Bemerkungen zum Tage

Nach der Rückkehr McCloys ...

hf. Der Abbruch der Vierer-Konferenz, die Wahlen in Frankreich, der Abschluß der ersten Phase der deutsch-alliierten Gespräche über einen möglichen Verteidigungsbeitrag und Ge­neral Eisenhowers Unzufriedenheit über die westeuropäischen Verteidigungsbemühungen, das sind einige der Faktoren, die Bonns au­ßenpolitische Problemstellung für absehbare Zeit kennzeichnen. Die Frage nach der Stellung der Bundesrepublik in der westlichen Welt muß klarer als bisher beantwortet werden. Darüber dürften sich die Regierungen der Westmächte, die Hohen Kommissare und na­türlich die Bundesregierung einig sein. Um den Inhalt dieser Antwort werden sich die bevor­stehenden Besprechungen drehen, deren An­fang in Bonn kurz nach* der Rückkehr McCloys, erwartet wird. Außerhalb des diplomatischen Protokolls, für das die Hohen Kommissare gleichwertig sind, ist nun einmal McCloy als Repräsentant der stärksten Macht auch der ge­wichtigste Mann auf dem Petersberg und es ist darum nur verständlich, wenn seine Rückkehr nach Deutschland als Termin für neue Konfe­renzen vorgemerkt ist. Zeitlich vor allen The­men rangiert der Schuman-Plan. Mag man zu seinem wirtschaftlichen Inhalt auch kritisch stehen, seine Ratifizierung wird von den Mehr­heiten auf der alliierten und auf der deutschen Seite als eine politische Notwendigkeit gese­hen. Die Amerikaner werten Europas Bereit­schaft für die Montan-Union geradezu als Be­weis für den grundsätzlichen Willen zur Koo­peration. Die Amerikaner scheinen von diesem Beweis ihre Haltung in folgenden Fragen ab­hängig machen zu wollen: 1. einer amerikani­schen Anleihe an die Bundesrepublik, 2. einer internationalen Hilfe zur Lösung des Flücht­lingsproblems und 3. der Einflußnahme auf London und Paris, um dorteine aktivere Deutschlandpolitik mit dem Ziel der Gleich­berechtigung Bonns zu ermöglichen. Im Zu­sammenhang mit diesen Problemen steht die generelle Revision des Besatzungsstatuts, die Aufhebung des Ruhrstatuts und der Abschluß eines wiederholt angedeuteten deutsch-alliier­ten Sicherheitsvertrages. Diedeutsche Frage, soweit sie von den Westmächten und der Bun­desrepublik allein überhaupt lösbar ist, wird sich also in den kommenden Monaten so um­fassend stellen, wie nie zuvor seit 1949.

Forderungen des Gemeindetags

Selbstverwaltung und flnanzielleSelbständigkelt

BERCHTESGADEN. Der deutsche Gemeinde­tag, die kommunale Spitzenorganisation der Landgemeinden forderte in Berchtesgaden auf seiner diesjährigen Präsidialsitzung uneinge­schränkte Selbstverwaltung und ausreichende finanzielle Selbständigkeit der Gemeinden. Die bisherige Rangordnung zwischen Bund, Län­dern und Gemeinden im Finanzwesen vor al­lem beim Finanzausgleich, die dem Staat das Primat zubillige, stehe im Widerspruch zur natürlichen Stellung der Gemeinden

In einer Entschließung kam zum Ausdruck, daß die Gemeinden ihren Finanzbedarf mit den Steuern, die ihnen verblieben, nicht decken könnten, weshalb ihnen einunabdingbarer Anspruch auf angemessene Beteiligung an den Hauptsteuern des Bundes und der Länder eingeräumt werden müsse. Jede finanzielle Mehrbelastung der Gemeinden, vor allem durch eine Heranziehung des Lastenausgleichs, könne ebensowenig vertreten werden wie eine noch stärkere Schmälerung ihrer Einnahmen.

Staatssekretär Ritter v. L e x (Bundesinnen­ministerium) setzte sich gleichfalls für eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung ein.Die höhere Ebene darf nur das in An­griff nehmen, was die untere mit bestem Wil­len nicht mehr erfüllen kann. Der Direktor des württembergischen Gemeindetages, öchs- 1 e, trat für einenfairen Finanzausgleich und einegrundlegende Inventur aller öffent­lichen Ausgaben ein.

Deutsche Filmwirtschaft zerfällt

Kritik am Quotengesetz

w; REUTLINGEN. Am 26. Juni 1951 fand in München eine Sitzung der Spitzenorganisation . der deutschen Filmwirtschaft statt. Das von der deutschen Produktion und den Vertretern des Verleiherverbandes angestrebte Spielquo­tengesetz bildete den aktuellen Anlaß zu einem Schritt der beiden Sparten, der den Bestand der Spitzenorganisation mit allen ihren Ein­richtungen für die Zukunft in Frage gestellt hat. Von beiden Verbänden wurde eineAr­beitsgemeinschaft der Filmindustrie in Deutsch­land gegründet und in diesem Zusammenhang schwere Vorwürfe gegen die Filmtheaterwirt­schaft erhoben. Das Präsidialmitglied des Zen­tralverbandes der deutschen Filmtheater und Mitglied der Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft, Kalbfell, teilt hierzu mit:

Die Filmtheaterbesitzer haben anläßlich einer Sitzung in Rüdesheim am 20. 4. 50 an­gesichts der Notlage des deutschen Films frei­willig eine Termingarantie von 30 Prozent für den Einsatz der neuen deutschen Produktion in den Theatern gegeben. Nur und ausschließlich durch diese Garantie hat sich die Bundesregie­rung zu einer Bürgschaft für die deutsche Filmproduktion entschlossen Die deutsche Pro­duktion hat aber trotzdem die in sie nach Qualität und Quantität gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Wenn nach einem Jahr Bundes­bürgschaft die Lage der deutschen Filmprodu­zenten noch erheblich schlechter geworden ist, so kann das keinesfalls auf ein schuldhaftes Verhalten der Filmtheater zurückgeführt wer­den.

Die Praxis hat längst gezeigt, daß ein guter deutscher Film einer Spielgarantie durch die Theater nicht bedarf, denn deren Türen stan­den ihm ohnedies immer offen. Nach den aber in den vergangenen Monaten produzierten deutschen Filmen kann es weder der Öffent­lichkeit noch den Theaterbesitzern zugemutet werden, weiterhin und noch in verstärktem

Maße ihr Vertrauen in die deutsche Film­produktion zu setzen.

In diesem Zusammenhang sehen sich die Filmtheater auch genötigt, alle gegen ihre Pro­grammgestaltung erhobenen Vorwürfe zurück­zuweisen, solange die Praxis der Filmvermie­tung keine grundsätzlichen Änderungen er­fährt. Es kann nun auch nicht mehr unerwähnt bleiben, daß die Filmtheaterbesitzer mit iden Entscheidungen der freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft nicht immer ein­verstanden sind. Sie vertreten vielmehr die Auffassung, daß Filme wie dieSünderin keine Bereicherung des deutschen Filmmarktes darstellen.

Die Filmtheater haben in den vergangenen Jahren ein so großes Maß an freiwilliger Be­reitschaft zur Mitarbeit zu erkennen gegeben, daß darüber hinausgehende Forderungen die Grenzen des Verantwortungsbewußtseins und Möglichkeiten der Theater überschreiten wür­den. (In früheren Ausgaben haben wir uns be­reits im selben Sinne mit dem Quotengesetz befaßt. Die Red.)

Noch vor den Ferien

Bundestag und Schumanplan

BONN. Der deutsche Bundestag wird sich voraussichtlich noch vor den Mitte Juli be­ginnenden Parlamentsferien in erster Lesung mit dem Vertragswerk über die europäische Gemeinschaft von Kohle und Stahl beschäf­tigen. Ein Sonderausschuß für Fragen des Schumanplans wird sich dann wahrscheinlich während der Dauer der Parlamentsferien mit den Einzelheiten des Vertrags befassen, so daß unmittelbar nach Wiederaufnahme der Plenar­sitzungen im September über die Ratifizierung entschieden werden kann. Nach Inkrafttreten des Schumanplans dürften Bundestag und Bun­desrat besondere Ausschüsse für Angelegen­heiten des Montanplans bilden.

Kleine Weltchronik

STUTTGART. Der Landtag von Württ.-Baden verabschiedete am Donnerstag einen vierten Nach­trag zum Haushaltsgesetz für das Rechnungsjahr 1950, in dem ein Fehlbetrag im Etat von rund 133 Millionen DM festgestellt wird, der dadurch ent­standen ist, c. von den für den außerordent­lichen Haushalt veranschlagten Mitteln 64,4 Mil­lionen nicht, wie vorgesehen, durch Anleihen ge­deckt werden konnten und die Planansätze für die Besitz- und Verkehrssteuer nicht erreicht wurden.

DÜSSELDORF. Der DGB-Vorsitzende Christian Fette wird heute Bundespräsident Heuß einen Antrittsbesuch abstatten.

DÜSSELDORF. In Nordrhein-Westfalen haben sich bis jetzt 18 000 Bewerber für die Bereit­schaftspolizei gemeldet. Der überwiegende Teil sind ehemalige Offiziere. !

FRANKFURT. Nach amtlichen Angaben fahreff 70 Prozent aller deutschen Urlaubsreisenden nach Italien. An zweiter Stelle steht die Schweiz. Es folgen Frankreich und Österreich.

FRANKFURT. Heute und morgen findet in Frankfurt der erste Bundeskongreß der Vereinig­ten Ostdeutschen Landsmannschaften statt.

DORTMUND. Vizekanzler Blücher forderte in Dortmund eine sofortige Stabilisierung der Preise und Löhne. Die Lohn-Preis-Spirale verhindere jede Kapitalbildung und alle Erwägungen über eine befriedigende Altersversorgung.

BREMEN. Der Ruhrindustrielle Hugo Stinnes traf am Donnerstag aus den USA kommend auf dem Bremer Flughafen ein. Die Beantwortung von Fragen über den Grund und die Dauer sei­nes Aufenthaltes in Deutschland lehnte er ab.

HELSINKI. Der sechste Delegiertenkongreß des finnischen Gewerkscbaftsbundes beschloß, aus dem kommunistisch gelenkten Weltgewerkschafts­bund auszutreten.

HELSINKI. Finnland wird am 2. und 3. Juli sein neues Parlament wählen. Dem jetzigen Par­lament gehören 103 Abgeordnete der Rechts-

(Agrarier 56, Konservative 33, Schwedische Volks­partei 14) und 92 der Linksparteien (Sozialdemo­kraten 54, Volksdemokratische Front Kommu­nisten und Linkssozialisten 38 Sitze) an.

DEN HAAG. Königin Juliana von Holland emp­fing den deutschen Botschafter Karl Dumontzur Überreichung seines Beglaubigungsschreibens.

LONDON. Die britische Regierung hat am Don­nerstag eine Anordnung erlassen, wonach die Rü­stungsindustrie Prioritätsrechte bei der Zuteilung von Eisen, Stahl, Kupfer, Zink und deren Legie­rungen genießt.

ILE D'YEU. Der französische Exmarschall- tain ist am Freitagmorgen aus der Festung der Insel in ein Privathaus überführt worden.

ROM. Die Tochter des amerikanischen Präsi­denten, Margaret Truman, ist am Donnerstag von Papst Pius XII. in Privataudienz empfangen wor­den.

WASHINGTON. Der amerikanische Hohe Kom­missar McCloy hatte am Donnerstag in Washing­ton eine abschließende Konferenz mit Außen­minister Acheson. Am Montag wird er auf dem Luftwege nach Deutschland zurückkehren.

WASHINGTON. Die amerikanische Regierung ersuchte den Senat um eine Erhöhung der Ein­kommen- und Verbrauchssteuern um etwa zehn Milliarden Dollar. Das Repräsentantenhaus hat bereits Steuererhöhungen in Höhe von 7,2 Mil­liarden bewilligt. Finanzminister Snyder besteht jedoch auf der von Präsident Truman geforderten Summe.

WASHINGTON. Der amerikanische Abgeord­nete Cannon gab vor dem Repräsentantenhaus bekannt, die Sowjetunion verfüge nach den letz­ten Informationen des amerikanischen Geheim­dienstes zurzeit über etwa 100 Atombomben.

PEKING. Der Sender Peking berichtete, die Sammelaktion für den Ankauf von Militärflug­zeugen für die chinesischenFreiwilligen in Ko­rea erlaube, 1216 Flugzeuge zu erwerben.

Stoff genügend

lh. Noch immer blüht der Weizen jener Ge­schäftemacher, die aus den ihnen angeblich so widerlichen Größen des Dritten Reiches Kapi­tal schlagen. Skandale und Tratsch, Blut und Tränen, Widerwärtigkeiten und Grausamkei­ten lassen sich so billig zu einem schönen Schmus zusammenbrauen, vor allem wenn man Autoren und Fotografen an der Hand hat, die bei derlei Anlässen dabei gewesen sind, und sich deswegen heutzutage nicht mehr genieren müssen. Das alles, genügend anreißerisch auf­gemacht oder streng wissenschaftlich getarnt, und in Illustrierten einem sensationslüsternen und kritiklosen Publikum serviert, bringt Geld. Viele gute Hunderttausende von D-Mark Geld aus Blut und Tränen.

Mit dem gefälschten Tagebuch der Eva Braun begannen diese ekelhaften Manipulatio­nen, und in der Folgezeit haben geldgierige Hyänen keinen der Männer der vergangenen Epoche verschont und sie bis auf die Haut ent­hüllt. Natürlich nur, weil man dagegen ist und die Lumpereien der Nazis dem armen irrege­führten Volk nicht vorenthalten wollte. Angeb­lich. In Wirklichkeit ging es ums Geld, und daneben blieb es nicht aus, daß ein strahlen­der Glorienschein um die Häupter derer gewo­ben wurde, die nicht mehr sind oder die viel­leicht schon wieder im Kommen sind. Nicht zu­letzt wegen derleiEnthüllungen.

Gegenwärtig setzt diegrößte Illustrierte ihren LesernHitlers Tischgespräche als wis­senschaftlichen Beitrag zur Erforschung des Nationalsozialismus vor. Wissenschaftliche For­schung also in Illustrierten. Auch ein Novum, das dadurch nicht schmackhafter wird, daß ein Professor der Geschichte ein Vorwort dazu ge­schrieben hat. Was am Anfang dieser Serie nur befürchtet werden konnte, ist inzwischen ein­getreten: Auch die wissenschaftlichen Erfor­scher des Nationalsozialismus haben sich an dem ThemaHitler und die Frauen erwärmt. Wie einfallsreich!

Für den Fall, daß es den wissenschaftlichen Nationalsozialismuserforschern an Themen für geldbringende Fortsetzungsreihen fehlen sollte, wollen sie sich bitte folgender Vorschläge be­dienen: Hitlers Nach-Tischgespräche, Hitlers Nachttischgespräche, Hitlers Lehnstuhlgesprä­che, Hitlers Autogespräche, Hitlers Flugzeug­gespräche (diese Reihe kann auf Wunsch über 112 Seiten fortgesetzt werden). Auf Jahre hin­aus ist also die Forschung mit geeigneten The­men versorgt. Ist das nicht beruhigend

Neuordnung der Ländergrenzen

BONN. In seiner Eigenschaft als Vorsitzen­der des Bundestagsausschusses für innerge- bietliche Neuordnung gab der Bundestagsabge­ordnete August Martin Euler gestern in Bonn einen Überblick über die Probleme der Neuordnung, an der Spitze der Neuordnung im Nordwestraum und bei Rheinland-Pfalz.

Euler erklärte, daß der Ausschuß unmittel­bar nach den Parlamentsferien, also Anfang September, auf Grund von Gutachten den Ent­wurf eines Gesetzes über die innergebietliche Neuordnung in Angriff nehmen werde. Der Entwurf solle bis Weihnachten dem Plenum des Bundestages vorliegen, so daß im näch­sten Jahr an die Verwirklichung herangegan­gen werden könne.

Besdiränkter Kündigungsschutz

BONN. Das deutsche Handwerk forderte ge­stern den Bundestag auf, den Gesentzentwurf über deh Kündigungsschutz den Lebensbedin­gungen der kleineren Betriebe anzupassen. Deshalb sollte u. a. das Kündigungsschutzrecht auf Betriebe mit mehr als zehn Arbeitskräften beschränkt werden. Außerdem dürfe nur der Arbeitnehmer den Kündigungsschutz für sich in Anspruch nehmen, der mindestens ein Jahr in einem Betrieb beschäftigt sei. Grundsätzlich spricht sich das Handwerk allerdings für einen Kündigungsschutz aus. Schematische Regelun­gen und Überspannungen würden aber die Ar­beitsplätze gefährden.

A

Der oerschlossene MUND

Roman von Doris Eicke

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Warum läßt Ihr Gatte Sie eigentlich allein reisen? fragte er plötzlich. Bevor Sie noch das Unpassende dieser Frage empfunden hatte, war ihre Antwort schon gefallen.

Er ist in Berlin auf der Verkehrsflieger­schule, sagte sie so heftig, als müsse sie Niels gegen einen unausgesprochenen Vorwurf ver­teidigen.

Sieht Detlev ihm ähnlich?

Ja, sehr.

Ich möchte ihn wohl einmal sehen." Warum? fragte sie verwundert.

Weil er Ihr Mann ist.

Wie unter Zwang und so, als hätte sie etwas an Niels gutzumachen, hörte sie sich zu ihrer größten Verwunderung sagen:

Unsere Ehe ist sehr glücklich.

Sie lieben ihn also?

Ja natürlich, antwortete Andrea schnell und spürte im gleichen Augenblick, daß ein schlichtes Ja mehr gewesen wäre.

So ist das also, sagte Tillmann leise und etwas ungläubig, so daßsich ihr die Frage auf­drängte, ob er denn etwas anderes erwartet hätte. Nach kurzem Zögern bejahte er es.

Sie sehen aus wie eine Frau, die gerne glücklich sein möchte, es aber nicht ist. Andrea hatte darauf ein spöttisches Auf­lachen, das gleichwohl betroffen klang.

Sie sehen Gespenster! Oder, fügte sie ironisch hinzu,der Wunsch ist der Vater des Gedankens.

Vielleicht auch das.

Es ist spät und Zeit, schlafen zu gehen, sagte sie aufstehend.Bleiben Sie noch hier? Ich bringe Sie auf alle Fälle zum Hotel. Während sie nebeneinander hergingen, be­

rührten sich im Gehen zufällig ihre Hände. Die ihre war kalt wie Eis.

Frieren Sie? fragte er besorgt.Sie soll­ten noch einen Glühwein trinken. Wahrschein­lich waren Sie zu lange im Wasser. Als sie nicht gleich antwortete, führte er sie mit sanf­tem Zwang nach links, wo neben dem Kai­serhof ein kleines Lokal lag.

So kann ich doch nirgends hineingehen, mit meinem nassen Haar, protestierte sie. Er überlegte einen Augenblick, den Blick sin­nend auf sie gerichtet, dann lächelte er be­ruhigend.Wir lassen uns das Sonntagsstüb­chen aufschließen, dort sieht Sie niemand. Er trat in die mäßig besetzte Gaststube und sprach ein paar Worte mit dem Wirt, dann kam er wieder heraus und führte sie um die Veranda herum zu einem Hintereingang. An­drea ließ in einem plötzlichen Nachlassen ih­res Willens alles dankbar mit sich geschehen, es war so wohltuend, derart umsorgt zu wer­den.

Sie wissen hier ja gut Bescheid!

Ich war schon ein paarmal in Grömitz und weiß zufällig, daß dieses Lokal in der Woche nur auf halben Touren läuft. Da es keine Mu­sik hat, ist seine Anziehungskraft geringer, zum Wochenende aber kommt immer ein Mann mit einem Schifferklavier, eine soge­nannte Stimmungskanone, und dann sind alle Stuben gerappelt voll.

Wird dann auch getanzt?

Versteht sich, trotzdem es keine eigentliche Tanzfläche gibt. Tanzen Sie gern?

Andrea nickte, und obwohl sie kein Wort darüber sagte, erkannte er doch an dem Auf­strahlen ihrer Augen ihr Verlangen nach die­sem beschwingten Spiel der Glieder.

Wollen wir einmal zusammen tanzen ge­hen?

Als wüßte Andrea um die verräterische Sprache ihrer Augen, senkte sie die Lieder.

Ach nein ich glaube nicht, wehrte sie errötend ah.

Diesmal gab er sich mit dieser Abweisung nicht sogleich zufrieden.

Warum nicht? Hat Ihr Gatte es Ihnen ver­boten?

Verboten? Sie lachte belustigt über diese Vorstellung.Ich bin doch kein Kind mehr, dem man etwas verbietet.

Aber er sieht es vielleicht nicht gern?

Im Gegenteil. Er redet mir in jedem Brief zu, auszugehen und mein Leben zu genießen. Wirklich? Das ist ein ungewöhnlich groß­zügiger Ehemann. Was hindert Sie also, sei­nen Rat zu befolgen? Liegt es an an mei­ner Person? Ich bin allerdings nicht sehr de­korativ.

Aber nein, was denken Sie, unterbrach sie ihn rasch und sah ihn freundlich an.Die Gründe liegen bei mir allein. Und lächelnd fügte sie hinzu:Ich bin eine Frau mit Grund­sätzen, wissen Sie, und dementsprechend lang­weilig.

Es fehlt Ihnen nur an dem nötigen Ver­trauen, aber das wird noch kommen. Wie lange bleiben Sie hier?

Im ganzen vier Wochen, aber dazwischen fahre ich ein paar Tage nach Berlin.

Mit Detlev?

Nein, ich gebe ihn solange in das nette Kinderheim im oberen Dorf.

Wann wird das sein?

Ich warte auf Abruf. Er kann jeden Tag kommen.

Dann fahre ich-solange nach Hamburg und kümmere mich um meine Praxis. Ohne Sie ist Grömitz ohnehin reizlos für mich.

Ein hübsches Kompliment.

Sie wissen genau, daß es die Wahrheit ist. Andrea hatte ihren Glühwein sehr rasch ausgetrunken und schon einen zweiten vor sich stehen. Sie fühlte sich beschwingt und durch Tillmanns offensichtliche Verehrung stärker berührt, als sie vor sich selbst wahr­haben wollte. So konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, ihn noch weiter aus sich herauszulocken.

Es gäbe gewiß lohnendere Bekanntschaften für Sie, Herr Doktor, junge, hübsche Mäd­chen, an niemanden gebunden .

Ja, meinte er resigniert,es ist ein Un­glück für mich, daß die einzige Frau, die mir gefällt, in einen anderen Mann verliebt ist. In ihren eigenen Mann, hetzte sie spöt­tisch.

Stimmt. Das ist so ziemlich das Schlimm­ste, was mir passieren konnte.

Sie sehen gottlob gar nicht unglücklich aus.

Das lasse ich für nachher. Einstweilen sitze ich Ihnen ja noch 1 gegenüber.

Längstens noch fünf Minuten. Es ist gleich Mitternacht, und Detlev schläft morgens nie länger als bis um sieben.

Gleich darauf brachen sie auf. Andrea war nun angenehm durchwärmt, fröhlich, mit einem Schuß Leichtsinn im Blut.Er ist doch eigentlich sehr nett, dachte sie hochbefrie­digt.Wenn ich nicht verheiratet wäre, würde ich ganz gerne mit ihm flirten.

Vor ihrer Zimmertüre küßte er ihr zere­moniell die Hand.

Vielen Dank für den schönen Abend. Frau Merck.

Gute Nacht, Herr Doktor! Sie lächelte ihm, den Kopf zurückgewandt, die Hand schon auf dem Drücker der Tür, noch einmal zu. In diesem letzten Augenblick geschah es, daß er, der sich bisher so fest in der Hand gehabt, plötzlich die Beherrschung verlor. Hatte ihn etwas in ihrem lachenden Blick ermuntert? Er ahnte es selbst nicht, auf einmal, keiner wußte, wie es geschah, hielt er sie in seinen Armen. Andrea stemmte die Fäuste gegen seine Brust und warf den Kopf hintenüber. Nicht nicht! stammelte sie bestürzt. Andrea Du! Ihr Körper war gespannt wie eine Sehne, aber plötzlich, ihm selbst un­erwartet, gab sie nach. Ein Zittern durchlief sie, er fühlte ihr Herz wie rasend gegen das seine klopfen. Mit schreckhaft weit geöffne­ten Augen empfing sie seinen durstigen Kuß und erwiderte ihn für den Bruchteil einer Sekunde.

(Fortsetzung folgt)