MMER 103
M I T T »V O C H, 4. JULI 1 S 5 1
Thailand — „Land der Freien“
Hintergründe der Revolte
BANGKOK. Der thailändische Ministerpräsident Songgram ist am Montag nach Niederschlagung der Revolte der Marine wieder in sein Amt zurückgekehrt.
E. W. Die Nachrichten über Umsturzversuche lenken den Blick wieder einmal auf Thailand, das „Land der Freien“.
Die Drahtzieher der Politik sind dort noch immer die „Männer des 24. Juni“, jener Revolution des Jahres 1932, durch die im Königreich Siam — so hieß es damals noch — der unbeschränkte Absolutismus durch eine konstitutionelle Monarchie ersetzt wurde. Diese Männer des 24. Juni waren meist noch junge Offiziere der Armee und Marine und eine Anzahl Zivilisten, die ihre freiheitlichen Ideen aus Europa mitgebracht hatten, wohin sie von ihrem König zu ihrer allgemeinen und beruflichen Weiterbildung geschickt worden waren.
Sehr bald nach der Revolution schon zeigten sich innerhalb der Gruppe dieser Männer auseinanderstrebende politische Tendenzen. Die Militärs, vor allem die Offiziere der Armee, sammelten sich auf dem rechten Flügel, während die Zivilisten und mit ihnen ein Großteil der Marineoffiziere sich nach links orientierten. An der Spitze der radikaleren Gruppe stand und steht, obwohl er, soviel man weiß, zurzeit in der Verbannung im Ausland lebt, der Jurist und Staatswissenschaftler Pradit, der schon Mitte der dreißiger Jahre einmal wegen seiner kommunistischen Haltung in die Verbannung geschickt worden war. Nach ein paar Jahren kam er wieder zurück, wurde, weil der noch minderjährige König in der Schweiz lebte, Regent des Landes, bildete in dieser Eigenschaft während der japanischen Besetzung eine Art Untergrundbewegung, die sich nach dem japanischen Zusammenbruch den Alliierten als Widerstandsgruppe empfahl, war dann Ministerpräsident, bis er im
Griediisdie Regierungskrise
König Paul kritisiert Parteien
ATHEN. Der griechische Ministerpräsident Venizelos, der zur Beendigung einer am vergangenen Wochenende ausgebrochenen Regierungskrise sich um die Bildung einer starken Koalitionsregierung bemühte, hat dieses Vorhaben aufgegeben und bemüht sich nun um ein liberales Minderheitenkabinett. In Athen rechnet man nicht damit, daß König Paul bereits jetzt das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben wird.
Die gegenwärtige Krise wurde durch den Rücktritt des stellvertretenden sozialistischen Ministerpräsidenten Papandreou ausgelöst, dessen Forderung auf Erhöhung der Weizensubventionen Venizelos abgelehnt hatte. Das darauf folgende Rücktrittsangebot von Venizelos lehnte König Paul ab. Der König kritisierte, daß durch dauernden Regierungswechsel — 13 Kabinette seit April 1947 — ein großer Teil der alliierten Hilfsgelder verschwendet würden, da jede ein anderes Programm entfalte, das dann in seinen Anfängen stecken bleibe und von dem nachfolgenden Kabinett wieder umgeworfen werde.
Innerdeutsche Neuordnung
Opposition von allen Seiten
HAMBURG. Die Vorschläge des FDP-Frak- tionsvorsitzenden im Bundestag, August Martin Euler, zur innerdeutschen Neuordnung haben mehr ablehnende als zustimmende Stellungnahmen hervorgerufen.
Der Deutschland-Union-Dienst, der Pressedienst der CDU, vertritt die Ansicht, daß eine innergebietliche Neuordnung der Bundesrepublik zum gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich sei. Der Dienst empfiehlt den „Interessenten der Neugliederung“ über ihrem reformatori- schen Eifer die dringenderen Probleme der deutschen Gegenwart nicht zu vergessen.
Jahre 1946 wieder gestürzt wurde und, zugleich der Mitwisserschaft bei der Ermordung des Königs verdächtig, ins Ausland fliehen mußte.
Während Pradit, untersetzt und behäbig, betont formlos auftritt, ist sein Gegenspieler, der Feldmarschall Pibul Songgram, der Typ des schlanken und eleganten Offiziers. Pibul war von 1938 ab Ministerpräsident, wurde der Verbündete Japans, hat Amerika und England den Krieg erklärt, mußte dann, als das Kriegsglück sich den Alliierten zuneigte, zurücktreten, stand unter der Anklage als Kriegsverbrecher, ist aber bereits 1948 als Ministerpräsident zurückgekehrt und hat sich nun auch gegenüber dem allerjüngsten Umsturzversuch wieder behauptet.
Pibul und Pradit sind in der Politik Thai
lands, ob offen oder versteckt, die Gegenpole. Der eine stützt sich im wesentlichen auf die Armee, der andere auf Zivilisten und Marine. Die Zusammensetzung der Gruppen schwankt. Es scheint aber, daß über alle politischen Gegensätze hinweg diese Männer des 24. Juni ein geheimes Gelöbnis von ihrer Verschwörerzeit her verbindet.
In dem Kampf um die Macht wird bedenkenlos auch zu dem Mittel der Gewalt gegriffen. Aber der Unterliegende ist noch immer mit einem blauen Auge davongekommen. Wie wenn diese alten Revolutionäre sich gegenseitig das Leben und den Unterhalt garantiert hätten.
Im übrigen ist dieses Zurückschrecken vor letzten Konsequenzen kennzeichnend für siamesische resp. thailändische Politik. Nur durch geschicktes Lavieren zwischen seinen mächtigen Nachbarn in West und Ost, zuletzt zwischen den Westmächten und Japan hat das Land sich bisher seine staatliche Selbständigkeit erhalten können.
Schuldenmeniorandum
Kürzung der „Auslandshilfe' offen
BONN. Die deutsche Bundesregierung hat den drei Westmächten über die Alliierte Hohe Kommission ein Memorandum übermittelt, in dem ausführlich zum Problem der deutschen Auslandsschulden Stellung genommen wird Das Memorandum dient als Unterlage für die am 5. Juli in London beginnende Schuldenkonferenz. Es schlägt eine internationale Regelung der Schuldenfrage vor. Eine gesonderte Behandlung der deutschen Auslandsschulden wird abgelehnt. Die deutsche Stellungnahme nimmt ferner auf die bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Bundesrepublik Bezug, die deren volle Zahlungsfähigkeit beeinträchtigen.
Mit dem Eintreffen der deutschen Delegation in London wird für morgen gerechnet.
Pressemeldungen über eine Kürzung der „Auslandhilfe“ für die Bundesrepublik im nächsten Finanzjahr auf 175 Millionen Dollar gegenüber rund 400 Millionen Dollar im abgelaufenen Jahr eilen, nach neuesten Bonner Meldungen, den Tatsachen voraus. Im Augenblick steht im amerikanischen Kongreß nicht die Frage der gesamten Höhe der diesjährigen Auslandshilfe zur Debatte, sondern lediglich ein Überbrückungsbudget für Juli bis zur Entscheidung des Kongresses über die Trumanforderung von 8,5 Milliarden Dollar.
Die Rentenerhöhungen
Erklärung der Bundespost
BONN. Das Bundespostministerium wies am Montag zu verschiedenen Anfragen bei den Postämtern darauf hin, daß die Bundespost über den Zeitpunkt und die Höhe der auf Grund' der 25prozentigen Rentenerhöhungen zu leistenden Zahlungen keine verbindlichen Auskünfte erteilen könne. Das Rentenzulagegesetz sei vom Bundestag noch nicht endgültig beschlossen worden. Soweit die Post an der Zahlung der Renten beteiligt ist, werde sie nach dem Inkrafttreten des Gesetzes alles daran setzen, die Rentenempfänger in kürzester Zeit in den Genuß der Zulagen zu bringen.
Bisher liegt nur ein Beschluß des Bundestags vor, die Renten rückwirkend vom 1. Juni an um 25 Prozent zu erhöhen. Das Gesetz selbst muß noch in allen drei Lesungen beraten werden.
Einschränkung der Statistik
Antrag beim Bundesrat
TÜBINGEN. Die Landesregierung Württem- berg-Hohenzollerns hat beim Bunüesrat beantragt, folgende Entschließung zu fassen:
„Die Bundesregierung wird gebeten, eine Kommission aus unabhängigen Persönlichkeiten dea öffentlichen Lebens zu bilden mit der Aufgabe, die gesamte Statistik des Bundes auf ihre sachliche Notwendigkeit zu überprüfen und der Bundesregierung geeignete Vorschläge für ihre weitgehende Einschränkung und Vereinfachung zu unterbreiten.“
Die Regierung sah sich zu diesem Schritt veranlaßt, da die Behörden, die Wirtschaft und die Bevölkerung in zunehmendem Maße über den Umfang fragen, in dem sie durch die vom Bund angeordneten statistischen Erhebungen in Anspruch genommen werden. Der Bund beabsichtigt zudem, eine weitere Ausdehnung seines statistischen Arbeitsprogramms durchzuführen, dessen Kosten zu einem wesentlichen Teil den Ländern zufallen würden. Es erscheint daher an der Zeit, geeignete Maßnahmen für einen drastischen Abbau und die Begrenzung der gesamten Statistik auf das unumgänglich notwendig* Maß zu treffen. Die Staatsregierung von Württemberg - Hohenzollem hält es für notwendig, möglichst bald im Sinne ihres Antrags bei der Bundesregierung vorstellig zu werden, da durch das in Vorbereitung befindliche Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke der Umfang des statistischen Programms des Bundes auf längere Zeit festgelegt wird.
BAD REICHENHALL. Bundespräsident Prof. Heuß traf am Montag mit seiner Gattin und seinem Sohn in Hohenaschau ein, wo er, wie im vorigen Jahr, einen etwa vierwöchigen Erholungsurlaub verbringen wird.
Sozialistische Friedensresolution
Prinzipien-Erklärung von Sozialistischer Internationale angenommen
FRANKFURT. Die Resolution der Sozialistischen Internationale über den „Kampf um den Frieden“ wurde gestern nachmittag in veränderter Fassung angenommen. Gegen die erste Fassung hatte der deutsche Vertreter Dr. Gerhard Lütkens protestiert mit dem Bemerken, daß, wenn von der Gleichheit der Opfer für die Verteidigung der freien Welt gesprochen werde, man auch die Gleichheit der Chancen und Rechte fordern müßte.
Die Resolution umfaßt jetzt acht Punkte und spricht aus, daß, wie auf allen Gebieten der Politik, auch bei der Verteidigung die Gleichheit der Opfer in jedem Volk sowohl als auch zwischen den Völkern gewährleistet werden müsse. Aber von Ländern, die keine Gleichberechtigung genießen, dürfe man nicht erwarten, daß sie in vollem Umfange zu der gemeinsamen Verteidigung beitragen. In der Resolution wird bedauert, daß die Politik des Kominform freie demokratische Länder- dazu gezwungen habe, der militärischen Verteidigung einen solchen Vorrang einzuräumen. Doch erkennt die Sozialistische Internationale
Kleine Weltchronik
DÜSSELDORF. Wie schon in anderen Großstädten des Bundesgebiets müssen sich jetzt auch in Düsseldorf Polizeibeamte wegen Unterschlagung beschlagnahmter Schwarzhandelsware, vor allem in der Zeit vor der Währungsreform, verantworten. Am Montag begann ein Prozeß gegen zehn Kriminalbeamte.
DÜSSELDORF. Christian Fette hat am Montag offiziell sein Amt als Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes angetreten.
LÜNEBURG. Ein Lüneburger Arbeitsgericht hat die fristlose Entlassung zweier junger Grenzdienstanwärter wegen Zugehörigkeit zur KPD aufgehoben. Der Vorsitzende stellte fest, daß jeder Arbeitnehmer der KPD ohne Folgen angehören könne, solange das Bundesverfassungsgericht die KPD nicht als verfassungswidrig anerkannt habe.
PEINE/HANNOVER. Etwa 30 Mitglieder einer Peiner Schützenvereinigung rotteten sich am Montagmorgen vor dem Gebäude der Handelsund Handwerkskammer der Stadt zusammen, rissen die Bundesflagge herunter und verbrannten sie. Passanten wurden mit politischen Schimpfworten bedacht, einer der Rädelsführer rühmte sich, Mitglied der Sozialistischen Reichspartei Remers zu sein. Die polizeiliche Untersuchung ist noch im Gange.
HAMBURG. Nachdem die Stadt Hamburg zu dem Verlangen der Bauernverbände, den Milchpreis zu erhöhen, noch nicht Stellung genommen hat, drohen die Bauernverbände von Schleswig- Holstein, Niedersachsen und Hamburg, die Milchzufuhr nach Hamburg zu sperren, falls die Hansestadt sich nicht entschließt, den Milchpreis auf die vom Bund genehmigte Höhe zu setzen.
LUXEMBURG. In Luxemburg wurde unter
die Notwendigkeit an, daß diese Länder ihre militärischen Kräfte verstärken, damit sie im Rahmen der Vereinigten Nationen Anteil an der Verhinderung des Krieges nehmen könnten.
Die Verteidigungsresolution war vom Generalsekretär der britischen Labour Party, Morgan Philipps, der in der konstituierenden Sitzung am Montagabend zum Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale gewählt worden war, entworfen worden.
Der Kongreß der Sozialistischen Internationale hat gestern die in einer siebenseitigen Denkschrift niedergelegten „Ziele und Aufgaben des demokratischen Sozialismus“ einstimmig angenommen. Die ursprünglich als „Prinzipienerklärung des demokratischen Sozialismus“ bezeichnete Denkschrift war am Sonntag wegen einiger redaktioneller Änderungen an einen Ausschuß zurückverwiesen worden. Die Erklärung sagt Kommunismus und Kapitalismus den Kampf an, fordert eine Kontrolle der Großindustrie und Planung in der Wirtschaft.
dem christlich-demokratischen Ministerpräsidenten Dupong eine Koalitionsregierung mit den Sozialisten gebildet.
GENF. Vertreter von 25 Nationen sind am Montag in Genf zusammengetreten, um einen internationalen Vertrag über den Status von Flüchtlingen und staatenlosen Personen festzulegen. Die Konferenz will den Entwurf einer internationalen Konvention zu dieser Frage fertigstellen, die schon über zwei Jahre in Vorbereitung ist.
LONDON. Der kanadische Außenminister Lester Pearson wird Mitte Juli Bonn einen Besuch abstatten. Am kommenden Montag fliegt Pearson nach Den Haag, von dort nach Oslo, Stockholm und London, um auf dem Rückweg Bonn und Brüssel aufzusuchen.
NEW YORK. Die Zahl der Arbeitslosen in den USA ist im Juni um 371 000 auf 1980 000 gestiegen.
NEW YORK. Sieben führende amerikanische Kommunisten haben am Montag ihre fünfjährige Haft, zu der sie wegen staatsgefährdender Umtriebe verurteilt sind, angetreten. Vier andere, gleichfalls Verurteilte, sind zum Haftantritt noch nicht erschienen.
NEW YORK. In New York sind wegen drohenden Wassermangels erneut Wassersparbestimmungen in Kraft gesetzt worden.
TOKIO. Die japanische Regierung ist am Dienstag überraschend zurückgetreten. Damit soll wahrscheinlich die Bildung einer Koalitionsregierung für Verhandlungen über einen Friedensvertrag ermöglicht werden. Gegen diesen Schritt von Ministerpräsident Joshida wandten sich sowohl die Sozialisten als auch die „Volksdemokratische Partei“. Auch die Mitglieder des alten Kabinetts verhalten sich ablehnend.
Ä
Der verschlossene MUND
Roman von Doris Eicke
Alle Hechte Verlagehaut Reutlingen
Je weiter sich das Schiff vom Ufer und damit auch von Tillmann entfernte, je mehr schwand ihre Reue, und sie geriet in ein gefährliches Träumen. Sie hatte mit ihrer Abreise ihre Pflicht getan, aber vergessen, nein vergessen konnte und wollte sie das Geschehene nicht. Sicher war, daß sie in diesem Erlebnis ein Wamungszeichen sehen mußte, ein unübersehbares „Bis-hierher-und-nicht-wei- ter“. Entweder wurde ihre Ehe mit Niels wieder das, was man unter einer Ehe verstand, oder sie war nicht mehr imstande, unter allen Umständen für sich einzustehen. Sie stand, das fühlte sie deutlich, an einem entscheidenden Wendepunkt ihres Frauenlebens.
Die Grömitzer Küste versank vor ihren Augen, und es war nun doch, aller Vernunft zum Trotz, wie ein dumpfer Schmerz um etwas Verlorenes in ihr. Sie versuchte mit aller Gewalt, ihre Gedanken auf das nahe Wiedersehen mit Niels einzustellen, aber immer wieder schob sich das entstellte und doch so kraftvoll-männliche Gesicht Tillmanns dazwischen, und sie hörte seine zärtliche Stimme das einzige Kosewort sagen, das sie jemals von ihm gehört: „Andrea, Du!“ Daß sie daran Immer wieder denken mußte, war einfach stärker als ihr guter Wille. Erst, als sie sich Berlin näherte, fanden ihre Gedanken wieder mehr zu Niels zurück, aber sie waren unzufrieden und rebellisch. Er hätte sich wohl ein wenig mehr über ihr Kommen freuen und es ihr vor allen Dingen zeigen dürfen, fand sie. Er besaß sie zu sicher, sie war nichts Besonderes mehr für ihn. Es konnte ihm nichts schaden, zu wissen, daß sich auch andere
Männer um sie bemühten. Vielleicht lodete ihn das einmal aus seiner widernatürlichen Zurückhaltung heraus.
Merck war pünktlich zum Bahnhof gegangen und wartete mit einem Strauß roter und weißer Nelken, die Andrea besonders liebte, auf die Ankunft seiner Frau. Er war kein Mensch, der Überraschungen schätztet und so war es ihm heute morgen am Telefon schwergefallen, sich so schnell auf das veränderte Projekt umzustellen, aber jetzt freute er sich aufrichtig. Überhaupt war er in besserer Stimmung als seit Jahren. Ein berühmter Lungenspezialist hatte den Versuch gemacht, den damals durch die Brustfellentzündung zunichte gemachten Pneumothorax trotz etlicher Verwachsungen neu anzulegen, und hatte damit Erfolg gehabt. Merck war gestern zum dritten Male gefüllt worden, und alles schien in bester Ordnung. Diese Maßnahme beruhigte ihn vor allem deshalb, weil sie in den nächsten Jahren die beste und einzige Sicherheit vor einem neuen, unbemerkten Wiederaufbrechen des vernarbten Herdes bot. Er erwartete mit Gewißheit, daß die nächsten Sputumuntersuchungen negativ verlaufen würden, dann hatte er mit der zusätzlichen Sicherung durch den Pneumothorax aufgehört, für seine Familie ein Gefahrenmoment zu sein. Vielleicht würde es notwendig sein, Andry alles zu sagen, wenn es so weit wäre, vielleicht brauchte sie eine solche Erklärung für ihren oft wankenden Glauben an seine Liebe.
Auch sonst hatte Merck Grund, guter Laune zu sein. Er fühlte sich der Flugarbeit körperlich und technisch vollauf gewachsen, und wenn er die Prüfung hinter sich hatte, konnte er ebensogut Verkehrspilot der Lufthansa oder einer anderen, ausländischen Luftfahrtlinie, wie Einflieger bei Focke-Wulf oder ähnlichen Werken werden. Zunächst würde er die gebotene Stelle nehmen und dann weitersehen.
Der Zug lief ein. Andrea erkannte Niels sofort an seinem hohen Wuchs. Als sie vor ihm
stand, mit einem Blick feststellte, wie gut er aussah, und sein warmes Lächeln sie begrüßte, fielen wie mit einem Zauberschlag alle Ängste von ihr ab und innige Zärtlichkeit, vermischt mit etwas Schuldbewußtsein, erfüllte ihr Herz. Niels küßte sie, in seiner Vorsicht schon etwas nachlassend, auf die Wange, und das war mehr, als er seit langem getan hatte. Erfreut nahm sie ihm die Blumen ab, überließ ihm ihren Koffer und_ hängte sich glücklich plaudernd in seinen Arm ein,
„Du siehst prächtig aus, Andry, zum Verlieben!“ sagte er lächelnd und drückte im Gehen ihren Arm.
„Ich kann Dir das Kompliment zurückgeben, das Fliegen bekommt Dir anscheinend gut.“
„Ausgezeichnet. Ich schleppe Dich gleich morgen hinaus und zeige Dir unsere Schule. Aber sag mal, Andry, warum hast Du eigentlich heute früh ein so dringendes SOS-Signal abgegeben?“
„Habe ich das?“ fragte sie mit einiger Verlegenheit.
„Na hör mal! Du rufst zu nachtschlafener Zeit an, wirfst alle Pläne über den Haufen und willst sozusagen stehenden Fußes abrei- sen. Da steckt doch etwas dahinter! Heraus mit der Sprache, Kleines! Nanu, Du wirst ja ganz rot?“ Andrea sah starr vor sich hin.
„Vielleicht wollte ich mich retten“, sagte sie leise.
„Retten? Vor was?“
„Nun, es könnte doch sein, daß mir jemand nachgestellt hätte.“
„Mädchen, Andry, seit wann bist Du so bange?“
„Es ist leicht, mutig zu sein, solange man nicht in Gefahr ist.“
Merck wollte durchaus nicht verstehen, welcher Kern von Wahrheit sich hinter ihren unbestimmten Worten verbarg.
„Wenn man Dich hört, sollte man glauben, es gäbe noch Seepiraten an unseren friedlichen Gestaden“, neckte er sie
„Nun, dann nimm an, daß ich auf Renate eifersüchtig bin. Auch das wäre ein Grund, schleunigst zu kommen.“
„Auf Renate? Auf dieses Kind, dessen Vater ich beinahe sein könnte?“
„Es fiel mir auf, daß sie immer dabei ist, wenn etwas unternommen wird."
„Kunststück. Sie arbeitet als Stenotypistin für den Direkt r der Schule und gehört somit zum Bau.“
„Ach, so ist das?“ fragte sie gedehnt.
„Hör mal, Andry, Du wirst mich noch eingebildet machen, wenn Du solche Sachen sagst: Eifersüchtig! Für Renate bin ich doch nur ein alter Knacker, die hat ganz andere Chancen.“
„Wer weiß! Es gibt junge Dinger, die für Herren mit interessanten, weißen Schläfen schwärmen.“
„Dafür bin ich ganz bestimmt kein Objekt“, meinte er kopfschüttelnd.
„Hast Du Will erreichen können?“
„Ja, er freut sich schon auf Dich.“
„Immer muß ich mit anderen Männern ausgehen“, stellte sie eine Spur ärgerlich fest.
„Immer? Ach, Du meinst in Grömitz? Das ließ sich ja nun nicht ändern. Hattest Du gute Gesellschaft?“
„Eigentlich nur eine einzige, einen Rechtsanwalt aus Hamburg.“
„Was ist er für ein Bursche?“
„Er hat bei einer Tankexplosion im Kriege eine schwere Gesichtsverletzung erlitten.“
„O weh, der arme Kerl! Sieht er schlimm aus?“
„Ziemlich, aber man gewöhnt sich daran. Detlev ist von ihm begeistert.“
„Das spricht für ihn. Wir müssen hier aussteigen, Andry, Deine Unterkunft liegt nur zwei Minuten von hier entfernt. Hoffentlich wird Dich der Verkehrslärm nicht zu sehr stören. Hier in Berlin ist er ein bißchen wild.“ Er lächelte ihr zu und ihr wurde immer leichter ums Herz. Niels gute, verläßliche Nähe verscheuchte alle Gespenster.
(Fortsetzung folgt)