SAMSTAG, 12. MAI.1951
AUS ALLER WELT
NUMMER 72
Schatten über der „flauen Grotte 64
Fehde zwischen Capri und Anaeapri / Es geht wie immer um den Verdienst
Solange die etwa 6000 Einwohner der idyllischen Insel Capri zurückzudenken vermögen, war ihre Insel ejne Insel des Friedens. Man lebte recht und schlecht vom reichen Fremdenstrom, der durch das Wunder der Blauen Grotte angezogen, alljährlich auf die Insel flutet. Gerade diese Blaue Grotte aber, jenes Naturwunder, das der Fischer Ferraro 1822 durch einen Zufall entdeckte, ist nun die Ursache zu einer Fehde geworden, die mit echt südländischer Leidenschaft zwischen den beiden kleinen Städtchen der Insel, Capri und Anaeapri, ausgebrochen ist. Es scheint, als habe der Friede auch dieser Insel den Rücken gekehrt und als hielten nun bald Mord und Totschlag ihren Einzug. Dabei ist Capri auch dafür berühmt, daß sich dort die wenigsten Verbrechen ereignen und ein Mord — der als Motiv zumeist nur Eifersucht kennt — überhaupt nur alle Jahrzehnte einmal vorkommt.
Eine teuflische Idee
Was aber ist die Ursache dafür, daß sich die friedlichen Capresen plötzlich so gegeneinander empören? Der Anstoß zum Streit wurde eigentlich im Jahre 1945 gegeben. Damals wurde auf der Insel eine Erholungsstätte der amerikanischen Luftwaffe eingerichtet. Kannte man bisher nur einige altersschwache Droschken, die auf den beiden einzig besser ausgebauten Straßen der In9el unumschränkte Herrscher des modernen Verkehrs waren, so brausten nun Jeeps auf allen nur möglichen Wegen über die Insel und die unternehmungslustigen Boys bedauerten es aufrichtig, daß sie zu einem Besuch der berühmten blauen Grotte Ihre vier Räder verlassen mußten, um sich einem der kleinen Schiffe anzuvertrauen, mit denen die-Schiffer von Capri vom Hafen Marina Grade aus die Fremden nach der Blauen Grotte rudern.
„Warum baut ihr denn keine Straßen zur Blauen Grotte?“ fragte damals einer der Amerikaner die Bewohner von Anaeapri. „Es ist doch nur ein kurzes Stüde — und alles wird bequemer.“ Diese Idee — „eine teuflische Idee“ wird sie heute von den Schiffern von Capri genannt, denn ihr Hafen Marina Grade gehört zur Stadt Capri — setzte sich in den Hirnen der maßgeblichen Leute von Anaeapri fest. „Ja“, fragten sie sich, „warum bauen wir eigentlich diese Straße nicht?“
Geheimer Neid
Die Idee, eine Land Verbindung zur Blauen Grotte zu schaffen, war bei den Anacapresen um so mehr auf fruchtbaren Boden gefallen, als sie schon lange einen geheimen Neid nährten. Neid auf die Schiffer von Capri, die durch die Fahrt mit den Fremden zur Blauen Grotte sehr gut verdienen. Aus dem Eintrittsgeld, das sie für die Besichtigung dieses Naturwunders zu bezahlen haben, fließt zwar knapp ein Drittel nach Anaeapri, genau soviel übrigens wie nach Capri, während den Rest der italienische Staat kassiert, dort bleibt die Tatsache unbestritten, daß Anaeapri, würde von dort eine Straße zur Blauen Grotte gebaut, ein auf- blühendes Transportgewerbe an sich ziehen könnte.
tUimtten Sätfyeltt
„Ich habe schon wieder nichts anzuziehen !“ stöhnte Pauline.
„Hüll Dich in Schweigen, Liebling)“ schlägt Paul vor.
Pauline pudert sich. Es dauert sehr lange. „Warum puderst Du dich eigentlich?“ wagt Paul schüchtern zu fragen.
„Dumme Frage, aus Bescheidenheit natürlich)“ gibt Pauline zur Antwort.
„Das verstehe ich nicht.“
„Ja, ich will doch nicht in aller Öffentlichkeit glänzen!" erklärt Pauline.
Zweifellos würden viele Besucher der Insel die Autofahrt vorziehen. Anaeapri hätte also wirklich eine Chance, viel Geld zu verdienen. Das weiß man auch in Capri. Und als daher vor einiger Zeit die Anacapresen ihren Entschluß verkündeten, an den Bau dieser Straße schreiten zu wollen, da brach die Fehde offen aus- Die Schiffer protestierten. Sie wiesen darauf hin, daß die Straße ihre Existenz vernichten würde. „Aber wir dürfen hungern!“ entgeg- neten die Anacapresen Dagegen gab es wenig zu sagen. Es gab vielmehr nur noch die Drohung: „Wir werden es zu verhindern wissen, daß diese Straße gebaut wird!“
Die Bewohner der beiden kleinen Städte begegnen sich seither in tiefem Mißtrauen. Das südliche Temperament tut noch ein Übriges dazu, den Streit aus der Sphäre kühler Über
legung in eine leidenschaftliche Auseinandersetzung zu verwandeln. Und deshalb sind die italienischen Stellen, bei denen das Straßenbau-Projekt jetzt zur Entscheidung vorliegt, in einem schweren Dilemma. Wer will es schon verantworten, daß Schiffer und Straßenbauer übereinander herfallen und Mord und Totschlag Wirklichkeit werden?
Vertragt euch! argumentiert man. Aber man findet kein Gehör. In Kürze wird es sich nun entscheiden, ob sich die Schatten, die derzeit über der Blauen Grotte hängen, aufhellen, oder ob sie noch dunkler werden. Wobei zuletzt nur die Frage offen bleibt, ob die Insel Capri ihren paradiesischen Ruf behalten wird, wenn finstere Leidenschaften die sonst so fröhlichen Menschen regieren und ob nicht viele Fremde, die hierher vor den Zwistigkeiten der Welt geflohen sind, sich enttäuscht auch von diesem verlorenen Paradies abwenden, so daß Capresen wie Anacapresen gleichermaßen das Nachsehen haben. W. A.
Das Zweimarkstück mit dem Zeichen „G“
Die deutschen Münzen prägen / Aus gerändelten Plättchen werden Geldstücke
Es ist fast wie im Märchen: in jeder Sekunde fallen zwei silberglänzende Zweimarkstücke in eine breite Schale. Acht Prägemaschinen stehen in dem großen Raum der Karlsruher Münze,, und von jeder kommt in ununterbrochener Folge das feine Klingen, mit dem sich eine soeben gestanzte Münze zu ihren Vorgängerinnen gesellt. Dazwischen hört man das rhythmische Stampfen der Kolben, die mit einer Kraft von über 1000 Tonnen die gehärteten Stahlstempel auf die „gerändelten Plättchen“ drücken und aus ihnen Geld machen.
In der Karlsruher Münze herrscht augenblicklich Hochbetrieb. Die neuen Zweimarkstücke, die in Kürze in Umlauf gesetzt werden sollen, werden hier und ln den drei anderen Münzen des Bundesgebietes, in Stuttgart, München und Hamburg, geprägt. 75 Millionen Zweimarkstücke sollen insgesamt ihren Kreislauf antreten und die bereits stark abgenutzten Zweimarkscheine ablösen. Die Münzen aus der Karlsruher Prägeanstalt wird man an dern Zeichen „G“ erkennen können.
Wie bei allen deutschen Münzen wurde auch für das neue Zweimarkstück die Ur- mairize in München hergestellt. Von diesem Urstempel werden in den drei anderen Münzstätten unter der. Friktionspresse die Arbeitsstempel für die Prägemaschinen angefertigt.
Die „gerändelten Plättchen“, wie der Fachmann zu den ungeprägten Metallscheiben sagt, werden von den Metall- und Nickelwerken geliefert. Die Legierung der neuen Zweimarkstücke ist kein Geheimnis, sie besteht zu 25 Prozent aus Nickel und zu 75 Prozent aus Kupfer. Jeder Präger erhält eine Kiste mit solchen Plättchen ausgehändigt. Die Waage, auf der dieses Material vor und nach der Prägung gewogen wird, arbeitet trotz ihrer beachtlichen Größe so genau, daß bereits ein Briefumschlag äh der Zunge einen fast daumenbreiten Ausschlag bewirkt. Dadurch wird der umständliche und zeitraubende Vorgang des ; Zähleps der Münzen , erspart. Die Waage zeigt unbestechlich an, ob jemand auf den dummen Gedanken kam, ein „Andenken“ mit nach Hause zu nehmen. Abgezählt werden die neuen Münzen erst in einem abgegitterten Raum auf besonders konstruierten Maschinen. Sie kommen dann in einen Beutel, der durch Plombe und Etikett bankfertig gemacht wird.
Die Karlsruher Münze ist das letzte, um 1860 von dem bekannten badischen Architekten Weinbrenner entworfene Bauwerk und einer der wenigen von Bomben verschonten Zeugen jener klassisch genannten Bauepoche. Die Zähringer und badischen Fürsten ließen einst ihre goldenen Louisdore, Gulden und Denare in der Münze der Durlacher Karlsburg prägen. Ab 1803 führte die Mannheimer Münze diese Aufträge aus. Es wird berichtet, die geringe Leistungsfähigkeit dieser Präge
stätten und einige Veruntreuungen hätten den Karlsruher Hof veranlaßt, sich eine eigene Münze zu bauen. Die ersten dort aufgestellten Prägemaschinen wurden mit dem Pferdegöpel angetrieben. Man ging dann zur Dampfkraft und später zur Elektrizität über.
Kreuzer, Taler und Markstücke sind sack- und kistenweise seit jener Zeit in Karlsruhe hergestellt worden und haben ihren Weg in die Welt genommen. Leider ist kein einziges Exemplar der alten Münzen in der Sammlung der Prägeanstalt geblieben. Der Krieg spielte sie Unbekannten in die Hände.
Die letzten Edelmetallprägungen führte die Karlsruher Münze 1932 aus und lieferte sechs Millionen silberne Fünfmarkstücke an die west- und südwestdeutschen Reichsbankzentralen. Nur in wenigen, sorgsam behüteten Sammlungen findet man heute noch Münzen, die von bekannten Madailleuren wie Ludwig Kachel, Karlsruhe, Karl Friedrich Vogt, München, Christian Schnitzspahn, Darmstadt, und Professor Rudolf Mayer, Wien, entworfen und in Karlsruhe geprägt wurden. Zu ihrer Zeit war der Wert des goldenen öder silbernen Materials noch gleich dem Nennwert der Münzen — aber damals waren auch andere Zeiten.
Kleiner tBeltfpiecjei
HAMBURG. Daß der deutsche Film am Boden liegt, ist keine Neuigkeit. Hört man aber die Gagen, die für die Hauptdarsteller ausgeworfen werden, so kann man sich nur an den Kopf fassen und sich wundern, daß es überhaupt noch Geldgeber für die Fiimherstellung gibt. Marika Rökk und ihr Mann, der Filmregisseur Georg Jacobi, die kürzlich nach Hamburg gekommen sind und bei der „Jungen Film-Union“ gemeinsam einen Streifen machen, erhalten für den einen Film nicht weniger als 300 000 DM Gage. Dieses ist mehr als die Hälfte der Gesamtherstellungskosten eines normalen Spielfilms.
MAILAND. Der fast 70jährige Francesco Lingua haust seit einem Vierteljahrhundert auf einer kleinen Po-Insel zwischen Pavia und Va- nenta, wo er sich aus primitiven Mitteln ein« eigene Hütte erbaut hat; er lebt als moderner Robinson von der Jagd und der Fischerei. Sein ganzes Hab und Gut besteht aus der armseligen Hütte, einem kleinen Garten, einer Barke, einem Feldstecher, einer Flinte und dem Fischereigerät sowie aus vier siamesischen Katzen. Francesco Lingua war nur einmal während weniger Stunden ln Turin und Mailand. Seither meidet er das Stadtleben und die Zivilisation und haust, von der Welt abgeschieden, zusammen mit seinen vier Katzen auf der einsamen Po-Insel.
TORONTO. In Kanada führen elf junge und hübsche Frauen — sie nennen sich „Artist's Models" — einen offenen Kampf für wärmere Ateliers, höhere Gagen und Bezahlung ihrer „Babysitters“, die zu Hause während ihrer Sitzungen als Modelle nach ihren Kindern sehen. Außerdem sind sie geschlossen der amerikanischen Vereinigung arbeitender Modelle beigetreten mit der Erklärung, daß ihr Stundenhonorar von 1.28 Dollar seit 1947 nicht erhöht worden sei. 20 Dollar verlangen allein die Babysitters pro Woche! — Die gewerkschaftliche Organisierung der Kinderhüterinnen dürfte in den nächsten Monaten zu einer „American Federation of Labour Babysitters Union" führen ...
NEW YORK. Louis H. George, der 84jährig im Staate New York kürzlich verschied, galt 1880 als der schnellste Mensch der Erde. Mit seinem Hochrad fuhr er an einem internationalen Wettbewerb in England 1269 Meilen in 137 Stunden und 58 Minuten, was einem Stundenmittel von 14,4 km entspricht. Und das war Ja nur ein Amateurrekord! Die Profis wurden erst in unserem Jahrhundert des Sports erfunden, dem Jahrhundert des Kindes, der Atombombe und der Existentialismen Radfahren ist eine Existenz geworden!
Krankenhaus auf Rädern
Der Arztwagen im Hilfszug der DB
Die Fortschritte der Technik im letzten halben Jahrhundert haben auf allen Gebieten des menschlichen Lebens Veränderungen und Neuerungen mit sich gebracht, die von einschneidender Bedeutung sind. Die immer größere Dichte des Verkehrsnetzes zwang die Männer der Eisenbahn zu neuen Maßnahmen auf dem Gebiet der Sicherheit. Zu diesen Maßnahmen gehört nicht zuletzt die Bestellung von Bahnärzten, die die pflegerische Betreuung der Eisenbahner übernommen haben und die, zusammen mit ihren „zivilen“ Kollegen, bei Unglücksfällen die ersten sind, die helfend eingreifen.
Diese Hilfe aber wird nur dann voll wirksam, wenn der Arzt nicht allein auf sich angewiesen ist, sondern wenn ihm auch alle notwendigen technischen Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Eines dieser Hilfsmittel — und zwar ein sehr wichtiges — ist der ,.A r z t - wagen“.
Das „Krankenhaus auf Rädern“, wie man den Wagen auch bezeichnen könnte, sieht von außen wie jeder andere aus. Er steht ständig zusammen mit den Hilfszügen der einzelnen Eisenbahndirektionen unter Dampf, immer zur Hilfeleistung bereit.
„Stellen Sie sich vor, es wird Alarm gegeben, und der Hilfszug muß an einen Punkt im Direktionsbezirk fahren, der isoliert und einsam liegt, weit und breit kein Dorf, kein
Haus. Das bedeutet für uns Ärzte: kein Wasser, weder warmes und schon gar nicht sterilisiertes, kein Tisch, auj! den man etwas legen kann. Was im Kriege das Feldlazarett war, ist in diesem Fall der Arztwagen“ sagt uns der Bahnarzt.
Modem und mit allen Hilfsmitteln ausgerüstet, stellt der Arztwagen ein Feldlazarett weit in den Schatten. Schneeweiß gestrichen ist der Operationsraum. Hier sind die weißen Arztschränke mit verschiedenen Bestecken, dem Verbandszeug und den Medikamenten. Hier findet der Arzt aber auch eine Sterilisationsanlage vor. die, wenn die Dampfheizung einmal versagen sollte, auch mit Spiritus geheizt werden kann. Der Arzt kann hier sogar Operationen durchführen.
Im nächsten Raum steht eine Reihe Doppelbetten an den Wänden hinter dunkelverhangenen Fenstern, weiß bezogen und mit Decken belegt. Diese können auch als Tragbahren verwendet werden, um Verletzte zu transportieren. Aus diesem Grunde wurden auch die Eingangstüren so eingerichtet, daß sie aufgeklappt werden können und für die breiten Bahren kein Hindernis bilden.
Stützpunkt für Arzt und Sanitätspersonal, das im Ernstfall vom Deutschen Roten Kreuz gestellt wird, ist der Arztwagen der Eisenbahndirektionen. Ein rollender Beweis für Umsicht und Fürsorge H.-D. T.
Die Pfingstrose
Ein Blumenbild von Friedrich Schnack
Die Pfingstrose feiert die Ausgießung des himmlischen Feuers und Weltgeistes in den Tagen um Pfingsten. Sie kommt bei uns zulande nur in den Gärten, nicht wild vor: in der Freiheit wohnt sie auf den Bergen in Tirol, in Krain und im Karst der Balkanländer. Dort in der Verlassenheit und Öde der grauen Felsenlandschaften erglüht ihr feierliches Blumenherz. Es ist ein Herz aus der Fremde. Asiatische Glut brennt darin. Aus dem Fernen Osten ist diese Blume westwärts gezogen.
Die Pflanzen und Blumen wandern in der Welt, Wie alles, was da ist, haben auch sie ihre Schicksale. Von der Unruhe der Naturgewalten und der Unrast des Menschen ihrem Ursprung entführt, gewinnen sie neue Orte und neue Liebe. Welches westliche Auge mag in grauer Vergangenheit am frühesten die Pfingstrose in ihrer Heimat erschaut haben? Jenes Gesicht, das sich staunend über die Glühende senkte — sicherlich war es von ihr geblendet wie vom Feuer eines üppigen Edelsteins. Trunken ruhte die Blume in ihrer eigenen Glut. Behutsam öffnete die Hand, ein Geheimnis zu enthüllen, die zu einer Kugel gewölbten Blumenblätter. Ergriffen spähte der Blick in ein herzrotes Inneres, darin die goldenen Staubgefäße erschimmerten, Kleinode im Kleinod. War es ein heidnischer Priester? Dann weihte er gewiß die Blume seiner Lieblingsgöttin. Ein unbekannter Forscher des Altertums, den ihre Schönheit bezauberte? Ein berückter Soldat auf Kriegswegen, der sich vornahm, die Blume, so er nicht unter ihr verbleichen würde, als kostbare Siegesbeute seiner mazedonischen Geliebten heimzubringen?
Schon in Sagenzeiten leuchtet ihr heiliges Rot. Vom ewigen Atem der Himmlischen ist die Pflanze umweht. Päon, der Hausarzt der griechischen Götter, dem zum Gedenken sie den Namen Päonie erhielt, pflückte sie auf den Bergen Kleinasiens — weil selbst die Götter verderben, wenn ihnen nicht die Erde Kräfte leiht: er brachte sie, deren Heilsamkeit er erkannte, in das unter- weltliche Krankenzimmer Plutos, des Herrschers im Totenreich, um dessen Wunden, die ihm Herakles zugefügt hatte, zu schließen. Später
haben die antiken Arzte und Naturforscher die mächtige Pflanze in ihren Schriften gepriesen. Die Götter sind luftig entrückt, Ärzte in den Staub gesunken — die Blume blieb und brennt in unsern Land- und Stadtgärten als Lichtgesicht und irdisches Pfingstwunder.
Wir haben ihre Frühlingsgeburt miterlebt. Eines Morgens, nach einem sachten Regentag, durchbrach ein wunderliches Wesen die Erde. Rüttelte sich pin käferbraunes Tier aus dem Schlaf? Es war ein kleiner, runzeliger Kopf, indianisch rotbraun, dem rundum mehrere der gleichen Art nachdrängten. Ungestüm erhoben sich die Köpfchen und schauten neugierig über die Erdkrumen hinweg in den fröstelnden Frühlingstag. Von Licht genährt, von der Erde gespeist und der Feuchte getränkt, reckten sich die Köpfe auf dünnen emporsprießenden Hälsen, deren Pflanzenhaüt von der Farbe der Bluthasel getönt und gebräunt schien. Bald aber ließ sich erkennen: es waren keine Köpfe, was die Erde durchstoßen hatte, sondern geballte Pflanzenfäuste, von dünnen Stielen kerzengerade emporgehoben. Nach wenigen Tagen lockerte sich die strenge Gebärde, die Fäuste öffneten sich und griffen fingernd nach dem fließenden Stoff der Oberwelt, in seine luftige, lichthalsige, aetheri- sche Schicht. Die rötlich braune Erdfarbe verlor sich bald, grüne Blatthände spreizten sich, und zwischen dem ausgeschnittenen Laub begannen auf fingerlangen Stielen grüne Murmeln zu schwellen — kugelige Knospen.
Die gelbe Forsythia hatte abgeblüht. Der Flieder erschimmerte sehnsüchtig — auch für die Pfingstrose war die Zeit gekommen. Ihre Kugeln, von der Blühkraft getrieben, waren geplatzt. Das himmlische Feuer hatte seinen Funken in sie gesenkt Zwischen den dichtangepreß- ten, grünen Hüllblättern, die den Feuerkem der Knospenkugeln umschlossen, prunkte plötzlich das überraschende, ungebärdige Rot. Ein Blumenherz zersprang und blutete vor Freude.
Nun konnte sich die Blüte nicht länger fassen vor eigener Fülle und strahlendem Gefühl. Sie pulste und wogte aus ihrem glutreichen Innern heraus. Das feurige Werk, für das sich die Pflanze einst in der Dunkelheit der Erde gemüht und dann im Hellen vorbereitet hatte, war getan: die höchste I,ebensstunde war angebro
chen. Sie beging sie mit Pracht und großem Ausdruck. Könnte sie reden und gäbe Pflanzenworte: sie sagte sicherlich ein gesättigtes dunkelrotes Wort von langem, getragenem Klang. So weit, so tief ihr Strahl in das Dickicht des Gartens hineinleuchtet, so weithin dränge ihr Wunderwort. Vielleicht spräche sie ihren eigenen lateinischen Namen aus: Pä-o-nie... oder das bäuerliche Blumenwort, ihren bayerisch-österreichischen Namen: Große Prang...!
Und wie sie prangte an ihrem runden, saftigen und wohlhabenden Busch, waren mit ihr noch eine ganze Schar von Rosen aufgeblüht, satte, dichtgefüllte, schwellende Pfingstrosen. Wir hatten sie gezählt, insgesamt waren es zehn Päonien, eine Pflanzenschar von neun großen Blumen, die wie prächtige Dienerinnen die zehnte, die größte, umgaben, ihren Glanz zu mehren, ihre Schönheit durch neunfache Feuer zu steigern.
Die Blume ist der vornehmste Wohnsitz des Erdgeistes: ihre Gestalt ist vollkommen. In der Päonie ist er, gekleidet in reichen Blatt- und Blütenstoff, vor allem prächtig und festlich eingezogen. Doch er blieb nicht allein. Zu ihm senkte sich der Pfingstgeist herab, der Fürst des Äthers. Durch das Geäder der Pflanze sich ergießend, haust er in ihrem Herzen, der heiligen Stätte. Die Pfingstrose ist seine auserwählte Verkündigerin. Und wenn einst in nahenden Tagen die Blüte ihre Blumenblätter zu Boden sinken läßt, im Verglühen zerfallend, werden die roten Blätter wie feurige Zungen und Fläminchen seine Gegenwart und Herrlichkeit noch im Erlöschen bezeugen.
Fih den Hüchprfrpun'
Taschenausgaben des Kröner-Verlags
Gustave le B o n , Psychologie der Massen (Psychologie des foules), mit einer Einführung von Dr. Helmut D i n g e 1 d e y. Alfred - Kröner- Verlag, Stuttgart, Band 99. 18S S. 6.8* DM.
Le Bons „Psychologie der Massen“ gehört trotz der in mancherlei Betracht überholten Voraussetzungen und der da und dort irrigen Schlüsse zu den zeitlosen Büchern. Es erschien im Jahre 1895, als sowohl die Soziologie wie auch die Psychologie noch durchaus in den Kinderschuhen
steckten, als es aber absolut revolutionär war, diese beiden Wissenschaften zusammenzulegen zu einer Art Sozial-Psychologie. Der rationale und positivistische Zug jener Zeit war für le Bon* Vorhaben nicht einmal ohne weiteres günstig. Um so einmaliger erscheint die seherische Begabung des Denkers, der das Zeitalter der Massen am Schreibtisch konstruierte, ohne es eigentlich zu kennen. Wenn man Ortega y Gasset nennt, so sollte man le Bon nicht verschweigen. Le Bon wußte jedenfalls mehr von den Massen, zu denen er z. B. die Parlamente rechnet, als die meisten Politiker der Generation nach ihm.
Arthur Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, herausgegeben von Rudolf Marx. Alfred-Kröner-Verlag, Stuttgart. Bd. i6. 284 S. 5.50 DM.
In der Reihe der verschiedenartigen Arbeiten, die der über 60jährige unter dem in der Sache so bescheidenen, klanglich so hochtrabenden Titel „Parerga und Paralipomena“ als sein „letzte* Kind“ erscheinen ließ, sind die „Aphorismen zur Lebensweisheit“ die persönlichste und wohl auch bedeutendste. In unsystematischer Form gibt Schopenhauer hier die Fülle seiner Lebensweisheit. Soweit der Leser, der nicht Fachphilosoph ist, wegen Unkenntnis des Hauptwerks mit Verständnisschwierigkeiten zu kämpfen hat. findet er bei Kröner in der bewährten Einleitung Rudolf Marx’ einen Leitfaden, der das Heranfinden erleichtern kann
Feldmann-Grundrisse
Das Recht der Handelsgeschäfte und aei Schifffahrt. Bearb. von Oberlandesgertchtsrat a. D. Dr. J. W o 1 a n y. Fachverlag für Wirtschaftsund Steuerrecht. Schäffer Sz Co.. Stuttgart. 144 S. DM 5.50.
Das Heft geht von den allgemeinen Vorschriften über die Handelsgeschäfte aus, behandelt den Handelskauf auf die Kommissionsgeschäfte, dl« Geschäfte des Landtransport- und Lagergewerbe* und streift schließlich noch das Schiffahrtsrecht. Die sehr kurze, straff pointierte Fassung empfiehlt es dem Studierenden, der sich rasch ein- arbeiten will. Ein Lehrbuch kann und will da* Schäfferbändchen nicht ersetzen, zumal auf Lite-
b Q innViG (tan? vpvTirMp* »st.