau dieses Grenz­schutzes müsse man ebenfalls beanstanden. Von 13 leitenden Mitarbeitern kämen außer einem Polizeifachmann, der in den nächsten Tagen Weggehen werde, sechs aus dem ehemaligen Generalstab der Wehrmacht und sechs seien höhere Offiziere. Weiter halte sich das Bun­desinnenministerium bei der Bestimmung der Standorte nicht an das Bundesgrenzschutzge­setz, nach dem die Standorte innerhalb der 30- km-Zone liegen sollten. Dr. Lehr habe auch er­klärt, die Ausstattung der Polizei mit maschi­nengewehrbestückten Panzern genüge nicht, es müßten Panzer mit Kanonen sein. Die SPD lehne eine schwere Bewaffnung der Polizei ab.

Heranführung der Jugend an den Staat

Der zweite Bundesjugendplan / Vier Millionen in Verbänden organisiert

BONN. Der in voller Durchführung befind­liche erste Bundesjugendplan, für den 53 Millionen DM zur Verfügung standen, habe rund 4 Millionen in den Jugendverbänden zusammengeschlossene Jugendliche in der Bundesrepublik erfaßt, heißt es in einem vom Bundesinnenministerium gegebenen Re­chenschaftsbericht.

Von den zur Verfügung gestellten Mitteln seien 20 Millionen DM für ein Kreditpro­gramm zur Errichtung von Lehrwerkstätten, 17,5 Millionen für Jugendwohnheime mit rund 14 000 Wohnplätzen, 2 Milionen für Jugend­berufs Vorbereitung, 3,5 Millionen für die Ju­gendverbände und die politischen Jugend­gruppen, 2 Millionen zur Förderung der Ju­gend in den Grenzgebieten und 1,2 Millionen zur Förderung des Jugendschrifttums verwen­det worden.

V ier mäditebesprechun «en

Westberliner Handelsfragen

BERLIN. Die sowjetischen Besatzungsbehör­den in Berlin haben den westlichen Komman­danten ihre Bereitschaft zu einer Viermächte- Besprechung über den Westberliner Handel ausgesprochen. Die Besprechungen sind gestern Im britischen Hauptquartier angelaufen.

Die westlichen Besatzungsmächte hatten die sowjetischen Behörden zu solchen Besprechun­gen aufgefordert, um eine Reihe der Fragen des Westberliner Imports und Exports zu klä­ren. Es ist nahezu zwei Jahre her, daß die vier Besatzungsmächte Berlins zu einer gemeinsa­men Besprechung zusammengekommen sind.

Alle Ein- und Ausfuhren Westberlins erfol­gen über sowjetisch besetztes Gebiet. Die de­mokratischen Alliierten sind an der Freiheit dieses Handels interessiert. Andererseits rech­net man von westalliierter Seite damit, daß die Sowjets eventuell als Gegenleistung die Frage der Erhöhung der Ruhrstahllieferungen an die Ostzone aufwerfen wollen. Näheres ist jedoch noch nicht bekannt.

Persienlage unverändert

Britische Evakuierung geht weiter

AB AD AN. DieAnglo-Iranian-Oil-Com- pany beabsichtigt, die Evakuierung ihrer An­gestellten aus den Ölfeldern von Kusistan in­nerhalb der nächsten 18 Tage abzuschließen. Zu diesem Zeitpunkt oder auch schon etwas frü­her werden die Bohrtürme und die Raffinerie in Abadan stillgelegt werden, wenn die neue Persische Nationale Ölgesellschaft zur Über­nahme und zur Weiterführung des Betriebes nicht in der Lage sein sollte.

Der persische Ministerpräsident M o s s a - deq gab am Mittwoch in einer Rundfunkan­sprache aus Teheran bekannt, daß er das per­sische Volk zur Zeichnung von Regierungs­obligationen auffordem werde, falls die Durch­führung der Ölverstaatlichungspläne Finanz­schwierigkeiten des Staates zur Folge haben sollte.

Die persische Regierung bot gestern auf dem Welterdölmarkt einen dreiprozentigen Rabatt

an, um Kunden zu werben. Der Rabatt soll sofort in Kraft treten und von den üblichen Weltmarktpreisen abgerechnet werden. Ein Kommissionsmitglied der persischen Über­nahmekommission in Abadan, A r d e 1 a n , gab ferner bekannt, daß man durch den persischen Botschafter in Washington das Angebot einer Tankerreederei erhalten habe, die sich für den Transport des persischen Öls zur Verfügung stellen wolle.

Zehn Jahre für Oatis

Die Urteile im Prager Spionageprozeß

FRANKFURT. Der Sondergerichtshof in Prag hat am Mittwoch den Chef des Prager Büros der Associated Press, William N. Oa­tis, wegenSpionage zu zehn Jahren Ge­fängnis verurteilt. Die Hälfte der Strafe kann bei guter Führung erlassen werden. Nach der Strafverbüßung muß Oatis tschechoslowaki­sches Gebiet sofort verlassen.

Gegen die mitangeklagten drei ehemaligen tschechischen Angestellten der AP in Prag wurden folgende Strafen verhängt: Tornas Svoboda 20 Jahre, Pawel Wodjinek 18 Jahre und Peter M u n t z 16 Jahre Gefängnis. Das Vermögen aller vier Angeklagten verfällt der Beschlagnahme.

Der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer höhere Strafen gefordert, das Gericht aber auch um die Zuerkennung mildernder Um­stände gebeten, da Oatis durch seinGeständ­nis bei derAufdeckung der Spionagetätig­keit westlicher Diplomaten und der Vertreter anderer Nachrichtenagenturen mitgeholfen habe.

Vom amerikanischen State Departement, von der Associated Press und von der ganzen westlichen Presse wird in der Verurteilung von Oatis eine Mißachtung der fundamental­sten Rechtsgrundsätze gesehen. Oatis sei mit dem Sammeln von Nachrichten beschäftigt ge­wesen, wie freie Menschen das verstehen. Aber Nachrichten sammeln und veröffentlichen sei für die Regierungen hinter dem Eisernen Vor­hangSpionage.

Der Sprecher des Innenministeriums be- zeichnete den ersten Jugendplan als einen Versuch, der sich bewährt habe. Er kündigte gleichzeitig an, daß ein zweiter Plan, für den ausreichende Mittel vorhanden seien, sich in Vorbereitung befinde. Dem zweiten Plan wür­den die Erfahrungen des ersten Bundesjugend­planes zugrunde gelegt. Dieser Plan werde sich besonders um die Aktivierung der Ju­gend und ihre Heranführung an den Staat, um die Schaffung neuer Hoffnungen und neuer Ziele bemühen.

Der Sprecher teilte mit, daß 1950 rund 20 000 Jugendliche aus der Bundesrepublik in die Ostzone gegangen seien. Er kündigte wei­ter eine Aufklärungswoche über die in der Bundesrepublik verbotene FDJ an.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat dem Bundes jugendring vorgeschlagen, eine Jugend­woche des Berufs zu veranstalten. Berufs­wettkämpfe werden in diesem Jahr bereits vom Handwerk und von der Jugend der An­gestelltengewerkschaft ausgetragen. Träger der künftigen Jugend-Berufswettkämpfe sol­len der DGB, die DAG, der Bundesverband des Handwerks und die Landwirtschaftsver­bände sein. Die Ausschreibungen für die Bun­desjugend-Sportwettkämpfe seien jetzt an die Länder ausgegeben worden. An den Wett­kämpfen soll die ganze Jugend zwischen 11 und 18 Jahren teilnehmen.

Weitkongreß der Gewerkschaft

Deutsche Resolution zur Mitbestimmung

MAILAND. In Anwesenheit von 300 Gewerk­schaftsvertretern aus 53 Staaten begann am Mittwoch in Mailand der zweite Weltkongreß des internationalen Bundes freier Gewerk­schaften. Präsident Paul F i n e t bekannte sich in seiner Eröffnungsansprache zu den Vertei­digungsanstrengungen der westlichen Natio­nen, warnte aber davor, die Rüstungen als Vorwand für unsoziale Maßnahmen zu nehmen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist auf dem Kongreß durch eine Delegation unter Führung seines ersten Vorsitzenden, Christian Fette, vertreten. Fette legte gestern den Delegierten des zweiten Weltkongresses eine Resolution des DGB zum Mitbestimmungsrecht vor, in der ein verstärkter Einfluß der Gewerkschaf­ten der verschiedenen Länder auf das Wirt­schaftsleben gefordert wird.

Zur Verteidigungsfrage wurde gestern vom Vorsitzenden des holländischen Gewerkschafts­bundes eine Resolution eingebracht, die den so­fortigen Abschluß internationaler Warenab­kommen für alle strategischen Rohstoffe so­wie nationale Preiskontrollen und Gewerk­schaftsvertretungen in allen internationalen und nationalen Organisationen, die sich mit Verteidigungsproblemen beschäftigen, fordert.

Verschiebung nach links

Reichstagswahlen in Finnland

HELSINKI. Die finnischen Reichstagswahlen vom 2. und 3. Juli haben zwar keinen poli­tischen Erdrutsch, aber doch eine spürbare Verschiebung nach links gebracht. Die bishe­rige Regierungskoalition verfügt im neuen Parlament über 131 von 200 Sitzen und kann dahe.r ihr wirtschaftliches Stabilisierungspro­gramm unverändert fortsetzen.

Die stärkste Fraktion ist auf Grund von Sitzverlusten der Agrarpartei jetzt die der Sozialdemokraten. Die kommunistischen Volks­demokraten konnten sieben Sitze gewinnen. Nach dem vorläufigen Ergebnis erhielten die Sozialdemokraten 53 Sitze (bisher 54), die Agrarpartei 52 (56), die Volksdemokratische Front 45 (38), Konservative Partei 27 (33), Schwedische Volkspartei 15 (14), Finnische Volkspartei 8 (0).

Kleine Weltchronik

BONN. Der CDU-Bundesvorstand beschloß, den zweiten Parteitag der gesamtdeutschen CDU für Mitte Oktober unter Vorsitz von Bundes­kanzler Dr. Adenauer nach Stuttgart einzube­rufen. Der erste Parteitag fand im Oktober 1950 in Goslar statt.

DÜSSELDORF. Der Vorsitzende der FDJ in Westdeutschland, KPD-Landtagsabgeordneter An­genforth, der sich seit Monaten verborgen hielt, protestierte auf einer Pressekonferenz gegen das von der Bundesregierung beschlossene Verbot seiner Organisation. Die telegrafisch eingelade­nen Journalisten wurden durchWachposten von Gaststätte zu Gaststätte verwiesen, bis sie im Hinterzimmer eines Lokals in der Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofes die Tagungsstätte der Pressekonferenz erreicht hatten. Angenforth erklärte:Wir sind jetzt leider auf die Taktik des illegalen Kampfes angewiesen.

FRANKFURT. Der erste Kongreß cer neuge­gründeten sozialistischen Internationale fand am Dienstagabend seinen Abschluß mit einer ge­schlossenen Sitzung, in der organisatorische Fra­gen besprochen wurden. Die Sozialisten ver­langten in einer ihrer letzten Entschließungen, daß jede außergewöhnliche wirtschaftliche Hilfe an Franco-Spanien oder seine Aufnahme in den Atlantikpakt verhindert werde, und erklärten sich solidarisch mit cer sozialistischen Partei Argentiniens, die unter den Verfolgungen der Peron-Regierung leide.

WIESBADEN. Die Witwe des ehemaligen deut­schen Reichsaußenministers, Anneliese v. Rib- bentrop, geborene Henkell, hat einen Vergleichs­vorschlag der Sektfirma Henkell abgelehnt, dem­zufolge sie gegen eine geldliche Entschädigung

für ihren Sohn Rudolf auf die ihm 1942 vertrag­lich zugesicherte Beteiligung an der Firma ver­zichten solle. Inhaber und Beirat de r Firma ver­weigern die Erfüllung des Vertrags und weisen dabei auf die gegenüber 1942 völlig veränderten politischen Verhältnisse hin. Die Klage von Frau v. Ribbentrop soll am 9. August vor dem Landgericht Wiesbaden verhandelt werden.

BERLIN. Die ostzonale Reichsbahn könne nur denjenigen Werktätigen, ihren Ehegatten und minderjährigen Kindern eine Fahrpreisermäßi­gung gewähren, die ihren Urlaub in Erholungs­heimen der politischen Parteien, des FDGB und anderer Massenorganisationen oder der staat­lichen Betriebe verbringen, teilte die General­direktion derDeutschen Reichsbahn mit.

PARIS. Der Kassationschef in Paris hat die im Januar vom Militärgericht in Marseille gegen sechs Angehörige der ehemaligen Gestapo- Dienststelle in Vichy ausgesprochenen Todes­urteile aufgehoben und eine neue Hauptver­handlung angeordnet.

BUDAPEST. Die USA haben die Forderung der ungarischen Regierung, im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen den Erzbischof Grosz drei amerikanische Diplomaten aus Budapest abzu- berufen, abgelehnt. Ungarn hat jetzt angeord­net, daß kirchliche Ernennungen der Zustimmung der Regierung bedürfen.

BANGKOK. Die für die Niederwerfung des Marineaufstandes in Thailand hauptverantwort­lichen vier Offiziere haben jetzt in Bangkok die eigentliche Regierungskontrolle an sich gerissen. Ministerpräsident Songram ist nur noch nominell Regierungschef.

Der verschlossene MUND

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Roman von Doris Eicke

Alle Redite f erlagthtmt Reutlingen

In einem hohen Mietshaus fuhren sie mit dem Lift in den vierten Stock hinauf. Niels hatte bereits den Zimmerschlüssel, da der gemietete Schlafraum vom Treppenhaus einen direkten Zugang hatte.

O, eine sturmfreie Bude, lachte Andrea mit einem kleinen unsicheren Nebenton.

Niels trat zurück und ließ sie eintreten. Es war ein großer, altmodisch, aber freundlich möblierter Raum. Das erste, auf das Andreas Blick fiel, waren zwei brav nebeneinanderste­hende Ehebetten, und sie war so überrascht und erfüllt, daß sie zunächst gar nichts zu sagen wußte. Also doch!

Ihre heimliche Freude dauerte nicht lange.

leider mußte Ich dieses Doppelzimmer nehmen, es gab im Moment kein anderes. Du kannst Dich also je nach Lust und Laune längs oder quer ins Bett legen, scherzte er und klingelte um eine Vase für die Blumen. Gefällt es Dir?

Ja, gut, sagte Andrea an ihrer Enttäu­schung würgend und trat ans Fenster, das einen schönen Rundblick über die Dächer die­ses Viertels freigab. Auf einmal drehte sie sich ihm mit entschlossenem Gesicht wieder zu.

Wenn wir das Doppelzimmer sowieso be­zahlen müssen, könntest Du doch solange zu mir ziehen, meinte sie leichthin.

Ach für die paar Tage lohnt es nicht, soviel Umstände zu machen. Ich müßte meinen hal­ben Kram hierher schleppen.

Ja, das ist wahr es lohnt sich nicht, bestätigte sie eisig. Es war gut, daß in diesem Augenblick das Mädchen mit der Vase kam und Andrea so Zeit fand, sich zu fassen. In

Wahrheit aber war von dieser Minute an alles zwischen Niels und ihr wie vergiftet und das Schicksal ihres Aufenthaltes von vornherein besiegelt.

Nachdem Andrea das Nötigste ausgepackt hatte, gingen sie zusammen Abendbrot essen. Es war noch sehr früh und die Lokale halb leer. Die vielen kahlen Tische sahen ernüch­ternd aus und verschärften noch den Ein­druck vernichtender Kühle, der sie quälte.

Was hast Du, Andry, ist Dir nicht wohl?

Ich habe starke Kopfschmerzen von der Reise.

Das tut mir leid, dann will ich Dich nicht mit Reden quälen.

Einsilbig verlief das Mahl, und Andrea kam von diesem ersten Ausgang mit Niels nach vier Jahren müde und enttäuscht zurück. Er hatte sich schon vor dem Hause von ihr ver­abschiedet, beide r ußten sich noch zum Abend umziehen. Andrea konnte sich zuerst nicht dazu entschließen. In trostloser Stimmung saß sie auf ihrem Bett. Wenn sie daran dachte, daß sie Niels nahegelegt hatte, zu ihr zu ziehen, fühlte sie eine Art wütender Reue. Er kannte sie, er mußte wissen, welche Über­windung sie ein derartiges Anerbieten kostete. Schon darum allein hätte er darauf eingehen müssen, aber nein! Einmal mehr hatte er sie zurückgestoßen. Seine Seele schien ganz abge­stumpft gegen sie. Welche Grausamkeit, ihr, seiner Frau, zu sagen, es lohne sich nicht, zu ihr zu kommen. So viel oder vielmehr so we­nig war sie ihm also noch wert.

Auf einmal var der andere wieder in ihren Gedanken, und er wischte Niels hinweg, als sei er nichts als ein blutloser Schemen. Wenn er hier wäre, säße sie bestimmt nicht allein in ihrem Zimmer und hätte es nicht nötig, so demütigende Worte hinzunehmen. Wie anders fühlte er für sie als Niels. Vielleicht war er nicht so treu, so zuverlässig wie er, aber er begehrte sie, er war erfüllt von ihr, sie spürte förmlich, wie zwingend er an sie dachte. Plötz­lich ertappte sie sich bei einem trotzigen Be­dauern, nicht dort geblieben zu sein,

Als Syamken sie abholte, merkte er sofort, wie bedrückt sie war. Sein häufiger Um­gang mit Frauen aller Gesellschaftsklassen machte ihn auf eine besondere Art feinfühlig für ihre Stimmungen. Da er selbst sich auf den Abend gefreut hatte, ärgerte er sich ein wenig, daß seine Freude bei ihr so gar kei­nen Widerhall fand, doch siegte seine kame­radschaftliche Hilfsbereitschaft schnell über solche Empfindlichkeit.

Huh der gute Plüsch, sagte er lachend, als er sich bei ihr umschaute,und die apar­ten Häkeldeckchen! Als der Großvater die Großmutter nahm, muß dies ein Staatszim­mer gewesen sein. Ich muß sagen, Niels hat Dir da allerhand Jugendstil zugemutet.

Ach die Hauptsache ist. daß man ein Dach über dem Kopf hat.

Sag das nicht! Wenn ich mir vorstelle, ich hätte Ulricke hier untergebracht, kriege ich Zustände! Sie würde gleich alle die Nipp­sachen aus dem Fenster schmeißen, und ich bekäme von beschädigten Passanten eine Klage an den Hals. Niels weiß gar nicht, was für ein geruhsames Leben er an der Seite einer so vernünftigen Frau führt.

Ach ich bin nicht so vernünftig, wie Du denkst, und will es auch gar nicht sein. Eigentlich ist Vernunft tödlich langweilig, und man verwünscht sie meist hintendrein. Nanu, ich traue meinen Ohren nicht Übrigens wirst Du ja bald ebenso geruh­sam leben, da Ulricke nach Afrika fährt. Sie ist noch nicht dort. Woher weißt Du das?

Von Niels. Er war doch mit ihr bei ihrem Vetter, dem Neuhammer, mit dem sie den Plan besprechen wollte.

Ach? Syamken pfiff erstaunt durch die Zähne.Sie war also in Bremen? Davon hat mir Niels nichts gesagt.

Wahrscheinlich wollte er Dir Ärger er­sparen. In welches Theater gehen wir eigent­lich?

In die Staatsoper. Ganz groß: Madame Butterfly.

Allerhand. Bin ich dafür wohl elegant ge­nug? stellte Andrea die typisch weibliche Frage und drehte sich einmal vor dem Spie­gel um sich selber.Ein langes Kleid habe ich nicht bei mir.

Du siehst reizend aus. Nicht wie eine große Mondäne, aber wie eine süße, kleine Frau, die jeder Mann gerne ausführen möchte. Starten wir jetzt? Es wird Zeit.

Im Autobus kam Syamken noch einmal auf das frühere Gespräch zurück, und Andrea schien es, als hätte er die ganze Zeit an nichts anderes gedacht.

Wann war Ulricke eigentlich bei Euch?

Nachdem sie sich mit Dir auseinander­geeinigt hatte, fuhr sie gleich zu uns. Es war fast elf Uhr nachts, als sie ankam."

Die übliche Rücksichtslosigkeit! Sie hat Euch sicher einen schönen Schauerroman auf­getischt, wie ich sie kenne, meinte er grim­mig

Mir hat es gereicht. Zwischen Niels und mir ist Schießen eben nicht üblich, sagte Sie etwas boshaft-

Ja, Ulricke ist sehr einfallsreich, das muß man ihr lassen. Sie versteht es, so etwas in Szene zu setzen. Übrigens hatte ich sie dies­mal schwer gereizt. Ich wollte, koste es, was es wolle, endlich den Bruch erzielen. Das ist mir dann auch gelungen.

Ich weiß mit der Goldtapete", warf Andrea lakonisch ein.

Du bist ja vorzüglich im Bilde. Wenn Ihr das alles wißt, wundert es mich, daß Niels mich heute abend noch mit Dir ausgehen läßt. Ulricke hat mir ohnehin gedroht, daß sie alle meine Freunde auf ihre Seite brin­gen und einen gesellschaftlichen Boykott ge­gen mich inszenieren würde. Da Niels mein bester Freund ist, begann sie begreiflicher­weise in der ersten, frischen Kampfwut bei ihm Eg tut mir leid, daß ihr diese üblen Geschichten mit anhören mußtet.

(Fortsetzung folgt)