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Nr. 270

Gegründet 1826

Donnerstag, den 18. November 1926

Fernsprecher Nr. 39

1VV. Jahrgang

Neue Verstimmung in München

Tagesspiegel

Das Reichskabinett hat dem RcichslM'.shaftpkan für 1327 zugcsiimmt.

Rach einer Aeukermekdung ans Derlin soll der bisherige deutsche Rolschafler in London. Dr. Skhamer (Hamburger) von seinem Dosten abbernsen und durch den Staatssekretär im Auswärtigen Amt o. Schubert erseht werden.

Die Alt-Sozialdemokraten in Sachsen, die allerdings nur 4 Abgeordnetensitze Huben. sprachen sich- für die Bildung der Großen Koalition von der Sozialdemokratie bis zur Deutschen Volksparkei aus.

Das Mitglied der Schutzpolizei in Duisburg, Daniel Ioos. wurde vom Reichsgericht wegen Spionage für die Franzosen zu 3 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust verurteilt.

Dem Vorsitzenden der Aeberwachnngskomm'ssion, dem französischen General Walch, wurde der Rang eines Kom­mandierenden Generals verliehen. Der Mann hat's ver­dient.

Die Wahlen zum ungarischen Reichstag finden vom §. bis 17. Dezember für das Abgeordnetenhaus und vom 3. bis 10. Januar für das Oberhaus statt.

Der pelnrscke LsZrn, der aufs neu? mit Mfudfki ans gespannten Frch geriet, ist ans unbestimmte Zeit vertagt worden.

München. 17. Nov. In München und Lagern hat es wieder viel böses Blut gemacht, daß an der Münchner Feier für die "13 000 gefallenen Münchner Söhne die Reichswehr auf Weisung der Reichsrsgiernng sich nicht beteiligen durste, weit der Reichswehr die Beteiligung an ..politischen Kund­gebungen" verboten sei- Die Blätter fordern vom Reichs­wehrminister Geßier eine Erklärung, aus wachen Gründen er das Verbot erlassen habe für eine Totenfeier, an der nicht nur alle Parteien, sondern die ganze Be­völkerung ohne Rücksicht auf die Parteiftellung und den Stand sich beteiligt habe. In Berlin entfaltet man ein gewisses Geschick, eine stimmungsmäßige Trennungslinie zwischen Nord und Süd zu schaffen.

Industrie und Landwirtschaft

Düsseldorf, 17. Nov. In einer Sitzung der Wirtschasts- stelle des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirt­schaftlichen Interessen der Industrie und Landwirtschaft wurde bemängelt, Laß man bei den Reichsnotstandsarbeiten von allen möglichen Kanalarbeiten höre, daß dagegen die viel dringenderen Arbeiten zur Abwehr von Hochwasserschä­den unausgeführt bleiben. Viel wichtiger als die Kultivie­rung von Oedland mit ihren hohen Kosten, die trotzdem keine genügende landwirtschaftliche Existenz ermöglichen, sei

die Jiürni'iüierung dev vorhandenen Kulturlandes. Es zeug« aber von einer vollständiger Unkenntnis des Landbaus, wenn man verlange, intensiver Landbau sei nur durch Zer­schlagen der größeren Güter möglich. Dadurch würde viel­mehr dem Getreidebau und der Volksernährung der größte Schaden zugefügt, ganz abgesehen davon, daß die kostspie­ligen Versuche mit neuen Maschinen, neuen Fruchtarten und sonstigen Neuerungen in der Landwirtschaft nur aus großen Gütern und in privatem Betrieb zweckmäßig aus­geführt-werden können. Die Frage, welche landwirtschaft­liche Betriebsgröße unter den gegebenen Verhältnissen in Deutschland am zweckmäßigsten und leistungsfähigsten sei, könne nicht schematisch beantwortet werden. Von seiten der Industrie wurde durch ' " Vorstandsmitglied des Reichs­verbands der deutschen ustrie, Geheimrat K a st l -Ber­lin, darauf hingewiesen, daß der innere Markt für die Industrie von ausschlaggebender Bedeutung sei. VonAus­wüchsen des U e b e r st u n d e n s y st e m s", wie es viel­fach behauptet werde, könne keine Rede sein. Es wurde ver­langt, die Oeffentlichkeit müsse über die Pläne der Regie­rung und die bohen Ausac-ben des Arbeirsbeschaf- f u n g s p r v cr r a m in s Klarheit baben, und es dürfen nur wirklich wir:st' östliche Anlagen geschaffen werden.

SwWmd Wd die ,Wk erzieherische WM der KMWvll"

Das unschuldige, stets willige Frankreich

In Bulgarien wurde eine neue kommunistische Ver­schwörung aufgedeckk, an der 150 Kommunisten kn Sofia und über SSV im Lands bekeifftzk sein sollen. Der vs'ch '.stete kom- muuistenföhrer Pawlosf hat ein Geständnis abgelegt.

Die spanisch n ^ > ' "" "y Huben bei einem An­griff des Sta" w c B c -> Schlappe erlitten und

mussten ihre ^ e u '

Der Sieb"p Mts-Streik

Es ist nocy nnyl ausgemacyr, oo nich-i England und sein Weltreich durch den Krieg gründlicher verändert worden ist als Deutschland. Der ältere Chamberlain sah die Zukunft des britischen Weltreichs auf dem Weg zu einem Bundes­staat, mit einheitlicher Volksvertretung, einheitlicher Zoll­gesetzgebung und einheitlicher Landesverteidigung. Das England von heute mutz zufrieden sein, aus den Stürmen des Weltkriegs einen locker gefügten Staaronbund gerettet zu haben, der Zusammenhalt, solange das Mutterland keine allzu großen Ansorderungen an die Opserwilligksit der ein­zelnen Telle stellt. Und da das Mutterland sich wohl hütet, das zu tun, so mag er denn auch Zusammenhalten bis zum nächsten Weltkrieg. Erschüttert ist bei den Dominions namentlich, wie in der übrigen Welt auch, der Glaube au die Unbesiegbarkeit der englischen Flotte zur See er liegt begraben auf dem Feld der Skagerrak-Schlacht und damit der Glaube der Dominions an den Schutz, den ihnen das Mutterland unter kritischen Weltumständen gewähren könnre. England verwendet heule ein gut Stück der über­legenen Geschicklichkeit in Führung seiner auswärtigen Ge­schäfte darauf, die Veränderungen, die sich im Ausbau des britischen Weltreichs vollzogen haben, nicht offenkundig wer­den zu lassen.

Nichr minder tiefgreifend sind die Veränderungen, die sich im Wirtschafts- und Gesellschaftskörper Großbritanniens selbst vollzogen habech oder zu vollziehen noch im Begriff sind. Ein Zeichen dafür, das sich nun allerdings nicht so bequem verschleiern läßt, ist der große Kohlen streik, der jetzt, im siebenten Monat feiner Dauer, zu Ende geht. Aeußerlich gesehen, mit einer Niederlage der Streikenden. Als der Krieg anders zu verlaufen begann, als seine Macher sich das vargestellt hatten das kindlich-vergnügteein Geschäft wie gewöhnlich" hatte ja nicht allzulange Geltung da ward, neben anderen Arbeiterschichten, vor allein der englische Bergarbeiter eine Macht. In England taten die Arbeiter dis zuletzt ihre Pflicht gegen das'Vaterland, setzten aber Forderungen durch, die ihnen in fortdauernder Friedenszeit so leicht nicht bewilligt worden wären. Die letzte dieser Forderungen war der Staats.zuschuß. den die Kohlenindustrie bekam, um die Löhne allgemein auf einer Höhe haften zu können, die durch die Wirtschaftslage der Welt längst nicht mehr gerechtfertigt war. Dieses Ver­ehren nennt man in England Dumping und verdammt es als eine der verwerflichsten Handlungen, die böse Gemüter ersinnen können, wenn es von einer deutschen Regierung geübt wird. Wenn es dagegen eine englische Regierung übt, W ist es natürlich ein gutes Werk, so lange wenigstens, csis die herrschende Oberschicht damit «inverstanden ist.

Aus die Dauer ging es aber doch nicht an, die Löhne «-^--l-^o.^n^Kerschaft aus dem allgemeinen Steuersäckel künstlich hochzuhalten. Auch wenn die Regierung gewollt -A .. osientliche Meinung, die im Staatszusckuß zur Gleichmachung der Löhne den ersten Schritt zur Soziali­sierung witterte. hätte es nicht geduldet. Als der Zuschuß Ende hatte, drängten die Bergwerksbesitzer auf Rückkehr zur distriktsmäßigen Regelung von Lohn und Arbeitszeit. Darum ging der Kampf, der van beiden Seiten mit verbistener Zähigkeit geführt worden ist.

Lue öffentliche Meinung war den Streikenden anfangs nicht ungünstig gesinnt. Je näher aber der Winter hera'n- ruckte vollends als bereits Kohlenkarten ausgegeben wer-

Skandüstlle Zustände aus Neuguinea London, 17. Nov. Die aw calischcn Blätter veröffent­lichen haarsträubende Berichte über die Zustände der vor­mals deutschen Kolonie Neuguinea, seitdem dort die Goldfelder entdeckt worden sind. Der Eingeborenen hat sich eine starke Erregung bemächtigt, weil sie von den Goldsuchern, darunter namentlich viele australische Be­amte oller Grade, Großhändler uiw., mit barbarischen Mit­teln zur Arbeit beim Goldwäschen, Graben, Tragen usrv. gezwungen und ihnen oft ihr Besitztum an Grund und seien die Eingeborenen zur Selbsthilfe geschritten, worauf die ausiral. RegierungStrafexpeditionen" gegen sie aussandte, die noch grausamer mit den Eingeborenen verfuhr. Die Eingeborenen von Neuguinea waren unter deutscher Schutz- Herrschaft ruhige, zufriedene Menschen, weil sie gut und ge­recht behandelt wurden. Der Völkerbund hat auch diese Kolonie Deutschland aberkannt und Australien zugeteilt, weil Deutschland die Eingeborenen angeblich schlecht behandle und sich aus diehohe erzieherische Aufgabe der Kolonisation" nicht verstehe. Neuguinea hat jetzt, wie Togo, Kamerun, Ostafrika, Südwestafrika und Tsingtau, diese niederträchtige Lüge und den schändlichsten Raub ans Licht gestellt.

,o enrlchewc'.wer lvroene v.e v,,em!:cke Meinung die Beendiaung des Streiks, zumal ivr de,- Streik­führer Cook als Anwalt des Bolschewismus verdächtig war. Die öffentliche Meinung wünschte anscheinend aber auch nicht, daß die Bergarbeiter zur Unterwerfuna auf Gnade und Ungnade gezwungen und dadurch dem Radi­kalismus erst recht in die Arme oftrieben würden.' Sie hätte offenbar einen Ausgang am liebsten gesehen, wobei es weder Sieger noch Besiegte gegeben hätte. Das ist im stillen wohl auch die Meinung des Ministerpräsidenten Baldwin gewesen, wie gewöhnlich wagte er gegen die Scharfen seiner eigenen Partei nicht entschieden oufzutrcten.

Die Rückwirkung der öffentlichen Meinung auf die weiche Haltung der Regierung hat sich bereits mehrfach gezeigt. Als der Innenminister gegen Cook und seine Agitatoren Polizei in Bewegung setzen wollte, muckle die öffentliche Meinung derart auf, daß die Regierung schleunigst von ihrem Vorhaben abließ. Und was mehr ist: bei den Ge­meindewahlen errang die Arbeiterpartei in allen Industriegebieten Englands und Schottlands einen durch­schlagenden Erfolg.

Ob die Früchte der Baldwinschen Schaukelpolitik rasch oder langsam reifen, hängt nun nicht allein von den inneren Zuständen Englands ab: daß sie reifen werden, beweist unter anderem auch der fonschrettends Verfall der liberalen Partei. Ts ist kaum verkennbar, daß die gesunde politische Witte­rung des Engländers zur,zeit, über die Leiche der liberalen Partei hiniveg, zum Zweiparteiensystem zurück­drängt wob-tt Ueberraschungen indes varbehalten bleiben müssen.

Kaum begrecjttch will es erscheinen, wie über eine Million Bergarbeiter 45 Monate lang, und drei Vierteile davon gor ein halbes Jahr lang, im Streik aushalten konnten. Aus Sowjetruhland find die Streikgelder ja reichlich ge­flossen, aus den Ländern der zweiten Internationale ober nur knapp, die Kassen waren leer und allgemeine Steuer- Aelder stehen hier eben nicht zur Verfügung wie in Sowjet- rußland. Die Familien der Streikenden erhielten Armen­unterstützung in Form von Lebensmitteln, davon haben die Ernährer, so gut ss eben gehen wollte, mit leben müssen. Außerdem zahlten natürlich die Gewerkschaften, und erst als der weitere Zufluß dieser Streikgelder gesperrt wurde, brach der Widerstand zusammen. Es liegt auf der Hand, daß ein so langer und erbitterter Kampf liefe Spuren in

Syriens Anklagen vor denn Völkerbund Genf, 17. Nov. Vor dem Manüatsaus'chuß des Völker­bunds-wurde in geheimer Sitzung der-Bericht über das Mandat" Syrien lind den Libanon verhandeln Die fran­zösischen Vertreter erklärlcn, die französische Verwaltuirg habe sich immer streng an die Bestimmungen des Völker­bunds gehalten (!) und werde dies auch in Zukunft tun. Der Ausschuß nahm die Erklärung zur Kenntnis.

Der italienische Uebcrmut

London. 17. Nov. Aus Athen meldet dieMorning Post", italienische Soldaten haben auf der Insel Kalymnos (einer der 12 Inseln an der kleinasiatischen Südwestküste, die Italien in dem Raubkrieg 1912 der Türkei entriß), grie­chische Häuser durchsucht und drangen auch in das Hau» eines Griechen ein, dessen Frau eine Engländerin ist. Die Italiener zerrissen Bilder des Königs und der Königin von England, obgleich die Engländerin, indem sie eine eng­lische Fahne vor sich hie'u ihnen Stücke der Bilder entriß. Die Italiener sprengten das ft aus Ms Bürgermeisters in die Lust und warfen eine arieclusche Flagge in die Ser

der Gesellschaft und in dem Wirtschastskörper Hinterlasten mutz, innerhalb deren er geführt wurde.

Auch außerhalb Englands wird man das Ende des Streiks zu spüren bekommen. Auf 6 Milliarden Mark be­rechnet di« englische Wirtschaft ihren Ausfall, er mutz wieder «iugebracht werde«. K-mEreich. Belgien, Deutschland w«d««

es bald genug empfinden, wie das geschieht. Zurzeit hat noch nicht die Hälfte der 800 00V Bergarbeiter die Arbeit ausgenommen, die die Industrie wieder einzustellen geneigt ist. Ein paarmal Hunderttausend werden also draußen liegen bleiben, und die werden am ehesten bereit sein, de« Lehren des Sowjet-Kommunismus auch in England Ein­gang z« verschaff«,. ,

Aufgaben und Aussichten der Reichsbahn

Line Rede Dr. Dorpmüllers

Bei einem Empfang von Vertretern der Presse in Berlin hielt Generaldirektor Dr. Dorpmüller eine Rede über die Hauptfragen der Reichsbahn. Eine Neuordnung der Normalgütertarise sei eingeleitet. Der Entwurf sehe vor, die Spannung zwischen den einzelnen Wagenladungs­klassen durch Einführung neuer Wagenladungsklassen zu verringern und die Frachten für Eilgut in Wagenladungen, abgesehen von der Klasse A, zu ermäßigen. Auf die so viel umstrittenen Durchfuhrtarife könne nicht verzichtet werden. Auslandstransporte sollen nicht um Deutschland herumlaufen. Bei nachweisbarer Schädigung der deutschen Wirtschaft im Einzelfall solle ein solcher Durchfuhrtarif auf­gehoben werden. Oberstes Gesetz müsse immer eine geord­nete Finanzverwaltung bleiben. An der Güte der deutschen Reichsbahn-Schuldverschreibungen sei bisher kein Zweifel geäußert worden. Das Geschäftsjahr 1925 sei ein Dawes-Schonjahr gewesen. Die Entschädigungszahlungen hättennur" 400 Millionen Mark betragen. Von den zur Entlastung des Jahrs 1926 vorgetragenen 153 Millionen wurden in der ersten Hälfte des Jahrs 100 Millionen und mehr in Anspruch genommen, bis der e n g l i s ch e K o h l e n- arbeiter streik eine Entlastung brachte. Wir konnten 1926 keine Mittel mehr aus dem betriebe für Anlegungen Herauswirtschaften. Hier kamen uns drei Kreditmaßnahmen des Reichs mit erträglichem Zinsdienst zu Hilfe. Ich warne