SAMSTAG, 2 6. MAI 1951
NUMMER 80
Beamte ohne Scheuklappen
Nachwuchs wird auf Allgemeinbildung geprüft / Keine engstirnigen Bürokraten
hb. „Was wissen Sie von Napoleon I.?“ „Was bedeutet: Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer?“ Das sind zwei von acht Prüfungsfragen, die von Bewerbern bei der Zulassungsprüfung für den Kurs des mittleren Verwaltungsdienstes auf der Staatlichen Verwaltungsschule in Haigerloch zu beantworten waren (wir haben die zitierten Fragen und Themen der im Herbst 1950 durchgeführten Zulassungsprüfung entnommen). Andere lauteten beispielsweise: „Was wissen Sie von Shaw, Joh. Seb. Bach, Albrecht Dürer?“ oder: „Nennen Sie einige bedeutende Schriftsteller der Gegenwart“. Gewiß keine leichten Anforderungen, die hierbei an die geistigen Gaben und an das erworbene Wissen der Aspiranten der Verwaltung gestellt werden. Doch nicht Begabung und Wissen allein werden geprüft, sondern die Bewerber haben auch zu beweisen, ob sie bei einem politischen oder bei einem Verwaltungsproblem in der Lage sind, Gedanken zu ordnen, auszudrücken und sie verständlich zu formulieren. Ein solches Aufsatzthema: „Wie stellen Sie sich zur Frage eines engeren Zusammenschlusses der europäischen Staaten?“ Ferner wird verlangt, Rechenaufgaben der 8. Volksschulklasse zu lösen sowie Stenografie und Maschinenschreiben zu beherrschen.
Aufgeschlossen und interessiert
Mancher mag erstaunt fragen, warum muß derjenige, der einmal als Sekretär bei einer Kommunalbehörde — sagen wir — Kanalisationsfragen bearbeiten wird, mit einem so „verwaltungsfremden“ Wissen beladen sein? Wäre es nicht, „vernünftiger“, er würde sich über den neuesten technischen Stand der Abwässeranlagen orientieren? Das Land Württemberg - Hohenzollern vertritt einen anderen Standpunkt: Die Spezialisierung des Beamten erfolgt früh genug, wenn er später bei staatlichen oder kommunalen Behörden eine Lebensstellung eingenommen hat. Wer sich dem Beamtenberuf zuwenden will, soll aufgeschlossen und interessiert allen Dingen, die sich auf der Erde ereignen oder sich in deren Geschichte ereignet haben, gegenüberstehen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Auf die geistige Elastizität kommt es an: Die jungen Menschen sollen beweglich und urteilsfähig sein und keinen engen Horizont haben. Dann werden sie später als Ressortbeamte die zu bewältigenden Fachaufgaben nicht nur aus engstirnigem Bürokratengesichtswinkel anpacken. Und darum die anspruchsvollen Fragen bei der Zulassungsprüfung, die Aufschluß geben sollen, ob der junge Bewerber diese Voraussetzungen mitbringt. Ein Verfahren, das durch die bisherigen Erfahrungen gerechtfertigt worden ist.
Doppeltes Risiko
Württemberg-Hohenzollern läßt im Gegensatz zu anderen Ländern in der Bundesrepublik nur solche Bewerber zu der Zulassungsprüfung zu, die einen fünfjährigen Vorbereitungsdienst in der öffentlichen Verwaltung geleistet haben. Damit wird der Nachwuchs für die untere Beamtenlaufbahn vorwiegend aus jungen Angestellten des öffentlichen Dienstes ausgelesen. Die Zulassungsprüfung soll dann die Scheidung der „Spreu von dem Weizen“ ermöglichen. Auf der Verwaltungsschule in Haigerloch wird ein dreimonatiger Lehrgang absolviert, der mit einer Dienstprüfung — deren Ergebnis sich übrigens meist mit demjenigen der Zulassungsprüfung deckt — abschließt. Mit dieser Prüfung hat dej- Aspirant lediglich ein Qualifikationszeugnis für seinen Beruf erhalten, also keinen Rechtsanspruch, auch tatsächlich in den mittleren Verwaltungsdienst eingestellt zu werden. Der angehende Beamte muß daher schon während «einer Vorbereitungszeit ein doppeltes Risiko auf sich nehmen: Die ungewisse Zulassung zum Haigerlocher Lehrgang sowie die Gefahr, auch nach der Dienstprüfung keine Beamtenstelle zu erhalten. Hat er beide Klippen erfolgreich umschifft, kann er als Sekretär bei staatlichen und kommunalen Stellen Beamter werden und, beispielsweise, das Sachgebiet eines Gemeindepflegers übertragen erhalten.
Der gehobene Verwaltungsdienst
Beim gehobenen Verwaltungsdienst ist der Ausbildungsvorgang wesentlich anders als derjenige des mittleren Dienstes, der bisher geschildert worden ist. Die Bewerber werden schon bei der Zulassung zum vierjährigen
Vorbereitungsdienst (davon 1 Jahr bei einer staatlichen Behörde) ausgewählt. Die Kommunalverwaltungen haben das Vorschlagsrecht, die Zulassung selbst erfolgt jedoch durch eine unabhängige Kommission des Innenministeriums, die in einem nachprüfbaren Verfahren bei jeder Bewerbung entscheidet. Eine Voraussetzung ist das Versetzungszeugnis in die siebte Klasse einer höheren Schule. Nach dem Vorbereitungsdienst hat sich der Aspirant ebenfalls einer Vorprüfung für die Verwaltungsschule zu unterziehen, in der jedoch nur auf Fachwissen Wert gelegt wird.
Acht Monate dauert für die Anwärter des gehobenen Dienstes der Lehrgang in Haigerloch und nach weiteren drei Monaten erfolgt die Staatsprüfung, die wiederum nur zu allen' Sparten der Verwaltung berechtigt, aber keinen Anspruch begründet. Die Laufbahn: Inspektor, Oberinspektor, Amtmann, in seltenen Fällen Amtsrat beim Staat oder der Kommunalverwaltung.
Sinn dieser langjährigen Vorbereitungszeit
mit den folgenden Zulassungs- und Dienstprüfungen in beiden Laufbahnen (in einigen Bundesländern gibt es nur noch eine Laufbahn) ist, eine sorgfältige Auswahl des Nachwuchses zu gewährleisten. Man ist bestrebt, sowohl für den mittleren, wie auch für den gehobenen Dienst vor allem junge Menschen
— auch Frauen steht dieser Berufsweg offen
— zu gewinnen. Jeder, der die verlangten geistigen Voraussetzungen erfüllt, sich dem Vorbereitungsdienst unterzogen und die Zulassungsprüfung bestanden hat, kann auf der Verwaltungsschule in Haigerloch die staatlich anerkannte Qualifikation für die Verwaltungslaufbahn erwerben. Durch die Ausleseverfahren wird versucht, eine „Beamten-In- zucht“ zu vermeiden und eine gesunde Regeneration des Beamtentums von unten herauf zu ermöglichen. Denn: Gleich, aus welcher Sozialschicht der Bewerber entstammt, jedem ist die Chance geboten, mittlerer oder gehobener Verwaltungsbeamter zu werden. Wie sehr sich dieses Auswahlverfahren bewährt hat, unterstreicht auch die Tatsache, daß viele kleine und mittlere Gemeinden ihre Bürgermeister aus dem Kreis dieser Sekretäre und Inspektoren wählen und es nicht zu bereuen haben.
Wer wird Oesterreichs Präsident?
Gleißner oder Körner / Politische Hochspannung in Österreich
Von unserem E. B. -Österreich-Korrespondenten
Die morgen stattflndende endgültige Wahl des österreichischen Bundespräsidenten löste in den letzten Tagen eine fieberhafte politische Tätigkeit der beiden konkurrierenden Parteien, der Volkspartei und der Sozialisten, aus. Mit der von den Kommunisten ausgegebenen Parole, für den sozialistischen Kandidaten Dr. Körner zu stimmen, hat dieser den Stimmenvorsprung des Kandidaten der Volkspartei Dr. Gleißner aus dem ersten Wahlgang mehr als ausgeglichen, so daß nunmehr alles von der Stellungnahme der Breit- ner-Wähler abhängt.
Die Volkspartei hat die kommunistische Unterstützung für Dr. Körner als Hauptschlager der Wahlpropaganda ausgenutzt und stellt heraus, daß ein gemeinsamer Sieg der Sozialisten und Kommunisten die völlige Radikalisierung der marxistischen Front bedeuten würde. Die Sozialisten führen wiederum den Wahlkampf hauptsächlich mit Korruptionsbeschuldigungen gegen die Volkspartei und der Behauptung, Dr. Gleißner habe schon einmal an einem Verfassungsbruch teilgenommen, da er prominenter Politiker der Dollfuß-Schuschnigg-Ära war.
Die Volkspartei hat zwar offiziell das Bewußtsein ihrer Stärke und der Zugkraft ihres Kandidaten herausgestellt in einer Erklärung, in der jede Wahlkonzession an eine andere politische Gruppe abgelehnt wird; hinter den Kulissen fanden aber intensive Besprechungen mit der Breitner-Gruppe und den „Unabhängigen“ statt. Eine Einigung wurde allerdings nicht erzielt. Der VdU hat daher seinen Wählern die Stimmabgabe für den einen oder anderen Kandidaten freigestellt.
Vor allem der Jungen Front der Volkspartei sind die Gefahren bewußt geworden, die sich aus der Verbitterung der entscheidenden Breitner-Wähler durch die Verleumdungen im ersten Wahlgang seitens der ÖVP ergeben. Diese Verbitterung könnte leicht dazu führen, daß Österreich trotz seiner starken bürgerlichen Mehrheit einen sozialistischen Bundespräsidenten bekommt. Die Junge Front, die in letzter Zeit scharfen Anfeindungen der alten Parteipolitiker ausgesetzt war, hat daher mit allem Nachdruck eine unverzügliche Reform der Volkspartei verlangt. In einer gemeinsamen Konferenz mit der Bundesparteileitung soll Minister a. D. Ing. Raab erklärt haben, daß die Volkspartei die Linie der Nationalräte Univ.-Prof. Dr. Gschnitzer und Dr. Gorbach als Richtschnur ihrer politischen Arbeit betrachtet. Dies würde bedeuten, daß man sich innerhalb der Volkspartei nach den Erfahrungen der Wahlen entschlossen hat, jeden einseitigen Kurs zugunsten einer wirklichen bürgerlichen Sammlungspartei aufzugeben.
Ähnliche Versprechungen wurden allerdings schon einmal vor Wahlen gemacht, ohne dann in die Tat umgesetzt zu werden. Auf Grund der mit der Bundesparteileitung erzielten Einigung hat die Junge Front an Univ.-Prof. Dr. Breitner appelliert, den Wählern durch sein Bekenntnis für Dr. Gleißner den Weg zu weisen Gleichzeitig hielt der Landeshaupt
mann von Steiermark, Rrainer, eine Rede, die größtes Aufsehen erregte. Er erklärte, der erste Wahlgang habe eine starke Unzufriedenheit des nationalliberalen Bürgertums gezeigt und es müsse geprüft werden, ob nicht prominente Mitglieder des Breitner- Aktionskomitees — nicht des VdU — zur Teilnahme an der Regierung eingeladen werden sollen. Er sehe in der gegenwärtigen Lage den Beginn einer völlig neuen politische Ära.
Das Breitner-Komitee gab daraufhin eine Erklärung ab, daß es trotz der Verleumdungskampagne der ÖVP seine Wähler nicht auffordere, gegen Dr. Gleißner zu stimmen, angesichts der Vereinigung der Sozialisten und Kommunisten im zweiten Wahlgang. Eine Stimmabgabe für Dr. Gleißner dürfe aber nicht mit einem Votum der Breitner-Wählerschaft für die Volkspartei verwechselt werden. Diese Erklärung kann unter Umständen für die Wahl Dr. Gleißners entscheidend sein. Jedenfalls dürfte, falls die kommunistische Parole für Dr. Körner nicht eine einmütige Reaktion der bürgerlichen Wähler auslöst, der neue österreichische Bundespräsident nur mit knapper Mehrheit gewählt werden und voraussichtlich trotz aller von der Volkspartei gemachten Fehler Dr. Gleißner heißen.
Margaret Truman auf Reisen
WASHINGTON. Margaret Truman, die blonde, blauäugige Tochter des amerikanischen Präsidenten, hängt in diesem Sommer die Konzertsingerei an den Nagel. Sie reist am morgigen Sonntag zu einem halboffiziellen Besuch nach Europa ab. „Ich habe es mir so lange gewünscht“, sagt sie aufgeregt beim Kofferpacken. „Ich werde nach England, Holland, Belgien, Luxemburg, Paris und Rom fahren und in jedem Land eine Woche bleiben. Papa hat mir gesagt, ich. solle die Augen nach guter Architektur offen halten.“ — Wo sie wohnen wolle? „Hauptsächlich in den amerikanischen Botschaften, manchmal auch im Hotel.“ — Kleine Liebschaften auf der Seereise? „Unmöglich“, lacht sie, „ein Geheimpolizist reist mit.“ — Margaret weiß noch nicht, ob sie dem britischen Hof vorgestellt wird und nimmt sich daher auch keine festlichen Kleider mit. Eines aber ist schon sicher: sie wird den Papst aufsuchen. „Natürlich habe ich meine Reise mit dem Außenministerium abgesprochen, aber in diesem Falle bin ich nur ein Tourist wie tausend andere.“
„Uebersoll“ des Atom'.orschers
BUENOS AIRES. Der aus Österreich stammende Atomwissenschaftler Ronald Richter arbeitete gestern, am argentinischen Nationalfeiertag, 24 Stunden lang ununterbrochen zu Ehren des argentinischen Präsidenten P e r o n und seiner Gattin Eva. Diese Übersoll-Leistung des Atomwissenschaftlers wird in unterrichteten Kreisen als die Antwort auf die Berichte von brasilianischen Zeitungen gewertet, die am Mittwoch erklärt hatten, Richter sei verhaftet worden, weil sich seine angeblichen Entdeckungen auf dem Gebiete der Atomenergie als „Bluff“ herausgestellt hätten. Da das Pressebüro des argentinischen Präsidenten offiziell von dem Arbeitseifer Prof. Richters berichtete, dürften sich die brasilianischen Zeitungsmeldungen als nicht den Tatsachen entsprechend herausgestellt haben. Das Pressebüro spricht nämlich von Richter ausdrücklich als dem „Direktor der Nationalen Atomener- gieversuchsstation auf der Insel Huemul“.
Einsame Admiralswitwe
NEU DELHI. Eine deutsche Witwe hat sich kürzlich in zwei Briefen an den Bürgermeister der indischen Hauptstadt Delhi gewandt und um Vermittlung zur Heirat „älterer" indischer Herren gebeten. Sie würde gern nach Indien kommen, da sie, die Witwe eines Admirals, sehr einsam sei. Das Bürgermeisteramt verschwieg den Namen der Frau, erklärte aber, daß sich bereits zwei Inder bereiterklärt hätten. den HpirFts.-mlr-rT zu erwägen.
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„Weißer Damm“
Dieser Tage sind die ersten größeren Transporte deutscher Auswanderer nach dem Kriege in Australien eingetroffen. Australien will in Zukunft jedes Jahr 20 000 Europäer aufnehmen, so daß der Kontinent, einen jährlichen Geburtenüberschuß von rund 100 000 einbezogen, in zwei Jahrzehnten rund 20 Millionen weiße Bewohner zählen dürfte. Erst dann, so meint man, toird der „weiße Damm“ stark genug sein, um eine Überflutung Australiens von Asien her ab- wehren zu können. Bis Ende dieses Jahrzehnts hofft man die Einwohnerzahl auf rung 11 Millionen gebracht zu haben, was ein Drittel mehr als heute bedeuten würde. Auf dem Gebiet, das das Commonwealth of Australia einnimmt, lebt nur der 60. Teil an Menschen, wie auf einem gleich großen Raum in Europa und davon die Hälfte wiederum in den Küstenstädten.
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