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Samstag, den 21. August 1926
Fernsprecher Nr. 29
106. Jahrgang
MGliui Wer seine „Mastigen Mchte«-
Nun doch keine Einigung im engl. Bergbau
Ax. 184 Gegründet 1836
Tagesspiegel
Der Reichsminister des Innern Dr. Külz hat nach einem Beschluß der Reichsregierung den Antrag des Reichsiags- abgeordneken Oberlandesgerichispräsidenlcn Dr. Best-Darm- stadt. Vertreters des Sparerbnnds. auf Zulassung eines Volksbegehrens für ein neues Aufweriunasgeseß abgelehnt. In der Begründung wird ausgeführt, der beantragte Gesetzentwurf würde einen verfassungsmäßig unzulässigen Ein- Wuh auf den Gesamtbestand des Reichs-Haushalkplans aus- uben» uni zwar wegen der Höhe der in Betracht kommenden Betrage, so daß der Haushaltplan tatsächlich umoe- poßen würde.
Der französische Oberkonkrollkommissar, General Valch. wird nach mehrfachen Besprechungen im Reichswehrnuni- sterium nach Paris abreisen, um dem Bokfchaflerrat Bericht zu erstatten.
Die belgische Regierung läßt laut „Times" abermals versichern. daß sie sich auf keinerlei Verhandlungen mit Deutschland über Lupen und Malmedy einlassen werde.
Zwischen Südslawien und Polen ist ein Freundschafks- verkrag abgeschlossen worden.
Die Moskauer Regierung erklärt, sie werde niemals den Laub Dessarabiens durch Rumänien anerkennen. — Diese Erklärung ist von Bedeutung, da der rumänische Ministerpräsident demnächst «ach Rom reisen will, um gegen gewisse Zugeständnisse an Italien Mussolini zu birken, zwischen Rumänien und Rußland in der bessarabischeu Frage zu vermitteln.
Bei Aesscn (Marokko) wurde eine französische Abteilung überfallen. Ein Offizier und 9 Mann wurden getötet.
Die chinesische Regierung, die die Abberufung des bolschewistischen Gesandten Larachan verlangt, daraus aber von Moskau keine Antwort erhalten hat, hat beschlossen, mit Karachan keine diplomatischen Beziehungen mehr zu unterhalten.
Politische Wochenschau.
Der allgemeine Ruf der englischen Bergarbeiter mü> ihrer Frauen ist: „Wir haben genug glitten und wir werden nicht dulden, daß wir noch mehr leiden müssen'. — Das ist die Kapitulationserklärung des englischen Bergarbeiterführers Cook. Damit ist der englische Grubenstreik zusam- mengebrochen. Er hatte lange gedauert. Lange, viel zu lange ließen sich die Arbeiter von dem Losungswort leiten: „Keinen Pfennig vom Lohn!" oder „Keine Minute über die Normalzeit!". Aber stärker als das Schlagwort ist die Wirtschaftskraft eines Volks. Sie ist auch stärker als der Wille der kapitalistischen Arbeitgeber und der Wille der Gewerkschaften, auch stärker als alle Regierungsmaßnahmen und noch so gutgemeinten Vorschläge der Bischöfe.
Und was kam dabei heraus? Viele Hunderte Millionen von Pfund Sterling Schaden hat der Streik angerichtet. Roch größer ist vielleicht der moralische Verlust, den beide kämpfende Teile zu buchen haben. Und doch haben sie etwas gelernt, nämlich, daß beide aufeinander angewiesen sind beide im Dienste der Allgemeinheit stehen, und daß das Volk mit seiner Kaufkraft schließlich das letzte Wort hat. Sein Interesse aber fordert eine gründliche Neuorganisation des Bergwerks. Mau wird namentlich daran denken müssen, -unrentable Gruben eingehen zu lasten, das veraltete englische Bodenrecht, die eigentliche Quelle der ungesunden Verhältnisse im englischen Bergbau, den neuzeitlichen Verhältnissen anzupassen und die überschüssigen Bergarbeiter anderwärts unterzubringen.
Je näher der Termin der September-Versammlung des Völkerbunds rückt, desto zweifelhafter gestalten sich die Aussichten für den Eintritt Deutschlands. Selbst Stresemann, der sonst gerne einen Silberstreifen siehi, wo andere Wetterwolken erblicken, sprach sich recht sorgenvoll aus. Immer deutlicher kommt zum Vorschein, daß die lateinischen Völker, voran Frankreich, dem Wunsch Pole ns, so gut wie Deutschland einen ständigen Ratssitz zu bekommen, willfahren möchte. Auch Spanien, das übrigens neuerdings im Gegensatz zu England Tanger ganz für sich haben möchte, gibt mit derselben Forderung nicht locker. Andererseits hat eine Konferenz nordischer Parlamentarier im Schloß Christiansborg ausgesprochen, die nordischen Länder müßten daran festhalten, daß keine Erweiterung der ständigen Ratssitze über dendurchdie Aufnahme Deutschlandsinden Völkerbund notwendig werdenden hinaus vorgenommen werde.
Wenn's so weiter geht, dann wird Deutschland, dessen Negierung bis jetzt an ihrem früheren Standpunkt festhält, tm September keinen Schritt weiter kommen, als in der Märztagung, vielleicht mit der Ausnahme, daß unseren Vertretern diesmal das Warten im Vorzimmer erspart bleibt. Manche glauben sogar, daß der Völkerbund nächstdem in die Brüche gehe. Und wenn man heute so viel von Verträgen zwischen Frankreich, Rumänien, Jugoslavien, Sva- nien. Italien, Griechenland u. a. liest, dann fragt man sich -billigerwejse: „Wozu überhaupt noch einen Völkerbund^" Der sollte und wollte ja die „kriegerische Bündnispolitik" der Vorkriegszeit aus der Welt schassen und — heute wächst dieses angebliche Unkraut üppiger denn je. Und damit der
Hie Engländer- dort Burenparte,. —
London, 20. Aug. Der Berichterstatter des „Daily Herold" in Lugano meldet, daß Mussolini in Borgourrv eine Rede gehalten habe, welche folgende Sätze enthielt, die von der Agentur Stefan! unterdrückt worden seien. Mussolini habe zugegeben, daß die wirtschaftliche Lage des Landes schwierig sei, aber dies nur ein Beweis für die Bosheit und Mißgunst der ausländischen Feinde sei. Italien sei umgeben von einem Kreis von Feinden, der täglich angriffslustiger und mächtiger werde. Wir mästen diesen Kreis durchbrechen, eher er uns den Atem raubt, und ich sage euch, daß der Anblick unserer prächtigen Regimenter, die ich heute besichtigt habe, mein Herz mit Hoffnung erfüllt und mich berechtigt, zu erklären, daß wir die künftigen Schlachten gewinnen werden.
Smuks gegen Herzog
Johannesburg, 20. Aug. Der frühere Ministerpräsident General Smuts hielt im hiesigen Rathaus eine Rede gegen den jetzigen Ministerpräsidenten General Herzog. Herzog fordere die Unabhängigkeit Südafrikas (von England), aber diese Politik werde dem Land nur schaden. Der größere Teil der Versammlung geriet in solche Erregung gegen Smuts, daß er seine Rede mehrmals unterbrechen mußte und sebsießlieb nickn mebr mm ßoiNMLtk
Wirrwarr voll werde, ist in Tokio ein „Volke rbunv fürdenOsten" ins Leben gerufen worden. Ihm gehören an: Japan, China, Indien und die Philiptnncn. Zunächst soll die Befreiung Indiens und der Philipinnen mir allen Mitteln gefördert werden.
Jedenfalls spürt man bei uns Deutschen herzlich wenig von den Segnungen des Geistes von Locarno. Die Franzosen halten beide Ohren dicht zu, wenn man über dieses Thema spricht. Statt 35 000 wollen sie günstigsten Falls 6000 Mann in den Rheinlanden obbauen. Uebcr den Gek- mersheimerSkandat ist es mäuschenstill geworden. Unser Vorschlag, den Fall einem internationalen Schiedsgericht zu unterbreiten, wurde aus grundsätzlichen Bedenken abgelehnt. Wie es überhaupt mit den erhofften „Rückwirkungen" aussieht, darüber folgende Zahl: Die französische Besatzung in der Pfalz beträgt heute 17169 Mann gegen l3511 vor Locarno und 11542 der ehemaligen deutschen Besatzung vor dem Krieg! Mit Recht hat eine deutsch- nationale Anfrage im preußischen Landtag auf Liese Dinge hingewiesen: Nicht nur die einfachsten, selbstverständlichen und harmlosesten Lebensäußerungen des deutschen Nationalgefühls, deutschen Wesens und deutscher Festigkeit würden von Frankreich verfolgt, sondern auch in der eigentlichen militärischen Inanspruchnahme des besetzten Rheinlands gehe die Besatzung durch Schießplätze, Truppenbelegungen, Manöver gegen den Friedensvertrag, gegen ausdrückliche Abmachungen, gegen menschliche Erwägung und gegen das deutsche Beispiel nach 1871 noch immer weit über das hinaus, was rechtlich und der Bevölkerung zuträglich sei.
Der allererste Anfang in der Rückgabe geraubter Reichsgebiete scheint sich zu verwirklichen. Belgien braucht Geld und bietet allen Ernstes Deutschland die Kreise Eupen und Malmedy an. Als Gegenleistung verlangt es, so berichtet der „New-Bork-Heralü", die Summe von 1,5 Milliarden Goldmark, und zwar aus dem Wegx der Ausgabe einer Schuldverschreibung Belgiens an Holland in dieser Höhe. Diese Zahlung bedeute zugleich die Rückerstattung bezw. Aufwertung der seinerzeit in Belgien ausgegebenen deutschen Banknoten. — Diesem Plan steht die belgische Presse, mit ganz geringen Ausnahmen, begreiflicherweise wohlwollend gegenüber. Anders aber Frankreich, das hierin eine Per- dUNg des Versailler Vertrags erblickt. Mt Unrecht. Kon» doch ,eder Staat von seinem eigenen Gebiet veräußern so viel ^ will, vollends, wenn die abzutretenden Gebiete selbst ihre Rückkehr zu einem anderen Staate, dem sie politisch und völkisch angehören, dringend wünschen.
Unser parteipolitisches Leben zeigt eine erfreuliche Neuerscheinung. Bekanntlich ist die Sozialdemokratische Partei Sachsens seit Jahr und Tag gespalten. In dem Organ der altsozialistischen Partei, im „Volksstaa t". erschien nun neulich ein Aufsatz, der einen deutschen Republikanismus aus hinpebender Staatsgesinnung und nationaler Leidenschaft als allein lebensfähig verlangt
Die internationalistische Einstellung der deutschen Arbeit«- schaft zu staatspolitffchen Notwendigkeiten in der Vorkriegszeit sei nur zum geringsten Teil Schuld dieser Arbeiterschaft, sondern vielmehr durch die politische Kurzsichtigkeit der Herr- schenken Schichten hervorgerufen worden. Das Blatt ruft aus zu einer Einheitsfront derer, die willens find, dem Reich in seiner Ohnmacht zu geben, was seiner Selbst- erhaltung diene und seiner Rettung fromme.
Immer dringender äußert sich der Wille der Saarländer nach Rückkehr zum deutschen Vaterland. Dies kam besonders deutlich zum Ausdruck aus der Versammlung des „Bundes der Saarvereine" in Köln. Die Inflation des Franken wirkt sich dort verheerender aus als in Frankreich selbst. In Entschließungen wurde zum Ausdruck ge- Bracht, daß Völkerbund und Saarregierung vollständig versagt hätten, und daß der Wille des Saarvolks, unter der deutschen Regierung zu bleiben, heute fester stehe als je:
konnte. Die Halle wurde geräumt/ wobei es zu cincr Schlägerei zwischen der Engländerpartei (Smuts) uni) der Burenpartei kam.
Die E!i'>v"ygsv«rhandlungcn im englischen Streik gescheitert
London, 20. Aug. In den gestrigen Verhandlungen mit den Zechcnbesitzern hielten unerwartet die Arbeiterführer die Forderung der siebenstündixen Arbeitszeit unter Tag und die Ausdehnung des Abkommens auf das ganze Land aufrecht; die Lohnjrage sollte besonders geregelt werden, nachdem die Verbesserungsmöglichkeiten im Bergbau erneut geprüft wären. Außerdem sollte die Staatsunterstützung weiter bezahlt werden. Die Vertreter der Grubenbesitzer lehnten die Staatsunterstützung ab, weil sie eine unbillige Belastung der Steuerzahler darstelle und den nötigen Abbau der Steuerlasten verhindere. Weiter verlangten die Grubenbesitzer die örtliche Lohnregelung und Verlängerung der Arbeitszeit. Die Verhandlungen wurden abgebrochen. Die Arbeiterführer besprachen sich darauf mit dem Gewerkschaftsrot über eine Fortsetzung des Aus st an dr. Es soll ein neuer Aufruf um Geldunterstützungen veröffentlicht werden. Erstminister Baldwin besprach die Lage mit den zuständigen Reichsbeamten.
„Mir wenden uns an das französische Volk und an die französische Regierung mit der Mahnung, ihre Gelüste und ihre Hände zu lasten von deutschem Land und deutschem Volk."
Im Wohnungsausjchuß des Reichstags wurde über dar Wohnungsbauprogramm 1926 beraten. Dasselbe soll für eine Reihe von Jahren maßgeblich sein. In Betracht kämen jährlich 180 000—200 000 Wohnungen, also etwa io viel wie in Friedenszeiten, 50—60 000 mehr, als 1925 gebaut wurden. Die für die ersten Hypotheken erforderlichen Mittel seien vorhanden. Dagegen zeige sich eine ungünstige Entwicklung auf dem Gebiet ches privaten Baugelds. Wer würde nicht dringend wünschen, daß der Regierung die Durchführung dieses Programms gelinge, um so mehr, als dadurch viele Tausende von arbeitslosen Bauarbeitern wieder eine Beschäftigung erhalten würden? Aber das Programm soll vor allem auch volkswirtschaftlich und bevölke- rungspcllitisch richtig durchgesührt werden; nicht die Vergrößerung der Großstädte mit ihrer Erwerbslosigkeit soll das Ziel sein, sondern die Anfiedlung arbeitswilliger Menschen da, wo sie Arbeit finden. m.
Neuestes vom Lage
Das Eisenbahnunglück bei Hannover
Der Lokomotivführer des bei Leiferde (Hannover) verunglückten Berliner Schnellzugs, der wie der Heizer unverletzt blieb, meldete dem Staatsanwalt: Der Zug fahr mit einer Stundengeschwindigkeit von 80 bis 85 Kilometer. Plötzlich vernahm er unter sich ein Klirren und Krache«. Sofort wurde der Regulator zurückgerissen und die HtK- druckbremse geöffnet. Die Maschine fuhr noch etwa 1SV Meter außerhalb der Schienen, in ein oder zwei Sekunde«, dann legte sie sich rechts auf die Seite. Der Schlafwagen schob sich auf den vor ihm fahrenden Wagen. In diesen beiden Wägers, die gut besetzt waren, gab es die meisten Toten und und Verletzten. Lokomotivführer und Heizer ergriffen die nötigen Vorsichtsmaßnahmen, um die Strecke zu blockieren. So konnte einem Personenzug, der in entgegengesetzter Richtung (nach Berlin) um diese Zeit an dieser Stelle vorbeikommen mußte, durch die nächste Blockstelle das Haltesignal gegeben und ein weiteres, vielleicht noch größeres Unglück verhütet werden.
Die Rettungsarbeiten gestalteten sich wegen der Dunkelheit sehr schwierig. Die Bewohner der umliegenden Ortschaften eilten mit Oellampen, Kerzen, Aexten usw. zur Unglücksstelle. Die Hilsszüge brachten Fackeln. Verschiedentlich mußten die Toten und Schwerverletzten aus den Wagentrümmern herausgeschweißt werden. Wunderbarerweise blieb eine Frau mit einem kleinen Kind in einem der zertrümmerten Wagen unversehrt, während im gleichen Abteil vier Reisende erdrückt wurden.
Im ganzen sind nunmehr 21 Tote geborgen worden. Unter ihnen befindet sich der Reichs- und Staatskommistar Mehlich vom Reichsarbeitsministerium. Nur eine tote Frau konnte nach ihrer Persönlichkeit noch nicht festgestellt werden. Unter den Verunglückten befinden sich nach den vorläufigen Ermittlungen keine Reisende aus Süddeutschland. Die Toten wurden nach Lehrte gebracht, drei Schwerverletzte befinden sich im Krankenhaus.
Reichskommissar Mehlich, 44 Jahre alt, ein gebürtiger Schlesier, war früher im Ruhrgebiet als Metallarbeiter tätig, 1920 wurde er zum Reichs- und Staatskommissar ernannt. Er war ein persönlicher Freund des Ministers Seve- ring. Vor 1^ Jahren verlor er seine Frau; er hinterläßt 7 Waisen.
Für die Ergreijung der Verbrecher, die das Unglück herbeigeführt haben, ist von der Reichsbahndirektion eine Belohnung von 25 000 und vom Regierungspräsidenten von Lünebiira eine solche von 2000 ll ousaesctzt werden.