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Nr. 273

Gegründet 1826

Montag, den 22. November 1926

Fernsprecher Nr. 29

169. Jahrgang

Tagesspiege?

Der bc-yerffche MnMerprösidenk 2r. Heid und der Fi- nauzminisier Dr. krcautzneck Haffen in Berlin Besprechungen mit dem Reichsfinanzmimsier Dr. Reinhold über den Finanz­ausgleich. Sie unkerrichteken den RejÄsfmanzmirrisier un- geschn-inkk über die Stimmung in Bayern.

Nach dem Bericht der Reichspostverwalfung an den Ver- walkungsrak sind die Einnahmen in den letzten Monaten um 75 Millionen Mark geringer gewesen, als erwartet wurde. An den Ausgaben des Nachkragshaushalts wurden deshalb 75 Millionen gestrichen, icdoch nicht am Notstandsarbsiien- plan. Die vorgesehene Ablieferung von 70 Millionen Mark an das Reich ist rweifelhcff Geworden. Die Mindereinnahmen der Reichsvost sind eine Folge des allgemeinen wirtschaft­lichen Drucks.

Die britische Reichskorckerem besckckon. doch die Domi­nions künftig als aleichhsrechtiat wie England unter der Ho­heit des Königs behandelt werden. Die en-stifchen General- Hmwerneur'e lallen nur noch als persönliche Vertreter des Königs gelten.

Singapur

Zu dem grüßen Ränkespiel, das der Aufnahme Deutsch­lands in den Völkerbund voranging, gehörte auch die An­meldung des spanischen Anspruchs auf Tanger. Hinter Spanien stand Italien, das auf diesem Weg seine Ansprüche auf eine Vorzugsstellung im westlichen Mittelmeer, ins­besondere in Tunis, zu fördern hoffte. Von alledem ist's stille geworden. England mag van keiner Vorzugsstellung der Spanier in Tanger und Frankreich erst recht nichts von einer Vorzugsstellung der Italiener in Tunis hören. Gemein­same Abneigung hat die beidentreuen Verbündeten".wieder näher zusammengesührt. Ueber Tanger und Tunis hat die Entente eine Auffrischung erfahren, die der Regelung der Abrüstungsfragen und der Militärüberwachung im deutschen Sinn wenig günstig ist. Wir werden für die nächste Zukunft aufunbegrenztes Wohlwollen" in der englischen Presse und auf gar keine Unterstützung unserer berechtigten Wünsche durch die englische Regierung zu rechnen haben. Weder im Botschafterrat noch auch beim Völkerbund wird England auch nur einen Finger rühren, um Poincares Politik zu durchkreuzen, die darauf aus ist, aus dem Völkerbund ein erweitertes Organ für die fran­zösische Militärüberwachung Deutschlands zu machen. Erst, wenn es sich Herausstellen sollte, daß dieser Plan an anderen Widerständen scheitern muß, wird die englische Regierung uns ein Mal über das andere versichern lassen, daß sie es gewesen sei, die ihn, aus purem Wohlwollen für Deutsch­land, zu Fall gebracht habe.

Im westlichen Mittelmeer also ist für den neuen Cäsar Mussolini nichts zu holen, folglich richtet er seinen Herrscher- blick nach Osten. Eine Zeitlang war die Rede davon, daß Frankreich sein syrisches Mandat an Italien aütreten sollte. Was daran ist, entzieht sich der öffentlichen Nachprüfung- Tatsache ist dagegen, daß Italien auf Rhodus eifrig Be­festigungen errichtet, und darüber hinaus im östlichen Mittelmeer eine Kampfstellung vorbereitet. Niemand glaubt mehr Grund zu haben, sich darüber zu beunruhigen, als die Türkei. Gewiß nicht ohne Grund! Mit dem italie­nischen Raubkrieg um Tripolis begann 1911 die zehnjährige kriegerische Aera, in deren Mittelpunkt der Vernichtungs­kampf der Randstaaken Europas gegen die Mittelmächte stand und die mit der Verdrängung der Griechen aus Klein­asien durch die Türken zum Abschluß gekommen zu sein schien.

Als ein Element ständiger Beunruhigung ist aber der Drang des faszistischen Italiens zurückgeblieben, seinen Sieg" über die Mittelmächte nachträglich zu rechtfertigen, und da diesem Drang die Betätigung nach westlicher Richtung versagt ist, so fürckitet man in Angora, er könnte sich in östlicher entladen. Gegen Ueberraschungen von dieser Seite her wird also wohl die Türkei bei Rußland eine R>">ck- sichcrung gesucht und vielleicht auch erhalten haben. Das würde nicht ausschließen daß in Odessa auch weitere Fäden gesponnen werden. Von einemasiatischen Völker- bun d", der Rußland, die Türkei, Persien, Afghanistan und China umfassen sollte, wurde gemunkelt. Daß es einmal dazu kommen könnte wer möchte das bestreiten? Nur, daß die Dinge für einen so weitgreifenden Zusammenschluß schon reif seien, wird man einstweilen vielleicht noch be­zweifeln dürfen, trotz derbolschewistischen" Unruhen auf Java. Vielleicht kommt man der Wahrheit doch näher, wenn man die sehr bestimmten Nachrichten über den bevor­stehenden Abschluß desasiatischen Völkerbunds" auffaßt als englische Stimmungsmache, um auf die Do­minions und die Reichskonferenz ihrer Ministerpräsidenten einzuwirken.

Aus der Meldung über den geplanten Ausbau des Kriegshafens von Singapur erfährt man ja zum erstenmal etwas über dieArbeiten" dieser Reichskonferenz. Die englische Presse hatte bisher nur von Empfängen, Fest­lichkeiten, Flottenschauen und anderen kriegerischen Ver­anstaltungen zu berichten gewußt, die den Crstministern die Fortschritte der englisä-enAbrüstung" vorführen sollten. Nun erfährt man also daß eine der großen Aufgaben der Re;chskonserenz darin besteht, die Dominions für einen

Poincarö einst und jetzt

Berlin, 21. Nov. Gegenüber der besonders van Poin­care, Fach und Gen. betriebenen Forderung eine- dauern­den Militär- und Jndustrie-Ueberwachung Deutschlands er­innern die Blätter an einen Brief Poincares vom 28. April 1919 an den damaligen Erstminister El ein eu­re au, in dem Poincare u. a. schreibt:Deutschland, so sagt man, soll gehalten sein, aus dem linken Rüsinuser und in einer Zone von 69 Kilometern östlich des Rheins weder Truppen noch Festungen zu muerhasten. Aber der Ver­trag von Versailles sieht keine dauernde 11. eberwach ung der Tr uppen zahl und der Rüstungen vor, weder aus dem linken Rheinufer, noch im übrigen Deutschland.. Die Bestimmung, wonach der Völkerbund Feststellungen vornehmen kann, läuft also Gefahr, mit einer dauernden Ueberwachung völlig hinfällig zu sein."

DieTägl. Rundschau" bemerkt dazu:Was der Poin­care von 1919 bekannte, das kann der Poincare von heute nicht in Abrede stellen." Man wird Poincarö allerdings zugute halten müssen, daß er 1919 noch nicht ahnen konnte, wie unerschöpflich die deutsche Geduld ist.

Die Akreaveröfsenttichung der Reichsregierung

Berlin, 21. Nov. Die Drucklegung der letzten Bände der großen Aktsuverösfentlichung der ReichsregierungDie große Politik der europäischen Kabinett? 1871 bis 1914" steht unmittelbar bevor. Die Schiußgruppe-umfaßt sieben Bände und enthält die auswärtige Politik der Jahre 1912 bis 1914. Die Grupps fährt den TitelEuropa vor oer Katastrophe". Im ganzen besteht das Werk aus fünf Reihen und 40 Bänden, von welch letzteren 14 wegen ihres Umfangs wieder geteilt sind, so daß es eigentlich 54 Bücher sind.

Bcsr.lbÄvnx der Reichswehr?

Berlin. 21. Nov. Das B"-l. Tageblatt berichtet, Offi­zier? der Reichswehr haben in Sitzungen der Vorstände der Arbeitgeberverbände van Industrie, Großhandel und Ein­zelhandel um ständige Be träge zur Einrichtung von Turn- kurfcn in der Reichswehr durch Turnlehrer gebeten. Das Reich?wcchnninisterium erklärt dazu, daß die Besprechungen die Unterbringung ausfcheidender Rrichcwchrangehöriger und die körperliche Ertüchtigung des Reichsmehrersatzes in Zivitsportschulen beuueckt haben.

Der Streit um die Fridenrus Marke Berlin, 21. Nov. In der Sitzung des Berwaltungsrats der Reichspost stellten Aba. Steinkaps (Soz.) und Abg. Torglei (Komm.) den Antrag, die Fridericus-Briefmarke aus dem Verkehr zurückzuziehen, da das Bild des Preußen- königs eine Herausforderung der Republikaner bedeute. Die Neichstagsabgeordneten Körner (Dnat.), Morath (D. Vp.) und Mollath (Wirtsch. Vgg.) traten dieser Behaup­tung entschieden entgegen. Niemand werde bestreiten wol­len, daß Friedrich der Große zu den Größten unter den Deutschen gehöre- Reichspostminister Stingl verteidigte die Schaffung der Fridericus-Marke, bei der man nur an die geschichtliche Bedeutung des Königs gedachte habe. Die Anträge Steinkopf und TorZler wurden gegen 6 Stimmen der Sozialdemokraten, Kommunisten, Demokraten und des Vertreters von Baden abgelehnt. Abgclehnt wurden ferner die soz. Anträge, den Achtstundentag im Vostbetrieb wieder einzuführen und den Erwerbslosen die Rundfunkgebühren zu erlassen. Ueber die verlustig gewordenen Darlehen des früheren Reichspostministers Höfle an Barmat soll in nächster Sitzung Minellnna

Kostenbeitrag zur Reichsoerteidigung zu gewinnen. Ob Kanada, Neufundland, Südafrika und Ir­land bis zur Zahlungsfreudigkeit für die Schaffung des größten Kriegshafens der Welt" an der Malakka-Straße schwärmen, kann man dahingestellt sein lassen. Australien, Neuseeland und Indien aber haben natürlich ein Interesse daran, wenn auch nicht durchweg das gleiche.

Der Kriegshafen von Singapur kann vernünftigerweise nur den Zweck haben, Indien gegen'einen Angriff von Osten her zu decken und zu verhindern, daß die Ver­bindung zwischen der indischen und der australischen Kolonial- Weit Englands, weiterhin auch zwischen Indien und Afrika abgeschnitten werde. So sieht der Plan aus, von London angesehen. Von Kalkutta aus gesehen, mag er für manche auch ein anderes Gesicht bekommen. Denn Deckung Indiens gegen Angriffe von Osten mag unter Umständen für den eingeborenen Inder ebensogut bedeuten: Abschneidung von jeder Hilfe, die aus Kanton, Tokio oder Wladiwostok einmal erwartet werden könnte. Singapur, wenn es planmäßig ausgebaut wird, wird nicht nurder größte Kriegshafen der Welt", sondern auch die größte Zwinäb-urg der Welt, dazu bestimmt, eine etwaige Erhebung Indiens in Blut und Feuer zu ersticken. Daß das holländische Kolo­nialreich unter den Kanonen von Singapur den letzten Schein weltpolitischer Selbständigkeit verlieren würde, sei nur nebenbei bemerkt.

England rüstet, im Zeichen der allgemeinen Abrüstung, wie sie der Versailler Vertrag vorgesehen hat, eifrig für den eines Tages möglichen Enkscheidungskampf zwischen Asien und Europa. Unter dem Arbeiter- Ministerium Macdonald waren die Pläne für Singapur Kirückgestellt worden ein Grund mit für die rechtzeitige Beseitigung dieses Ministeriums. Das konservative Kabinett hat sie sogleich wieder hervorgeholt und die weitere Aus­führung betrieben. Sie würden schon ganz anders gefördert sein, wenn die leidige Kastenfrage nicht wäre und Freund Poincare nicht die unangenehm« Gewohnheit hätte, aus­wärtige Schulden grundsätzlich nicht zu bezahlen. Die Bau­kosten sind ja vielleicht das wenigste: da sie der englischen Industrie Riesenaufträqe bringen, wären sie möglicherweise durchzudrücken. Ein Kriegshafen aber, und nun vollends der größte Kriegshafen der Welt", verschlingt dauernde Unterhaltungskosten, die im voraus kaum abzu­schätzen sind. Darum also kommt so außerordentlich viel darauf an, die beteiligten Dominions willig zu machen, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Denn damit läßt sich ein starker Eindruck auf die heimischen Steuerzahler noch am ehesten erzielen. Es wird ungemein lehrreich sein, zu erfahren, wie weit die Bereitwilligkeit der Dominions geht, an den Lasten der Reichsoerteidigung mihutragen.

Wir Deutsche haben uns eine Zeitlang eingebildet, die Welt kenne keine größeren Sorgen, als was ausLocarno und Thoiry werde. Was sind Locarno und Thoiry im Rahmen eines Bildes, das die wahre Weltlage, wenn auch nur skizzenhaft, zu umfassen sucht! Ein paar kleine Steine im Brett, die zur Zeit von niemandem beachtet werden. Was bedeutet das entwaffnete Deutschand, das vor einem Menschenalter noch die Wage der Entscheidung in Händen hielt, inmitten der Spannungen, die zwischen den Welt­mächten und ihren Weltinteressen heranreifen! Sollten sie einmal aufeinanderplatzen, dann haben wir weiter nichts davon als die Ehr«, den H a » p k r i e g s s ch a u p l a tz zu Lande hsrzngeben.

Neuestes vom Lage

Zur Regierungsbildung in Sachsen Dresden, 21. Nov. Die Altsozialisten haben, entgegen ihren früheren Zusagen, erklärt, daß sie sich nicht an einer Koalition mit den Deutschnationalen beteiligen werden. Die Regierungsbildung ist auf einem toten Punkt angelangt.

Die Reichswasfersiraßenpolitik München, 21. Nov. Amtlich wird über die Besprechung zwischen dem Reichsverkehrsminister und den zuständigen Länderministern folgendes mitgeteilt: Die Absicht des Reichsverkehrsministers, eigne Reichswasser st raßen- behörden auch in den Mittlern und untern Instanzen zu schaffen, wurde von allen größeren Ländern einmütig und mit größtem Nachdruck grundsätzlich abgelehnt. Preußen, Bayern, Sachsen, Baden, Mecklenburg-Schwerin waren in

der Ablehnung der Absichten des Reichsverkehrsministerr vollkommen einig; Württemberg behielt sich seine Stellung? nähme vor, weil es an der Frage nicht weiter interessiert ist, da dort die Angelegenheit bereits geregelt ist. Weitere Länder erhoben zwar keine grundsätzliche Bedenken, er­klärten sich aber aus andern Rücksichten gegen die DurH führung der Absichten des Reichsverkehrsministers. Bar­behaltlos zu gestimmt haben nur Hamburg «st> Bremen.

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Die Kriegsschuldigen

Rom, 21. Nov. Der frühere italienische Botschafter k« Berlin, Graf Bosdari, bestätigt, daß einer der Haupt­schuldigen am Weltkrieg der frühere russische Botschafter in Paris, Jswolski, gewesen ist. Die veröffentlichten deut­schen Aktenstücke seien in vollem Recht.

Chinesische Forderugen

Schanghai, 21. Nov. Die chinesischen Handelskammern haben sich in einer an alle Provinzen telegraphisch mitge­teilten Erklärung scharf gegen die fremde Schiffahrt aH chinesischen Flüssen ausgesprochen und auf allen Gebieten Gegenseitigkeit verlangt.

Württemberg

Stuttgark, 21. Nov. Wohnungsbaufragen im Finanzausschuß. Bei der Beratung der Mittelbe­schaffung für den Wohnungsbau in Württemberg gab Minister Bolz bekannt: Im Jahr 1926 sind Wohnungs­bescheide für 10 663 Wohnungen erteilt worden. 1446 Woh- nungsgesuche mußten für 1927 den Gesuchstellern zurück­gegeben werden. Diese Anträge müssen, wenn sie berück­sichtigt werden sollen, erneut für das neue Baujahr vor» gelegt werden. 573 Wohnungen sind für 1927 vorgetragen. Die Wohnungskreditanstalt hat bis jetzt insgesamt 22 529 000 RMk. aus den Erträgen der H a u s z i n s st e u e r bekom­men. Rund 45 Millionen sind im Anleihcmeg ausgenommen worden. Insgesamt sind 67 504 090 NM. durch die Woh­nungskreditanstalt den Bauenden ansbezahlt worden. Für das Baujahr 1926 fehlen noch rund 14 Millionen Mmrk,