ff. Juli 1949

SCHWÄBISCHES TAGBLATT

Nr. 88 / Seite 8

Freie Meinungsäußerung und richterliche Unabhängigkeit

Eine Umfrage desSchwäbischen Tagblatts zu einem wichtigen politischen und juristischen Problem

Das Eingreifen des Schriftstellers Mostar und damit Radio Stuttgarts und einer Stutt­garter Zeitung im Grafeneck-Prozeß hat die Gefahr heraufbeschworen, daß Presse und Rundfunk auch in anderen Fällen in ähnlicher Weise in ein schwebendes Verfahren ein- greifen werden und daß dadurch Richter und Geschworene in ihrer Urteilsfindung be­einflußt werden könnten. Schon eine solche Möglichkeit wäre für die Unabhängigkeit der Justiz unerträglich. Da uns an einer grundsätzlichen Klärung dieser Frage liegt, ganz un­abhängig von dem Grafeneck-Prozeß und seinen verschiedenen Problemen, haben wir eine Reihe von Persönlichkeiten um ihre Stellungnahme gebeten. Wir hoffen damit einen Bei­trag geleistet zu haben zu einem Problem, das wie der Fall Mostar uns zu beweisen scheint, in seiner vollen Tragweite und möglichen Auswirkung noch nicht allgemein er­kannt worden ist. Wir geben im folgenden die erhaltenen Aeußerungen wieder, und über­lassen es unseren Lesern, zu beurteilen, ob unsere Verwahrung gegen das seinerzeitige Vorgehen Mostars und des Rundfunks zu Recht erfolgt ist oder nicht. Die Redaktion

Die Ansicht des Justizministers Justizminister Staatsrat Professor Karl 8 c h m i d , Tübingen, beantwortete unseae Anfrage mit folgender Stellungnahme:

Wir sollten grundsätzlich die englische Praxis übernehmen, wonach niemand, auch Presse und Rundfunk nicht, in ein schweben­

des Verfahren eingreifen sollten Das bedangt, daß vor der Urteilsverkündung eine Stel­lungnahme, durch die Richter oder Geschwo­rene beeinflußt werden könnten, unterblei­ben sollte.

Was sagt der Rundfunk?

In einem Gutachten der Rechtsabteilung von Eadio Stuttgart wird von der rechtlichen Seite her Stellung genommen zu dem Rundfunkbe­richt Hermann Mostars. Es heißt darin an den entscheidenden Stellen:

Was in öffentlicher Gerichtsverhandlung bekannt wird, unterliegt der öffentlichen Dis­kussion und darf nicht nur, sondern soll sogar öffentlich diskutiert werden, wenn es sich wie hier um allgemein interessie­rende Probleme handelt. Die Furcht vor der Kritik ist undemokratisch und hat deshalb in einer demokratischen Staatsverfassung keinen Anspruch auf rechtlichen Schutz. Jeder, der im öffentlichen Leben eines demokratischen Staa­tes tätig ist, muß sich eine sachliche Kritik im Interesse der Allgemeinheit gefallen lassen. Dies gilt auch für den Staatsanwalt und den Richter. «

Es erhebt sich nun allerdings die Frage, ob eine Kritik, die möglicherweise das Gericht beeinflußt, die richterliche Unabhängigkeit, die ebenfalls ein Grundpfeiler demokratischen Verfassungsrechts ist, gefährdet und deshalb eine mißbräuchliche Anwendung des Rechts der freien Meinungsäußerung darstellt und damit rechtswidrig wird. Diese Frage ist zu verneinen. Die richterliche Unabhängigkeit ist zwar eine unschätzbare Errungenschaft demo­kratischen Rechts, sie ist aber für den Rich­ter nicht bloß ein Recht, sondern auch ein Pflicht. Der Richter darf seine Entscheidung nur nach dem Gesetz und nach seinem Gewis­sen fällen und muß alle anderen Einflüsse ausschalten; sonst begeht er Rechtsbeugung.

Das kann jedoch nur von solchen Einflüssen gelten, von denen der Richter annehmen muß. daß sie von ihm etwas verlangen, was gegen das Gesetz und gegen sein Gewissen verstößt. Aeußerungen dagegen, die von .Gesetzestreue und von Gewissenhaftigkeit getragen sind und vom Richter eine dem Gesetz und seinem Ge­wissen entsprechende Entscheidung erstreben, können niemals einen gesetzwidrigen Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit bedeuten. Sie können vielmehr für den Richter e ! ne er­wünschte Hilfe sein. Solange eine Kritik in diesem Sinne verstanden werden muß, kann sie keine mißbräuchliche Anwendung des Rechts der freien Meinungsäußerung sein. Die rich­terliche Unabhängigkeit begründet kein Recht auf Freiheit vor jeglicher Kritik.

Die Ausführungen von Hermann Mostar be­gegnen auch unter diesem Gesichtspunkt kei­nerlei rechtlichen Bedenken.

Da es sich im vorliegenden Falle um eine Rundfunkkritik handelt, ist noch auf folgen­des hinzuweisen.

Nach dem Radiogesetz von Württemberg- Baden vom 6. 4. 1949 (§ 2 Abs; 4 Ziff. 8 der Satzung für den Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart) hat der Süddeutsche Rundfunk als besondere Richtlinie zu beachten,

demokratisch gesinnten Kommentatoren und Vortragenden da& Recht zur Kritik an Ungerechtigkeiten, M'ßständen oder . Un­zuträglichkeiten bei Persönlichkeiten oder Amtsstellen der öffentlichen Behörden und der Staatsregierung mit allen verfügbaren Mitteln zu gewährleisten und zu sichern. Danach ist der Rundfunk besonders verpflich­tet, dem freien Wort Raum zu verschaffen. Die Handhabung des Rechts der freien Meinungs­äußerung kann keine wesentlichen Schäden verursachen; weil jede kritisierte Persönlich­keit das Recht zur Erwiderung hat...

Zusammenfassend ist also festzustellen, daß er Rundfunkbericht von Hermann Mostar rechtlich nicht beanstandet werden kann.

gez. Neuflscher

Stellungnahme des Journalistenverbands Wir haben uns auch an den Journalisten ver­band Württemberg-Baden in Stuttgart ge­wandt und folgende Stellungnahme des Ju­stitiars des Verbandes erhalten:

Der durch die Verfassung garantierte Grund- Satz der richterlichen Unabhängigkeit ist selbst­verständlich auch für die Presse verbindlich, väk ( ^ e ^ an ' c e der Pressefreiheit wird dadurch bient berührt, denn die Freiheit der Presse bidet an den für alle geltenden Gesetzen ihre wenze. Der Journalist, der sich der Gerichts- "Sfichterstattung widmet, muß sich stets be- sen, daß hinter seinem Wort die Autori- der Presse als Organ der öffentlichen Mei- ,bg steht. Schon allein aus diesem Grund ann die Gefahr einer präjudiziellen Bedeu- bg seiner Stellungnahme zu einem noch nicht geschlossenen Verfahren nicht geleugnet Wic£? en Insbesondere sind Laienrichter, die sinn 6r ,n die Rechtsprechung eingeschaltet ni ? Segen die Gefahr fremder Motivierung -Jp so Sefeit wie der Berufsrichter. Eine ><*e Gefahr liegt darin, .daß ein so geschaf- Un ..,"V° rur teil zu einem unbegründeten und neilvoHen Zwiespalt zwischen öffentlicher Ni " un 8 und Rechtsprechung führen kann bbt zuletzt aber hat die Oeffentlichkeit ein

Recht, sich an Hand sachlicher Berichte ihre Meinung selbst zu bilden.

In dieser Erkenntnis wird sich eine verant­wortungsbewußte Presse bei schwebenden Ver­fahren freiwillig die größte Selbstbeschrän­kung auferlegen. Niemals_darf die Presse ver­suchen, auf die Urteilsfindung selbst einzu­wirken oder ihr vorzugreifen Denn an der Ur­teilsfindung mitzuhelfen, ist sie nicht berufen. Andererseits wird man der Presse, wenn sie während eines Verfahrens ihr wesentlich er­scheinende Momente aufzeigt oder zu deuten versucht, noch nicht gleich die Absicht einer Beeinflussung unterstellen dürfen, zumal wenn sie von dem ehrlichen Bestreben gelei­tet ist, an der Ermittlung der Wahrheit m : t- zuhelfen. In jedem Fall jedoch setzt ihr un­bestrittenes Recht zur Kritik den Abschluß des Verfahrens voraus. Die Justiz selbst hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie eine sachliche und begründete Urteilsschelte nicht scheut. Freilich bedarf es dazu der be­sten Journalisten.

Justiz und Presse wissen, daß keine von ihnen unfehlbar ist. Dieses Bewußtsein wird zur gegenseitigen Achtung und zum besseren Verständnis der Belange beider Institutionen beitragen. Die Justiz aber darf die Gewißheit haben, daß die Presse ihre geistige Freiheit und Unabhängigkeit nicht erkämpft hat, um sie anderen zu bestreiten!

Hans Schmidt-Osten Justitiar des Journalistenverbandes Württemberg-Baden

Strengste Selbstdisziplin der Presse

Die Stellungnahme des Herausgebers der Stuttgarter Nachrichten und 2. Vizepräsi­denten des Württemberg-badischen Landtags (Demokratische Volkspartei) Henry Bern­hard lautet:

In England ist es'nicht zulässig, durch Ver­öffentlichungen in der Presse in schwebende Gerichtsverfahren einzugreifen. Wir wissen, daß diese traditionelle Auflösung sehr streng gehandhabt wird. Erst kürzlich ist eine große englische Zeitung zu einer sehr hohen Geld­strafe verurteilt worden, weil sie einem An­geklagten in einem Fall es handelt sich um den bekannten Mörder Haigh vor Ab­schluß der Untersuchungen weitere Morde un­terstellt hatte.

Wir haben in Deutschland eine ganz andere Einstellung zu der Aburteilung von Ange­

klagten. Allein schon die Veröffentlichung der Anklageschriften der Staatsanwaltschaften, die oft sehr einseitige Feststellungen treffen müssen, zeigen die Problematik unserer Ge­richtsberichterstattung auf. Nach meiner Auf­fassung müßte der Journalistenstand selbst Mittel und Wege finden, die Gefahr des Ein­greifens in ein schwebendes Gerichtsverfahren so gut wie möglich zu bannen. Eine gesetzliche Regelung erscheint mir im Hinblick auf die unbedingt notwendige Sicherung der Presse­freiheit unzweckmäßig. Hier hilft nur strengste Selbstdisziplin der Presse. Dabei ist es mir klar, wie ungeheuer schwer es sein wird, die­ses Ziel zu erreichen. Aber wir müssen ohne­hin daran denken, daß wir nicht wieder in ge­wisse Unarten der Zeit vor 1933 zurückfallen, sondern daß die verantwortlichen Journalisten die Verpflichtung haben, dieses Problem des bewußten oder unbewußten Eingreifens in schwebende Verfahren so zu lösen, daß unsere Justiz keinen Schaden erleidet. Gerade die unbestreitbaren personellen Schwierigkeiten unserer Gerichtsbarkeit erfordern das.

Kritik u. Stellungnahme nach dem Urteil

Rechtsanwalt Dr. Eduard L e u z e, MdL., hat die große Anfrage zu den Vorgängen vor der Urteilsverkündung im Grafeneck-Prozeß mitunterzeichnet Er äußert sich folgender­maßen:

Richterliche Unabhängigkeit und Recht der freien Meinungsäußerung s ! nd beim Grafen­eck-Prozeß in ihrem gegenseitigen Verhält­nis oroblematisch geworden.

Wie ist es damit? Richterliche Unabhängig­keit bedeutet, daß der Richter sein Urteil allein nach bestem Wissen und Gewissen fin­den und sprechen soll. Er soll sich dabei durch keinen von außen kommenden Einfluß be­stimmen lassen. Diese Forderung klingt sehr einfach und ist doch äußerst schwer zu er­füllen. Jeder weiß, wie leicht er in. seinem Urteil der öffentlichen Meinung nachgibt, zu­mal wenn sie durch Presse und Rundfunk heftig auf ihn eindringt, und wie schwer es ist, das eigene, selbständige Urteil gegen die­sen Dämon zu behaupten. Auch der Berufs­richter und erst recht der Laienrichter, der meist der beruflichen Schulung in der Objek­tivität entbehrt, steht in der Gefahr, diesem Einfluß zu erliegen. Je höher man den Wert der richterlichen Unabhängigkeit schätzt, de­sto mehr sollte man diese psychologische Tat­sache respektieren. Deshalb denke ich, daß Presse und Rundfunk sich jeder Meinungs­äußerung in einer schwebenden Rechtssache bis zur Fällung des Urteils enthalten sollten Liegt einmal das Urteil vor, so ist es noch Zeit genug zur Kritik, der keine anderen Gren­zen gezogen sind als die der Sachlichkeit.

Ein Verteidiger meint

Ein Verteidiger im Grafeneck-Prozeß, Dr. Zimmerte, erklärt:

Als Verteidiger des Angeklagten Dr. Mau- the nehme ich zu dem angeschnittenen, zwel-

Ist die Atombombe eine absolute Waffe?

Englisch-amerikanische Diskussion über den Bombenkrieg

o.h. In England und den Vereinigten Staa­ten ist seit einiger Zeit eine lebhafte Diskus­sion im Gange über die strategischen Pro­bleme im Zusammenhang mit der Atom­bombe.

DiePhysikalischen Blätter (Physik-Verlag, Mosbach, Baden) bringen dazu in ihrem Heft 6/49 eine Betrachtung des englischen Physi­kers Blackett, Nobelpreisträger für 1948, und eine Erwiderung des amerikanischen Profes­sors L. N. Ridenour. Die zwei gegensätzlichen Auffassungen kommen dabei in aller Schärfe zum Ausdruck.

Blackett vertritt die Ansicht, daß die Wirksamkeit strategischer Luftangriffe stark überschätzt worden sei, und daß man auch jetzt wieder bei der Atombombe Gefahr laufe in den gleichen Fehler zu verfallen, und zwar infolge einer falschen Deutung der Erfahrun­gen des zweiten Weltkrieges. Blackett gebt von dem Ergebnis der Untersuchungen des US-Strategic Bombing Survey über die Wir­kung der Bombenangriffe auf Deutschland aus. Es hätte sich dabei die überraschende Tatsache ergeben, daß die deutsche Kriegspro­duktion in ihrer Gesamtheit bis zum Sommer 1944 fortgesetzt trotz der sehr schweren Bom­bardierungen anstieg. Erst die Präzisionsan­griffe 1944/45 auf Verkehrsanlagen und ge­wisse Industrieziele wie Treibstoffabriken seien von größerem Erfolg gewesen. Die Vorausset­zung dazu aber sei der S ! eg in der Schlacht um den Luftraum und die Landungen am Mit­telmeer und in Frankreich gewesen. Blackett meint weiter, daß etwa 1953 auch die Sowjet­union Atombomben besitzen werde und daß bis dahin auch die V-Geschosse nicht über eine Reichweite von 1000 Meilen hinauskom­men werden, so daß nur Bomber in dem ein­zig möglichen Konflikt, dem zwischen den USA und der Sowjetunion, als Träger von Atom­bomben in Frage kommen würden. Diese Bom­ber aber seien den Jagdflugzeugen unbedingt unterlegen.

Seinen weiteren Annahmen über das not­wendige Ausmaß eines Angriffes mit der neuen Waffe auf eine große Landmacht legt Blackett die Verluste zugrunde, die die Sowjetunion 1942 durch die deutsche Invasion erlitten hatte. Er glaubt, daß eine gewaltige Zahl von Atom­bomben erforderlich wäre, um auch nur die gleiche Wirkung zu erzielen, wie sie die Deut­schen damals erreichten. Schon in Deutschland hätte es seiner Ansicht nach ungefähr 400 Atombomben erfordert, um den durch die al­liierte Luftoffensive angerichteten Schaden zu bewirken. Blackett ist Weiterhin der Ansicht, daß auch der wirkungsvollste Atombomben­angriff verpufft, wenn ihm nicht sofort ein Einmarsch und die Besetzung des Landes folgen. Dazu seien aber weder die Vereinigten Staaten noch Rußland in der Lage. Blackett schließt seine Betrachtungen mit folgender Ueberlegung: Falls es Rußland für politisch

richtig halten sollte, Bomben auf Amerika zu werfen, wird es erst einen Mindestvorrat von ein paar tausend Atombomben anzusammeln haben, bevor es losschlägt. Es ist aber wahr­scheinlich, daß es viele Jahre dauern wird, bis die Sowjetunion einen Vorrat an Atombomben besitzen wird, der groß genug ist, um gegen amerikanische Städte von Nutzen zu sein. Des­halb ist ein Angriff mit Atomwaffen durch die UdSSR auf die Vereinigten Staaten für eine sehr lange Frist im höchsten Maße unwahr­scheinlich. Die Gefahr eines dritten Weltkrie­ges ist nach der Ansicht des englischen Wis­senschaftlers aus den angeführten Gründen innerhalb der nächsten Jahre sehr viel ge­ringer als im allgemeinen angenommen werde.

Der amerikanische Professor L. N. Ride­nour kommt zu einer ganz anderen Ein­

fellos schwierigen Problem, wie folgt, Stel­lung:

Ich gebe zu, die Radiosendung, zugun­sten der Angeklagten, zunächst als zweifel­los wirkungsvoll, begrüßt zu haben. Bei wei­terem Nachdenken verdichtete sich jedoch die Ueberzeugung, daß das gerügte Vorgehen Mo­stars und die Veröffentlichung seiner Sendung in einer Stuttgarter Zeitung, nicht ganz kor­rekt und mindestens geeignet war, die innere Ueberzeugung, zumal der Geschworenen in diesem besonders schwierigen und umstritte­nen Prozeß, in einer bestimmten Richtung zu beeinflussen. Die Tatsache, daß das Schwur­gericht an der Sendung Anstoß nahm und sich unter einen gewissen Druck gestellt fühlte, er­gibt sich eindeutig aus der Erklärung des Vor­sitzenden bei der Urteilsverkündung, wenn auch von einemTerror Goebbelsscher Art nach Sachlage keineswegs die Rede sein konnte. Der Unterzeichnete hat sich schon während des Prozesses mit aller Schärfe ge­gen unsachliche Berichterstattung, die etwa das Urteil vorweg nehmen wolle, gewandt und muß daher auch grundsätzlich eine Be­richterstattung oder Rundfunkreportage zu­gunsten der Angeklagten vor Urteilsfällung, im Interesse der Unbeeinflußtheit des Richter­kollegiums, ablehnen.

Der Auffassung meines Kollegen Dr. Völker, der das Recht der freien Meinungsäußerung unter allen Umständen auch in diesem Be­reiche gewahrt haben will, kann ich daher nicht vorbehaltlos zustimmen. Es ist ein Un­terschied, ob man bezüglich eines derart pro­blematischen Strafprozesses seine Auffassung mündlich im Bekanntenkreise, oder aber durch den Rundfunk hunderttausenden von Hörern bekannt gibt, und zweifellos stellt gerade der Rundfunk eine besonders wirkungsvolle Be­einflussung der Meinung gegenüber Laienrich­tern, dar. Das Grundrecht der freien Mei­nungsäußerung nach Art. 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland findet im übrigen seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, d. h. hier den Grund­prinzipien des Strafprozesses und somit auch der unantastbaren Unabhängigkeit des Rich­ters; zu letzterer gehört aber gerade auch die Möglichkeit, sich über den Prozeßstoff ohne Beeinflussung von außen, ein selbständiges Ur­teil bilden zu können.

Der Unterzeichnete hat keinen Zweifel, daß Mostar beste Absichten verfolgt hat, doch gab er hier seine persönliche, d. h. subjektive Ueberzeugung der Oeffentlichkeit kund und das hat man ihm allein übel genommen. Es ist auch aufgefallen, daß in der fraglichen Sen­dung speziell ein Angeklagter als schuldlos hingestellt wurde, der sich in keiner anderen Lage befand, als andere Angeklagte. Dies konnte dahin mißverstanden werden, daß Ini­tiator der Sendung ein bestimmter Verteidi­ger gewesen sei, zumal dessen Name genannt wurde. Einsiebter Verteidiger aber war in diesem Prozeß wohl entbehrlich.

Aus diesen Gründen und zur restlosen Klä­rung der umstrittenen Frage erscheint die große Anfrage im Landtag als begrüßenswert, nicht aber als ein Versuch, die freie Meinungs­äußerung als Grundrecht anzutasten.

Schätzung eines ersten überraschenden Schla­ges mit Atombomben. Er meint, daß die Luft­streitkräfte des zweiten Weltkrieges das glei­che Ergebnis der 300 Tage vom Juli 1944 bis zum April 1945 in zwei Tagen erreicht hätten, wären sie mit Atombomben ausgerüstet gewe­sen. Zweifellos werde ein zukünftiger Krieg in einer früheren Stufe die Zerstörung gewis­ser lebenswichtiger Produktionsgruppen der einen Macht durch die andere mit sich brin­gen, da auch die beste Jagdwaffe Bombenan­griffe nicht vollständig unterbinden könne. Ridenour ist im Gegensatz zu Blackett über­zeugt, daß die Atombombe zweifellos- kriegs­entscheidende Bedeutung auch gegenüber Ruß­land haben werde

Wo liegt nun die Wahrheit? Wir wissen es nicht, und wollen es nie durch die Praxis erfahren. Denn unser Bedarf an Bomben, ob mit oder ohne Atomzertrümmerung und Ket­tenreaktion spielt keine Rolle, ist reichlich gedeckt.

Die Essener wandern zum Baldeneysee

Von unserem Düsseldorfer GE.-Korrespondenten

Was der Wannsee für Berlin ist, das ist der Baldeneysee für die Ruhrhauptstadt Es­sen. Mit Eisenbahn und Straßenbahn, mit Om­nibus und per Fahrrad ziehen allsonntäglich viele Tausend Bergleute und Krupparbeiter mit ihren Familien durch das hügelige Wald­gebiet im Süden der Stadt zu ihrem See.

Den Namen für den 9 Millionen Kubik­meter fassenden See gab ein altes Schloß. 1928 geplant, 1931/32 gebaut, .dient der See der Reinhaltung der Ruhr, der Wasserversorgung des Ruhrgebietes, nützt der Schiffahrt und soll den Arbeitern Sport- und Erholungs­möglichkeiten geben. In 500 000 Tagewerken haben Erwerbslose und Arbeitsfreiwillige zur­zeit der großen Arbeitslosigkeit dieses von Wäldern und Hügeln umzogene Gebiet in eine Seelandschaft umgewandelt. Helle Segel, buntbeflaggte Boote, Fähren und Motorschiffe beleben die weite Wasserfläche. Liegewiesen und Sportbäder bieten Platz für viele Zehntau­sende. Der Turm der 1000jährigen Abteil Wer­den hebt sich am Horizont ab. Ein Stauwehr und eine Schleuse regeln den Schiffsverkehr, stille Uferwege schlängeln sich an der Stadt­waldseite entlang.

Gegenüber von Werden grüßt auf halber Höhe die alte Kruppvilla Hügel. 374 Zimmer hat dieser aus der Ferne so schlicht wirkende Sandsteinbau. Längst sind die Zeiten vorbei, da hier 22 Zimmermädchen und 14 Diener für Ordnung sorgten. Heute sitzt die Kohlenkon­trolle der Besatzung in jenem Prunkbau, den zu betreten einmal im Monat den rheinisch- westfälischen Journalisten vergönnt ist, wenn dort die traditionelle Pressekonferenz abge­halten wird Die kostbare edelholzgetäfelte Halle aus den Zeiten Friedrich Alfred Krupps existiert noch. An den Wänden hängen die alten Familienbilder der Dynastie Krupp.

Die Menschen, die da oben herrschten, sind abgetreten. Und selten wird noch bei Festen der gegenwärtigen Bewohner der 60 Gedecke fassende Eßtisch benutzt, kaum jemand, der einen der 28 000 Bände der berühmten Bi­bliothek aus den Regalen nimmt. Die Ver­gangenheit ist nicht mehr heraufzubeschwö­ren. Und doch ist es seltsam, daß niemand von all den vielen unten im See schwimmen­den und rudernden, segelnden und schiffchen- fahrenden Menschen auch nur irgend etwas äußert, was wie Groll oder Verwünschung gegen dieses Haus da oben klingen könnte. Krupp ist und war die Seele von Essen, gleich def Verbundenheit mittelalterlicher Klein­städte mit ihren Dynastien scheint auch beim modernen Großstadtmenschen von Essen diese Verbundenheit mit einer Stätte zu bestehen, um deren Unternehmungsgeist diese Stadt von manch anderer beneidet wird.

Der Baldeneysee ist der Beginn desschö­nen Essen, das sich über den Villenvorort Bredeney, über Vogelwarte und Stadtwald hinweg mit Hügeln und Forsten weit bis zum Stadtkern hinzieht. Erst jenseits der Bahn­strecke RellinghausenGrugaausstellung be­ginnt die graue, trostlos zerstörte Stadt. Es ist aber den Menschen eine Erleichterung, daß sie so kurze Verbindungen haben zu den Wäldern und zum See, den sie alle lieben, dessen schöne Umgebung nur noch einen Kon­kurrenten hat: den Grugapark mit seinen Blumenbeeten und Springbrunnen, seinen Teichrosenbecken und Rosenrabatten. Aber der ist nach schlimmen Bombenzerstörungen erst wieder im Entstehen. Wenn er im näch­sten Jahr wieder in alter Pracht blüht, wird auch er eine zweite große Lunge dieser Groß­stadt der Schmieden und Zechen sein, der Hochöfen und der Chemiewerke.. -