NUMMER 94

MITTWOCH, 2 0. JUNI 1951

Luftschutj in Vorbereitung

Vorschläge der Hohen Kommission vorgelegt / KeinReichsluftschutzbund

Drahtbericht unserer

Wiedervereinigung in Freiheit

Adenauer vor der Weltpresse

ROM. Bundeskanzler Adenauer nahm am Montag vor einer internationalen Pressekon­ferenz eingehend zu den deutschen Fragen Stellung. Der Kanzler betonte, daß das Saar­gebiet größere Bedeutung für Deutschland als für Frankreich habe und brachte die Hoffnung zum Ausdruck, daß durch die Montanunion der Saarfrage viel von ihrerErbitterung genom­men werde. Auch Frankreich müsse die Dinge im europäischen Licht sehen und von seinen eigenen nationalistischen Interessen genau so abrücken wie Deutschland und Italien. Er hoffe, daß die Freiheit der Meinungsäußerung im Saarland geachtet werde, denn sie sei eine der drei Freiheiten, für die die Alliierten im zwei­ten Weltkrieg kämpften.

Zur innenpolitischen Lage der Bundesrepu­blik erklärt der Kanzler, es gäbe zwar extreme rechts- und linksradikale Gruppen, er glaube aber nicht an ein Wiederaufleben des Nazis­mus.

Zur Teilung Deutschlands und zum Einfluß des Kommunismus bemerkte Adenauer, es komme nur eineWiedervereinigung Deutsch­lands in Freiheit und durch die Freiheit in Betracht. Den Gedanken an eine Gewaltlösung lehne er ab. Er sei überzeugt davon, daß eines Tagesder logische Verlauf der Dinge die Wiedervereinigung bringen werde. Der Kom­munismus sei durch die Berührung mit der Roten Armee am Ende des Krieges und durch die Berichte der aus Rußland entlassenen deut­schen Kriegsgefangenen in Deutschland unge­fährlich geworden.

Handel für Preis- und Lohnstop

DGB:Schluß mit Preiserhöhungen

KÖLN. Die Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels stellte fest, daß sie die Ansich­ten des Bundeswirtschaftsministers Erhard über ein bevorstehendes Absinken der Preise nicht teile, und an dem Plan ihres Präsidenten Schmitz festhalte, einen Preis- und Lohnstop einzuführen. Dieser Plan ist von Prof. Er­hard mit dem Hinweis abgelehnt worden, er sei nicht erforderlich, da die Preistendenz nach unten gehe. Die Hauptgemeinschaft wies nun­mehr darauf hin, daß die Bundesregierung jetzt allein die Verantwortung dafür trage, wenn eine nicht erwartete Preisentwicklung zu un­liebsamen Folgen führe. Der Plan von Schmitz sieht vor, daß bestimmte hochwertige Erzeug­nisse für einen unumgänglichen Lebensbedarf preisgebunden bleiben, während die Gewerk­schaften sich zu einem Lohnstop verpflichten.

Der Vorstand des Landesbezirks Württem­berg-Baden des Deutschen Gewerkschaftsbun­des forderte am Montag in einer Entschlie­ßung, daßmit den Preiserhöhungen endlich Schluß gemacht werde. Die von dem Bundes­wirtschaftsminister wiederholt angekündigten Preissenkungen stünden im schroffen Gegen­satz zu den angekündigten Preiserhöhungen.

Autobahn- und Aufwandsteuer

Zur Deckung des Bundesdefizits

BONN. Die Bundesregierung hat im Einver­nehmen mit den Wirtschaftssachverständigen der Regierungskoalition die Einführung einer Autobahnsteuer, die Streichung einer Reihe von Zollbegünstigungen und eine Aufwand­steuer in Aussicht genommen, um den Rest des erwarteten Fehlbetrages im Bundeshaus­halt abzudecken.

Vom Bundesfinanzministerium wird dazu mitgeteilt, daß man von der Autobahnsteuer etwa 100 bis 140 Millionen DM erwarte. Uber die Höhe der Gebühr ist noch nichts bekannt. Etwa 350 Millionen DM hofft man durch die Wiedererhebung von tariflich festgelegten Zollsätzen bei der Einfuhr von Nahrungsmit­teln zu erhalten, die bisher auf Grund von Sonderabmachungen nicht erhoben wurden. Die geplante Aufwandsteuer soll auf eine Reihe von Waren erhoben werden, deren Kreis noch nicht endgültig festliegt. Man rech­net mit etwa 200 Millionen Mark Einkünften aus dieser Steuer.

BONN. Ein Sprecher des Bundesministe­riums unterrichtete am Dienstag die Presse über die Planung neuer Luftschutzmaßnah­men. Er gab bekannt, daß die deutschen Vor­schläge der Hohen Kommission vorgelegt wur­den und nach ihrer Genehmigung beschleu­nigt durchgeführt werden sollen. Die Auf­hebung der Bestimmungen, die heute noch je­den Luftschutz verbieten, sei zu erwarten. Nachdem es gelungen sei, die Beseitigung der Luftschutzeinrichtungen zu stoppen, müßte jetzt an den Neubau.solcher Einrichtungen ge­dacht werden. Es sei die Pflicht des Staates, für die Bevölkerung in dieser Richtung alles nur Mögliche zu tun, um ein Höchstmaß der Sicherheit zu erreichen.

Gedacht ist, eine zentrale Stelle des Bun­des bisher eine Abteilung des Innenmini­steriums mit den Aufgaben der Forschung und Lenkung zu beauftragen. Die Innenmini­ster der Länder haben sich mit dieser Rege­lung einverstanden erklärt. An die Stelle der großen Massenorganisation des früheren Reichsluftschutzbundes sollen künftig die be­stehenden Hilfsorganisationen in den Gemein­den und eventuell eine neue Technische Not­hilfe treten. Vermutlich wird ein Bundesluft­schutzgesetz diese Fragen endgültig regeln.

Offen scheint u. a. noch die Frage der Ko-

Bonner Redaktion

sten zu sein. Hinsichtlich des Luftmelde- und Warndienstes betonte der Sprecher des In­nenministeriums, daß dieses Problem nur in Zusammenarbeit mit den Alliierten lösbar sei. Das gilt auch für die Auswertung der Forschungsergebnisse über die Wirkungen der Atombombe. Der Sprecher des Innenministe­riums, der über die Wirkungen dieser Bombe ausführlich referierte, betonte, daß ein rela­tiver Schutz durchaus möglich sei. Er liege, genau wie in der Abwehr von Brand- und Sprengbomben, in Luftschutzkellern, die sich in der Vergangenheit und auch in einem künf­tigen Krieg besser bewähren würden als alle Luftschutzeinrichtungen, die über der Erde liegen. Auf die Frage eines Pressevertreters, ob daran gedacht sei, bei Neubauten den Luftschutzkeller zur Pflicht zu machen, be­tonte der Sprecher, daß auch diese Frage einer gesetzlichen Regelung durch das Parla­ment Vorbehalten wäre. Nachdrücklich stellte das Innenministerium fest, daß die jetzt in Gang kommende Vorsorge nichts mit einer akuten Kriegsgefahr zu tun habe und be­tonte die Hoffnung, daß durch die Mitarbeit der Gemeinden und der Bevölkerung der Rückschlag, den unser ziviler Luftschutz nach 1945 erlitten habe, in absehbarer Zeit aufge­holt werden könne.

Konkrete Pläne ?

Verteidigungsbeitrag wieder Hauptthema

hf. BONN. Vizekanzler Blücher be­stätigte, daß Hochkommissar M c C1 o y bei seinen gegenwärtigen Besprechungen in Wa­shington die Grundlage für eine Fortführung der Gespräche über einen deutschen Vertei­digungsbeitrag schaffen wolle. Nachdem die rein militärtechnischen Fragen der deutsch-alliier­ten Gespräche auf dem Petersberg als abge­schlossen angesehen werden, kann die Fort­führung der Erörterungen nur eine Verlage­rung des Problems bedeuten. In diesem Zu­sammenhang wird in Bonn ein Interview sehr beachtet, das Theodor Blank, der Beauf­tragte der Bundesregierung für Sicherheits­fragen, gab. Blank erklärte in seiner wohl ersten öffentlichen Stellungnahme u. a., über einen deutschen Verteidigungsbeitrag könn­ten und würden allein Bundestag und Bun­desrat entscheiden. In Bonn vorliegende Mel­dungen aus Washington wollen wissen, daß General B r a d 1 e y , der vorige Woche er­klärt hat, ein deutscher Verteidigungsbeitrag sollesofort nach den französischen Wahlen geregelt werden, bereits konkrete Pläne zur Verfügung habe. In den Plänen soll erneut von 12 Divisionen mit insgesamt 250 000 Mann und 6000 Flugzeugen die Rede sein.

Deutsche Kriegsgefangene

UN-Ausschuß soll Klarheit schaffen

BONN. Die Bundesregierung hat den Kriegs­gefangenenausschuß der UN eingeladen, bald nach Deutschland zu kommen, um das von der Bundesregierung gesammelte Material über die Kriegsgefangenenfrage an Ort und Stelle zu prüfen.

Bundeskanzler Dr. Adenauer erinnert in einem am Montag veröffentlichten Schreiben an den Generalsekretär der Vereinten Nationen daran, daß die Generalversammlung der UN die Regierungen aller Länder, in denen noch Kriegsgefangene leben, auf gef ordert hat, bis zum 30. April dieses Jahres die Namen der Kriegsgefangenen bekanntzugeben. Außerdem sollten die Orte, an denen die Kriegsgefangenen festgehalten werden, die Gründe für ihre Haft, die Namen der Verstorbenen sowie Zeit und Ursache des Todes und der Begräbnisplatz mitgeteilt werden. Die Bundesregierung ver­folge mit ernster Sorge besonders das Schick­sal der Kriegsgefangenen in der Sowjetunion. Es sei wichtig, daß der Ausschuß das inzwischen gesammelte deutsche Material über das Schick­sal der Kriegsgefangenen überprüfe. Das Ma­terial sei so umfangreich, daß es schlecht nach Amerika geschickt werden könne.

Warnung vor den Weltjugendfestspielen

Tübingen. Das Kultministerium von Württem- berg-Hohenzollern teilt mit:

Der .Weltbund der Demokratischen Jugend* will vom 5. bis 19. August 1951 in Berlin die 3. Weltjugendfestspiele der Jugend und d er Stu­denten für den Frieden durchführen, zu denen 2030 000 Ausländer, 12 Millionen Teilnehmer aus der sowjetischen Besatzungszone und etwa 4050 000 Jugendliche aus dem Gebiet der Bun­desrepublik erwartet werden. Mit der Durch­führung ist der FDJ-Zentralrat in Berlin beauf­tragt. An der Zonengrenze auf sowjetzonalem Gebiet sollen Auffangstellen eingerichtet werden, welche die Jugend der Bundesrepublik mit Reise­verpflegung, Blauhemden und kurzen Hosen ver­sehen. Die Weltjugendfestspiele werdei^ein gro­ßes sportliches Programm umfassen. Sie sind aber tatsächlich eine politische Veranstaltung, welche die Sowjetisierung der Jugend in der sowjetischen Besatzungszone verstärken und den kommunistischen Einfluß auf die Jugend in der Bundesrepublik fördern soll. Auch im Bundesge­biet ist die Propaganda für die Jugendfestspiela im Gange. Sie ist insofern gefährlich, als sie da­von absieht, die FDJ als Veranstalter zu nennen, und den Eindruck erweckt, daß es sich hier ledig­lich um eine internationale sportliche Jugendver­anstaltung handelt. Da zu befürchten ist, daß Ju­gendliche von der harmlos erscheinenden Wer­bung verführt werden, hat das Kultministerium angeordnet, daß die Weltjugendfestspiele im Un­terricht besprochen werden.

Lenkung der Getreideproduktion

Bonn will Vollmachten / Frühdruschprämie noch unentschieden

BONN. Die Bundesregierung hat dem Bun­desrat zwei Gesetzentwürfe zugeleitet, die die notwendige Grundlage zu einer straffen Len­kung von Getreide, Mehl und daraus herge­stellten Waren schaffen sollen. In der Begrün­dung der Entwürfe wird betont, daß eine Len­kung auf diesem Gebiet angesichts der ange­spannten Versorgungslage unerläßlich sei. Auch bestehe Ungewißheit darüber, ob genügend Einfuhren hereinkommen werden.

Die Gesetze sehen die Ermächtigung für den Bundesernährungsminister vor, Preise, Han­delsspannen und Zahlungs- und Lieferbedin­gungen für Getreide jeder Art, Futtermittel, Mehl, Teigwaren, Nährmittel, Kleingebäck und Brot festzusetzen. Zur Sicherung der Konsum-

Kleine Weltchronik

TÜBINGEN. Der neuernannte deutsche Gene­ralkonsul in Zürich, Albrecht Wehl, stattete am Montag der Staatsregierung von Württemberg- Hohenzollern einen Besuch ab und führte mit den Kabinettsmitgliedern eine informatorische Unterhaltung. Generalkonsul Wehl wird in Kürze seine Amtsgeschäfte in Zürich übernehmen.

LONDON. Die britischen Diplomaten müssen in Zukunft zwei- bis dreimal an einem viertägi­gen Kursus über die Sowjetunion und die kom­munistische Lehre teilnehmen. Ein Sprecher des Ministeriums dementierte, daß die Kurse in irgendwelchem Zusammenhang mit dem Ver­schwinden der beiden britischen Diplomaten ständen.

PARIS. Der Oberbefehlshaber der Atlantik­paktstreitkräfte, General Eisenhower, hat am Montag den amerikanischen Admiral Carney zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte in Südeuropa ernannt. Mit der Bildung des südeuropäischen Oberkommandos soll der späteren Schaffung eines Oberkommandos für den Mittelmeerraum nicht vorgegriffen werden. Vorläufig untersteht Carney nur die 6. amerikanische Flotte.

PARIS. Die Außenministerstellvertreter haben ihre für Montag angesetzte Sitzung so lange ver­tagt, bis die sowjetische Antwort auf die letzten westlichen Vorschläge zur Einberufung einer Außenministerkonferenz eingegangen ist.

BERN. Schwere Gewitterstürme und unge­wöhnlich starke Regengüsse haben am Montag

brotversorgung können die Bäcker nach den Entwürfen dazu angehalten werden, genügende Mengen anzubieten.

Im Bundeskabinett ist bisher noch nicht über die Gemüsemarktregelung und über eine Früh­druschprämie für die Landwirtschaft ent­schieden worden. Bundesernährungsminister Niklas wurde vom Bundeskabinett beauf­tragt, bis zum Herbst einen umfassenden Ge­samtplan für eine Gemüseanbau- und Markt­regelung vorzulegen Vizekanzler Franz Blü­cher erklärte am Montag dazu, der Gesamt­komplex der Bereinigung der Anbaupro­gramme solle der Landwirtschaft selbst in die Hand gegeben werden.

in der Westschweiz mehrere Menschenleben ge­kostet und große Verheerungen angerichtet. Un­ter der Bevölkerung brach eine Panik aus, als ein Staudamm unter der Gewalt der Wassermas­sen barst. Über den Kanton Waadt entlud sich ein schweres Nachtgewitter, das vor allem in den Weinbaugebieten beträchtliche Schäden ver­ursachte.

BAGDAD. Ein riesiges Waffen- und Spreng­stofflager, das- ausgereicht hätte, ganz Bagdad in die Luft zu jagen, ist am Montag im Keller einer Bagdader' Synagoge entdeckt worden. Die Polizei hat zahlreiche Angehörige der Bagdader zionistischen Gesellschaft verhört und eine An­zahl Verhaftungen vorgenommen. Bisher wurden Hunderte von neuen Maschinengewehren und große Mengen Munition festgestellt.

ATLANTA (Georgia). Josephine Baker, der bekannte farbige Revuestar, sagte ihr Auftreten in Atlanta ab, weil ihr drei führende Hotels der Stadt die Aufnahme verweigerten. Nach den Ge­setzen des Südstaates Georgia hätte jedes von Weißen aufgesuchte Hotel, das die Negersänge­rin beherbergt hätte, mit der Entziehung seiner Konzession rechnen müssen.

NEW YORK. Der Verkehr in den amerikani­schen Häfen und auf den Fluglinien ist weiter­hin durch Lohnstreiks bedroht. Auch gestern ruhte der Schiffsverkehr in fast allen größeren Häfen der USA. 650 Schiffe liegen fest, well über 50 000 Seeleute die Ausfahrt verweigern, solange ihr Tarifvertrag nicht erneuert ist.

Der verschlossene MUND

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Roman von Doris Eicke

Alle Redite Verlegtheut Reutlingen

Andry und ich haben unser Gefühl auf ein anderes Fundament gestellt, dem die Zeit nichts anhaben kann. Im GegenteilEr brach ab, da er Andrys Augen begegnete. Sie waren schwarz vor trostloser Traurigkeit, und er hatte nicht mehr den Mut, den Satz zu vollenden.Gehen wir schlafen! sagte er statt dessen.Morgen hat manches ein anderes Gesicht.

Wie erlöst stand Andrea auf und kam mit einem Arm voll Bettzeug zurück. Ob sie wollte oder nicht mußte Ulricke aufstehen, damit ihr Nachtlager zurechtgemacht werden konnte. Mit halbem Ohr hörte Andrea, daß sie am nächsten Morgen einen Vetter aufsuchen wollte, der in den Focke-Wulf-Werken ange­stellt war. Sie frug Niels nach dem Weg. Merck kannte die Flugzeugwerke gut, hatte selbst schon dort gearbeitet. Er bot Ulricke an, sie hinzuführen, und sie nahm es gnädig an. Als sie mit ihren Waschsachen im Bade­zimmer verschwand, warf sich Andrea mit einem leidenschaftlichen Aufschluchzen an Niels Brust. Obwohl sie kein Wort dabei sagte, wußte er genau, was sie bewegte. Ihr Kummer, ihre Angst rührten ihn so stark, daß er darüber die gewohnte Vorsicht vergaß und sie heftig an sich preßte. Den Mund in ihrem Haar vergraben flüsterte er ihr dabei die alten Liebesworte ins Ohr:

Mein süßes, kleines Mädchen, wir werden nie dahin kommen, dafür haben wir uns viel zu lieb.

Getröstet befreite sich Andrea nach einer kleinen Weile aus seinen Armen, da sie Ul­

ricke zurückkommen hörte. Ihr war ein wenig schwindelig zumute.

Während Niels sie umschlungen hielt, hatte sich ein Funke in ihnen entzündet. Dieses Wissen schlug wie eine jauchzende, lodernde Flamme in ihr Blut. Heute nacht würde es geschehen, heute nacht würde dieser unerträg­liche Zustand sein Ende finden, und Niels, ihr Mann, aus rätselhaften Femen zurückfinden in ihre Arme.

Mit bebenden Händen wie im Fieber zog sie sich aus. Sie wagte nicht, zu Niels hinüber­zuschauen, sie war bereit und gleichzeitig grenzenlos verschüchtert, ein sehnsüchtiges, junges Weib und ein Mädchen, das erobert, mehr noch, verführt werden will.

Niels fühlte in stummer Qual ihre Bereit­schaft. Er machte sich die bittersten Vorwürfe, daß er sich überrumpeln ließ und einen Au­genblick die Beherrschung verloren hatte. Es durfte ja nicht sein! Er war jetzt kurz vor dem Ziel. In ein paar Wochen würde sein Be­fund negativ sein, der Prozeß sich geschlossen haben und dann, aber erst dann war der Weg frei zu Andry. Er krallte unter der Decke die Nägel in die Matratze, um nicht aufzustöhnen. Er verzieh es sich nicht, daß er unbedacht Hoffnungen erweckt, die er müh­selig genug eingeschläfert hatte.

Nach einer langen, langen Weile Ihm schien es eine Ewigkeit gedauert zu haben kam ihre Stimme leise wie ein Hauch durch die Dunkelheit zu ihm.

Gute Nacht, Niels!

Gute Nacht, mein Liebling!

*

Am anderen Morgen verläuft das Frühstück in einer Atmosphäre kühler Freundlichkeit. Im Gegensatz zu Niels und Andrea ist Ul­ricke bemerkenswert frisch. Sie ist gewohnt, spät zu Bett zu gehen, ihre Augen sind klar. Dennoch entdeckt Andreas forschender Blick im harten Licht des Morgens die ersten Fält- chen in ihrem schönen, wie mit Pastellkreide gezeichneten Gesicht. Wie alt mag Ulricke sein? Mitte der dreißig? Sie erscheint Andrea

äußerlich so vollkommen, daß die Vorstellung, dieses gepflegte herrlich-goldblonde Haar könne einmal ergrauen und die ungemein fei­nen Züge sich mit einem Netzwerk von Fält- chen bedecken, sie beinahe schmerzt. Sie mag zwar Ulricke nicht, dennoch zieht sie ihre äußere Schönheit an. Wills Frau trägt an die­sem Morgen lange, jadegrüne Ohrringe, die das reizvolle Oval ihres Gesichts unterstrei­chen. Andrea wundert sich, daß Niels Blick so kühl über sie hinweggleitet. Sieht er denn nicht, wie schön sie ist?

Gegen zehn Uhr brechen die beiden auf. Ulricke trägt einen hellgrauen Regenmantel, der ihre zierliche Gestalt fast ganz verschluckt. Der Himmel ist grau verhangen, noch regnet es nicht, aber es ist unangenehm schwül. An­drea wird jetzt ihre Hausarbeiten machen und um zwölf Uhr Detlev von der Kinder­schule abholen. Trotzdem sie reichlich zu tun hat, arbeitet sie schwerfällig und kommt nicht recht von der Stelle, ihre Bewegungen sind lustlos und matt. Was für ein grauer Tag! Wie lange wird Ulricke noch bleiben? Andrea möchte, daß die Qual dieses unwillkommenen Besuches bald ein Ende nähme, daß sie ginge, um nie mehr wiederzukehren. Sie hat ein bei­nahe unstillbares Verlangen nach Alleinsein, ja selbst Niels wäre sie jetzt gern für ein Weilchen los. Ihr ist, als würde sie dann den ganzen Tag nichts anderes tun als weinen, ihre grenzenlose Betrübnis und Ratlosigkeit ausströmen in tausend Tränen.

Um zwölf Uhr dreht sie unter ihren Koch­töpfen die Flamme klein und geht eilig aus dem Haus, den Jungen zu holen. Sie ist etwas verspätet und trifft ihn auf halbem Wege. Detlev ist stolz, daß er ein paar Straßen weit allein gegangen ist, aber Andrea erschrickt über die Gefahr, in die sie den kleinen Mann gebracht hat. Jetzt liegt sein weiches Händ­chen in ihrer kühlen Hand, so vertrauensvoll, so lieb, daß der fürchterliche Druck auf ihrem Herzen ein wenig leichter wird. Zerstreut hört sie die wichtigen kleinen Begebenheiten an, die er zu berichten weiß. Er wird nun bald

vier Jahre alt. Ebenso wie Andrea und Niels ist er das einzige Kind seiner Eltern. Warum eigentlich? Früher waren sie sich darüber einig gewesen, daß Detlev nicht allein bleiben dürfe, er sollte ein paar Geschwister haben, mit denen er herumtollen und die Wohnung mit fröhlichem Geschrei füllen könnte. Armer Detlev! Es sieht nicht so aus, als ob dieser Traum in Erfüllung ginge. Damit ist Andrea wieder mitten im Gestrüpp ihrer bitteren Ge­danken und hält kaum die Tränen zurück. Das Plaudern ihres Kindes verhallt ins Leere.

Zu Hause findet sie einen Zettel ihrer Mit­bewohnerin aus dem Erdgeschoß unter der Eingangstüre.

Herr Merck hat angerufen, daß er und die Dame, die bei Ihnen ist, nicht zum Essen nach Hause kommen.

Andrea starrt sprachlos auf die wenigen Worte. Was soll das bedeuten? Will Niels mit Ulricke in der Stadt essen? Eine Welle unver­nünftiger Eifersucht brandet in ihr hoch, und sie erinnert sich mit einem Stich im Herzen, wie schön ihr der Gast aus Hamburg noch heute morgen erschienen war. Andrea hatte nicht viel Veranlagung zur Eifersucht, außer­dem kennt sie den geringen Reiz, den fremde Frauen auf Niels kühles Hanseatenblut aus­üben. Es ist die grausame Enttäuschung der letzten Nacht, die noch in ihrem Blute bohrt und sie jetzt aus der Fassung bringen will. Mühsam ruft sie sich zur Ordnung. Umsonst; das quälende Bild bleibt: Niels und Ulricke irgendwo an einem festlich gedeckten Tisch, besetzt mit guten Speisen, Wein perlt in den Gläsern, sie trinken sich zu und lächeln. An­drea sieht es so deutlich vor sich, daß sie sich über die Augen reibt, um den Spuk zu ver­treiben. Wie von ferne hört sie Ulricke sagen: Dein Mann sieht blendend aus, Andrea! Einmal, vor Jahren, hat sie genau diese Worte gebraucht. Sie wurden nicht vergessen und tauchen jetzt im unpassendsten Moment wie* der in der Erinnerung auf. Ulricke fand also schon immer Gefallen an Niels.

(Fortsetzung folgt)